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Kitchenegg
Ich liege bäuchlings auf den Küchenfliesen. Rotz und Tränen laufen mir übers Gesicht. Auf meinem Arsch hat es sich mein großer Bruder bequem gemacht. Im Polizeigriff hält er mich unten. Immer, wenn ich schreie, dreht Alex noch heftiger am Handgelenk. Obwohl es mir unmöglich ist, den Kopf zu drehen, sehe ich sein höhnisches Grinsen vor mir. Ich hasse ihn so sehr.
„Hör auf damit. Bitte!“
„Dann erzähl mir, wo du es versteckt hast.“
„Ich habe es nicht.“
Das ist die Wahrheit. Er braucht nur wieder einen Vorwand, um mich zu schikanieren.
„Wo?“
Der Griff wird fester. Ich beiße mir auf die Unterlippe, versuche nicht zu schreien.
„Sag ihm doch endlich, wo es ist. Dann lässt er dich auch wieder los“, meint Paulo.
Paulo ist einer von Alex´ Freunden aus dem Dorf. Für sein Alter von elf Jahren ist er erstaunlich groß. Er sitzt auf einem Holzstuhl neben uns und sieht gespannt zu.
„Ich weiß es wirklich nicht“, flehe ich und blinzele den Vorhang aus Tränen weg.
„Okay.“
Alex löst den Griff und steht auf. Endlich kann ich wieder durchatmen. Ich lecke mir den Rotz von der Oberlippe.
„Du willst es ja nicht anders. Paulo, du passt auf ihn auf, während ich weg bin. Wehe, du lässt zu, dass er abhaut.“
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, knallt er die Tür mit voller Wucht zu.
„Das werd´ ich alles Mama sagen“, schreie ich ihm hinterher.
Mama arbeitet in einem Supermarkt und sitzt gerade an der Kasse, wie immer, wenn wir von der Schule kommen.
Über eine Stunde muss ich noch durchhalten, bis Mama nach Hause kommt.
„Dein Bruder ist keiner, mit dem man Spielchen spielt. Gib´s ihm einfach zurück. Ist besser für dich.“
„Ich weiß wirklich nicht …“, setze ich an, doch die Tür wird aufgerissen und Alex steht im Türrahmen. Um seine rechte Faust hat er eine Wäscheleine gewickelt.
Er lächelt abwechselnd mich und Paulo an.
„Du fesselst ihn.“
Das ist mir zu viel. Ich renne los, doch Alex holt mich mit einem Satz ein, packt mich am Saum des T-Shirts und reißt mich zurück.
„Das kannst du vergessen“, sagt er und packt mich im Schwitzkasten.
Wahrscheinlich glüht mein Kopf wieder tomatenrot. Er lockert seinen Griff und schleudert mich gegen den Kühlschrank. Ich pralle ab und falle zu Boden. Die Worte der beiden Jungs hören sich dumpf an, als wären sie ganz weit weg.
Paulo ist über mich gebeugt. Der Umriss seines schmalen Gesichts verschwimmt mit dem Licht über ihm. Paulo, der Außerirdische. Paulo, der Heilige. Paulo, das Arschgesicht.
Ich frage mich, ob ich kurz geschlafen habe. Mein Bruder hält einen Eierwecker in der Hand und grinst mich an.
„Du hast fünf Minuten.“
Mit einem Dreh stellt er den Timer ein. Das Ei fängt an zu ticken.
Tick. Tick. Tick.
Paulo lässt seinen Blick über meinem Körper wandern, überlegt, wo er die Schnur als erstes ansetzten soll.
Alex hat mich schon oft gefesselt und misshandelt. Aber diesmal habe ich eine schlimme Vorahnung. Heute ist er verrückter denn je.
Kampflos ergebe ich mich nicht.
Ich umfasse Paulos Hals und drücke ihn weg.
„Halt still!“, schreit Alex.
Ich sehe zu ihm. Dieser verrückte Blick. Er ist wieder da.
Es muss so eine Art Gedankenübertragung bei Brüdern geben. Jedenfalls höre ich ihn sagen: Wenn du nicht still hältst, schneid ich dir den Kopf ab und spiele damit Basketball.
Ich halte still.
Dann kommt Paulo eine Idee. Er dreht mich auf den Bauch und bindet zuerst meine beiden Handgelenke zusammen.
Tick. Tick. Tick.
Dann zieht er das Seil straff, wickelt es ein paarmal um meine Knöchel und sichert es mit einem doppelten Knoten.
„Fertig.“
Alex tritt neben ihn. Den Eierwecker dreht er zurück auf null und stoppt das Bimmeln. „Wow, das ging ja flott. Ist zwar nicht wirklich schön verpackt, aber okay, ist ja nicht mein Geburtstagsgeschenk.“
„Was kommt jetzt?“
„Wir tragen ihn raus. Aber vorher …“
Ohne weitere Ausführungen hält er mir ein Klebeband vors Gesicht.
Sie schleppen mich von der Küche ins Wohnzimmer. Alex, der mich an den Füßen hält, setzt diese kurz ab und öffnet die Schiebetür. Sie tragen mich über die Terrasse in den Garten und legen mich in das Planschbecken. Es ist ziemlich groß, aber als Pool kann man es noch nicht bezeichnen. Es ist schon aufgepumpt. Allerdings befindet sich noch kein Wasser darin.
Meine stummen Schreie kann niemand hören. Der Garten ist von einer hohen Hecke umgeben. Niemand kann mich sehen. Frau Eitel aus der Wohnung über uns, die das Treiben durch ihr Fenster beobachten könnte, ist ebenfalls arbeiten.
Die sengende Hitze dieses Julitags treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Jenseits der Hecke ist das Gebrüll von Kindern zu hören. In meiner Phantasie landet ein Fußball im Rasen neben mir und einer der Jungs kommt in den Garten geeilt, um ihn zurückzuholen. Doch selbst das würde mir wenig nützen, da der Junge die Sache wohl als belanglosen Streich abtun würde. Ich neige den Kopf zur Seite, um nicht in die Sonne sehen zu müssen. Eine Biene fliegt vor meinem Gesicht herum. Zu gern, würde ich sie mit einem Wisch verjagen.
„Hey!“, brüllt Alex, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Er richtet den Gartenschlauch auf mich. Ein Wasserstrahl trifft mich im Schritt.
„Schau mal, der hat sich nass gemacht“, sagt er an Paulo gewandt, der daraufhin lachen muss.
„Wie ´ne kleine Schwuchtel.“
Alex wirft den Schlauch in das Becken und hält erneut den Eierwecker hoch.
„Fünf Minuten, dann dreh ich wieder ab und stell dir erneut die Frage, wo du es hingetan hast. Wenn du dann immer noch schweigst, dreh ich für zehn Minuten auf.“
Tick. Tick. Tick.
Irgendwie muss ich es schaffen, auszubrechen. Ich versuche, mich zur Seite zu drehen, mich irgendwie aufzurichten - alles vergebens. Mit angewinkelten Beinen, schiebe ich meine Hände ruckartig von meinem Arsch zum Kreuz hoch, probiere mich vom Boden abzudrücken, aber dadurch werde ich nur noch steifer und kann meinen Oberkörper keinen Zentimeter mehr bewegen.
„Versuch´s erst gar nicht“, sagt Alex, greift erneut nach dem Schlauch und richtete mir den Strahl aufs Gesicht. Wasser schießt durch meine Nase direkt in den Kopf und presst mein Gehirn gegen die Schädeldecke. Das hinterlässt ein verdammtes Dröhnen. „Na, konnte ich dir schon etwas auf die Sprünge helfen?“
Tick. Tick. Tick.
„´ne kleine Gehirnwäsche“, lacht Paulo.
Alex wirft den Schlauch wieder neben mich. Nachdem ich gerade fast erstickt wäre, bleiben mir nur die Atemwege der Nase, um schnell wieder Luft zu tanken. Das Wasser steht mir schon fast bis zu den Ohren, als der Eierwecker losschrillt. Alex dreht den Hahn zu.
„Gut, fünf Minuten sind vorbei. Überleg dir jetzt gut, was du tust.“
Alex beugt sich über mich und reißt mir zur Hälfte das Klebeband von den Lippen.
„Hiiilfeeee …“
Schon sind die Lippen wieder versiegelt.
„Das war nicht sehr klug von dir“, sagt er, dreht am Eierwecker und danach am Wasserhahn. Das Wasser schleicht langsam in meine Ohren. Die Geräusche werden dumpf, die Schreie der Kinder zu einer fremden Sprache.
Mit jedem weiteren Tick steigt das Wasser. Nun läuft auch etwas in meine Nase. Verzweifelt versuche ich meinen Oberkörper hochzustemmen; doch durch die Anstrengung und das schnelle Atmen, sauge ich nur noch mehr Wasser auf. Das Dröhnen weicht einem Pochen. „Lasst mich hier raus!“
Tick. Tick. Tick.
Der Aufschrei klingt in meinen Ohren wie ein Luftballon, aus dem man quietschend die Luft entweichen lässt. Nur liegt eine dicke Betonwand zwischen mir und dem Luftballon.
Mein ganzer Oberkörper ist vom Wasser umhüllt. Ein letzter Schwall Luftblasen entweicht aus meinen Nasenlöchern, bahnt sich seinen Weg an die Oberfläche. Sie schimmert im Sonnenlicht.
Da hoch, nur ein kleiner Ruck … Scheiße!
Bitte, rette mich, Mama. Bitte. Ich ertrinke!
Kein Sauerstoff. Ich versuche krampfhaft zu atmen, ziehe aber nur Wasser durch die Nase. Luft, Sonne, Leben. Dies alles ist so nah und greifbar und gleichzeitig so weit entfernt.
Von irgendwoher höre ich das Rauschen des Schlauchs. Aber da ist noch ein Geräusch.
Tick. Tick. Tick.