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Kiss of the devil
01
An manchen Tagen fühlte Jack sich verhältnismäßig gut, weder Kopfschmerzen noch Angstzustände störten sein Empfinden, doch heute war es leider nicht so. Den ganzen Tag über hatte er nur mit dem Schlag Menschen zu tun gehabt, die ihr gutes Benehmen gegen elitäres Verhalten ausgetauscht hatten. Zu allem Überdruss war da noch sein dröhnender Kopf, der ihn völlig fertig machte. Seine Augenringe waren fingerdick und schienen sein gesamtes Gesicht nach unten zu ziehen. Wenn er nicht bald was gegen seine abendlichen Drinks unternahm, würde in wenigen Jahren nicht mehr viel von seinem sportlichen Aussehen übrigbleiben.
Er parkte seinen klapprigen VW-Cabrio direkt vor dem Eingang seines kleinen Appartments. Er blickte kurz in den Rückspiegel und betrachtete sein blasses Gesicht, die rot unterlaufenen Augen und die in alle Himmelsrichtungen verteilten Haare. „Hengst.“ Er zwinkerte sich zu. Dann stieg er aus dem Wagen und gab der Fahrertür einen schwungvollen Stoß. Knarzend fiel sie ins Schloss. Jack weitete seine Arme und verhüllte seine Freude nicht, dass es ihm gelungen war, die Tür des Cabrios ohne weitere Anstrengungen -–mit nur einem einzigen Schubs – zu schließen. Triumphierend blickte er sich um, als hätte er gerade die 100 Yard-Linie bei einem Baseballspiel passiert. Ein älteres Ehepaar, das ihm verstohlene Blicke zuwarf, rückte näher zusammen und zwängte sich an ihm vorbei. Jack ließ die Arme sinken und lächelte sie müde an. „Ein schöner Abend, nicht?“ Ohne ihm Beachtung zu schenken beschleunigten sie ihren Gang und vermieden es vom Boden aufzusehen.
Jack sah ihnen eine Weile nach, überlegte, ob es dem Mann in all den Jahren gelungen war, dessen Frau zu durchschauen oder ob sie ihr Geheimnis noch immer mit sich herumtrug. Dann, nach einer Weile, bewegte er sich auf sein Domizil zu, die Hütte, die sein zuhause war und die seine Geheimnisse barg. Schon einige Meter bevor er die Tür erreichte, hatte er den Wohnungsschlüssel aus seiner Tasche gekramt. Schwungvoll stieß er den Schlüsselbart in den Zylinder und drehte den Schlüssel herum. Mit einem Ruck öffnete er die Tür. Beinahe gleichzeitig mit dem ersten Schritt ins Haus, wanderte seine linke Hand zu dem Lichtschalter. Doch anstatt der ersehnten Helligkeit blieb die Wohnung finster.
Jacks Fluchen durchbrach die Stille. Wenn ihm eines unheimlicher war, als die aufgetakelte Silikon-Blondine aus der Baywatch-Serie, dann war es die Dunkelheit. Finsternis konnte er seit genau fünf Jahren nicht mehr ertragen. Es war für ihn, als wäre die Dunkelheit nicht nur ein Zustand, den man mit Helligkeit begegnen konnte. Vielmehr war es, als wäre das Dunkel ein sich langsam in eine Gestalt wandelndes Geschöpf. Je länger die Dunkelheit anhielt desto mehr Gestalt gewann sie. Er sah nicht nur die Dunkelheit, er spürte sie auch. Wie ein sich nähernder Eisblock, dessen Kälte schon vor dem Kontakt spürbar ist, eine Hand, die sich nach ihm ausstreckte und ihn zu berühren versuchte. Sein Herz setzte einen Schlag aus und sein Körper versagte ihm den Dienst. Vor Angst gelähmt stand er am Türrahmen und versuchte sich zu beruhigen. Es ist nichts, dachte er. Weder in seiner Nähe, noch im Dunkeln verborgen, was ihn bedrohte und ihn ängstigen sollte. Es ist nur eine kaputte Birne, mehr nicht. Doch all das Flehen nützte nichts. Seine Beine bebten und kalter Schweiß tropfte ihm von der Stirn. „Oh, mein Gott“, stöhnte er leise, „bitte hilf mir.“ Und als hätte eine höhere Macht sein Flehen erhört, erhellte sich der Raum mit einem Schlag. Licht durchflutete die Räume und ein grauenvoller Gesang drang zu Jacks Ohr. „Happy Birthday to you, happy Birthday to you...“ Sofort stürzten sich zwei Blondinen, Susan und Jessica, zwei angestellte silikongefüllte Mitarbeiterinnen auf ihn und umarmten und herzten ihn heftigst.
Der erste, der seine einfallslose Glückwunschformel aufsprach war Gordon. Kraftvoll drückte er seine Hand und zog ihn an sich heran. „Heute Abend, mein Lieber. Heute Abend!“ Sein Lächeln umrundete beinahe sein gesamtes Gesicht. „Du Glückspilz!“ Jack sah an ihm vorbei auf die noch wartenden dreizehn weiteren Bekannten (Freunde), die ihm die Hand schütteln wollten. Dann sah er Gordon scharf an: „Hast du mir das eingebrockt?“ Gordons Grinsen kannte kein Ende. „Ist das nicht toll? Du glaubst doch nicht, dass du ohne uns feiern kannst.“
„Wie zum Teufel...“
„Die Personalakten, Jessica...“
„Wer zum Teufel ist Jessica?“
Gordons Blick wurde verschwörerisch. „Na, die Kleine, die du gerade im Arm hattest.“
„Jessica?“
„Ja und Susan. Sind das nicht zwei Prachtweiber?“ Gordon klopfte Jack die Schulter. „Du verdammter Glückspilz, du.“
Jack atmete hörbar aus. Er saß in der Falle. So wie es aussah, würde er diesen Abend nicht wie geplant in aller Ruhe in seinen vier Wänden und auf seinem Sofa verbringen. Denn eines stand völlig außer Frage: Sie konnten hier auf keinen Fall bleiben.
„Okay, Leute, hört mal einen Moment zu“, begann Jack, „ich freue mich, dass ihr alle bereit wart, mich an meinem Geburtstag zu Tode zu erschrecken...“ Obwohl Jack es sehr ernst meinte, lachten die Anwesenden. „...doch leider muss ich euch mitteilen, dass wir hier nicht bleiben können. Ich glaube, ich würde es vorziehen, einen Tornado hier hausen zu lassen, als euch ungestört feiern zu lassen.“ Sie lachten wieder. Insgeheim dachte Jack, dass es wohl gleichgültig war, was er sagen würde, diese Horde würde immer etwas Komisches finden. „Hat jemand einen Vorschlag, einen Geheimtipp, wo man vernünftig feiern kann?“ Es dauerte eine Weile, bis sie kapierten, dass Jack es ernst meinte, dass es nicht nur ein Scherz war. Er wollte nicht zuhause feiern. „Ich habe eine Idee“, sagte Gordon, „ich habe von einem Laden gehört, da soll dermaßen der Punk abgehen, dass die Leute anschließend wochenlang krank sind.“
„Wie heißt der Laden?“, fragte einer der Gäste.
„DEVILSPALACE“
„Devilspalace?“, fragte Jack.
„Ja.“
02
Bis zu diesem Abend hatte Jack immer geglaubt, dass er tolerant gegenüber jedweder Musik ist, dass er diejenigen tolerieren konnte, die anders waren und die nicht seinem Geschmack entsprachen. Er hatte sich geirrt. Kaum hatte er den verheißungsvollen Rundbogen des Einganges passiert, betrat er eine neue Welt. Eine Welt, wie er es sich nicht hatte vorstellen können und die ihm die Angstzustände von vorhin wieder aufleben ließen. Nebelschwaden waberten um seine Beine, künstlicher Nebel, der so täuschend echt aussah, als wären er direkt aus den schottischen Highlands importiert. Seine Beine konnte er nur noch bis zu den Knieansätzen sehen. Dazu dröhnte ein fürchterlich dunkler Bass, der seinen Magen vibrieren ließ. Die Inneneinrichtung war mit satanischen Ornamenten und grauenhaften Fratzen ausgeschmückt. Jacks Blick wanderte zur Theke, hinter der sich ein Barkeeper befand, der als einziger einen normalen Eindruck auf ihn machte. Alle anderen, bis auf ihn und seine Begleiter, waren eine wilde Horde Gothic-Liebhaber und Vampire.
„Cooler Schuppen“, schrie Jessica ihm ins Ohr. Ihre nach Verführung dürstende Hand hatte sie auf seine Schulter abgelegt. Sie lächelte ihn an, erwartete wohl, dass er diese Aussage bestätigte und den nächsten Flirtangriff vorbereitete. Jacks Ausdruck fror ein. Er nahm die Hand von seiner Schulter und nickte. Dann ging er zur Bar und bestellte sich einen Drink. Jessica trottete ihm hinterher, als wäre er der einzige in diesem Laden. Offensichtlich hatte sie sich etwas für diesen Abend vorgenommen und wollte nicht so schnell aufgeben. Eine Eigenschaft, die Jack zutiefst anwiderte. „Hör zu, Kleines...“
„Jessica“, verbesserte sie.
„Ich steh´ nicht auf sowas.“
„Ich versteh´ nicht was du meinst.“
„Oh, doch. Das tust du. Und jetzt tu´ mir bitte einen Gefallen und such Dir einen anderen, dem Du auf die Nerven gehen kannst.“
Deutlicher konnte er nicht werden. Das nächste Mittel, was ihm einfiel, war ihr ein Messer durch die Rippen zu drücken und sie in einen Müllcontainer zu stopfen. Doch der Abend schien verflucht. Sie wich ihm nicht von der Seite und redete, als habe er gerade von einem Urlaubserlebnis erzählt.
„Ich kann dich verstehen. Ich steh´ auch nicht darauf, wenn mir die Typen zu aufdringlich werden. Dann wende ich meistens einen Trick an, der immer hilft.“
Während Jessica ihm demonstrierte, wie sie auf schlechte Anmachen reagierte, sah Jack sich um. Seine Baggage hatte sich in diesem dunklen Keller verteilt. Einige standen an der Bar und unterhielten sich vermutlich über Politik. Gordon und zwei Weiber in kurzen Röcken tanzten auf diese Gothic-Music eine Art Fox-Trott, was ziemlich lächerlich aussah.
„Das war´s?“, fragte er Jessica, „Mehr nicht?“
„Das genügt! Ich setze nur diesen Blick auf und schon verschwinden sie.“
Wieder sah sie ihn mit diesem aufgesetzten Blick an, der nicht wesentlich von ihrem normalen Blick abwich.
Jack nahm einen großen Schluck seines Drinks und atmete tief ein. Durchgeknallte Tussie. Jede ablehnende Gestik oder Bemerkung überging sie einfach und redete und zwinkerte ihm zu, dass ihm schlecht wurde. Nicht, dass Jessica unansehnlich war. Sie hatte eine nette Figur und ein gewinnbringendes Lächeln, ähnlich das einer Immobilienverkäuferin, zwei Augen, die aufmerksam jede seiner Bewegungen folgte und den Charme, der andere Männer schwach werden ließ. Aber nicht ihn. Es war keine Abneigung gegen das weibliche Geschlecht ansich, sondern eine Abneigung gegen Probleme, die diese von Hause aus mitbrachten. Und es war seine Erfahrung, dass Frauen erst dann mit diesen Problemen zum Vorschein kamen, wenn man es am wenigsten benötigte. Wenn einem der beste Kumpel bei der Polizei anschwärzte, war das schlimm. Wenn aber seine eigene Ehefrau, mit der man über zwölf Jahre zusammengelebt, der man vertraut und die man geliebt hat, einen wegen Vergewaltigung anzeigt, dann endete jedes in Frauen gesetzte Vertrauen schlagartig.
Er hatte noch nicht ganz das Glas geleert, da hatte sie ihm auch schon einen neuen bestellt. Ihre Taktik war so offensichtlich, dass es selbst dem Begriffstutzigsten klar war. Aber sie hatte nicht mit ihm gerechnet. Er war einiges gewöhnt und sie würde noch sehr tief in ihre Tasche greifen müssen, um ihn abzufüllen. Es würde ihr nicht gelingen. Seit einigen Wochen gelang es ihm ja selbst nicht mehr. Er vertrug immer mehr und trank immer mehr. Er konnte noch den ganzen Abend lang einen Drink nach dem anderen herunterkippen, ohne dass er von seiner Meinung abweichen würde.
Jessica verließ allmählich der Mut. Seit Stunden versuchte sie diesen Jack aufzulockern, doch er blockte eiskalt jede ihrer Bemühungen ab. Am Anfang hatte sie es noch interessant gefunden – ein Typ mit einem Geheimnis – aber jetzt war es einfach nur noch ätzend. Er saß da, starrte seinen Drink an und ignorierte jede ihrer Annäherungen, schlimmer noch, er beleidigte und verletzte sie ein ums andere Mal. So schwer hatte sie es sich nicht vorgestellt. Als sie Gordon heute mittag ansprach und ihr den Vorschlag machte, sich um Jack zu kümmern, hatte sie noch geglaubt, dass ihr niemand widerstehen konnte. Wenn sie es wirklich wollte, genügten ein oder zwei Drinks und die Männer waren zu allem bereit. So war das doch immer gewesen. Und jetzt. Jetzt saß sie hier und hatte einen sturen Esel vor sich, der müde lächelnd seinen neunten Drink in sich hineinkippte und noch nicht einmal den Ansatz eines Schlafzimmerblickes aufgesetzt hatte. Das war zufiel für sie. Der Barkeeper lächelte sie mitleidig an, so als wisse er, was in ihr vorginge. Es war auch zu offensichtlich, fand sie und so deprimierend.
„Na, Sweetheart, läuft´s nicht“, fragte der Barkeeper in einem kumpelhaften Ton, der ihr normalerweise nicht gefiel, nicht von fremden Männern, aber jetzt fühlte sie sich so elend zumute, dass sie dankbar über jede Art von Zuwendung war. „Alles bestens“, log sie.
„Ist wohl nicht dein Tag, Kleines, oder?“ Der Barkeeper schenkte ihr unaufgefordert einen weiteren Drink ins Glas und lehnte sich zu ihr. „Weißt du, manche Männer verstehen es einfach nicht.“
„Scheint so“, murmelte sie.
„In solchen Fällen hilft meist nur eines: Entweder, man macht sich schnell vom Acker und sucht sich einen neuen...“, er zwinkerte ihr zu und schnalzte gleichzeitig mit der Zunge, „...einen gutaussehenden Barkeeper zum Beispiel...“ Jessicas Nackenhaare stellten sich senkrecht „...oder man macht einen besonderen Cocktail.“
„Einen Coktail?“
„Ja. Einen Coktail, keinen gewöhnlichen. Einen ganz besonderen Coktail. Einen diabolischen Devils Kiss“
„Ah“
Jessica verdrehte die Augen, sank ein wenig in sich zusammen und war enttäuscht über diese Offerte. Ein Coktail, ein Kuss des Teufels, was gab es in diesem Laden für verrückte Leute. Doch der Barkeeper ließ nicht locker. „Süsse, weil du es bist, geht der auf Kosten des Hauses. Ich kann es nicht mehr mitansehen, wie du deine kostbare Energie an so einem Sturkopf vergeudest.“
Besser, als wenn er sich ihr weiterhin anbieten würde. Das war wirklich das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte, einen liebeshungrigen Barkeeper. In ihrem Kopf formte sich ein Gedanke, eine Idee, die sich in ihr einschlich wie ein guter Freund. Ein unmoralischer und gefährlicher Gedanke. Doch der Alkohol hatte ihr Gehirn vernebelt und sie war bereit, ein wenig Risiko einzugehen. Und sie spürte so etwas wie ein Bedürfnis nach Rache. Immerhin war der Abend versaut und das lag einzig und allein an diesem schrägen Typ, der sich lieber mit einem Glas Gin unterhielt, als mit ihr. Vielleicht würde das ja die Wendung bringen.
Der Barkeeper hatte mittlerweile den Drink vor ihr abgestellt, ein bläulich schimmernder Coktail, der nach unten hin immer heller beinahe grün wurde. Giftig, dachte sie, sehr giftig. Was ihm jetzt noch fehlte, war die Spezialzutat. Jessica kramte aus ihrer Tasche ein kleines Plastikröhrchen hervor, welches mit weißem Pulver gefüllt war. Sie nahm den Drink, wandte sich von Jack ab, so dass er nicht sehen konnte, was sie mit ihren Händen tat und gab ihm die richtige Würze, eine kleine Prise von dem seligmachenden Kokain. Beim Absetzen, stieß sie einer der wildaussehenden Gothicgäste an. Sie rief ihm nach, dass er besser aufpassen solle. Er wirbelte herum und grunzte sie an. Das war zumindest mehr, als sie erwartet hatte. Es war zumindest ein Zeichen von Intelligenz. Möglicherweise waren sie sogar in der Lage sich auf diese Weise zu unterhalten.
Das Plastikröhrchen war leer. Sie war sicher, nur ein wenig ins Glas getan zu haben, aber jetzt war das Röhrchen leer. Sie suchte den Boden und ihr Kleid ab, stand auf und sah auf ihren Sitz, doch sie fand keinerlei Spuren des Kokains. Naja, was soll´s, dachte sie. An diesem Abend ging offensichtlich alles daneben. Sie reichte Jack den Coktail und stieß mit ihrem Glas an.
„Auf Dein Wohl, Jack.“
Jack wunderte sich nicht allzusehr über den Coktail. Nachdem die Früchte ihrer Mühen bei den Drinks ausblieb, musste sie wohl etwas anderes probieren. „Na“, zwinkerte er ihr zu, „hast Du immer noch nicht genug?“ Er lachte. Eigentlich hätte es ihr Satz sein sollen. Entsprechend positiv hätte seine gelallte Antwort lauten müssen: Du kannst alles mit mir machen, was Du willst.
Das große Coktailglas fühlte sich gut in seiner Hand an, passgenau. Auf Dein Wohl. Ich hoffe, dass Du nicht so schnell aufgibst. Ich habe heute einen enormen Durst. Jack setzte an und nahm wie zur Unterstreichung des zuvor Gedachten zwei große Züge, bis das Glas halbleer war. Dann zwinkerte er Jessica zu und lächelte. Dann zwinkerte er wieder, aber diesmal lächelte er nicht. Er zwinkerte nur, hielt sich den Magen und verzog schmerzverzerrt sein Gesicht. „Was...“, stotterte er. Das Zwinkern hörte auf. Es schien, als wäre alles Leben aus seinem Körper gewichen. Mit ausdruckslosen Augen sah er Jessica an, dann kippte er vornüber und sein Kopf schlug hart auf die Theke auf.
Na, Jack, hast Du nun genug? Jessica betrachtete Jack einigermaßen zufrieden. So schnell widersteht mir kein Mann. „Soll ich ihm ein Taxi rufen?“, fragte der um Mitleid bemühte Barkeeper.
„Nein, ist schon okay. Ich bringe ihn gleich nach Hause.“ Doch zunächst wollte sie sich zur Feier des Abends noch einen Drink gönnen. Zum einen, weil sie es sich verdient hatte zum anderen war sie eh nicht in der Lage, Jack in diesem Zustand irgendwo hin zu bringen. Sie musste wenigstens solange warten, bis er von selbst laufen konnte.
03
Das warme Wasser der Dusche brachte ihren Kreislauf langsam wieder in Schwung. Der Alkohol hatte sie beinahe so träge gemacht, dass an keinerlei sexuelle Aktivitäten zu denken war. Aber jetzt spürte sie, wie die Lebensgeister zurückkehrten, eine Energie die durch sie strömte und sie lustvoll aufstöhnen ließ. Oh, ja, das kann ein wirklich netter Abend werden. Sie benutzte Jacks Duschgel und seifte sich ordentlich ein. Das glitschige Gefühl ihres Körpers erregte sie ein wenig und sie begann ihre Brüste intensiver einzucremen, bis die Nippel hart waren. Sie hatte Lust, eindeutig. Sie wollte es heute bekommen und Jack würde sich nicht wehren. In dem Zustand, in dem er jetzt war, wäre es ein Wunder, wenn er es in zwei Tagen könnte. Nachdem das Taxi verschwunden war, hatte sie ihn in das Wohnzimmer geschleift und dort auf einen Stuhl gesetzt. Vermutlich war er zwischenzeitlich heruntergefallen und wand sich nun auf dem Boden. Sie würde ihn wohl fesseln müssen, dachte sie, ihn knebeln und gefügig machen. Er war ja so unartig gewesen. Jetzt spürte sie, wie elektrisierende Lustströme ihren Körper erfassten. Oh, ja, das würde sie gleich machen. Aufgeregt sprang sie aus der Dusche, trocknete sich ab und wickelte sich das Tuch um ihre Hüften. Anschließend ging sie die Treppen hinunter. Wäre der Barkeeper nicht so aufmerksam gewesen, hätte sie ihn hier abgesetzt und wäre dann nach Hause gefahren. Er hatte ihr angesehen, dass sie einen Trip notwendig hatte und zufälligerweise kannte er jemanden in diesem Horrorschuppen, der zufällig auch etwas dabei hatte. Ihre Augen erfassten Jack, der, wie sie vermutet hatte, auf dem Boden lag und schlief oder nur sehr schwach bei Bewusstsein war.
Das eröffnete ihr die Möglichkeit noch einige Sachen vorzubereiten. Sie tappste in die Küche, kramte einige Kerzen aus den Schubladen, verteilte sie in der Wohnung, sorgte für Stimmung, legte eine Schallplatte auf und war sich nun sicher, alles getan zu haben, damit Jack sich wohl fühlen würde. Sie wollte ihn ja nicht vergewaltigen, sondern nur verwöhnen. Er würde es bestimmt verstehen und auch seinen Spass daran haben.
Jack lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Teppichboden und bekam nichts davon mit. Weder von der Tatsache, dass Jessica halbnackt durch die Wohnung lief, noch dass er völlig seiner Würde entledigt auf dem Teppich lag und noch viel weniger von den blauen Flecken, die unter seiner Kleidung heranwuchsen. Ein Tropfen Speichel kam aus seinem rechten Mundwinkel gelaufen. Jack befand sich auf einer absonderlichen Reise durch seine verzerrte Gedankenwelt, voller böser Geister und gothischen Bildern.
Er wanderte barfuss durch kalten Schnee, zitterte aber nicht vor Kälte sondern vor dem bizzaren Turm, der sich vor ihm aufbäumte und auf ihn zuraste, obwohl er nicht dort hinwollte. Er war ein kleiner Junge, der nichts sehnlicher wollte, als wieder aufzuwachen. Einfach die Augen öffnen und aus diesem Albtraum erwachen. Der Turm kam immer näher und war nun schon beinahe bei ihm. Er wollte wegrennen, sah wie seine Beine sich bewegten, aber dennoch keinen millimeter Raum gewannen. Er stand still, obwohl er sehen konnte, dass seine Beine sich bewegten, obwohl alles um ihn herum sich bewegte, die Straße, der Schnee nur er nicht, alles kam auf ihn zu. Der dunkle Turm schien ihn mit finsteren Augen zu verhöhnen, verspottete seinen erbärmlichen Versuch.
Du kannst nicht entkommen.
Jack rannte so schnell er konnte, spürte, wie sein Puls immer schneller ging. Der Turm durfte ihn nicht erreichen, es wäre sein Ende. Der Turm war böse und barg Schlimmes.
Du kannst nicht entkommen.
Jack wünschte sich einen Drachen herbei, der ihm half, der ihn auf seinen Rücken nahm und mit ihm davonflog. Ein Drache kam, spie Feuer und flog auf ihn zu, kam immer näher. Doch dann – bevor er ihn erreichte -, blieb er stehen. Jack sah in seine Augen und er sah, dass er lachte, dass er ihn verhöhnte, wie der Turm ihn verhöhnt hatte. Der Turm kam immer näher. Er war da. Er verschluckte ihn. Er war in der Hölle. Im Dunkeln. In der Finsternis.
Jessica hatte Jack auf den Stuhl gesetzt und überprüfte seine Reaktionen. Sie hebte den nach unten gesenkten Kopf und öffnete mit zwei Fingern eines der Augen. Die Pupille war ein wenig schräg, aber schien dennoch lebendig. Als sie den Kopf wieder losließ, sackte er wieder nach unten. Er murmelte etwas, was sie nicht verstand.
„Ah“, freute sich Jessica, „schön, dass Du bei unserem privaten Fest auch anwesend bist.“ Sie schwang ein Bein über Jacks Beine und setzte sich auf dessen Kniee. Ihr um die Hüfte gelegtes Handtuch öffnete sich leicht.
„Du warst gerade nicht sehr nett zu mir, weisst du Jack. Aber ich verzeihe Dir.“ Sie nahm ihre Brüste in die Hand und fuhr mit ihrer Zunge über die Nippel. „Ich verzeihe Dir. Denn ich weiß, dass du im Grunde genommen doch kein übler Kerl bist.“
Jack befand sich im Turm. Die Dunkelheit, die ihn umgab, war lebendig. Er konnte spüren, wie die Finsternis Gestalt annahm. Jack sah sich um, konnte aber nichts erkennen. Nichts, bis auf das Schwarz. Er ging in die Knie und versuchte den Boden zu berühren. Er fühlte sich warm und weich an, nicht wie totes Stein, eher wie etwas Lebendes, Organisches. Oh, mein Gott, Jack. Wach auf. Wach um Himmels Willen auf.
Er stellte sich wieder hin und ging ein paar Schritte nach vorne. Er suchte einen Ausgang, eine Lücke oder ein Fenster. Irgendwas, was ihn nach draußen bringen könnte. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Das Dunkel wurde immer größer und nahm immer mehr Gestalt an. Es würde ihn packen und in die Ewige Finsternis mitnehmen, wenn er nicht bald den Ausweg fand. Seine Hände suchten, tasteten nach vorne, aber fanden nichts. Keinen Halt und keinen Spalt. Jack zuckte zusammen, sein Herz blieb stehen. Etwas hatte ihn berührt.
„Ist da jemand?“. Seine Stimme klang zittrig und ganz fremd. „Ist da jemand? Hallo.“ Niemand antwortete ihm. Es blieb still. Jack fuhr sich mit seiner Zunge über die trockenen Lippen. „Ich weiß, dass da jemand ist. Aber du machst mir keine Angst.“ Jack spürte, wie seine Lippen vibrierten. Es war plötzlich so kalt, so eisig kalt.
Sein Magen verkrampfte sich. Dann spürte er es wieder. Etwas hielt ihn fest. Etwas klammerte sich um ihn, drückte ihn immer mehr und mehr. Er bekam keine Luft mehr.
Jessica hatte Jacks Gesicht zwischen ihre Brüste geklemmt. „Na, Jack. Wie fühlt sich das an?“ Jack stöhnte und Jessica lachte genussvoll. „Oh, ja. Das fühlt sich gut an. Nicht wahr Jack?“ Sie wogte sein Gesicht hin und her.
„Ich weiß, was Dir gefällt.“ Jessica schloss die Augen und spürte ihre Lust.
Jacks Atem ging immer flacher. Er würde ersticken. Er konnte nichts dagegen tun. Die Dunkelheit hielt ihn fest umschlossen. Seine Kräfte wurden schwächer, seine Augen begannen zu flattern. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, wurde die Umklammerung geöffnet, der Druck ließ nach. Jack konnte wieder frei atmen. Oh, mein Gott, Jack. Wach auf. Wach um Himmels Willen auf.
Sie nahm den Schal vom Tisch und band ihn um Jacks Augen und machte einen leichten Knoten, eine kleine Schleife. Dann öffnete sie Jacks Jackett und streifte es ihm halb über die Schultern. Dann streichelte sie Jacks mit einem T-Shirt bekleidete Brust. Es war störend, fand sie. „Es stört Dich?“ Sie nahm eine Schere, küsste ihm die Stirn und begann das T-Shirt zu zerschneiden. „Mich auch.“ Sie zwinkerte ihm zu. Die nackte Brust mit den wenigen Haaren war ein wunderbarer Anblick, fand Jessica. Ihr Mund testete, ob es auch so gut schmeckte, wie es aussah. Das tat es. „Na, geniesst du es auch, Jack?“
Jack konnte sich nicht mehr bewegen. Seine Arme wurden von einer unheimlichen Macht nach hinten gedrückt. Er hörte wie sich das Dunkel näherte. Wie das Finstere Ungetüm seine Energie aufsaugen wollte. Grauenhaftes Gelächter und Gekreische um ihn herum und er konnte nichts mehr tun. Er saß in der Falle. In einem Turm gefangen, darauf wartend, dass das Dunkel ihn völlig umschloss und ihn in die Ewige Finsternis mitnahm. Er war hilflos. Und sein Gegner war übermächtig.
Jessica überkamen Schauer des Lustgefühls. Ihr war, als hätte sie alle Macht der Welt. Sie spürte diese ungeheuer erregende Dominanz. Sie war bereit heute alles zu riskieren, was sie sich je erträumt hatte. Sie nahm eine der Kerzen, die in ihrer Nähe waren, drückte den weichen Wachs mit zwei Fingern an den Docht heran und beobachtete, wie der flüssiggewordene heiße Wachs an der Kerze hinablief und immer noch heiß auf ihre Finger glitt. Ein Schauer des Glücks erfasste sie und ließ ihr ein freudiges ‚Uhhhh‘ entgleiten. Vorsichtig balancierte sie die Kerze über Jacks nackte Brust und deutete zunächst nur an, was sie gleich tun wollte, beschrieb mit der Kerze in der Hand schwungvolle Herzen, ohne dass ein Tropfen des heißen Wachs hinabglitt und zischend und dampfend auf Jacks nackte Brust auftraf. Sie genoss jede ihrer Bewegungen und die Vorfreude auf den ersten Tropfen.
Er war in der Hölle. In einem tiefen Abgrund, der all seine Befürchtungen wahr werden ließ. Er war Gefangener in einem dunklen Verlies ohne Aussicht auf ein glückliches Ende. Schwefel stieg ihm in die Nase, die Höllenreiter waren auf dem Weg zu ihm. Sie würden gleich ankommen und ihn mit hinunterreißen in die Ewige Verdammnis.
Ihr beinahe völlig aus der Welt gelöster Blick streifte Jacks Gesicht, hielt fest, was ihre Lust schlagartig umkehrte. Sie erkannte den panischen Gesichtsausdruck in Jacks Mimik und wusste, dass da was schief gelaufen war. Sie war zu weit gegangen, aber es war zu spät. Ein Tropfen heißen und flüssigen Wachses hatte das Ende der Kerze erreicht und stürzte gerade in diesem Moment hinunter ins Leere. Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Jessica beobachtete den Flug des Tropfens, der sich unerbittlich seinem Ziel näherte und dabei wunderschön anzusehen war. Beinahe majestätisch landete es auf der Brust und gab einen zischenden Laut von sich.
Es war soweit. Jack spürte die Hitze der Hölle in einem einzigen Moment. Er fraß sich durch seine Brust und wollte an sein Herz. Er riss die Augen auf und war plötzlich hell wach. Aber obwohl er den Unterschied bemerkte - er war nicht mehr in seinem Traum gefangen, sondern war in der Realität – blieb die Panik. Er konnte sich immer noch nicht frei bewegen und er war von Finsternis umgeben. Jessica, die immer noch auf ihn saß, versuchte ihn zu beruhigen und ihm die Augenbinde zu entfernen, doch Jack ließ sie nicht an sich heran. Er kämpfte und wehrte sich mit allen Kräften. Er vernahm Stimmen, die er nicht zuordnen konnte und die sich in seinen Ohren wie das Gekreische von Hexen anhörte. Irgendwie schaffte er es sein Jackett von seinen Schultern zu heben, sodass seine Arme frei waren. Er stieß Jessica von sich und wollte aufstehen. Da erfasste er die Schere, die sich auf seinem Schoß befand und die Jessica zum Zerschneiden seines Jackets gedient hatte und stürzte sich mit dieser Waffe auf die Monster, die um ihn herum waren, die sich seiner Seele bemächtigen und ihn umbringen wollten. Er stieß mit der Schere zu. Jessica krümmte sich auf den Boden und spürte einen harten Fausthieb nur sehr viel tiefer. Etwas in ihr drin war kaputt gegangen. „Oh mein Gott...Jack. Hör auf. Bitte hör auf.“ Jessica stieß mit ihrem nackten Fuß in Jacks Richtung und traf ihn auch. Doch er ließ sich nicht abschütteln. Er packte sie an den Haaren, riss ihre Kopf herum und stieß ihr die Schere in den Körper – wieder und wieder. Das Schreien um ihn herum war fürchterlich und erschreckend, aber er kannte kein Erbarmen. Wieder und wieder stach er zu. Auch als die Schreie verebbten und nur noch das Auftreffen der Klinge auf einen Körper das einzige Geräusch waren, hörte er nicht auf. Irgendwann war die Erschöpfung groß und er glaubte es geschafft zu haben, da sank er zusammen und vereinte sich mit dem blutverschmierten Körper, der ihn warm empfing.
03
Jack schritt im Gefolge der Beamten den langen Gang entlang. Die Hände waren vorne mit Handschellen gefesselt. Die Füsse waren durch eine Kette miteinander verbunden. Jacks Blick war auf den Boden gerichtet. Seine Scham war grenzenlos. Die Gefängnisinsassen zeigten nur geringes Interesse an der Prozession.
Sie gingen an all den Gefängnistüren vorbei einen scheinbar endlos wirkenden Gang entlang, bis sie zu jener Tür kamen. Der Unterschied zu allen anderen Zellentüren war, dass hier nicht Gitterstäbe zu einer Tür verbunden waren, sondern es eine stabile Eisentür ohne Spalt und Fenster war. Er wehrte sich so gut er konnte. Er fiel auf die Knie und machte sich ganz klein. Doch die Gefängniswärter hatten wenig Mühe ihn in die Zelle zu schleifen. Das Dunkle Loch näherte sich ihm unaufhörlich. Die Finsternis ergriff zunächst nur einen Teil seines Körpers, dann verschwand er völlig darin. Jacks Flehen und Schreien wurde von der Finsternis verschluckt, wie seine Erinnerungen und Gedanken, bis er schließlich, kurz bevor er in die ewige Verdamnis gezerrt wurde, dem Wahnsinn erlegen war und alles was ihn ausgemacht hatte, gelöscht wurde.