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Kirchweih
Die neue Kirche ragte wie ein erhobener Zeigefinger aus dem Viertel der Kaufleute empor, das sich von den Speichern nahe des Flussufers bis hin zum Marktplatz erstreckte.
Am morgigen Sonntag sollte das Gotteshaus geweiht werden. Seit Tagen drängte eine bunte Menge aus hochwohlgeborenen Gästen, Mönchen, Bauern und Neugierigen in die Stadt. Sämtliche Wirtshäuser waren hoffnungslos überfüllt. Wer es sich leisten konnte, nahm in einem der Hinterhöfe Quartier, die von den gewitzten Städtern für schweres Gold angeboten wurden. Die meisten Menschen lagerten jedoch nahe der Stadtmauern im Freien. Von hier war es nur ein kurzer Weg zu den Hafenspelunken und so kam es immer wieder zu Reibereien zwischen betrunkenen Bauernburschen und der Stadtwache.
Den ganzen Tag war es heiß und schwül, doch die Nacht zog heran, ohne dass es einen Tropfen geregnet hatte. Im Licht der untergehenden Sonne sandten die funkelnden Spitzen der Zwillingstürme einen letzten, rotgoldenen Gruß in die Stadt, während ein junger Mann sich ungeduldig durch die Menschenmenge schob. Ein hübscher Bursche, schlank und hochgewachsen, mit schulterlangen, welligen Haaren, die sein schmales Gesicht dunkel einfassten.
Auf dem Marktplatz hatten Händler, Gaukler und fahrendes Volk ihre hölzernen Buden bereits errichtet und der Duft von gebratenem Fleisch, Honigkuchen und gerösteten Mandeln durchzog die engen Gassen. Der junge Mann machte an einem kleinen Stand mit Keramiktöpfchen in den verschiedensten Größen und Farben Halt. Prüfend musterte er die Auswahl. „Habt Ihr Königslatwerk?“
Eine alte Frau erhob sich von ihrem Schemel und deutete auf eine Reihe flacher, aufwendig bemalter Schachteln. Der junge Mann hob einen der Deckel an, roch an dem Inhalt und erkundigte sich nach dem Preis. Die Alte hob drei Finger und sein Gesicht verfinsterte sich für einen Moment. Dann jedoch kramte er achselzuckend nach seiner Geldkatze und warf die Münzen ohne weitere Verhandlungen auf den Tisch. Als er die Ware unter seinem Umgang verstaute, trat die Frau von hinten auf ihn zu. „Einen schönen Gruß an den Herrn Syndikus.“ Ihr Mund verzog sich zu einem zahnlosen Grinsen. „Er wird mich nicht vergessen haben.“
Wortlos wandte sich Michael ab. Ein seltsames Grauen hatte ihn gepackt. Hastig drängte er weiter. Erst im Fünfhausen wurde es ruhiger. In der Bäckergrube waren kaum noch Menschen unterwegs und so schritt er zügig aus, bis er vor einem prachtvollen Haus aus rot gebrannten Ziegeln stand. Aus den hell erleuchteten Fenstern im oberen Stockwerk drangen Flötenmusik und fröhliches Gelächter. Der junge Mann ordnete seine Kleider und klopfte an die Eingangstür.
Ein Knecht geleitete ihn über halbdunkle Dielen zum Kaminsaal des Hauses. Geblendet vom Kerzenschein sah er sich um. Die Mitte des Saales wurde von einem langen, mit Speisen und Getränken beladenen Tisch eingenommen. Etwa zwanzig Gäste, vornehm in Seide und Spitze gekleidet, saßen lachend und schwatzend um die Tafel herum. Um der Hitze zu entkommen, hatte man sämtliche Fenster geöffnet.
"Meister Michael!" Eine stattliche Frau in rotem Samt winkten dem neuen Gast vom Kopf der Tafel zu. Das volle Haar wurde von einem feinen, aus Goldfäden gesponnenen Netz gehalten. Ihre dunkle, etwas raue Stimme setzte sich mühelos über Musik und Gespräche hinweg. „Setzt Euch zu uns!“
Michael verneigte sich tief vor der Gastgeberin, doch sein Blick richtete sich auf das junge Mädchen neben ihr. Es mochte etwa fünfzehn Jahre alt sein und trug das dunkle Haar unbedeckt, aber zu einem kunstvollen Zopf gebunden. Die zarte Schönheit seines Gesichtes mit großen, dunkelblauen Augen wurde durch das schlichte, weiße Seidenkleid noch hervorgehoben.
Michael fühlte sein Herz klopfen. „Jungfer Elisabeth! Wie ich mich freue, Euch zu sehen.“
Ihre Wangen röteten sich, doch sie lächelte ihm schelmisch zu. „Mehr bedarf es nicht, Euch zu erfreuen? Ihr seid ein glücklicher Mensch.“
Nun fühlte Michael es heiß in seinem Gesicht aufsteigen. Rasch wandte er sich der Hausfrau zu. „Erlaubt mir, Euch ein kleines Geschenk zu überreichen, Frau Mechthild.“
„Unser großartiger Baumeister!“ Ein älterer Mann mit der Statur eines Bären klopfte Michael auf die Schulter. Trotz der Hitze war er in einen Umgang aus weichem, dunklen Pelz gehüllt. „Die Höhe der Türme grenzt an Zauberei.“
Der junge Baumeister wurde bleich. „Der Bauplan beruht auf den gängigen Formeln meiner Zunft, Herr Iblis.“
„Gewiss, gewiss.“ Iblis klatschte laut in die Hände. "Darf ich um Ruhe bitten!" Nach einigem Gezische wurde es still und er erhob seinen Becher. "Liebe Freunde! Neben mir steht der junge Teufelskerl, der eure neue Kirche gebaut hat!"
Donnernder Applaus brach los. Vereinzelt erklangen Hurra-Rufe. Eine besonders vorwitzige Stimme rief: "De gröte Kirch gehört nu dem Raat, dat drapt de Bischofsplautze hart!", und wiederholte damit einen Spruch, der dieser Tage aus allen Gassen tönte. Brüllendes Gelächter erklang. Pfarrer Edelhard hob beschwichtigend die Hände. "Wir suchen keinen Streit mit dem Bischof!"
"Vermissen werden wir ihn trotzdem nicht."
Wieder wurde gekichert. Auch Iblis schmunzelte. „Wir freuen uns, dass wir Vater Edelhard für unsere Kirche gewinnen konnten.“ Er hob seinen Becher in Richtung des kleinen, untersetzten Mannes, der seine etwas hängenden Wangen sofort in freundliche Falten legte. "Auf das Gotteshaus von Rat und Kaufmannsgilde!"
Der Trinkspruch wurde lautstark erwidert und die Musik setzte mit einem fröhlichen Tanzlied wieder ein. Michael nahm Platz und legte eine der goldbraun gebratenen Wachteln auf seinen Teller.
„Die Stadt ist völlig überfüllt.“ Elisabeth seufzte. „Es soll bereits Tote gegeben haben.“
„Der Pöbel ist an Dummheit nicht zu überbieten“, zischte ihre Mutter. „Es verbreiten sich schon Gerüchte, der Teufel habe an unserer Kirche mitgebaut.“
„Ihr glaubt nicht an den Teufel?“ Iblis nahm ihre schmale, bleiche Hand und hauchte einen Kuss darüber. „Wer weiß schon, auf wie viele Seelen der Stadt er Anspruch erhebt?“
Lachend klopfte ihm Frau Mechthild auf die Finger. „Was sind das für Reden am Vorabend einer Kirchweihung!“
Ratsherr Witte, der klein und hutzelig neben seiner vollbusigen Gattin hockte, stimmte ihr zu. „Es gibt sicher passendere Themen.“
Frau Witte, das Gesicht schwitzend vom Wein, wagte sich einen Schritt voran. „Man könnte überlegen, wann Jungfer Elisabeth wohl heiraten wird?“ Mit einem schrillen Kichern ließ sie ihre Augen zu Iblis wandern. „Oder will erst die Mutter in der neuen Kirche Hochzeit feiern?“ Sie brach ein großes Stück Kuchen ab und schob es sich in den Mund. „So bekäme das Gold Eures verstorbenen Gemahls endlich einen neuen Herren.“
„Als gute Christin habe ich einen erheblichen Teil für den Bau der Kirche gestiftet.“ Frau Mechthild musterte die Dicke aus hellen wasserblauen Augen. „Es war die größte Spende der Kaufmannsgilde, wenn ich mich recht erinnere.“
Michael hielt bereits seinen dritten Becher Wein in der Hand. Suchend sah er zu Elisabeth hinüber, doch sie hatte sich abgewandt und sprach mit Iblis. Das Lachen und die Gespräche wurden lauter. Ratsherr Witte gab zur allgemeinen Erheiterung einige Strophen vom Pastor und seiner Kuh zum Besten, während seine Gemahlin kurzatmig die Arme dazu schwang.
Mit zitternder Hand schenkte sich Michael einen weiteren Becher Wein ein. Leise sprach er Frau Mechthild an. „Würde wohl ein junger Baumeister um die Hand Eurer Tochter anhalten dürfen?“
„Niemand könnte es ihm verbieten.“ Sie hob die Augenbrauen. „Doch Elisabeth ist bereits versprochen. Herr Iblis ist der Syndikus der Stadt. Ohne sein Gold hätte der Rat die Baukosten gar nicht aufbringen können. Ihr solltet ihm dankbar sein.“
„Iblis?“ Michael würgte. Er nahm kaum wahr, wie die Tür zum Saal aufgerissen wurde und der Hauptmann der Stadtwache hereintrat.
„Verzeiht mein Eindringen!“ Schweiß rann unter seinem Helm hervor. „Das Lager an der Stadtmauer … Die vielen Menschen … Der Medicus sagt, es sei Pest!“
Ein Aufschrei lief durch den Raum. Einige Ratsmitglieder sprangen auf und stürmten auf die Tür zu. Stühle kippten polternd zu Boden und aus den umgestürzten Bechern rann der Wein dunkelrot über das weiße Damasttischtuch. Frau Witte war zur Tür geeilt und versuchte, den Wachmann mit ihren Körpermasse beiseite zu schieben.
„Auf den Straßen wartet der Tod!“ Frau Mechthild war bleich geworden. „Hier sind wir sicher!“
„Seid Ihr von Sinnen?“ Die Stimme des Pfarrers Edelhard hatte einen dünnen Fistelton angenommen. „Wir müssen augenblicklich aus der Stadt fliehen!“
„Wir sollten die Menschen warnen!“ Auch Michael war aufgesprungen. „Die Stadt muss geräumt werden!“
Elisabeth stöhnte auf. Sie hob ihre Hand an den Mund und starrte entsetzt auf das Blut an ihren Fingern.
Nun gab es für die anderen kein Halten mehr. Schreiend stolperten und schoben sie vorwärts, um aus dem Saal zu kommen. Der kleine Ratsherr Witte fiel zu Boden und wurde unter seiner Gattin begraben. Pfarrer Edelhard stieß einen schrillen Schrei aus. Blut lief ihm aus der Nase.
Frau Mechthild stand vor ihrer Tochter. Michael sah, wie immer mehr rote Flecken auf dem weißen Kleid Elisabeths erblühten. Ihre Mutter wandte sich mit verzerrtem Gesicht an Herrn Iblis, der an der Tafel saß und scheinbar ungerührt an seinem Wein nippte.
„Du!“ Das Haar der Kaufmannswitwe hatte sich aus seinem goldenen Netz befreit und lag nun wirr um ihren schönen Kopf. „Du hast uns zu dem Bau überredet! Du hast den Tod in diese Stadt gebracht!“
Iblis stellte seinen Becher auf den Tisch. „Du wolltest eine Kirche, die größer ist als jede andere!“ Er nickte ihr grinsend zu. „Habe ich dir deinen Wunsch nicht erfüllt?“
Mit einem Aufschrei griff sie nach einem der Messer auf dem Tisch und wollte damit auf Iblis einstechen. Er wehrte ihre Angriff lachend ab. Zuckend fiel sie zu Boden, das Gesicht von blutroten Flecken entstellt. Zitternd sah Michael auf die Frauen herab.
„Und du, Meister Michael?“
Der junge Mann blickte auf. „Muss ich auch sterben?“
Aus den Augenwinkeln sah Michael die Alte vom Markt hereinschlurfen. Mit einem leisen Kichern stellte sie sich in eine Ecke des Raumes.
„Aber ich habe nichts getan!“ Michaels Schrei hallte von den Wänden wider. „Ich bin unschuldig!“
Michael spürte, wie ihm ein dünner Faden Blut aus der Nase lief. Ein brennender Schmerz durchzog seinen Körper. Der Raum schien dunkler und enger zu werden, bis er nur noch ein schmaler Schacht war, in den er hinabstürzte, tiefer und tiefer, auf die sengenden Flammen der Hölle zu.
„Es ist wahr!“ Iblis hob seinen Becher, stürzte den letzten Rest Wein hinunter und nickte der alten Frau zu. „Er hatte nichts getan.“
Die Alte kicherte. Iblis erhob sich und tätschelte ihren Kopf. Wenig später wanderten sie gemeinsam aus dem Stadttor hinaus in das weite Land.