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Kindsköppe
Meine Korrespondenz muß vor Judiths (dreieinviertel) Zugriff gerettet werden: Sie beansprucht den Computer.
Knapp gelingt es noch, das bereits Geschriebene auf Floppy zu speichern.
Kurz darauf füllen Zeichen in random order den Monitor, werden gelöscht und erneuert. Derweil chaplint der zweieinhalbjährige Bruder Jonas herum, prüft die Papiere und Photos. Sofern sie am Boden liegen, stempelt er sie als 'erledigt' mit dem Absatz, bedient das Bandgerät und sortiert die Dias nach seinem Gusto neu.
"Jonas: Nein!" in gehobenem Ton hält ihn aber wenigstens davon ab, die Maschine abzuschalten.
Ich schreibe die Adressen und ausführlichen Absender auf die blau-rot geränderten Luftpostumschläge, 9 an der Zahl. Von den Briefmarken will Judith welche haben, um sie im Zimmer an Schränke und Türen zu pappen. Ich verweigere standhaft die Auslieferung.
Jo hat sich inzwischen in den Flur verdrückt und ist ganz still und brav.
Judith erscheint, zielt und schießt mir mit der Blumensprühflasche auf das linke Lid. Ich schreie entsetzt um Erbarmen wegen der mit Tinte geschriebenen Briefadressen. Die fliehende schwarze Katze lenkt sie ab: Sie sprüht die links gewundene Treppe entlang hinter ihr her.
Da kommt Jonas: Von wegen brav: Er ist ganz schwarz um den Mund, hat Blumenerde genascht. Ein Topf ist so gut wie leer, er hat aber nicht nur gegessen; schwarze Masse verteilt sich auf und im Teppichboden. –
Ich rotiere wie der Zauberlehrling: "Wo sind die armen Eltern, wo??" Ach nee, das ist aus dem Struwwelpeter - richtig ist eher: Der Zauberlehrling von Goethe:
"Peter & Frauke kommet, die Not ist groß!"-
Wie stellt man sie ab, die Geister!?
Den Geistern kommt es anscheinend nicht nach großer Not vor. Sie zaubern unbekümmert weiter, als sei es ihr gutes Recht und eigentlich gar nichts geschehen. Zwei vergebliche Anrufe bei den Eltern. Sind nicht da, also: "Halte aus im Sturmgebraus!" - trotz arger Bedrängnis.
Aber endlich kommen sie. Mit sicherem Griff raffen die regenerierten Eltern ihr ASF (agiles Sortiment Flöhe) zusammen. Judith will aber partout bei Obi (Großmutter) bleiben. "Obi ist aber doch nicht da!" (Das macht nix), "Ich will aber bei Obi bleiben!".
Dann zeigt sie Interesse an dem Bündel Briefe und ist plötzlich Feuer und Flamme, diese in den Kasten werfen zu dürfen. So läßt sie sich in den Wagen locken. Erst nach Einstieg und und Festschnallen kriegt sie das Päckchen Post zu treuen Händen ausgeliefert. Stolz und wichtig wie der Kurier des Zaren hält sie die Briefe in Verwahrung. Jonas im Baby-Ejection seat schaut tranig/müde aus den Klüsen.
10 Minuten später schellt das Telefon und eine aufgeregte Juniorinnenstimme plappert los; ich habe null verstanden. Mutti Frauke kommt dran: "Eigentlich wollte sie gleich zurückkommen und berichten; ich sagte, das könne sie auch am Telefon machen". Das überzeugte sie; gut so, sonst wäre ihr wieder eingefallen, bei Obi bleiben zu müssen. Ich hatte aber keine Briefe mehr. – ... – Und so weiter, bis in die Neuzeit!!!
Neuzeit: Inzwischen ist Judith 20, hat das Abitur (mit 1.8) und will studieren. Bei Obi will sie nun nicht mehr (unbedingt) bleiben. Lieber beim Freund. Und wir haben Platz für Urenkel, falls wir das noch erleben dürfen.