Kindesentführung
Blitze zuckten am Himmel, Donner grollte, Regen benässte die Hose und das Hemd und des Mannes, der regungslos an der Straße stand und zu einem der Häuser starrte. Er war ganz in schwarz gekleidet. In den vergangenen Wochen hatte es ihn täglich zu diesem Haus gezogen. Er hatte hier gewartet und über das Vergangene nachgedacht. Darüber nachgedacht, wie er sich an dieser Schlampe rächen konnte. Wie er ihr so viel Schmerz bereiten konnte, wie sie ihm. Und nun hatte er es. Endlich, nach so lan-ger Zeit, gab sie ihm eine Möglichkeit. Und er wollte sie nutzen. Was hatte er denn schon zu verlieren?
Er ging zu dem Haus, in dem die Frau lebte, die er so hasste und der er jetzt das nehmen wollte, was sie so sehr liebte. Er wusste, dass ihr Mann bei einem Verkehrsunfall vor 5 Jahren starb, als sie gerade hochschwanger war. Er wusste, dass ihre Lieblingsfarbe blau war, dass sie gerne Metallica hörte. Er wusste, in welchen Lokalen sie öfters verkehrte, dass sie nach der Arbeit immer ins Fitnessstudio ging und da-nach ihre Kleine von der Krippe abholte. Er wusste ihren Geburtstag, ihren Hochzeitstag, den Todestag ihres Mannes, den Geburtstag ihrer Tochter. Er wusste ihre Kleidergröße, dass sie einen sehr guten Geschmack, was Klamotten betrifft, hatte und am heutigen Tag einen weißen BH und dazu gehörigen String getragen hatte. Er wusste sogar über jeden Schritt, den sie tat bescheid. Und all das, was sie so unbesorgt tat machte ihn noch wütender.
Und heute würde diese unzähmbare Wut triumphieren. Ab dem heutigen Tag würde sie leiden. An dem heutigen Tag würde sie das verlieren, was sie am meisten liebte. Durch seine Hand. Er würde lachen, während sie trauerte. Der Verlust ihres Mannes war vergangen, jetzt würde sie noch mehr Schmerz erleiden.
Er erreicht das Haus und sah ihre Einladung, die er auch sofort annahm. Das Fenster zum Kinderzimmer war offen. Wie freundlich, er brauchte sich nicht mal anstrengen. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht. Während er ins Zimmer linste, wo das kleine Mädchen friedlich schlummerte. Auf ihrem Bauch ein kleines Kätzchen, dass sie Mika getauft hatte. Der Name ihres Vaters, wie niedlich.
Er stieg ins Zimmer und betrachtete sich das kleine Mädchen genauer. Sie schlummerte so friedlich. Fast hätte er ihr nichts tun können, so unschuldig war sie. Aber das war eben nur fast und der Zorn auf ihre Mutter war ungestillt.
Er ging aus dem Zimmer. Das restliche Haus war interessant. Wie lebte eigentlich eine Polizistin?
Er ging den Flur entlang zur Stube. Sie war ordentlich, heute wurde erst gesaugt und Staub gewischt. Morgen würde sie Besuch von ihrem Chef bekommen. Wenn sie wüsste, das er sie damit verschonen würde. Aber nicht aus Freundschaft.
Seine Aufmerksamkeit wurde auf einige Bilder gelenkt, die auf dem Wandschrank standen. Sie zeigten dieses Biest, mit ihrem Mann und viele waren von ihrer Tochter. Aber nicht Vater und Tochter. Ach wie tragisch war das. Die Tochter würde ihren Vater nur von den Bildern her kennen und der Vater hatte nie das überaus hübsche Ant-litz seiner Tochter sehen können, noch, wie sie aufwuchs. Und wie er sie holen würde.
Dann führte er seinen Streifzug weiter. Küche, ihr Kühlschrank war reich gefüllt für den morgigen Tag. Bad, alles sauber aufgeräumt. Schlafzimmer, sie trug heute Nacht ein Leichtes Nachthemd.
Er ging an ihr Bett und betrachtete sich die Schlafende, die er so hasste. Betrachtete sich ihre Schönheit. Betrachtete sich, wie harmlos sie aussah. Aber sie hatte ihm bewiesen, dass sie nicht mal vor einem Toden zurückschreckte, wenn ihre Kariere auf dem Spiel stand.
Ein Träger ihres Nachthemdes ist heruntergerutscht und entblößt ihren rechten Busen. Normalerweise würde ihn dieser Anblick erregen, aber nicht bei diesem Miststück. Wenn er sie sah, kam alles Vergangene wieder hoch. Die Trauer, der Schmerz, die röchelnden Laute, die sein Bruder von sich gab, bevor er starb, das viele Blut.
Er strich sanft, fast zärtlich über ihr blondes Haar und ihre Wange entlang. Sie drehte sich auf die andere Seite aber sie wurde nicht wach. Wie schade, dachte er innerlich. Er hätte es sehr gerne gesehen, wenn sie um ihre Tochter kämpfte. Aber er wollte das Schicksal nicht all zu sehr herausfordern. Jetzt zählte erst mal, dass er sei-nen Plan in die Tat umsetzte. Dass er ihre Tochter holte. Er ging wieder ins Kinderzimmer.
Er ging zum Kinderbett des Mädchens und griff mit der Hand nach ihr.
Ein Fauchen war zu hören und er spürte einen Schmerz, als er von der Tatze des kleinen Kätzchens erwischt wurde. Er hätte beinah aufgeschrieen. Fauchend und drohend stand das Katerchen vor ihm. Scheinbar wollte, er die Kleine vor ihm beschützen. Er lachte und schnappte nach dem Tier, das sich heftig wehrte. Aber er war stärker. Sollte dieser Quälgeist, doch draußen weiter Fauchen. Er öffnete die Zimmertür und schmiss das zappelnde Etwas aus dem Zimmer. Es flog an die Wand und noch eh sich das Katerchen wieder aufgerichtet hatte, war die Tür auch schon wieder verschlossen. Dann widmete er sich wieder dem Mädchen zu.
Es war egal, dass überall seine Fingerabdrücke waren; es war egal, dass sie ihn schnappen würde. Die Hauptsache war, dass er sehen konnte, wie sie lit.
Melanie Liebig stand am Kinderbett ihrer Tochter. Ein warmer Sommerhauch wehte durchs Fenster. Es stand offen und die Gardine wehte ihr entgegen. Durch dieses Fenster war er gestern gekommen. Rufus Humboldt, der Mann, der vor zehn Wochen auf Bewährung rauskam und ihr blutige Rache schwor. Im Kinderbettchen lag ein Zettel, auf dem Stand, dass Humboldt ihre Tochter hatte und ihr prophezeite, sie würde sie nie wieder sehen.
Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung benässten ihr Gesicht. Sie drückte den Teddybären ihrer Tochter fest an ihre Brust und fühlte sich machtlos. Melanie war Polizistin aber konnte nicht verhindern, dass ein durchgeknallter Knasti ihre Tochter entführte.
Das Babyphone stand auf dem Nachttischen und das andere in ihrem Schlafzimmer. Sie nahm es in ihre rechte Hand, in ihrer linken drückte sie den Teddy, und sah es zornig an. Dieses Ding hatte nichts genützt. Dass Bett ihrer Tochter war leer und sie hatte ihre Schreie einfach nicht gehört.
Wütend schmiss sie es an die Wand. Dann ging sie in die Stube. Auf dem Wandschrank standen einige Fotos von ihr und Nicole, ihrer Tochter und einige ihres eins-tigen Mannes. Nicole besaß die gleichen blonden Haare wie ihre Mutter und diesel-ben gutmütigen braunen Augen. Sie war immer so ein liebes und lebensfrohes Mädchen gewesen. Und jetzt …
Jetzt war sie weg. Weil Melanie nur ihre Pflicht tat und zwei Bankräuber stellte. Der eine griff sie an und sie musste schießen. Es war Rufus Bruder und für seinen Tod schwor er ihr blutige Rache. Und oh ja, seine Rache war grausam.
Das Telefon unterbrach ihr trauerndes Schweigen. Melanie stellte den Teddy zu den Fotos und ging ans Telefon. Sie hob den Hörer ab und lauschte, wer sie in ihrer Trauer störte.
„Mel, wir haben ihn“, drang es freudig aus dem Lautsprecher, den sie jetzt an ihr Ohr drückte.
„Wie“, kam es zitternd über ihre Lippen.
„Wir haben Humboldt“, wurde ihr freudig mitgeteilt. Es war Marco Rose, ihr Kollege. Melanies Herz raste vor Freude; Tränen der Trauer wichen Tränen der Freude. Sie hatten Humboldt und sie mussten auch Nicole haben.
„Das ist großartig“, schrie sie freudig in den Hörer hinein. Es war, als wäre für sie Geburtstag, Weihnachten und Neujahr an einem Tag. So sehr gefreut hatte sie sich nie mehr, seit Nicoles Geburt.
„Mel.“ Marcs Stimme war nicht mehr voller Freude, sondern trauriger. „Ich …“
„Was?“, verlangte Melanie zu erfahren. „Ist irgendwas mit Nicole?“ Ihre gerade noch so berauschende Freude, war jetzt Angst gewichen. Hatte dieser Mistkerl ihrer Nicole etwas angetan? Melanie wagte gar nicht darüber nachzudenken.
„Ich, wollte dir keine allzu große Hoffnung geben.“ Melanies Herz ging rasend schnell. Sie wollte nicht hören, dass Nicole - ihre kleine Nicole - tot war. „Wir haben Humboldt, aber er weigert uns zu sagen, wo Nicole ist.“
Melanie schluchzte erbärmlich. Aber wenigstens hatten sie Humboldt endlich geschnappt. Und das hieß, sie würden auch bald aus ihm herausbekommen, wo ihre Nicole war. „Ich komme sofort“, rief sie in den Hörer und legte auf.
„Mel“, hörte sie Marco noch rufen, bevor der Hörer die Gabel berührte und das Gespräch beendete. Humboldt würde ihr schon sagen, wo ihre kleine Nicole war. Er konnte doch nicht einfach ein kleines unschuldiges Mädchen umbringen. Oder doch? Diesem Irren war ja alles zuzutrauen.
Melanie ging zu ihrer Garderobe und zog sich eine Jacke über. Mittlerweile klin-gelte erneut ihr Telefon. Es war sicher wieder Marco aber sie dachte nicht daran ran zu gehen. Er wollte ihr eh nur wieder verbieten zum Revier zu fahren, um sich Humboldt vorzuknöpfen. Aber verdammt, es ging um ihre Tochter, ihre kleine Nicole. Sie konnte nicht ruhig da hocken und warten, dass man ihre Leiche fand. Sie brauchte Gewissheit.
Sie machte sich auf den Weg zur Tür und hatte sofort einen winzig kleinen Begleiter. Mika, ihr kleiner Stubentiger – ein kleines getigertes Kätzchen, das ihre Tochter abgemagert in einem Körbchen fand – sprang von der Couch, auf die er gerade eben noch schlief, und rannte nun maunzend zur Tür. Sie sprang an die Tür und sah Melanie an.
„Nein Mika, du kannst nicht mit“, sagte Melanie und nahm das maunzende Kater-chen auf ihre Arme. Sie kraulte ihm am Ohr und er begann zu schnurren. Dann setzte sie ihn wieder auf den Boden und verlies ihre Wohnung.
Im Revier wurde sie schon von Marco empfangen. Er stürmte auf sie zu und nahm sie in seine Arme. Für Melanie war er ihr schon beim Tod ihres Mannes ein Trost gewesen. Die konnte sich bei ihm ausheulen, er half ihr bei der Beerdigung, half ihr in der ersten Zeit mit ihrer kleinen Tochter und tat noch andere Dinge für sie. Doch sie hoffte, dass er ihr nicht bei eine zweiten helfen musste.
Melanie sah ihm flehend in die Augen. Sie wollte von ihm hören, dass Humboldt gesagt hatte, wo er Nicole gefangen hielt. Sie wollte hören, dass einige Polizisten schon auf den Weg zu Nicole waren. Wollte hören, dass es ihrer kleinen Tochter gut ging. Aber Marco konnte das nicht sagen.
Er schüttelte nichts sagend den Kopf. Er brauchte nichts sagen. Humboldt wollte sie quälen. Ihr das letzte nehmen, dass sie am Leben hielt. Beim Tod ihres Mannes wurde ihr Leben zerstört und nur Nicole hielt sie damals davon ab ihre Waffe zunehmen und abzudrücken. Nur Nicole hinderte sie daran aus dem Leben zu fliehen. Sie hinderte sie daran, mit den Tritten, die sie Melanie gab. ,
Ihre kleine Nicole gab ihr damals einen Sinn weiter zu leben und jetzt … Jetzt war sie weg. Und Melanie würde sie wahrscheinlich nie wieder in die Arme nehmen kön-ne. Humboldt wollte sie vernichten und das gelang ihm auch.
Melanie presste ihr Gesicht an Marcos Brust und ihre Tränen begannen zu fließen. „Ist gut Mel“, versuchte Marco sie zu trösten. „Wir finden Nicole.“ Aber würde er sein Versprechen auch einhalten können?
„Wenn Nicole etwas zustößt, dann bring ich dieses Schwein um“, drohte Melanie. „Wenn er meiner Tochter was angetan hat, dann mach ich diesen Hurensohn kalt.“ Lebte ihre kleine Tochter noch? Dies Ungewissheit lies Melanie noch wahnsinnig werden.
Tiefe Trauer wisch unendlichem Hass. Nicole musste noch leben. Humboldt wollte si4e leiden lassen. Womöglich hatte er vor, ihre Tochter verhungern zu lassen. Oder etwas ähnlichem. Sie musste es herausfinden.
Melanie stieß sich von Marco los und rannte zum Verhörraum. Sie wollte die Antworten aus Humboldt herausprügeln. Ihm, wenn möglich eine Waffe an den Kopf halten; abdrücken. Wenn Nicole starb, dann starb auch er.
Sie wünschte sich so sehr, sie hätte auch ihn damals getötet. Aber das Vergangene konnte man nicht ändern.
Er war in Handschellen und saß auf einem Stuhl. Mit geschlossenen Augen hörte er sich stumm die Fragen an, die nach Nicole gestellt wurden. Aber er hatte nicht vor, irgendeine dieser dummen Fragen jemals zu beantworten. Oder gar irgendetwas zu sagen, bis nicht Melanie da war. Alles was er sagte galt an Melanie, und an niemand anderen.
Vor dem Verhörungsraum standen einige Bullen, aber nicht die Hure, auf die er wartete. Doch sie würde früher oder später kommen. Und dieses Treffen sehnte er so herbei.
„Humboldt, es hat doch keinen Sinn, wir wissen, dass Sie es waren.“ Na klaro wussten die das. Er hatte ja der süßen Melanie eine kleine Nachricht hinterlassen. „Sagen Sie uns, wo das Mädchen ist.“ Nein, das würde er nun gar nicht. Melanie sollte leiden, wie er gelitten hat. „Woll’n Sie wirklich am Tod eines unschuldigen Kindes Schuld sein?“ Unschuldig, das war die Kleine. Er hatte auch etwas Mitleid mit diesem armen Mädchen, aber trotzdem. Melanie leiden zu sehen, das war es ihm wert. Er hasste die Frau und die Freude, die er empfand, wenn sie vor ihm kriechen würde, würde sicher alle Schuld wettmachen.
Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht auf. Er hörte etwas Bestürzung. Dann war es ruhig und er wartete. Wartete auf die Frau, die ihm den Bruder nahm. Und sie würde kommen. Dieser Junge hatte sie angerufen und gebeten, dass sie nicht kam. Das hatte er gehört, als er an dem Telefon vorbeigeführt wurde. Aber es ging um ihre Tochter, da würde sie nicht einfach fernbleiben.
Und eh er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte hörte er schon ihre Stimme. Sie stieß etliche Flüche gegen ihn aus und einige Polizisten hinderten sie daran zu ihm zu kommen. Aber er wollte sie sehen.
„Ich will mit ihr reden“, sagte er.
Der Mann gehorchte ihm. Endlich machte mal einer, was er wollte.
Rufus öffnete die Augen und sah, wie Melanie den Verhörungsraum betrat. Ihr langes blondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, an hatte sie ihre Uniform - dieses Grün stand ihr überhaupt nicht -, im Hohlster trug sie ihre Waffe. Ob sie diese heute noch benutzen wollte? fragte er sich.
Es wäre schade,wenn er noch bevor Nicole starb, aus dem Leben treten würde.
Ihre rehbraunen Augen waren verweint. Sie hatte den Tag scheinbar schon viel geweint.
„Humboldt, wo ist meine Tochter“, ging sie ihn zornig an. Und er lachte. Er lachte beim Anblick ihrer immer verzweifelter werdenden Mine. Er lachte, beim Anblick ihrer Verzweiflung. „Sie ist nur ein kleines Kind“, versuchte sie an sein Herz zu appellieren. Doch sein Herz erstarb in Kälte, als der letzte Atemzug seines Bruders erstarb. An diesem Tag, als zwei Jungs nur ihr Portemonnaie auffüllen wollte, wurde ihm der Bruder von ihr genommen und er nahm ihr ihre Tochter.
Er grinste. „Das haben mich deine Kollegen zig Male gefragt. Denkst du, dass ich es ausgerechnet dir sage?“ Seine Worte versetzten ihr sichtlich einen Tritt in die Rippen. Tränen schossen ihr in die Augen und kullerten ihre Wange herunter. „Nicht weinen“, rief er in höhnischem Ton. Dann lenkte er mit einer Frage vom Thema ab. Aber nur er wusste um die Bedeutung dieser Frage, die Polizisten ließ er noch etwas im quälendem Unwissen. „Darf ich meine Uhr haben?“ Verwirrte Gesichter, er lachte innerlich, lies seine Freude aber nicht ans Licht kommen. Es gefiel ihm einfach zu sehr seine Spielchen mit ihnen zu spielen.
Nach einer Weile und Sekunden, die für die kleine Nicole verstrichen erfüllten sie seine Bitte, aber nicht in Form seiner Uhr. Dies war eine digitale Uhr, auf der in schwarzen Buchstaben auf dem Display die Zeit angezeigt wurde. Aber er brauchte seine Uhr und nicht dieses Ding.
Er schmiss die Uhr wieder zurück zum Besitzer, der von ihr am Kopf getroffen wurde. Zornig wurde die hand gegen Rufus erhoben, der nur da saß und lächelte. Was konnten sie ihm den schon. Sie erwarteten ja fälschlicher Weise, dass er ihnen das Versteck von Nicole verriet.
„Wenn ich sage meine Uhr, dann mein ich meine Uhr, ihr verblödeten Bul-len!“ Man, es ging um das leben der Kleinen, und dem bösen, bösen Kidnapper wurde nicht mal ein kleiner Wunsch erfüllt, lachte er in sich hinein. Einer, der Träger der Uhr, er war ein kräftiger Mann, der den schmächtigen Rufus locker ins Jenseits befördern konnte, wollte ihm schon an den Kragen. Aber ein anderer hielt ihn zurück und schickte ihm die Uhr holen.
Das war was, er schrie und sie machten, was er wollte. Rufus lachte auf. Und nach wenigen Minuten wurde ihm seine Uhr gebracht. Eine goldene Taschenuhr, die Erinnerung an sein erstes Verbrechen, sein Glücksbringer. Er nahm sie damals einem Mädchen ab. Es war ein Geschenk von ihrem Todkranken Opa.
Diese Uhr war nicht digital, sie hatte Zeiger, mit denen eine bestimmte Zeit ange-zeigt wurde. „Was will der bloß mit dem Ding?“, vernahm er ein Murmeln. „Die geht doch vollkommen falsch.“ Er öffnete sie. Die Polizisten hatten nicht daran rum gespielt. Irrtum, jubelte er in Gedanken, während er sie in seiner Hand herumdrehte und der kleinen Nicole etwas Zeit nahm. Sie geht genau richtig. Und wer weiß, viel-leicht verstand sie ja auch seine Hinweise.
Nicole presste ihren zitternden Leib in eine Ecke, des Raumes, in dem sie gefangen war. Ein Mann brachte sie in der vergangenen Nacht hier her und war nicht wieder gekommen. Das fand sie auch gut so, er machte ihr Angst. Und sie hoffte auch, er würde nicht wieder kommen.
Oder lieber doch …
Der Raum, welcher nur von einem rhythmischen Ticktack erfüllt war, wurde jetzt vom Grummeln ihres Bauches erschüttert. Sie hatte schrecklichen Hunger.
Sie sah auf das Ding, das in der Mitte des Raumes auf einen Stuhl stand. Eine Uhr war daran befestigt, von der das Ticken kam. Es war ein Karton, an dem einige Drähte herausschauten. Dieses Ding machte ihr Angst und sie sehnte ihre Mutter herbei.
Sie wünschte, ihre Mutter würde schnell zu ihr kommen und sie herausholen. Sie befreien; ihr die Stricke abnehmen, die in ihre Haut schnitten.
Der Mann hatte ihr befohlen sich nicht zu bewegen, doch sie tat es und versuchte sich zu befreien, und je mehr sie sich bewegte umso enger wurden die Stricke. Jetzt bewegte sie sich nicht mehr. Sei lauschte nur noch den Menschen, die draußen vorbei gingen. „Komm her Rex!“, rief ein Junge, gefolgt von dem Bellen eines Hundes. Es waren schon so viele an ihnen vorbei gekommen, aber der Knebel verhinderte, dass sie um Hilfe schreien konnte.
Nicole begann zu weinen. Wann würde ihre Mutter sie nur endlich befreien kommen? Noch bevor dieser fremde Mann zurückkehrte?
Melanie betrachte sich Humboldt, der die Taschenuhr in seiner Hand drehte und wendete. Was wollte der mit dem Ding? Was sollte dieser Blödsinn, was spielte er mit ihnen? Mit ihr! Wieso quälte er sie so? Wollte er wirklich am Tod eines unschuldigen Mädchens schuld sein?
Sie war verzweifelt und bekam gerade noch mit, wie die Uhr zu ihr geflogen kam. Melanie fing sie auf und sah Humboldt an. „Mein Geschenk an sie“, rief er und warf mit einer seiner in Handschellen gelegten Hände ein Küsschen zu ihr.
Melanie betrachtete sich das goldene Etwas in ihren Händen. Sie war alt und auf der Vorderseite war ein aufsteigender Adler eingraviert. Es war so ein schönes Bild und je länger sie es betrachtete, desto ruhiger wurde sie innerlich. Sie konnte sich nicht begreiflich machen, wieso, aber das Ticken, das aus dem inneren dieser Uhr kam erinnerte sie an ihren sanften Großvater. Er schenkte ihr einst eine solche Uhr, aber ein Junge nahm sie ihr weg.
Dann wendete sie die Uhr. Auf der Rückseite war etwas eingraviert. Für meinen kleinen Stern. Mein kleiner Stern, so hatte sie ihr Großvater immer genannt. Dies war tatsächlich die Taschenuhr ihres Großvaters. Aber wieso gab Humboldt sie ihr und woher hatte er sie. War er der Junge von damals? Sie verstand das alles einfach nicht.
„Wenn die Uhr das 4. mal die 12 überquert, dann ist es mit deiner Tochter aus“, grinste er. Sofort öffnete Melanie die Uhr. Sie zeigte 8 uhr 23 an. Ihr blieben nicht mal mehr 2 Tage um ihre Tochter zu retten. „ ich habe im Knast zwei Typen kennen gelernt. Durchgedreht und noch irrer als ich.“ Noch irrer, ging das denn, ging es Melanie durch den Kopf. „Sie haben früher Bomben gebastelt und mit einer das Auto ihres Vaters in die Luft gejagt. Der alte saß natürlich am Steuer.“ Humboldt lehnte sich zurück und grinste. „Die Ironie des Ganzen, sie kamen wegen einer Vergewaltigung ins Gefängnis. Sie hatten mir alles erzählt und schenkten mir für meine Rache ein kleines Spielzeug.“ Sein Grinsen wurde breiter. „In nicht mal 40 Stunden geht die Bombe irgendwo in der Gegend hoch. Also beeilt euch.“
Diese Worte ließen sie auf den Boden sinken. Sie hatten nur noch einige Stunden und keinen einzigen Anhaltspunkt außer die Uhr, auf der die Sekunden verstrichen. Wie sollten sie Nicole bloß finden?
Ticktack. Ticktack. Das Geräusch, welches die Uhr von sich gab, als die Sekunden verstrichen war eine Qual in Melanis Ohren. Die Qual, dass ihrer Tochter weitere Sekunden genommen wurden und sie konnte nichts machen. Und die 12 wurde das 1. Mal an diesem Tag schon überschritten. Zu dieser Zeit war es 15:07 Uhr.
Humboldt, wieso gab er ihr diese Uhr? Wollte er ihr damit etwas sagen? War das ein Puzzelspiel, das sie zu ihrer kleinen Tochter führte?
Melanie versuchte sich zu konzentrieren aber es ging nicht. Es ging einfach nicht. Die Sorge und der Gram fraßen sie innerlich auf. Sie hätte die Uhr im Revier lassen sollen. Sie war ein Beweis und ihre Kollegen hätten sicher mehr damit anfangen können als sie. Sie sah nur auf die Uhr und wünschte sich, die Zeit anhalten zu können. Aber das vermochte sie nicht.
Mika streifte um ihre Beine. Er maunzte und sah sie an. Was ihr der Kater sagen wollte? fragte sie sich. Fragte er sie, wann Nicole wieder mit ihm schmuste? Melanie stöhnte auf, schubste den Kater mit dem Fuß leicht weg und lehnte sich auf den Ses-sel.
Sie sah auf die Uhr. Es war mittlerweile 20 Uhr und die Taschenuhr zeigte 4:53 Uhr. Melanie entschloss sich den Fernseher anzustellen und zappte durch das Programm aber nichts vermochte ihr etwas Trost zu spenden. Überall liefen Nachrichten, Soaps oder Zeichentrickfilme.
Doch eine Nachrichtensendung erregte ihre Aufmerksamkeit. Aber als sie das 1. Bild sah, ein Foto ihrer Tochter, stiegen ihr die Tränen in die Augen. „Seit heute Nacht wird die klein Nicole Liebig vermisst“, sagte die Nachrichtensprecherin. „Sie wurde von diesem Mann …“ Ein Bild von Humboldt wurde eingeblendet. „… entführt. Die Polizei vermutet, dass er sie im Großraum Berlin irgendwo versteckt hält. Die Polizei bittet nun um Ihre Mithilfe. Wenn Sie uns Hinweise zum Aufenthaltsort des Mädchens nennen können, melden Sie sich bitte sofort bei dieser Nummer. Eine Telefonnummer wurde eingeblendet.
So erlangte Melanie traurige Berühmtheit und kurz nach dem die Reportage beendet war läutete es an ihrer Klingel. Unter Tränen ging Melanie zur Tür und öffnete sie. Draußen standen eine ihrer Nachbarin, eine ältere Frau, sie hatte den Bericht gese-hen und bedauerte sie um ihre Tochter. Sie redete auf Melanie ein, wie schlimm doch die Menschheit war.
„War das dieser junge Mann, der immer Ihr Haus beobachtet hat?“, fragte sie plötzlich und Melanie sah sie geschockt an.
Der immer ihr Haus beobachtet hatte? ging es ihr durch den Kopf. War das möglich? Sie hatte nichts bemerkt.
„Wie?“, kam es unglaubend von ihr.
„Er stand öfters stundenlang vor ihrem Haus“, sagte sie.
„Stundenlang?“, frage sie unfassend. Die alte Frau nickte. „Und wieso haben sie mir nichts gesagt?“
Die Frau sah sie unwissend an. „Ich dachte er währe ein Bekannter von ihnen, er sah so nett aus.“ Nett? Wenn es Humboldt war, war er nicht nett. Melanie war dem verzweifeln nahe. Leute hatten ihn beobachtet und ihr hatte nie jemand was gesagt. Nie hatte jemand etwas unternommen und jetzt war ihre Tochter fort.
Sie verabschiedete sich und ging ins Haus. Sie lies sich auf ihre Couch fallen und beschloss noch ein bisschen Fern zu sehen.
Die Zeit des Hoffens verging in einer Endlosen Zeit der Qual. Ticktack klang es in Melanies Ohren und das Wissen, das sie dieses Geräusch zwar abstellen und die Uhr zurückdrehen konnte, aber nicht die Zeit, die für ihre kleine Tochter ablief, trieb sie fast in den Wahnsinn. Die Unwissenheit, wo ihre Tochter war verstärkte ihren Hass auf Humboldt. Aber sie konnte nichts tun; sie konnte ihm nichts tun. Ansonsten würde sie ihre Nadine nie wieder sehen.
Melanie sah auf die Uhr. Es war 3:06 Uhr. Noch eine Minute, und sie hatte nur noch einen Tag um Nadine zu finden. Und eh Melanie sich dieser Tatsache bewusst war, war die 12 zum 2. Mal überschritten.
Melanie begann zu weinen.
Würde sie ihre Nicole jemals wieder in ihren Armen halten können?
Marco hatte sie an diesem Tag oft angerufen und ihr berichtete, wie die Ermittlungen gerade standen. Doch seit über 3 Stunden war ihr Telefon schon stumm geblieben. Er dachte wahrscheinlich, sie würde schlafen. Aber das konnte sie nicht.
Sie konnte nicht schlafen, während ihre Tochter irgendwo gefangen war. Aber sie konnte auch nichts machen, was ihr geholfen hätte. Vor ihr auf dem Tisch lag die Uhr, die sie am Totenbett ihres Großvaters bekommen hatte. Vor bald 2 Jahrzehnten wurde sie ihr dann von einem Jungen gestohlen. Aber was bezweckte Humboldt mit ihr. Wusste er, dass es die Taschenuhr ihres Großvaters war? Unmöglich.
Melanie verwarf diesen Gedanken wieder.
Es war wichtig herauszufinden, wo ihre Tochter war. Wo Humboldt sie versteckt hielt. Und sie versuchte sich darauf zu konzentrieren. Aber es ging nicht. Sie konnte sich einfach nicht darauf konzentrieren.
Und so vergingen die Stunden, bis das Klingeln des Telefons ertönte.
Melanie öffnete ihre Augen und reckte sich. Sie brauchte einige Sekunden um zu begreifen, dass sie eingeschlafen war, als ihr Telefon zum zweiten Mal klingelte. Wer mochte das sein? frage sie sich. Marco, mit der Mitteilung, dass er ihre Nicole gefunden hatte? Oder jemand anderes?
Ein drittes Mal ertönte das Klingeln. Melanie sprang zum Telefon und nahm ab.
„Melanie Liebig“, meldete sie sich. Und an der anderen Leitung ertönte die Stimme einer Frau.
„Oh Melanie, ich habe es gerade in den Nachrichten gehört“, kam es von ihr. Es war Melanies Schwester. „Das ist wirklich schrecklich. Habt ihr dieses Schwein schon gefasst?“
Melanie antwortete mit ja. Tränen stiegen ihr in die Augen. Wieso konnte Marco nicht einfach vorbei kommen und ihr sagen, dass sie Nicole gefunden hatten. Musste diese Qual so lange dauern? Hätte Humboldt nicht einfach in dieser Nacht sie töten können? Wieso musste er ihre kleine Tochter holen. Sie konnte doch nichts dafür.
Das Gespräch mit ihrer Schwester wurde nach einer knappen halben Stunde vom Leuten der Türklingel unterbrochen. Es waren Leute aus der Nachbarschaft, die ihr sagen wollten, wie sehr sie hofften, dass ihre Tochter gefunden werden würde. Leute, die vorher noch nie ein Wörtchen mit ihr gesprochen hatten bedauerten sie plötzlich. Aber niemand konnte ihr helfen. Niemand hatte ihn in dieser Nacht in ihr Haus einbrechen sehen. Oder ihr gesagt, dass er schon Tage, Wochen, Monate vorher um ihr Haus geschlichen war. sogar stundenlang davor stand.
Und als dann alle weg waren, es war 11:13 Uhr und ihrer Tochter blieben nur noch 15 Stunden und 54 Minuten, beschloss sie auf das Revier zu gehen. Wenn Marco sich nicht bei ihr meldete, wollte sie selbst nach dem Rechten sehen.
Und was, wenn sie Nicole gefunden hatten und die Uhr nur ein Mittel war um sie zu quälen? Was, wenn Humboldt Nicole schon getötet hatte und Marco sie nur nicht traute es ihr zu sagen? Diese Angst machte sich plötzlich in ihr breit. Sie unterdrückte aber die Tränen und stieg in ihr Auto. Sie musste zu Marco und herausfinden, ob er schon irgendwas wusste, ob Humboldt ihnen irgendetwas gesagt hatte.
Doch als sie am Revier angekommen war, war Marco nirgends. Er war unterwegs. Ihre Kollegen berichteten ihr, dass er jemanden verhörte, der behauptete, er hätte Nicole gesehen. Hoffnung?
Melanie nahm ihr Handy in die hand und wählte mit zitternder hand Marcos Nummer.
„Hei Mel“, kam es von ihm, nachdem er abgehoben hatte.
„Und, ist es Nicole“, kam sie direkt und hoffend zum Punkt ihres Anrufes.
„Leider nein“, kam es trauernd von Marco. Plötzlich verspürte Melanie in sich ei-nen unbändigen Zorn. Sie warf ihr Handy an die gegenüber liegende Wand und ging zu dem Verhörzimmer, in dem Humboldt war. Er wurde von zwei Polizisten bewacht, die sie daran hindern wollten hinein zu gehen, aber das vermochten sie nicht.
Sie schlug ihre Hände auf den Tisch, der Schlag hallte im Zimmer wieder, und Humboldt öffnete seine Augen. Er lachte sie an. „Wo ist meine Tochter!“, verlangte sie von ihm zu erfahren. Er lachte nur. „Ich warne Sie, wenn Sie es mir nicht sagen, dann …“ Ihre Drohung wurde kaum von ihm aufgenommen, er lachte einfach weiter. Die Wut in ihr nahm überhand und sie griff automatisch nach ihrer Waffe. Während sie den Lauf ihrer Dienstwaffe auf seine Stirn presste lachte er wie ein irrer und sein lachen trieb ihr die Tränen in die Augen.
Dann wurde er totenstill und sah sie ihr in die Augen. Seine Augen spiegelten Freude wieder und ihr wurde schlecht. Wie konnte er sich so darüber freuen? Wie konnte er sich nur über den nahen Tod eines 5-jährigen Mädchens so freuen?
„Drück ab, Schätzchen“, rief er ihr zu. Sie sah ihn verwirrt ab. „Was nützt es. Du wirst deine kleine Tochter eh nie wieder sehen.“ Erneut begann er zu lachen. Melanie kullerten die Tränen unaufhaltsam die Wange entlang. „Schieß! Schieß! Schieß!“ Me-lanie wollte seinen Wunsch erfüllen.
„Mel, nein!“, rief jemand von der Tür aus. Es war Marco. „Wenn du das machst, bist du nicht besser als er.“
„Ob ich es mache oder nicht, es ändert nix daran, dass ich Nicole nie wieder sehe“, weinte sie. Humboldt würde es ihr nie sagen, dass wusste sie.
„Tu es nicht“, bat Marco. „Setz deinen Job nicht aufs Spiel wegen dem Bastard.“
Melanies Blick war immer noch auf Humboldt gerichtet, der sie jetzt angrinste. Ihr Wunsch war es ihm das Lachen aus dem Gesicht zu prügeln. Sie wollte ihm jeden Knochen brechen. Ihn leiden sehen. Ihm eine Kugel in die Stirn jagen.
„OK, ich geb’ dir einen Tipp!“, sagte er plötzlich. Was sollte das plötzlich? fragte sie sich. Wollte er sie weiter quälen? War das ein Rätselspiel? Oder war das eine Finte und er würde sie in die Irre führen? „Die Taschenuhr ist ein Andenken an meinen ersten Diebstahl.“ Und weiter? fragte sie sich. Aber das war alles das er ihr als Puzzel-stück war.
„Heißt das, du hast mir damals die Uhr gestohlen?“, fragte sie ihn. Konnte es sein, dass sie sich wirklich damals das erste mal begegnet war?
„Ich hab sie einer dummen Kuh abgenommen, die mit einem einfachen Zauber-trick zu begeistern war“, grinste er. Sie erinnerte sich daran, dass der Junge, er war damals knapp 2 Jahre älter als sie, behauptete er könne zaubern. Sie gab ihm auf bit-ten ihre Uhr und sie verschwand. Aber er gab sie ihr nicht wieder.
Nur wie sollte sie diese Puzzelstücke deuten?
Melanie lies die Waffe sinken und ging an den verwundert schauenden Marco vor-bei.
Es warn 15 Stunden, bis ihre Tochter sterben würde und sie hatte nur dies Puzzel-stückchen.
Der Anblick ihres blanken Busens hatte ihn nicht erregt, aber der Blick in den Lauf der Waffe, die sie auf ihn gerichtet hatte. Er genoss ihre Wut, ihre Tränen, ihre Hoff-nungslosigkeit und der Gedanke sie in 15 Stunden zu sehen. Dann wenn sie von der Explosion hörte und erfuhr, dass Nicole tot war.
Und sie würde es bereuen, dass sie nicht abgedrückt hatte, wie sie es bereute, dass sie ihn damals nicht schon erschossen hatte.
Aber wieso gab er ihr Hinweise auf den Ort, wo er Nicole versteckt hielt. Er wollte ihr eine kleine Chance geben.
Er lachte lauthals los, während er sich schon auf Melanie freute, wenn sie ihn in 15 Stunden in seiner Zelle besuchte.
„Was ist los?“, wollte Marco wissen. „Was waren das für komische Hinweise?
„Die Taschenuhr gehörte meinem Großvater“, begann sie. „Sie wurde mir einst von einem Jungen gestohlen und dieser Junge scheint Humboldt gewesen zu sein.“ Mar-co sah sie fragend an. „Das scheint ein Puzzle aber bis jetzt ist es mir nicht gelungen die Stückchen zusammen zu fügen.“
Sie ging zu der Wand an die sie ihr Handy geschmissen hatte und hob es auf. Der Akku war heraus gefallen, das Display hatte einen Riss. Sie warf es in den Müll. Dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Auto. Marco, der sie mit Fragen löcherte lies sie am Revier stehen. Sie entschloss sich alle Punkte des Lebensabschnitts vor und nachdem sie die Taschenuhr bekommen hatte abzufahren. Das Haus in dem sie mit ihrer Mutter und ihrem Vater lebte, das ihrer Großeltern, ihre ehemalige Grundschu-le, das Grab ihrer Großeltern und die Häuser ihrer früheren Freunde. Aber es war ihr nicht möglich damit das Puzzle zu vollenden. Sie besichtigte die Häuser, die Besitzer hatten in den Nachrichten von ihrer Tragödie erfahren und ließen sie gerne ein. Aber alles half nichts. Nix half ihr.
Traurig fuhr sie wieder nach Hause. In ihr leeres Haus, in dem nur Mika wartete. Sie schmiss die Taschenuhr auf den Tisch und nahm ein Fotoalbum in ihre Hand. Es war voll mit aufnahmen von Nicole. Von Geburtstagsfeiern, Familienfeiern, Ausflü-gen und Fotos, die sonst so geschossen wurden.
Sie hoffte die Erinnerungen an die Zeit ließen sie nicht aufgeben. Beruhigten sie etwas und halfen ihr zu überlegen, was diese Puzzlestückchen bedeuteten.
Sie erinnerte sich an Melanies Geburt. Wie glücklich sie danach war. An ihre Ge-burtstage und an die Zeit kurz bevor Humboldt sie entführte.
Sie erinnerte sich, wie Nicole vor ihr stand. In den Händen hielt sie ein schmutzi-ges und nur noch aus haut und Knochen bestehendes Fellknäuel. Melanie erkannte in dem Ding erst kein Tier. Sie wusste nicht mehr, an was sie damals dachte. Melanie nahm es damals ihrer Tochter ab und war überrascht, als es sich bewegte und maunz-te. Es folgte für das Katerchen eine dusche, während Nicole ihm Milch einschenkte.
Und jetzt stand Mika vor ihr. Nicole hatte die Idee ihm den Namen ihres Vaters zu geben. Er sprang auf ihren Schoß, tapste im Kreis herum und lies sich nach einer kur-zen Zeit dort nieder. Melanie streichelte seinen Kopf und er schnurrte.
„Vermist du Nicole auch?“, fragte sie das Katerchen aber erwartete keine Antwort. Mika schnurrte nur und genoss es von ihr gestreichelt zu werden.
In diesem Augenblick wusste Melanie nicht mehr, wieso sie ihn eigentlich hatte ins Tierheim geben wollen. Das Katerchen war doch ganz niedlich. Jetzt war auch ihr Vorhaben, dass sie eigentlich heute vor hatte absurd. Sie hatte vor Mika weg zu geben.
Doch jetzt war sie froh, dass sie wenigstens ihn hatte. Wie damals Nicole nach Mi-kas Tod, beruhigte sie nun Mika. Das Schnurren lies sie einen Moment nicht an Nico-les nahen Tod denken. Sie entspannte sich, während der Kater in ihrem Schoß schnurrte. Und ihre Tränen versiegten für einen Moment der innerlichen Ruhe.
Melanie legte das Fotoalbum weg und bemerkte die Uhr. In der Zeit, während sie auf Streifzug durch die Stadt war, war das 3. mal der Überkreuzung der 12 verstri-chen. Und jetzt zeigte die Uhr 21:38 Uhr. Ihrer Tochter blieben noch 5 Stunden und 29 Minuten.
Melanie betrachtete sich die Taschenuhr und versuchte sich an diese Zeit zu erin-nern.
Es war kurz nach dem Tod ihres Großvaters. Sie war total niedergeschlagen und betrachtete sich dauernd die Gravierung auf der Rückseite. Er hatte sie für sie ange-fertigt, kurz bevor er erkrankte. Und dann lief ihr an einem schönen Frühlingsmor-gen dieser Junge über den Weg. Er behauptete, er könne Zaubern und verlangte ihre Taschenuhr. Aber sie wollte sie ihm nicht geben. Sie war ein andenken an ihren Großvater. Doch eh sie sich versah, war sie in seiner hand und noch später lies er sie verschwinden. Und wiederum etwas später verschwand er mit irgendeinem anderen Jungen in einer Gartenlaube.
Wo war das?
Melanie erinnerte sich wage, dass ihre Oma damals einen Garten besaß.
War das eine Möglichkeit, musste sie dort suchen? Würde sie dort ihre Nicole fin-den?
Sie beschoss dorthin zu fahren.
Melanie nahm Mika auf ihren Arm und legte ihn sachte auf die Couch. „Dank dir!“, hauchte sie zu ihm und nahm die Taschenuhr. Diese Gartensparte war ihre letzte Hoffnung.
Ihr Ziel war schnell erreicht. Und als sie dort war erinnerte sie sich genauer. Mit einer Taschenlampe beleuchtete sie den Weg, den sie damals ging. Sie erinnerte sich an den Jungen und hielt inne, wo er ihren Weg kreuzte. Sie erinnerte sich wie er und der andere in einen Garten rannte. Damals wurde er von einem Hund bewacht. Sie ging zu dem vermeintlichen Garten. War sie hier richtig?
Sie leuchtete durchs Fenster. Im dunkeln leuchtete eine Zahl auf. 04:47 erkannte sie. Sie sah auf ihre Taschenuhr. Sie zeigte 7:13 Uhr an. Melanie durchleuchtete wei-ter das Zimmer und entdeckte auf dem Bett ein kleines zitterndes zusammengekauer-tes Etwas. Es musste Nicole sein.
Melanie versuchte sofort die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen. Sie ent-schloss sich die Tür einzutreten. An Konsequenzen, wie einen Mechanismus, der die Bombe hätte zünden können dachte sie dabei keine Sekunde. Sie wollte endlich ihre Nicole in den Armen halten. Sie drücken und befreien.
Aber es war keine versteckte Falle. Nur die Bombe, die auf einem Stuhl stand. Auf dem Bett wimmerte Nicole. Sie zitterte und war nur mit ihrem Nachthemd bekleidet.
Melanie stürzte zu ihrer Tochter, befreite sie von dem Knebel in ihrem Mund und von den Fesseln um ihren Händen. Dann schloss sie ihre zitternde kleine Tochter in ihre Arme. „Mammi, Mammi“, wimmerte sie und weinte. Melanie weite auch. Aber nicht aus Trauer. Sei weinte aus Freude. Aus Freude darüber, dass sie ihre Tochter endlich wieder in den Armen halten konnte. Und über die Freude vergaß sie die ti-ckende Gefahr fast.
Sie riss sich zusammen und nahm ihre Tochter auf den Arm. Jetzt brauchte sie ein Telefon. Ihr Handy war ja bei einem klitzekleinen Wutanfall zu Bruch gegangen.
In der Ferne hörte sie Musik. In einem der Gärten musste eine Feier sein. Sie rannte mit ihrer Tochter auf dem Arm in die Nacht und auf Musik, Licht und Leute zu.
„Hilfe!“, schrie sie zu ihnen und stürmte in den Garten. „Helfen sie mir.“
Ein kräftiger Mann kam auf sie zu und sah sie und Nicole verwundert an. „Ist das nicht das Mädchen aus den Nachrichten?“, fragte er sie.
„Ich brauch ihr Telefon“, sagte sie. Er sah sie nur verwundert an. „Geben sie mir ein Telefon oder woll’n sie, dass ihr Nachbargarten zu einem kleinen Feuerwerk wird?“
Fragend gab er ihr sein Handy und sie ihm Nicole. Während Melanie Marco anrief. Die Männer gaben ihrer Tochter zu trinken und Essen.
„Melanie, wo bist du?“, wollte Marco wissen. Sie erzählte ihm alles und die Männer horchten geschockt bei dem Gespräch zu. Und nachdem Marco kam und die Bombe entschärft war machte sich Melanie auf noch ein was zu erledigen.
Die Wache war ruhig. Nur zwei Polizisten standen vor dem Untersuchungszimmer. Niemand hatte Humboldt etwas berichtetet.
Sie ging zu ihm und lächelte. Er sah sie verwirrt an. „Es ist vorbei“, rief sie freudig. Um die Ecke spähte Nicole. Humboldt sah sie und seine sonst so freudige Mine wurde mit Zorn gefüllt.
„Ich dachte nicht, dass du sie wirklich findest“, gestand er. „Aber ich habe dich scheinbar unterschätzt“
Melanie machte sich auf dem Weg aus dem Zimmer und rief zu den Wachen. Sperrt ihn in eine Zelle.
„Ich schwöre, wenn wir uns wieder sehen wirst du es nicht mehr so leicht haben“, drohte er ihr. Sie warf keine Blick zurück. „Und ich freu mich schon darauf.“
Sein Lachen klang noch in ihren Ohren, als sie das Revier verlies um nach Haus zu fahren. Ich freu mich schon darauf, hörte sie ihn in Gedanken und sie schwor sich, darauf vorbereitet zu sein.