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Kinderwunsch
Ich öffne die Kühlschranktür ein weiteres Mal. Joghurt sehe ich, Käse im Papier, Erdbeeren. In der Tür eine Flasche Wein. Schließe und halte dann den Griff, ich weiß nicht wohin, wenn ich mich löse. Den Wein habe ich gekauft, weil es sich nun einmal so gehört. Ein Glas wird keinen Schaden bringen. Ich ziehe wieder am Griff, öffne, lasse den Blick schweifen, ohne zu erwarten, dass er irgendwo liegen bleibt, schließe wieder. Ich suche nichts. Mit den Schultern drücke ich die Tür wieder zu, lehne mich an. Die Dichtung in der Tür fängt die Last meines Körpers auf. Ich stehe da, als gäbe es nichts weiter. Als stünde nichts an für heute. Und dass Liane nicht da ist, denke ich, und man hätte das doch besser zu dritt ausmachen können. Auch jetzt noch: Warum nicht verschieben, einfach bis morgen, wenn sie wieder von den Eltern zurück ist. Ich weiß doch nicht.
Als ob dadurch etwas zu bewirken wäre, drücke ich fest die Augenlider zusammen, stoße meine Fäuste in die Schenkel, presse Ober- und Unterkiefer krampfend aufeinander, um irgendetwas auszulösen durch die Gewalt. Es ist nichts geschehen, sage ich mir. Es braucht nichts zu geschehen. Ich suche willenlos im Kühlschrank, pflücke mir, damit es endlich einen Sinn hat, eine Erdbeere aus der Schale, sehe auf den Wein. Alles gut, alles vorbereitet, alles getan. Die Erdbeere schmeckt fad, auch eine zweite, dann ist es genug. Beim Gang durch den Flur fallen mir die ungeordneten Schuhe auf, die vor dem Schränkchen durcheinander liegen. Vielleicht mag er das ja, wenn es ein bisschen nachlässig aussieht. Ich mag das. Ich räume die Schuhe weg, werfe sie in die Kommode. Es bleibt nichts zu tun. Ich falle aufs Sofa. Später muss nur der Ofen angeschaltet werden.
Ich durchmesse mit den Augen die Ränder der Decke, das alles wird dann vielleicht bald zu klein, kommt es mir in den Sinn.
Kein Wetter zum Rausgehen, zu trüb und zu kalt. Neben mir liegt noch das Buch, in dem ich den Tag über gelesen habe, ich nehme es in die Hand, lasse die Augen über die Zeilen gleiten ohne Halt und erzähle mir meine eigene Geschichte im Kopf. Ich komme nicht vom Fleck, im Buch nicht, im Kopf nicht. Ich lese doch wirklich, ich erfasse Wörter, raffe dabei keine Zusammenhänge. Setze mich auf, halte das Buch aufgeschlagen und schaue durchs Fenster. Von hier aus sehe ich nur den Himmel hinten und davor das Geäst des Baums, der auch jetzt noch keine Blätter trägt. Die halbe Zeit ist hier Winter, man muss die Monate nachzählen, um es zu glauben. Ich stehe auf, um vom Himmel auf die Straße zu sehen, sie schimmert matt unter den Laternen im blassen Dämmer, obwohl es bisher nicht geregnet hat. An meinem Körper hängt ein fremdes Kleid. Ich fasse den Entschluss, mich umzuziehen, eine Hose, eine Bluse. Sonst trage ich gar keine Kleider. Sehe mich im spiegelnden Fenster, öffne am Rücken den Verschluss, streife den Stoff über eine Schulter herab, im Fenster ist es die rechte. Das wird seine Hand sein, später, denke ich. Es schüttelt mich, ich würde sagen: nicht unangenehm, aber etwas wie Scham ist auch dabei. Es braucht nichts zu geschehen. Ich gefalle mir in dem Kleid und behalte es an.
Ich fiebere ihm entgegen, damit wir es hinter uns bringen. Soll er kommen. Dann wieder: Es muss nicht heute sein, man sollte sich doch noch etwas kennenlernen, wenn schon nichts weiter. Es ist nicht neu: ich habe vorher mit Männern geschlafen, da ist es in Ordnung gewesen, es war gut. Also dann, hatte Liane gesagt, und es fehlte nur, dass sie mir einen Handschlag gegebene hätte. Sie war sich sicher, dass ich ihn mag.
Wie hatte ich Liane gehen lassen können. Ich trage ihr Kleid, so dass ich sie um mich habe. Ich werde es nicht ausziehen, wenn er mich in den Armen hält.
Damit etwas vorwärts geht, mache ich in der Küche den Ofen an, langsam drehe ich ihn höher. Wie wenn man den Gashahn aufdreht, denke ich genussvoll, theatralisch, als sei es ein Roulette: wird er rechtzeitig da sein? Drehe auf die nötige Temperatur, nur um des Spiels willen, als würde etwas davon abhängen. Aber das ist Blödsinn, ich werde es wieder ausdrehen, falls er nicht rechtzeitig kommt.
Sitze dann da, auf dem Fußboden an ein Tischbein gelehnt, halte das Telefon schlaff in der Hand, er wird noch einmal anrufen, wir haben es so ausgemacht. Sitze wartend, leblos, als wäre ich über etwas traurig. Unbeweglich sitze ich da und spüre meinen Körper, der mich mit wohltuender Schwere am Boden hält, ohne Langeweile, während die Zeit an mir vorbeigeht. Gerüche breiten sich aus, werden beißend, aber man hält es aus, eine grandiose stille Lust an der Zerstörung atmet man mit ihnen ein. Ohne dass man etwas tut, ganz von selbst schmort und schmilzt das Zeug in sich zusammen, bäckt sich zu einem formlosen Klumpen, in dem alles hart und gleich ist. Es ist wie eine Rache, gegen ihn, der nichts dafür kann, oder gegen mich, weil ich auch nichts dafür kann.
Als der Schlüssel im Schloss geht, hebe ich nicht den Kopf. Ich merke nichts von Überraschung. Frohe Dankbarkeit aber doch, die ich bewegungslos verborgen halte: Sie ist da. Ich beherrsche mich, um nicht aufzuspringen und ihr entgegenzulaufen. Liane! Ich schaue nicht auf. Sie berührt kaum den Boden beim Gehen. Nur sie, kein Zweifel, ich weiß es, und trotzdem, jetzt muss ich kurz hinschauen. Wirklich: sie. Aber sie beachtet mich nicht, stelzt an mir vorbei und über mein ausgestrecktes Bein hinweg, als sei es nicht meines, reißt den rauchenden Ofen auf. Bist du verrückt, höre ich, man könnte meinen, sie spricht mit dem verkohlten Zeug da drin, dann erst dreht sie die Hitze ab. Man hört kaum, wie sie sich umdreht, plötzlich hockt sie vor mir, wie zu einem Kind hat sie sich drohend zu mir heruntergelassen, so dicht. „Verrückt!“, sagt sie hart, die Augen zusammengekniffen, und ob sie den Kopf geschüttelt hat dabei, ist kaum zu entscheiden. Schuhe, Mantel, alles noch an, kauert sie mit vorgerecktem Kinn auf allen Vieren da, stiert mich geradewegs an, im Handgelenk platt auf dem Boden hängt haltlos das Täschchen, das sie mehr liebt als ich. Ihre Haare sind offen. Es glänzt in ihrem Gesicht, der Regen muss wohl inzwischen gekommen sein. „Mein Kleid“, sagt sie, und schließt schon den Mund nicht mehr. Sie streckt die Hand nach mir aus, die Lippen beben, so stelle ich mir vor, ohne es genau zu sehen, denn ich halte den Kopf gesenkt. Es ist vorbei, denke ich, ganz vorbei, und alles fällt von mir ab, während sie mich anrührt, um mir das Kleid herunterzustreifen.
Hinter ihrem Leib stiert schwarz der erkaltende Ofen. Alles Licht verlöscht, Nacht wird es ganz. Nur wir beide sind noch übrig. Niemand wird zu uns vorstoßen, keine Tür wird heute mehr geöffnet. Überwältigt und auf die Erde geworfen bleiben wir allein, tief von innen steigt grelles Lachen auf und hält uns umschlossen, ohne Hüllen liefern wir uns aus.
Gleich surrt das Telefon ohne Antwort. Liane hält meine Hände mit dem Gewicht ihres Körpers am Boden, aber auch ohne das rühre ich mich nicht dorthin. Ich berge meinen Mund in ihren weichen Haaren. Mit ihr allein verprasse ich meine fruchtbaren Tage.