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Kinderkrankheiten

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13.09.2007
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Kinderkrankheiten

Da entstand ein tiefes Schweigen. Ich schaue von der Dozentin auf das Arbeitsblatt und wieder zur Dozentin. Suche nach Zeichen: Blässe, Augenringe, hormonell bedingte Auffälligkeiten, hängende Mundwinkel – wonach suche ich eigentlich?
Ich finde nichts von alle dem, vor uns steht eine junge, vitale Frau. Kichernd erzählt sie uns, dass sie schon immer Kinderkrankenschwester sein wollte.
„Was hat sie gesagt?“, fragt Barbara flüsternd von links.
„Sie ist das Kind von der Fallstudie.“, raune ich ihr zu.
„Aber sie hat doch selbst ein Kind.“
„Hat sie gesagt.“
„Pst!“, kommt es von rechts.
Die Dozentin lacht schon wieder, das macht sie eigentlich die ganze Zeit seit ihrer Offenbarung. Sie erzählt, dass sie oft zu den Müttern geschickt wird, die alle Hoffnung verloren haben. Damit sie eine Überlebende kennenlernen. Das hilft ihnen. Und dass sie gerne auf der Kinderonkologie arbeitet. So kann sie alles auf der Station, in dem Krankenhaus lassen und hat ihre Freizeit für sich selbst zurückgewonnen. Denn, auch wenn sie nun gesund ist und eigentlich nicht mehr gefährdet als jeder andere, ab und zu muss man darüber reden. Wie wäre das im normalen Leben:
„Ach übrigens, ich hatte Leukämie.“
Schweigen.
„Hey, ich lebe!“
Dann fragt vielleicht einer: „War's schlimm?“
„Ja, es war schlimm. Natürlich war es schlimm.“
Was für eine Frage, aber was sollen sie auch anderes sagen.

 

Hi,

Also ich stehe vor den gleichen Fragezeichen, die auch Novak zu beschäftigen scheinen. Schlecht geschrieben ist das ganze nicht, also da ist schon Lebendigkeit drin, dennoch ersetzt das nich die Geschichte.
Kurzkurzgeaschichten? Also wenn das der Begriff dafür ist, dann würd ich l gucken, ob das kururkurzkürzeste immer das ist, was meiner Geschichte, die ich erzählen will, am gerechtesten wird. In diesem Fall hier wird in meinen Augen nur kurz was angerissen, zu kurz, um mich da wirklich eintauchen zu lassen. Schade eigentlich, denn es macht Lust auf mehr.

Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hallo Damaris,
ich hatte schon einen Kommentar geschrieben, ihn dann aber wieder gelöscht, daher weiß weltenläufer, was mich umtrieb.
Deine Geschichte hat zwar eine angedeutete Miniaturhandlung, ich erfahre, dass die Dozentin Kraft aus ihrer Krankheit schöpft und sie
sogar für sich nutzen kann:

So kann sie alles auf der Station, in dem Krankenhaus lassen und hat ihre Freizeit für sich selbst zurückgewonnen. Denn, auch wenn sie nun gesund ist und eigentlich nicht mehr gefährdet als jeder andere, ab und zu muss man darüber reden.
So verstehe ich zumindest diesen Satz.
Aber das bleibt eher auf der Ebene einer Behauptung, der die üblichen, hilflosen Reaktionen der Menschen gegenübergestellt sind.
Mal davon abgesehen, dass ich diese Reaktionen so nicht kenne, ich kenne eher das Verschweigen als übliche Reaktion, bleibt hier einfach unklar, was du damit sagen möchtest.
Ok, die Dozentin ist ein froher, positiver Mensch geblieben. Und jetzt?
Als Person bleibt sie mir völlig fremd. Aber selbst wenn ich die Person ausklammere und nur die Handlung einschmelze auf einen Kernpunkt, bleibt eigentlichnur eine Behauptung. Und das ist als Geschichte einfach zu wenig.
Ich finde das schade, denn du schreibst sehr angenehm und die Idee als solche, da wäre ich einfach gespannt, wie man das in einen größeren Rahmen spannt.
Viele Grüße
Novak

 

Hi,

ich hab's jetzt zwei Mal gelesen, beim ersten Mal hab ich zu lange gebraucht, um die Situation zu verstehen, ich dachte: Da stehen zwei Ärzte und wundern sich, warum eine, die sie noch als Patientin kannten, nun hier anfangen will.
Das ist aber Quatsch, die sitzen in einem Vorlesungssaal, die Dozentin hat grade ein Fallbeispiel besprochen, indem es um ein Kind mit Leukämie geht, und nun sagt sie den Studenten: Das bin ich.

Und das ist eigentlich eine schöne Idee. Aber man braucht, denke ich, schon eine gewisse Lesekompetenz, vielleicht auch ein Vorwissen, um das überhaupt mitzukriegen, was da vor sich geht.
Du hast einen unmittelbaren Einstieg gewählt, der aber auch nicht zur Ruhe kommt. Normal flackert so ein unmittelbarer Einstieg auf und mündet dann in ein Tal, in dem sich der Leser erstmal orientieren kann, das ist hier nicht möglich, weil die Geschichte dann schon zu Ende ist und sich der Leser erst nach Ende des Textes orientiert. Es ist ein interessanter Effekt, der hier vielleicht aber die Aussage des Textes überschattet.

Was der Text gut macht ist es, dass er dieses Netz aus möglichen Implikationen, die im Text sind, nur antippt und es dem Leser überlässt da selbst drüber nachzudenken, dass viele Konstrukte, die man sich so durchgehen lässt, im Zusammenhang mit Krankheit und Lebensfreude und Abstrahieren, doch ziemicher Mist sind.
Ich hatte das Gefühl die beiden Studentinnen sind - oder so war es gedacht - so in ihrem Studium und in der Materie drin, dass sie ein "Fallbeispiel" als abstraktes Denkproblem ansehen; und wenn dann die Dozentin sich selbst enthüllt, dann erwischt die das.
Auf der anderen Seite, wenn man sich das überlegt, ist das natürlich auch sicher etwas zynisch geplant. Also die Dozentin hält den Vortrag x-mal und jedesmal an dieser Stelle hat sie ihren kleinen Triumph, wenn sie hinter dem Vorhang hervortritt und den Studentinnen ihr Schlüsselerlebnis verpasst. Die Idee ist in der Geschichte nicht drin, sondern das wird "unzynisch" gesehen, allein aus Sicht der Studenten - ich hätte es schön gefunden, wenn man das noch als Wendung drin hätte. So ist die Geschichte, obwohl sie ein offenes Ende hat, eher eindeutig, eher "zu einfach", obwohl sie schwierig aussieht.
Die meisten Kurzgeschichten, an die man sich erinnert, haben eine ambivalente Note.

Gruß
Quinn

 

Hallo Weltenläufer, Novak,
erst mal danke Novak, dass du das mit dem gelöschten Kommentar geklärt hast. Ich dachte schon, ihr hättet nebeneinander sitzend, euch unterhaltend, eure Kommentare abgegeben.
Die Geschichte entstand aus einer Hausaufgabe meiner Autorengruppe: erster Satz "Da entstand ein tiefes Schweigen."
Ursprünglich hatte ich nicht mehr mit ihr vor. Hier wollte ich testen, ob die Geschichte Potential hat / mir Anregungen holen.
Ich danke euch und werde an ihr arbeiten.
LG Damaris :)

 

Hallo Quinn,
danke für deine umfassende Kritik, es freut mich, wie du dich in meine Geschichte hineinversetzt.
Wie ich schon Weltenläufer und Novak geschrieben habe, ich bleib dran.
LG Damaris :)

 

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