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Kinderkram
Der Käfer irrte über den Fußboden der Drogerie, als er von einem Kinderschuh zerdrückt wurde.
„Ameise weg“, kommentiert Knurris zweijähriger Sohn Freddie den Vorfall und setze seinen Weg zur Kinderecke fort.
Knurri dagegen wurde mit einem vorwurfsvollen Blick einer älteren Dame abgewertet. „Wie kann man nur?“, hörte er sie murmeln. Alles, was kleiner als ein Igel ist, darf von meinem Sohn ruhig zermalmt werden, dachte er: Schließlich will ich das Ungeziefer ja auch nicht in meinem Schlafzimmer haben. Dabei fiel ihm Charly, der Haus-Hamster, ein. Gut, dann darf er eben alles, was kleiner als Charly ist, zermalmen. Zufrieden mit seinem neuen pädagogischen Teilziel bog er Richtung Kinderecke ab.
Dort angekommen rollte ihm ein Ball entgegen. „Wo hast du denn den wieder her?“, rief er Freddie zu und kickte den Ball zurück.
Freddie ließ das Bälleregal los, rannte auf den Ball zu und schoss ihn gegen das Regal mit den Babybreien, von denen auch gleich eine Packung zu Boden ging.
Die ältere Dame schob sich an Freddie vorbei und richtete Knurri wieder mit einem bösen Blick.
„Was hat die denn hier zu suchen?“, frage er sich leise, fing den Ball ein und wartete, dass sie auch an ihm vorbei gegangen war. Dann schob er den Ball wieder zu seinem Kind.
Der Kleine nahm diesmal besser Anlauf und schoss den Ball im hohen Bogen, unhaltbar für Knurri, genau auf den Allerwertesten der alten Frau. Der Ball poppte zu einem Regal und dann quer über den Gang.
Knurri hechtete in den Seitengang, um den Querschläger aufzuhalten und wich dabei geschickt den tödlichen Blicken der Dame aus. Verbal baute er ein Schutzschild auf: „Entschuldigen Sie bitte vielmals!“, welches bereits im Entstehen durch murmelnde Sätze angegriffen wurde.
„So etwas! Wir haben unsere Kinder ordentlich erzogen“, grummelte die Dame laut vor sich hin. „Früher wäre so etwas nie passiert.“
„Ja, früher“, dachte Knurri. „Früher gab es auch keine Spielecken mit Bällen, an denen Kunden ohne Kind am besten nichts zu suchen haben.“
Von Knurri unbemerkt hatten sich hinter ihm zwei Hausfrauen mit ihren Einkaufswagen aufgebaut. Sie unterstützen die alte Dame mit herablassendem Kopfschütteln und einem kaum hörbarem: „Tztz“.
Da er mit diesem Kreuzfeuer nicht gerechnet hatte, zog er sich mit einem schmollenden „‘Tschuldigung“ zurück zur Kinderecke und packte den Ball wieder in das Bälleregal. Diese Schlacht hatte er verloren.
„Auto!“, gluckste Freddie und zeigte auf den Spieltisch, an dem ein Lenkrad angeschraubt war.
„Au ja, wir spielen Rennauto“, sagte Knurri und beide rannten zum Tisch. Freddie bekam das Lenkrad in die Hand.
Knurri imitierte mit einer Faust ein Mikrofon und begann als Reporter das Rennen zu kommentieren. „ACHTUNG, ACHTUNG!“ rief er wohl etwas zu laut. „Wir stehen kurz vor dem Start des Großen Preises von Droggery. Die Fahrer machen sich bereit. Gleich geht es los.“ Er hob die andere Hand und zählte rückwärts: „Drei, zwei, eins.“ Dann ließ er die Hand nach unten fallen: „Los!“
Freddie fing an, das Lenkrad zu bearbeiten und es nach allen Seiten zu drehen.
„Das geht ja gleich spannend los, Freddie übernimmt die Führung“, rief er. Dabei bemerkte er, dass die beiden Hausfrauen mit ihren Einkaufswagen im selben Gang waren und, wenn sie ihre Richtung beibehielten, an ihnen vorbeimussten. „Aber die Konkurrenz schläft nicht. Die Verfolger holen auf und Freddie hat Mühe, die Position zu halten.“ Die Einkaufswagen schoben sich an ihnen vorbei. „Da haben es Beavis und Butthead geschafft und sind vorbeigezogen. Was für ein spannendes Rennen!“
Die beiden Frauen bemerkten nun, dass sie in das Renngeschehen einbezogen wurden und schauten verächtlich zu Knurri.
„Siegesbewusst schauen sie sich nochmal um.“
Die Blicke verdüsterten sich.
Freddie hatte keine Lust mehr und beschäftigte sich mit einem auf dem Tisch festgeklebten Buch.
Knurri grinste die beiden Frauen etwas verlegen an und fragte: „Nicht gut?“
Ohne ein Wort zu verlieren gingen sie weiter in den nächsten Gang.
„Ha! 1:1“, dachte er.
„Mama", rief Freddie und rannte los. Auf halber Strecke attackierte ihn ein Rollator von links, aber er schaffte es, ohne Kollision weiter zu laufen.
„Nicht so schnell!“, sagte Knurri mit der Gewissheit, dass es niemand hörte und trottete seinem Sohn hinterher.
„Können Sie nicht aufpassen?“, blaffte ihn der Mann mit Rollator an.
„Ich?“, Knurri sah sich fragend um.
„Selbstverständlich Sie.“
„Mal sehen“, überlegte Knurri laut. „Mein Sohn ist in der Kosmetikabteilung bei seiner Mutter. Dabei ist er, ohne hinzufallen, sich zu stoßen oder sich sonst wie zu verletzen an Ihnen vorbeigekommen. Sie sehen ‚wohl auf‘ aus. Im ganzen Laden sehe ich niemanden, den ich als Mörder, Kidnapper oder Kinderschänder einstufen würde. Und gerade jetzt höre ich ihn sogar lachen. Also ich würde sagen, es ist alles in Ordnung. Wie Sie sehen: Ich passe auf!“
Der Mann blieb mit offenem Mund eine Weile stehen, Knurri setzte voller Stolz seinen Weg fort und dachte: „2:1.“
In der Kosmetikabteilung musste Knurri bei seiner Ankunft erstmal zwei Cremedosen, vier Zahnpastatuben und ein Deo aufräumen und wurde prompt mit einem „Sowas gab es bei uns früher nicht!“, von der älteren Dame abgestraft.
„Oh ja, das stimmt“, antwortete Knurri und holte das Deo wieder aus dem Regal. „Diese Sorte ist erst vor einem halben Jahr rausgekommen, das kann es ja zu ihrer Zeit gar nicht gegeben haben.“
Die alte Dame drehte sich mit aufgerissenen Augen um und flüchtete in den nächsten Gang.
Knurri stellte das Deo zurück und erreichte endlich seine Familie. „Bist du fertig? Können wir gehen?“
„Ja“, sagte seine Frau nur knapp, gab ihm einen Kuss und ging Richtung Kasse.
In der Schlange stehend fing Freddie an, an den Beinen Affe zu spielen und hing kopfüber an Knurris Knien. Als sich die Schlange einen halben Meter vorwärtsbewegte, er aber aufgrund des hängenden Kindes nicht sofort den Schritt nach vorn machen konnte, spürte er im Nacken den Atem der alten Frau, die hinter ihm drängelte. Er setzte ein unechtes Lächeln auf, drehte sich um und fragte: „Wollen Sie vor? Wir haben ja mehr Zeit als Sie.“
Den Seitenhieb auf ihr Alter nicht verstehend, bedankte sich die Frau und ging vor.
Als sie die Drogerie verließen, fragte seine Frau: „Sind wir nicht eigentlich wegen dir da drin gewesen, weil dein Deo alle ist?“