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Kindergarten
Ich betrete zum ersten mal die Pforte mit braunen Fließen, wie man sie nur aus heruntergekommenen Autobahnraststätten kennt. Ich habe Angst. Ich bin es gewohnt, alleine zu sein. In dem Gang, der in etwa die länge der Autobahn von Regensburg nach Hamburg hat, schleiche ich neben den Beinen meiner Mutter her. Die Wände hoch wie Wolkenkratzer und die Bilder erinnern mich nur an Gruselgeschichten aus den Märchenbüchern. Ich zittere und als wir an dem ersten Raum vorbeigehen, erschrecke ich so stark, dass ich blitzartig hinter meiner Mutter verschwinde. Kurz darauf halte ich mich angestrengt an der Hose fest und sehe mir den Raum an. Überall tollen Kinder herum und ich sehe sie nur herumhüpfen und kreischen. Ich weine. Ich will das nicht und ich will auch nicht zu den Kindern.
Aber wir sind eh falsch. Also werden wir weiter geschickt. Nach gefühlten drei Stunden umherwandern in dem gefrierschrankkalten Flur kommen wir endlich an. Die große Tür. Sie gleicht einer Banktresortür der Sparkasse. Es fehlt nur das Drehkreuz womit man die Stahltür öffnet anstatt der abgegriffenen Türklinke. Sie macht die Tür auf und wir gehen Hand in Hand in den für mich vorgesehenen Raum. Und da sind wir nun. In der Mitte ein paar niedrige Tische mit sehr niedlichen, kleinen Stühlen, einer Küchenecke, einer Kuschelecke, einem Regal voller Spiele und einen Nebenraum, der für Bastelsachen und Holzklötze gedacht ist. Ein Traum. Ich habe es mir natürlich nicht nehmen lassen erst einmal überall rumzuspringen wie es die Kinder im vorigen Raum schon getan haben, was mir ja sehr viel Ängste bereitete. Ich habe es gar nicht so wirklich mitbekommen, dass meine Mutter dann gegangen ist weil ich so in die Materie Spielen vertieft war. Die Mittagspause steht an. Die Aufsicht hat uns dann gesagt, dass wir Raus können, aber nicht über den Zaun dürfen. Wie auch. Ich bin ja gerade mal ein laufender Meter. Also rennen wir raus und was sehe ich? NOCH MEHR SPIELZEUG !!! Unglaublich! Ich liebe diesen Spielplatz. In der Mitte des großen Gartens war ein riesiger Sandkasten, ein Klettergerüst, angemalte Steine, Schaukeln, Wippen, usw. usw. usw. Ultra viel Spielzeug für kleine Spielespieler wie mich. Und was ist für uns Jungs das ultimative Ding? Ganz klar. Der Tretbulldog mit Schaufel vorne dran. Das ist der Inbegriff Spielzeuge. Das Ultimum der ultimativen Ultimaten. Und auch noch taktisch implementiert. So kann man(n) seinem zukünftigen Beruf schon in der Kindheit üben und perfektionieren. Ich laufe also so schnell ich nur kann, fliege über die Treppen hinunter und eile mit voller Kraft zu den zwei Fahrzeugen. Doch es kommt wie es kommen musste. Zwei der anderen „Klasse“ sind schneller als ich. Ich breche zusammen in dem mit Sand übersäten Gras und weine so laut, dass die Aufsichten sofort glauben ich habe mir etwas ernsthaftes zugezogen. Ich beruhige mich nur sehr langsam wieder und gebe mich mit einem Tretroller zufrieden.
Ich hasse Rollerfahren. Ich fahre also zwei Runden um den blöden Sandkasten rum und versuche nicht zu weinen wenn ich die zwei anderen blöden Jungs mit den blöden Baggerfahrzeug sehe. Natürlich weine ich später noch deswegen und als mich meine Mutter am Nachmittag wieder abholte weinte ich noch immer. Verwunderlich wie viel ich eigentlich an Tränen aus mir herausbringe. Man könnte damit bestimmt ein ganzes Plantschbecken füllen. Nächster Tag. Ich betrete den Raum. Am liebsten wäre ich auf den Tisch gesprungen und hätte mit vollster Kraft meiner Stimme angekündigt, dass ich der coolste Junge hier im Kindergarten in Waldetzenberg bin und dass mir absolut niemand das Wasser reichen kann. ICH der König der Kinder hier unter Aufsicht der paar jämmerlichen Gestalten von Menschen, die sich zum Knechten verurteilt für die falsche Ausbildung verqualifiziert hatten. Meine Brust würde aufgehen wie die eines Schwanes um der Schwänin zu imponieren. Ich...habe es aber dann gelassen und gehe geradewegs zu Verena in die Küchenecke und spiele dort Mutter, Vater, Kind ohne Kind. Sie zeigt mir Kochen damit ich etwas zu tun habe wenn sie arbeiten ist und manchmal gehe ich arbeiten und sie kocht für mich. So war der Lauf der Dinge. Ein Geben und Nehmen.
Mittagspause. Ich konnte es schon gar nicht mehr erwarten. Ich stehe schon wie ein 100-Meter-Sprinter in den Startlöchern zwischen zwei Stühlen, die ich mir extra hingestellt habe damit ich sofort loszischen kann und mir das Ultravehikel schnappen kann. Es geht los. Ich reiße die Tür auf, gerade so, dass ich die massiven Messingscharniere nicht aus dem Sockel ziehe, ein paar Meter vor und durch die offene Ausgangstür zum Innenhof, wo der rote Traktor mit seiner gelben Schaufel nur auf mich wartet. Als hätte ihn jemand nur für mich extra zuvor noch in die Waschanlage getan und ihn auf der höchsten Stufe waschen lassen. Natürlich mit Unterbodenwäsche, Wax, extra Scheiben und Felgenbehandlung. Ich springe in einem riesen Satz auf das Gefährt und sitze. Vor mir das ebenfalls gelbe Lenkrad. Unter mir die kleinen, quietschenden Pedale, rechts von mir ein Junge der Parallelklasse, links von mir der Junge, der es nicht rechtzeitig geschafft hat und weinend davonläuft und vor mir die Freiheit. Ich genieße den triumphalen Erfolg, den ich soeben erleben durfte. Ich hole meinen imaginären Schlüssel raus, stecke ihn in das nicht vorhandene Zündschloss und mache die nicht ertönenden Geräusche einfach selber nach. Es blubberte und zischte. Ein paar Fehlzündungen bringen den Trecker zum Wackeln und beben. Ich lege den nicht existierenden ersten Gang ein, haue mit der Faust auf die Hupe, die sich in der Mitte des Lenkrads befindet und fahre los. Zwei mal um den Sandkasten. Einmal mit und einmal ohne Sand in der Schaufel. Ich fahre an die Nord-West Seite des Kindergartens wo die Buddler ihren Platz gefunden haben und sich auf jede Fuhre Sand freuen, über die Johannisbeersträucher wo die Mädchen immer viel zu saure Beeren essen, zurück zum Klettergerüst wo man mir zuwinkt als ich vorbei fahre. Der frische Wind weht um meine Nase und das Kratzen der Plastikreifen auf dem Betonfließen durchdringt meine Ohren wie eine Melodie. So stolzierend fahre ich noch einige Runden und genieße das Gefühl von Unabhängigkeit. Meine Fahrt wird bereits langsamer und die Aufsicht ruft uns bereits, dass wir wieder rein kommen sollen. Voller Genugtuung parke ich das Prachtexemplar wieder ein. Ich streichle noch mit meiner Hand über die Motorhaube und verabschiede mich mit den Worten „bis bald“.
Die Zeit vergeht im schönen Kindergarten. Die Jahreszeit wechselt, die Bäume verfärben sich und man lernt auch andere Kinder kennen. Nur mit Verena war ich am liebsten unterwegs. Es machte mir sehr Spaß und vielleicht möchte ich sie auch gerne als meine Kindergartenfreundin bezeichnen...
Ich habe mich lange dagegen gewehrt aber es wurde an der Zeit meine Karriere voran zu treiben. Mit der Situation, dass es mit Verena als Mutter-Vater-Kind ohne Kind so nicht weiter gehen kann und wir uns in einer immer wiederkehrenden, kreisförmigen Bewegung von einem Tag in den Anderen hineinleben, hat keine Zukunft mehr. Nachdem wir auch nicht verheiratet sind und wir auch sonst keine Lasten mit uns tragen müssen, entscheiden wir uns, getrennte Wege zu gehen. Es ist an der Zeit Abschied zu nehmen. Die Einschulung ruft.