Kindererziehung mal anders oder Gott ist doch nicht perfekt
Vier Jahre ist es nun schon her. Die Erinnerung an diese Nacht steht noch so deutlich vor mir, als wäre es gestern gewesen. Ich war gerade beim Meteoritensurfen auf dem kleineren der beiden Gürtel zwischen Mars und Jupiter, als mich Marias Stimme ereilte. Ich bin derartig erschrocken, dass ich beinahe abgestürzt wäre.
Aber ich besann mich schnell wieder. Wie ungeschickt von mir im Weltraum abstürzen zu wollen. Ich klammerte mich an den Felsbrocken als mich ihre Stimme erneut erreichte. Eigentlich wollte ich noch schnell duschen, aber es schien wirklich dringend zu sein. Ich nahm menschliche Gestalt an und erschien neben Maria in dem kleinen Haus, das sie ihr Eigen nannte.
„Guten Abend. Dass du dich auch mal wieder blicken lässt. Seit vier Jahren hast du dich nicht mehr um deinen Sohn gekümmert. Besser gesagt noch kein einziges Mal seit er geboren ist. Du bist wirklich ein Rabenvater.“
Ich war richtiggehend perplex, dieser vorwurfsvolle Unterton in Marias Stimme verhieß absolut nichts Gutes. „Maria, dafür habe ich dich und Josef doch ausgewählt, Jesus soll unter Menschen groß werden, er soll leben wie ein Mensch.“
„Ach und deswegen glaubst du, dich vollkommen vor der Erziehung drücken zu können? Nein mein Lieber, Josef und ich wollen endlich mal wieder einen Abend ganz alleine verbringen. Dein Sohn ist ein echtes Energiebündel. Viel Spaß. Und macht mir keinen Blödsinn.“ Sie kam zu mir, drückte mir einen Kuss auf die Wange und verschwand dann lachend aus der Hütte. Draußen hörte ich einen kleinen Karren davon fahren. Einen Moment sah ich noch zu Tür, schließlich dachte ich mir meinen Teil über ihr Vorhaben und drehte mich einmal um.
Der Raum war gut möbliert, immerhin war Josef Zimmermann, da konnte man so was erwarten. Jesus saß in einer Ecke auf einer Strohmatte und sah mich aus aufgeweckten, neugierigen Augen an. „Du bist also mein Papa?“, fragte er. Ich breitete die Arme aus. „Jawohl der bin ich. Ich bin Gott, dein Vater.“ Jesus sah mich unverwandt an. „Warum kommst du nie zu Besuch? Warum sehe ich dich heute zum ersten Mal?“
Ich ging auf Jesus zu und ließ mich neben Ihm ins Stroh fallen, dabei vergaß ich, dass man in diesem Körper auch Schmerzen empfand und stöhnte auf, als ich mir das Steißbein auf dem ungenügend mit Stroh gepolsterten Boden aufschlug.
Jesus sah mich von unten herauf an und kicherte. „Du bist nicht sonderlich oft auf der Erde, habe ich Recht?“ Ich verzog das Gesicht und rieb mir das Steißbein. „Nein ich bin nicht sehr oft auf der Erde. Ich habe sehr viel zu tun, weißt du. Ich muss das Gleichgewicht des Universums aufrechterhalten. Das ist eine ziemlich zeitraubende Arbeit.“
Jesus spielte mit einem Strohalm, den er immer wieder in seiner Hand erblühen ließ um ihn dann, über der kleinen Feuerstelle wieder auszutrocknen. „Und was machst du so den ganzen Tag? Wenn du das Gleichgewicht des Universums aufrechterhältst.“ Ich dachte einen Moment nach. Wie konnte ich einem kleinen Jungen erklären, was nicht wirklich in Worte zu fassen war. „Das ist eine ziemlich komplizierte Sache weißt du. Ich denke ich werde dich einweihen wenn du älter bist.“
Erleichtert atmete ich auf, als er sich überraschend mit der Antwort zufrieden gab. Jesus machte gerade aus dem getrockneten Strohhalm eine Pusteblume, und blies mir die Samen ins Gesicht. Ich ließ mich darauf ein, machte den Mund auf, saugte die Samen ein, kaute ein wenig darauf herum und holte schließlich eine geschlossene Blüte daraus hervor.
Jesus lachte und klatschte in die Hände. „Lass uns etwas anderes spiele.“, jubelte er und sprang auch schon auf. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?, schoss es mir durch den Kopf.
„Du bist doch allmächtig, oder?“
„Oh Kleiner, Allmacht ist so ein großes Wort. Ich bin nicht der Ansicht allmächtig zu sein.“
Er schien einen Moment nachzudenken. „Du kannst doch alle möglichen Gestalten annehmen, oder?“, fragte er mich, wieder begeistert lachend. „Verwandle dich doch in ein Pferd, dann reiten wir aus?“ Mir fiel vor Schreck die Kinnlade bis auf den Boden hinunter. „Ich soll mich in ein Pferd verwandeln? Hör mal, ich bin Gott und nicht irgendein Verwandlungskünstler in einem Wanderzirkus. Es ist schon schlimm genug, dass ich immer wieder als Taube in Erscheinung treten muss.“
„Ach komm schon, sei doch nicht immer so ein Miesepeter.“
Einen letzten Versuch wollte ich noch unternehmen, bevor mein Herz vollkommen durchgeweicht sein würde. „Deine Mutter hat gesagt, wir sollen zu Hause bleiben und keinen Blödsinn anstellen. Draußen ist es gefährlich und Blödsinn ist es obendrein auch noch.“
Jesus sah mich mit einem hämischen Grinsen an. „Also wenn du so was sagst, dann muss ich lachen, dass sich die Balken biegen. Welche Gefahr sollte uns drohen? Du bist Gott.“
„Deine Mutter zum Beispiel“, murmelte ich, fügte mich aber bereits in mein Schicksal. Etliche Schweißtreibende Stunden und noch mehr Verwandlungen später kehrten wir dann endlich wieder nach Hause zurück, Maria und Josef waren noch immer nicht da. So langsam begann ich auch zu zweifeln, ob sie heute Nacht überhaupt noch vor hatte wieder zurück zu kommen.
Ein hämmerndes Geräusch aus dem Hausinnern ließ mich aufhorchen. Was ging da vor? Jesus war schon hineingegangen als ich noch in Gedanken schwelgte und ich sah wie er mit einem Holzprügel, so groß wie sein ganzer Arm hinter einer Ratte herjagte, die sich scheinbar einen Spaß daraus machte, den Jungen auf Trab zu halten.
„Jesus, hör auf die Ratte zu jagen, so was hast du doch nicht nötig. Ein einziger Gedanken genügt und die Ratte geht freiwillig.“ Keuchend rannte Jesus der Ratte weiter hinter her. „So macht es aber viel mehr Spaß“, rief er lachend. Wobei sich sein Lachen bereits nach Keuchhusten anhörte. Ein Hieb folgte dem Nächsten. Ich resignierte bereits und bewunderte einfach die Energie die in dem Jungen steckte.
Aber die Ratte war pfiffig, sie schlug unerwartete Haken und Jesus kam immer wieder ins Trudeln, wenn er verzweifelt versuchte das Gleichgewicht zu wahren. Schließlich kam es so wie es kommen musste. Die Ratte kam, den Kleinen im Schlepptau, auf mich zu gerannt und wie sie über meinen Fuß hinweg war, traf mich ein Hieb mit voller Wucht auf den großen Zeh.
Ein ohrenbetäubender Schrei reinsten Schmerzes kam über meine Lippen und ich hüpfte auf einem Bein, das andere in Händen haltend, durch die Hütte. Jesus war vor Schreck erstarrt und ich glaubte, die Ratte in einer Ecke kichern zu hören. Ich konnte nicht mehr an mich halten. „Verflucht seien die Vierjährigen“, brüllte ich, mit vor Schmerz zitternder Stimme.
Sofort war ich wieder bei Sinnen. „Oh, Scheiße.“ Wie ein Sturm brandeten die ersten Gebete an mein Ohr. Überall auf der Welt begannen Vierjährige wie Zombies durch die Gegend zu laufen. Ich versuchte die Gebete für einen Moment auszuschalten, um mich zu konzentrieren. Es funktioniert wie das abwischen einer großen schmutzigen Tischplatte. Ich hatte meinen alles reinigenden Putzlappen dabei und wenig später war alles wieder so wie vorher.
Auch Jesus begann sich wieder normal zu verhalten, er tobte weiter durch die Hütte auf der Suche nach der Ratte. Die hatte inzwischen aber längst das Weite gesucht. Ich humpelte durch den Raum zu einer kleinen Bank und ließ mich – dieses Mal etwas vorsichtiger – darauf fallen.
Rasch tauschte ich den kaputten Zeh durch einen neuen aus und alles war wie vorher. Jesus setzte sich nun ermüdet durch die wilde Verfolgungsjagd neben mich, lehnte den Kopf an meine Seite und schlief augenblicklich ein. Das kleine Energiebündel schlief tatsächlich, ich konnte mein Glück kaum fassen. Sanft legte ich den Arm um Jesus und summte ihm ein Schlaflied vor.
„Salve“, erklang plötzlich eine sanfte Stimme aus dem dunkel des Raumes. „Hallo Gabriel, was führt dich hier her?“, fragte ich, ohne von meinem Sohn aufzusehen. „Wir waren heute zum Golfen verabredet, schon vergessen? Ich habe den ganzen Tag auf Sirius auf dich gewartet. Als du nicht kamst, habe ich nach dir gesucht. Markus sagte mir schließlich wo ich dich finde.“
„Ich konnte nicht. Was glaubst du was mir Maria erzählt hätte wenn ich ihr wegen einem Golfturnier abgesagt hätte. Sie weiß ja noch nicht einmal was Golf überhaupt ist.“ „Das verstehe ich natürlich, aber du hättest uns wenigstens eine Nachricht hinterlassen können, es war immerhin ein Ranglistenturnier geplant. Und wer führt diese Rangliste an?“
„Luzifer, ich weiß. Er hat viel trainiert in den letzten Jahrhunderten. Ist ja nicht so schlimm, die Runde geht ja noch eine Weile. Wir werden noch aufholen. Nun geh schon mal voraus. Ich glaube Maria und Josef sind auch gleich da.“
„Ich warte auf dich. Ach ja, noch etwas. Du solltest noch duschen bevor du auf den Golfplatz kommst, du riechst wie ein ganzer Pferdestall.“ „Ich musste schließlich auch das Reittier für einen Vierjährigen spielen. Nun hau schon ab.“ Mit einer leichten Verbeugung verschwand Gabriel und ich brachte meinen Sohn zu Bett. Mit einem Fingerschnippen räumte ich die Hütte auf und zog mich für die Reise nach Sirius um, nachdem ich geduscht hatte.
Die Tür ging auf und die beiden kamen herein. Maria blieb stocksteif stehen. „Herr im Himmel“, murmelte sie gepresst. Ich drehte mich zu den beiden um und sah sie fragend an. „Wie siehst du denn aus? Kann diese Kluft Gottes Werk sein?“ Ich sah an mir hinab, ich hatte meine Motorradkleider der Hell’s Angel’s angezogen und draußen wartete meine frisch polierte Harley auf mich. „Glaube mir Maria, eines Tages wird das Kult.“
Schockiert sah sie mich an, ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange, schüttelte Josef die Hand und ging nach draußen. Ich setzte mich auf meine Harley, sah mich noch einmal zu den beiden um, die kopfschüttelnd in der Tür des Hauses standen. Ich gab Gas und donnerte lachend Sirius entgegen.