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Kinder des Leidens
Ausgesetzt haben wir uns dem Fluß der Qual, nachdem wir realisiert hatten, daß es nötig war uns selbst zum Leben zu zwingen. Es schien einer Wiedergeburt gleich, diese frische kalte Luft einzuatmen die über ihm lag und das schwarze Schilf an seinen Rändern, bot einen schöneren Anblick, als es der alte Boden jemals hätte können.
Das sanfte Wellenspiel des Wassers, so trüb und trist es auch war, beruhigte auch das erregteste Gemüt und langsam aber sicher, wiegte es uns in einen lebendigen Schlaf, voller Träume und Farben, voller ungesehener Bilder und wertvoller Hoffnungen.
Doch sie verblaßten, wie die Schrift auf einem Blatt Papier, die Tag für Tag mehr von ihrem Glanz verliert. Lange hatte es gedauert, bis die Erkenntnis Einzug hielt, zu denken, Wirklichkeit aus unrealisierbaren Vorstellungen zu schöpfen, sei naiv, und in selbstbetrügerischer Absicht zu glauben, dies sei dennoch möglich, nichts weiter als bröckelnde Farbe, auf einer, alles anderen als soliden Fassade, die ihrerseits nur ein schwaches kränkelndes Abbild ehemaliger Erlebnisse war; ein instabiles Bollwerk gegen alles, das einem gefährlich werden könnte und ein Vorposten für die Schaffung einer eigenen Welt zugleich. Und der Erkenntnis, nicht erfüllt zu wissen, wonach man sich sehnt, schloß sich auch noch das Erwachen an, und beide marschierten tapfer, uns vor sich her treibend, in die Realität zurück, der sie entsprungen waren; zurück an einen Ort, dessen generelle Definition, der von Widerwärtigkeit erschreckend nahe kommt.
Den Dolch der Seelenqual im Rücken, schreckten wir auf aus einem unerfüllten Traum, um sogleich wieder in einen Alptraum zu tauchen, welcher der Realität verblüffend ähnlich sah und auch dem Fluß der Qual, dem wir zuvor entstiegen waren, beängstigend glich.
Die anfängliche Panik und Angst löste sich bald jedoch auf und wich der Verblüffung, die sich aus der Frage ergab, welcher Unterschied zwischen einer ungewollten Realität und dieser ungewollten Irrealität besteht, die doch eigentlich so verschieden sein müßten und sich dennoch fast gleichen.
Tatsächlich gibt es nicht viel, daß beide voneinander abgrenzt, nur kann man einen Traum selbst gestalten und wenn diese künstlich erschaffene Welt dem Einzelnen nicht zusagt, ihn auch wieder verlassen, wohingegen die wahre Wirklichkeit sich allerhöchstens selbst formt und nicht mit dem Schlaf endet.
Es gibt Tausende von Formen die man sich vorstellen kann, Tausende von Umgebungen, die man sich schaffen kann, warum erschaffen wir uns ausgerechnet innerhalb einer Wüste einen Sandkasten?
Warum malträtieren wir uns mit dieser Form des vor-sich-hin-vegetierens, wenn wir auch so schon im Wachen genügend Schläge und Tritte einfangen, warum quälen wir uns Barfuß mit einem Berg von Erwartungen und naiven Wünschen quer durch eine nagelübersäte Landschaft, deren metallenes Leid wir uns zu allem Übel auch noch selbst vor die Füße streuen, nur um am Ende des Weges einsehen zu müssen, daß wir irgendwo die Falsche Abzweigung gewählt haben? Nur um uns abzusondern? Nur um anders, nicht angepaßt, zu sein? Um die Gesellschaft auszugrenzen? Um uns hervorzuheben? Oder einfach nur, weil wir einen Hang zum Masochistischen haben?
Um scheinbar richtigen Idealen nachzueifern? Wir halten an etwas fest, daß wir nie haben sollten.
Der künstliche Fluß der Qual auf dem wir leben, ist zugleich unsere eigens gegrabene Grenze zu einem Land, daß wir nicht als das zu akzeptieren in der Lage sind, was es bestimmt ist zu sein; ein Land in dem wir leben; und nicht ein Land das für uns lebt. Vielleicht, wurden wir geboren um zu leiden, doch diese Möglichkeit, die Kinder des Leidens zu sein, ist weiter von der Realität entfernt, als wir. Nur kann man eines nicht bestreiten: Wir leiden.
Und mit dem Leid sterben die Seelen die sich einst so Hoffnungsvoll in ihren Untergang stürzten und mit ihnen wir und mit uns alles wofür wir leben, was immer das auch sein mag.
Es ist langsam aber sicher an der Zeit, daß wir uns fragen wie es anders weiter geht, so bleiben kann es nicht.
Denn je länger die sanften Wellen uns wiegen, desto inniger wird der Schlaf.