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Kinder des Leidens

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22.09.2002
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Kinder des Leidens

Ausgesetzt haben wir uns dem Fluß der Qual, nachdem wir realisiert hatten, daß es nötig war uns selbst zum Leben zu zwingen. Es schien einer Wiedergeburt gleich, diese frische kalte Luft einzuatmen die über ihm lag und das schwarze Schilf an seinen Rändern, bot einen schöneren Anblick, als es der alte Boden jemals hätte können.
Das sanfte Wellenspiel des Wassers, so trüb und trist es auch war, beruhigte auch das erregteste Gemüt und langsam aber sicher, wiegte es uns in einen lebendigen Schlaf, voller Träume und Farben, voller ungesehener Bilder und wertvoller Hoffnungen.
Doch sie verblaßten, wie die Schrift auf einem Blatt Papier, die Tag für Tag mehr von ihrem Glanz verliert. Lange hatte es gedauert, bis die Erkenntnis Einzug hielt, zu denken, Wirklichkeit aus unrealisierbaren Vorstellungen zu schöpfen, sei naiv, und in selbstbetrügerischer Absicht zu glauben, dies sei dennoch möglich, nichts weiter als bröckelnde Farbe, auf einer, alles anderen als soliden Fassade, die ihrerseits nur ein schwaches kränkelndes Abbild ehemaliger Erlebnisse war; ein instabiles Bollwerk gegen alles, das einem gefährlich werden könnte und ein Vorposten für die Schaffung einer eigenen Welt zugleich. Und der Erkenntnis, nicht erfüllt zu wissen, wonach man sich sehnt, schloß sich auch noch das Erwachen an, und beide marschierten tapfer, uns vor sich her treibend, in die Realität zurück, der sie entsprungen waren; zurück an einen Ort, dessen generelle Definition, der von Widerwärtigkeit erschreckend nahe kommt.
Den Dolch der Seelenqual im Rücken, schreckten wir auf aus einem unerfüllten Traum, um sogleich wieder in einen Alptraum zu tauchen, welcher der Realität verblüffend ähnlich sah und auch dem Fluß der Qual, dem wir zuvor entstiegen waren, beängstigend glich.
Die anfängliche Panik und Angst löste sich bald jedoch auf und wich der Verblüffung, die sich aus der Frage ergab, welcher Unterschied zwischen einer ungewollten Realität und dieser ungewollten Irrealität besteht, die doch eigentlich so verschieden sein müßten und sich dennoch fast gleichen.
Tatsächlich gibt es nicht viel, daß beide voneinander abgrenzt, nur kann man einen Traum selbst gestalten und wenn diese künstlich erschaffene Welt dem Einzelnen nicht zusagt, ihn auch wieder verlassen, wohingegen die wahre Wirklichkeit sich allerhöchstens selbst formt und nicht mit dem Schlaf endet.
Es gibt Tausende von Formen die man sich vorstellen kann, Tausende von Umgebungen, die man sich schaffen kann, warum erschaffen wir uns ausgerechnet innerhalb einer Wüste einen Sandkasten?
Warum malträtieren wir uns mit dieser Form des vor-sich-hin-vegetierens, wenn wir auch so schon im Wachen genügend Schläge und Tritte einfangen, warum quälen wir uns Barfuß mit einem Berg von Erwartungen und naiven Wünschen quer durch eine nagelübersäte Landschaft, deren metallenes Leid wir uns zu allem Übel auch noch selbst vor die Füße streuen, nur um am Ende des Weges einsehen zu müssen, daß wir irgendwo die Falsche Abzweigung gewählt haben? Nur um uns abzusondern? Nur um anders, nicht angepaßt, zu sein? Um die Gesellschaft auszugrenzen? Um uns hervorzuheben? Oder einfach nur, weil wir einen Hang zum Masochistischen haben?
Um scheinbar richtigen Idealen nachzueifern? Wir halten an etwas fest, daß wir nie haben sollten.
Der künstliche Fluß der Qual auf dem wir leben, ist zugleich unsere eigens gegrabene Grenze zu einem Land, daß wir nicht als das zu akzeptieren in der Lage sind, was es bestimmt ist zu sein; ein Land in dem wir leben; und nicht ein Land das für uns lebt. Vielleicht, wurden wir geboren um zu leiden, doch diese Möglichkeit, die Kinder des Leidens zu sein, ist weiter von der Realität entfernt, als wir. Nur kann man eines nicht bestreiten: Wir leiden.
Und mit dem Leid sterben die Seelen die sich einst so Hoffnungsvoll in ihren Untergang stürzten und mit ihnen wir und mit uns alles wofür wir leben, was immer das auch sein mag.
Es ist langsam aber sicher an der Zeit, daß wir uns fragen wie es anders weiter geht, so bleiben kann es nicht.
Denn je länger die sanften Wellen uns wiegen, desto inniger wird der Schlaf.

 

Hallo PatrikD,

wieder eine Geschichte mit faszinierender Sprache. (Strenggenommen ist es eigentlich keine Kurzgeschichte ).
„enervierend“ diesen Ausdruck fand ich an dieser Stelle etwas unpassend, zu gestelzt.
„... nagelübersäte Landschaft, die wir uns zu allem Übel auch noch selbst vor die Füße streuen ...“ Hier stimmt der Bezug nicht, wir streuen uns nicht die Landschaft vor die Füße, Nägel sind gemeint.
Warum stürzen sich die Seelen, „einst so hoffnungsvoll in ihren Untergang“?
Dein Text befaßt sich subtil mit dem Leiden als Lebensweg des Menschen, gibt es auch einen Lösungsansatz?

Tschüß... Woltochinon

 

Hola Woltochinon!
Streng genommen sollte es auch weniger eine Kurzgeschichte werden, als ein Brief an meine Freunde.
Sieh es als einen in sich geschlossenen Gedankenmonolog.
Und ebenso streng genommen könnte ich Dir ehrlich gesagt, wenn Du mir diese Frage stellen würdest, auch nicht genau sagen was eigentlich eine Kurzgeschichte ist.
Die schulische bzw. allgemeine Definition ist zu oberflächlich und ich bin bis heute Ratlos in welchen Bereich man meine Texte einordnen kann oder muss.
Die von Dir erwähnten Unstimmigkeiten habe ich hoffentlich beseitigen können, insbesondere diese unanständige Sache mit dem Landschaften-werfen.

Der Sturz in den hoffnugsvollen Untergang ist Symbol für einen Lebensweg, den meine ehemaligen Freunde und ich vor Jahren wählten.
Hoffend ihn gehen zu können, wissend um seine dunkle Seite, eben dem von Dir erkannten Leiden.
Wir erbauten uns eine eigene Welt, eine eigene Mythologie in unserer eigenen, für nahezu jeden, fremden Phanatsie.
Dieses EIGENE war zum einen etwas wunderschönes in dem wir die Hoffnung auf eine ungewöhnliche Besonderheit unserer Selbst fanden und zum anderen die stählerne Tür, welche wir hinter uns schlossen, als wir die Einfachheit und das Glück eines Hinnehmenden Lebens wie den passenden Schlüssel dazu wegwarfen.
Und dies ist auch der einzige Lösungsansatz, den ich bisher finden konnte; die Rückkehr in eine Welt ausserhalb der besagten Wüstenei.
Und somit kein Ausweg für Menschen wie uns.

 

Hallo PatrickD,

es ist immer problematisch, einen Brief an eine spezielle Zielgruppe der Öffentlichkeit vorzustellen. Hier auf Kg.de wird auch nicht die strenge, ursprüngliche Kurzgeschichten- Charakterisierung verlangt. Trotzdem ist es oft hilfreich, Handlungen, Meinungen, Entwicklungen usw. als Rahmen einer übermittelten Information darzustellen.
Wie meinst Du „Und somit kein Ausweg für Menschen w i e u n s “?

Tschüß... Woltochinon

 

Hola Woltochinon!
Ich finde es ehrlich gesagt nicht sonderlich problematisch, denn die meisten die diesen "Brief" bislang lasen, fanden sich auf die ein oder andere Weise in ihm wieder.
Insbesondere jene Menschen, die nach langer Zeit des monotonen Existenz-Schlafs aus eben diesem erwachten und sich in einem ähnlichen, nahezu Albtraum wiederfanden.
Es ist dieses Phänomen des "Ich lese einen Text der sich gut und flüssig ließt und wenn ich mich nicht darin wiederfinde oder ein Stück meiner Persönlichkeit durch ihn gespiegelt sehe, habe ich etwas falsch gemacht und muss ihn nochmal lesen."
Wir neigen oft dazu mehr in Dingen zu sehen, als in der Tat sichtbar sein sollen, aber nichts besseres kann einem passieren.
Zum einen stellt man fest, dass die eigene Phantasie wider erwarten noch voll funktionsfähig ist und zum anderen erkennt man Seiten an sich, die man bis dato eventuell noch nicht kannte, oder aber nicht kennenlernen wollte.
Nicht umsonst lese ich leidenschaftlich gerne den guten alten Bordellaire. Ich kann kaum einen seiner Texte nachvollziehen, aber je öfter ich sie lese, desto mehr Schönheit offenbart sich mir in seiner Sprache und dem Inhalt.
Es ist so als würdest Du immer und immer wieder mit einem Text schlafen, mit der Zeit wird der Akt immer besser und Du lernst Deinen Gegenpart zu verstehen.
Und irgendwann danach verliebt man sich, aber das ist ein anderes Thema.

Mit Menschen wie u n s meinte ich hier meinen ehemaligen Freundeskreis und insbesondere noch heute mich.
Falls Du Dich allerdings ebenfalls angesprochen fühlst, finde ich das schön.
Dann bist Du meinem Text sehr nahe gekommen.
Und das Unmögliche ist die Rückkehr in die Welt aus der wir uns selber entrissen haben, um eine andere, vermeintlich schönere kennzulernen.
Das heisst, die bare Realität bietet keinen Ausweg mehr man ist gefangen in einer anderen baren Realität.
Wie man es auch dreht und wendet, man erwacht ja doch immer wieder im Hier. Oder im Hier.

 

Hallo PatrickD,

vielen Dank für Deine Erklärungen, da ich gerade eine Story über das Problem des Verdrängens abgeschlossen habe, ist mein Hier auch Deine Geschichte, oder meine persönliche Geschichte ist Hier.

Tschüß... Woltochinon

 

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