Mitglied
- Beitritt
- 27.06.2024
- Beiträge
- 46
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
- Anmerkungen zum Text
Ich distanziere mich von jeglicher Form von Rassismus.
Kinder der langschnäbeligen Vögel
Die Hufe des Pferdes wirbelten bei jedem trägen Schritt eine Staubwolke aus Dreck und Sand auf, während es Butch Cole gen Abendsonne trug mit der Aufgabe, seinen Reiter in eine sichere Nachtunterkunft zu bringen. Sein geschundenes Gesicht starrte mit zerfallendem Blick auf den Boden. Den ganzen, gottverdammten Tag ist er vor seinen Verfolgern geflüchtet. Erst vor einer Weile, als die Sonne dem Horizont auflag, hörte er das Galoppieren hinter sich nicht mehr. Er hatte nicht gewusst, dass die Rothaut, der er im Saloon vor die Füße gespuckt hatte, ein Freund der McGlaisen Gang war. Gegenüber diesen Wilden war das in seiner Heimat Georgia der übliche Ton. Aus dem Saloon gejagt haben sie ihn dafür. Erst jetzt, nach stundenlangem Sporen geben, endete die Hetzjagd bis in Ländereien, die er nicht mehr kannte. Coles Hände zeichneten rote und versengte Falten, die erschöpft die Zügel seines trabenden Pferdes hielten, erleichtert, kurz vor Sonnenuntergang sicher an einer Ranch angekommen zu sein, durch deren Felder er nun ritt. Der müde Blick des Irrenden drehte sich zur Seite. Die Menschen hatten Vogelscheuchen aufgebaut, deren Gesichter zerrupft waren. Ein paar Krähen hockten auf den entstellten Holzfiguren und trotzten den jämmerlichen Versuchen der Bauern, ihre Ernte vor gefiederten Räubern zu schützen. Nun krächzten sie den geschundenen Reiter an, als würden sie seine Verdammnis bezeugen. Während die Sonne hinter den Hügeln verschwand und Butch Cole die Ranch erreichte, schwemmte der Schatten über den Boden und tauchte den reifen Weizen hinter ihm von goldenem Gelb in düsteres Grau. Flatternd stiegen die Krähen auf, ohne Unterbrechung ihres teuflischen Gekrächzes.
Der Reiter folgte den schwarzgrauen Vögeln, bis er im Kern der Ranch stand. Das einzige was hier lebt sind diese verdammten Krähen, dachte er.
„Was möchtest du hier?“
Erschrocken wandte Cole seinen Kopf. Ein alter, grauer Mann im dunklem, abgewetztem Ledermantel und mindestens genauso heruntergekommenen Lederstiefeln wippte auf und ab, während der Schatten der Veranda im Takt des knarrenden Schaukelstuhls seinen schwarzgrauen Bart immer wieder verschwinden ließ. Musternd spähte Cole zur Terrasse, wo er den Fragenden erblickte.
„Wir suchen eine Bleibe für die kühle Nacht“, antwortete Cole mit trockener Stimme.
Er begutachtete das brüchige Holzhaus, vor dem sein Besitzer saß. Cole konnte kein Lichtlein, nicht einmal das Flimmern einer Kerze erkennen, und es schien ihm, als wäre das Innere in durchgehende Dunkelheit getaucht. Der alte Mann hörte auf zu wippen, und sein schwarzgrauer Bart verschwand endgültig im Schatten. Das Schreien der Krähen drängte sich in die anhaltende Stille. Ein Lächeln entsprang dem faltigen Gesicht des alten Mannes, was der Reiter allerdings durch die Dunkelheit nicht sah.
„Eine Bleibe wirst du hier sicherlich finden. Such dir irgendein Haus oder eine Hütte aus. Wie du magst“, antwortete der alte Mann.
Cole zog die Augenbrauen hoch.
„Ist gerade sonst keiner da? Das ist eine recht große Ranch für einen alten Greis, meinst du nicht auch?“
Ein tiefer Seufzer entglitt dem Schatten auf dem Schaukelstuhl.
„Ich war nicht allein. Sie wurden nur allesamt getötet.“
Cole kniff die Augen zusammen und bemühte sich, keine andere Reaktion entkommen zu lassen, auch wenn er innerlich schauderte.
„Und du weißt warum?“, fragte Cole bestimmend.
Einige Krähen landeten auf dem Haus und kippten ihren Kopf rundherum, während sie den Reiter scharf beäugten.
„Wir kauften das Land damals von den Absarokee, um uns hier niederzulassen. Die Absarokee waren mit den Geschöpfen des Yellowstone Rivers im Bund.“
Der skeptische Reiter schaute umher ohne den Kopf zu bewegen. Indianerland, dachte er. Finster dreinblickend lauschte er weiter den Worten des alten Mannes.
„Der Stamm der Absarokee wird auch Volk der Krähen genannt. Kinder der langschnäbeligen Vögel.“
Eine Krähe, die sich auf einem trockenen Holzpfahl niedergelassen hatte und durch ihr Gefieder in der Dunkelheit kaum zusehen war, krächzte laut auf.
Cole zuckte innerlich zusammen, doch verzog nach außen keine Miene.
„Um das Land in Ackerbau umzuwandeln,“ fuhr der Alte fort „legten die Indianer einige Bedingungen fest, nämlich die Harmonie mit den Geschöpfen hierzulande. Die Menschen allerdings ignorierten den Rat. Sobald sie das Land gekauft hatten, wühlten sie rücksichtslos den Boden um, legten Moore trocken, bauten Vogelscheuchen, jagten im Winter die Hirsche und Bären bis auf das letzte Geschöpf.“
Cole ahnte, was hier passiert war. Von rächenden Indianern, den Wilden aus dem Südosten Montanas, hatte er gehört. Bei ihm, weit weg in Georgia, hatte man die Rothäute schon längst gebändigt oder vertrieben. Er wusste allerdings um die Gefahr, die ihm entgegentrat. Dieses Pack war an diesem Ort nicht gut auf Weiße zu sprechen.
„Es war ein Abend wie dieser, der das Schicksal der hier lebenden Menschen besiegelte“, fuhr der Mann fort. „Als sie gefunden wurden, lagen sie verstreut auf dem Boden.“
Der alte Mann schien hörbar einen trockenen Mund bekommen zu haben, weswegen er kaum hörbar schluckte.
„Ausschließlich ihre Gesichter waren entstellt und ausgehöhlt, sodass nur anhand ihrer Kleidung und Haare erkennbar war, wer dort lag“,
Cole warf der Krähe auf dem trockenen Holzpfahl einen schnellen Blick zu. Diese hatte ihn mit ihren dunkel-schillernden Augen stets im Visier. Pickend entriss sie dem trockenem Holz ein paar Splitter. Auch wenn er müde war, hier zu nächtigen, wenn die Indianer mit dieser Ranch auf dem Kriegspfad waren, erschien ihm zu riskant.
Doch das war nicht das Einzige, was ihn eilig zum Weiterziehen drängte.
„Wer versichert mir, dass diese Barbaren nicht zurückkehren und mir im Schlaf die Kehle aufschlitzen“, verkündete Cole, während er die Krähe nicht aus den Augen ließ.
„Mit dem Ganzen hier habe ich nichts am Hut und das soll verdammt noch mal so bleiben“, fügte er knurrend hinzu.
Es kam Cole seltsam vor, dass der Mann seelenruhig auf seinem Schaukelstuhl saß. Warum war er überhaupt hier? Der Outlaw sammelte das letzte bisschen Nass in seiner Kehle zusammen und spuckte auf den staubigen Boden. Aus dem Schatten der Terrasse ertönte ein hinnehmendes Brummen.
„Ich rate dir, dich im Zaum zuhalten“, die Stimme des Alten wurde bedrohlich, „wenn du auf Andere triffst. Erzähl niemandem von den Geschehnissen.“
Der Reiter nickte nur und trieb sein Pferd an, sich in Bewegung zusetzen, fest im Blick der starrenden Krähe.
Eine ganze Weile dauerte es, bis Cole das Rufen der Krähen nicht mehr hörte. Etwas an der Warnung des Mannes ging ihm bis aufs Knochenmark, weswegen er mit weitem Abstand erst den Galopp ansetzte, um die Ranch eilig hinter sich zu lassen. Der alte Greis erfährt sicherlich nie, dass Cole die Gräueltaten der Absarokee an den nächsten Sheriff weitergeben wird. Diese Wilden durften nicht ungestraft bleiben. Doch so sehr er seinen Gaul trieb, schaffte er es nicht in die weit entfernte Stadt.
Der alte Mann stieg von seinem Schaukelstuhl auf. Die Dunkelheit hatte den vorbeikommenden Reiter seit einer Weile verschluckt. Die Krähen schauten den schwarzgrauen Greis erwartungsvoll an, wobei sie den Kopf immer wieder neigten, ohne ihn aus den Augen zu verlieren. Er blitzte mit dunkel-schillernden Augen zurück, nickte befehlend und machte kehrt zur Tür des Hauses. Die bedrohlichen Schreie der Krähen hallten durch die warme Nachtluft. Schabend ging der alte Mann über die hölzernen Boden. Aus seinen abgewetzten Lederstiefeln bohrte sich aus einem aufgerissenen Loch an der Ferse eine riesige, schwarzgraue Krähenkralle. Wildes Flattern übertönte das Einschnappen der Haustür. Die Kinder der langschnäbeligen Vögel preschten durch die anbrechende Nacht.
Als die Morgensonne die Täler der Absarokee überschwemmte, hüllte das warme Licht auch das Camp von Butch Cole ein. Notgedrungen musste er zwischen ein paar Felsen auf einer Lichtung im Wald nächtigen. Sein davor in Dunkelheit getauchtes Gesicht schwappte durch die Sonne in glänzendes Rot über. Nur noch seine Kleidung und Haare verrieten, dass er es gewesen war.
- Quellenangaben
- https://de.wikipedia.org/wiki/Absarokee