Kilamis Tränen
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Jemand rief seinen Namen.
Ganz leise nur und kaum hörbar flog der Ruf mit dem lauen Nachtwind heran, umkreiste ihn ein paar Mal eindringlich und verschwand dann wieder mit dem Wind.
Kal`Verno zog die dünnen Augenbrauen zusammen und ein Lächeln schlich sich auf seine Züge.
Der Ort war ganz nahe.
Er begann schon die mächtige Energie zu spüren und vor seinem inneren Auge entstanden fortwährend Bilder. Dies war ein gutes Zeichen.
Seine schmalen Hände rafften den dunklen Umhang enger um die fröstelnden Schultern, dann setzte er seinen Weg fort und seine Schritte führten zielstrebig in die Richtung, aus welcher der nächtliche Ruf erklungen war.
Je näher er dem lange gesuchten Ort kam, umso stärker wurden die Bilder in seinem Inneren.
Er sah sich selbst, den Umhang in einem starken Wind wehend.
Hände wurden nach ihm ausgestreckt.
Lange, schmutzige Nägel krallten sich in seine Kleidung, seine Haut und doch stand er ganz unbeweglich.
Da lächelte Kal`Verno siegessicher.
Mit jedem weiterem Schritt wurde der Wind nun stärker, Schreie und Rufe brachte er mit sich, schleuderte sie dem jungen Mann in das Gesicht, doch dieser lachte nur und schrie unbeeindruckt:
„Ich komme doch! Ich komme!“.
Dann war er endlich dem Platz schon so nahe, dass er ein grünliches Schimmern zwischen den Bäumen erkennen konnte.
Der süßliche Geruch von Blut strömte ihm entgegen und Kal`Verno atmete ein paar Mal tief ein und aus. Blut. Er konnte schon anhand des übermächtigen Geruchs erkennen, dass dieser Ort der richtige war.
Mit eisernem Willen kämpfte er gegen den aufbrausenden Sturm, ignorierte die kreischenden Wehklagen und schlug ein klaffendes Loch in den magischen Schutzkreis.
Einen Moment lang wurden die Schreie lauter, der Sturm zum Orkan und das grüne Licht schmerzlich grell, doch dann kehrte Ruhe ein.
Mit einem Mal lag die Lichtung vor ihm im silbernen Mondschein ruhig da. Ein paar nächtliche Tiere streiften auf ihr umher und winzige weiße Blüten reckten ihre Köpfchen zum Mond hinauf.
Kal`Verno trat entschlossen mitten auf die Lichtung und lachte dabei laut.
„Dachtet ihr wirklich ihr könntet mich so leicht besiegen?“, er stemmte die Fäuste in seine Hüften und blickte herausfordernd umher.
Die wenigen Tiere verließen, vom Klang seiner Stimme verschreckt, fluchtartig die kleine Lichtung.
„Ihr habt schon einmal verloren, sonst wäret ihr nicht hier. Und nun ist es an der Zeit ein weiteres Mal zu einer Niederlage entgegenzusehen!“
Der Nekromant streckte die Arme weit von sich, mit einer schnellen Bewegung drehte er die Handflächen dem Boden zu.
Ein leichtes Beben unter seinen Füßen war die sofortige Antwort.
-2-
Nebel bedeckte das Schlachtfeld.
Die Geräusche des Kampfes klangen seltsam gedämpft, alles sah auf dem ersten Blick so friedlich aus.
Die Bewegungen der Kämpfenden wirkten fast wie ein seltsamer, langsamer Tanz. Ihre Gewänder bestanden aus grauem Dunst, ihre Musik war die Stille.
Kilami weinte.
Sie stand am Rand der großen Lichtung und ihre blauen Augen betrachteten die Kämpfenden. So viel Tod herrschte an diesem Ort, so viel Schmerz hing in der Luft.
Die junge Heilerin war nicht hierher gekommen, um zu kämpfen. Sie sollte helfen die vielen Verletzten zu verpflegen und zu Stelle sein, falls einer der oberen Anführer ihre Heilkraft benötigte.
Doch es gab keine Verletzten oder Heilungsbedürftigen an diesem verfluchten Ort. Niemand überlebte da draußen.
Keiner erreichte die weißen Heilerzelte.
Und der Nebel nahm jede Sicht, jede Möglichkeit zur Flucht.
Freunde kämpften gegen einander, ehemals Verbündete erschlugen sich rücklings, der graue Dunst machte es unmöglich zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Der Tod beherrschte nun diesen Platz, mächtig und grausam war sein Wirken, keine Heilkraft konnte die tiefen Wunden heilen, die er der Seele dieses Ortes zufügt hatte.
Und Kilami weinte, es gab kein Leben mehr an diesem Ort.
-3-
Nach dem Beben folgte wieder eine Zeit der Ruhe. Dann, ganz langsam, zog Nebel zwischen den Bäumen heran. Er war so dicht, dass man schon nach kurzer Zeit die Bäume nicht mehr erkennen konnte.
Mit dem grauen Dunst kam auch die Stille.
Tief und doch voll von Melodie war sie, wie ein Lied, geschrieben für einen seltsam langsamen Tanz.
Kal`Verno erbebte, er hatte diesen Ort von neuem erweckt und dessen Magie war nun endlich greifbar.
Während der Nebel immer mehr von der kleinen Lichtung einnahm, machte sich der Nekromant für den alles entscheidenden Moment bereit, indem er sich in eine tiefe Trance begab
Als er schließlich die kühlen Finger des Nebelschleiers nach seinem Körper greifen spürte, öffnete er seine dunklen Augen und sie waren erfüllt von einer tiefen Leere.
Der Geist des Nekromanten befand sich nun auf einer Reise in die Nebelgründe. Er schwebte langsam durch die graue Welt und nichts weiter als Dunst lag um ihn.
Mit der Zeit bemerkte er, dass andere Wesen ihn begleiteten. Ihre Glieder waren nicht körperlich, ihre Augen nur leere Höhlen.
Da wusste er, die Zeit war gekommen.
„Sucht mir die Krieger des Schlachtfelds! Bringt sie zu mir!“, seine Stimme war fest und klang seltsam laut in seinen Ohren.
Sofort verschwanden die Wesen, waren auf der Stelle eins mit dem Dunst.
Kal`Verno war mit dem Ergebnis zufrieden und lenkte seinen Geist zurück zu seinem wartenden Körper.
-4-
Es war kalt.
So kalt in dieser Nacht, die von Nebel und Tod beherrscht wurde, so kalt in dem Inneren von Kilami.
Eine düstere Leere breitete sich in ihr aus, als die Kämpfenden weniger wurden, die Toten den blutigen Boden nun fast vollständig bedeckten.
Die Tränen standen nur noch in ihren blauen Augen, waren zu schwach, um über ihre Wangen zu rinnen.
Ihre Seele weinte, als der Kampf sich dem Ende zu neigte.
Ihr Herz schlug nur widerwillig weiter, zu gerne wäre sie mit ihnen gegangen.
Doch ihr Los war nicht der Krieg, nicht der Tod, ihr Los was das Leben.
Und so verharrte sie an diesem Ort und öffnete ihre Seele, nahm das Leid in sich auf, mit dem Wissen es niemals ganz heilen zu können.
Eine Träne wollte sie weinen, eine Träne für jeden Toten in dieser Schlacht.
Um all das Leid zu heilen, dass an diesem Ort war, um die Wunden zu schließen, die der Tod tief in die Erde geschlagen hatte.
Erneut rannen bittere Tränen, über das schmale Gesicht des Mädchens.
In kleinen Tropfen fielen sie hinab zur Erde und zu Kilamis Füßen reiften kleine weiße Blütenkelche.
Ganz zart und zerbrechlich, strahlend weiß, hoffnungsfarben.
Einen für jede verlorene Seele, für jeden Schmerz und jede Wunde.
Einen für jede Träne Kilamis.
Und die Zeit verging, die Jahre liefen ins Land, die Jahrhunderte wanderten vorüber und noch immer weinte Kilami. Es schien, als wäre kein Ende in Sicht, als wäre das viele Leid zu unermesslich, dass keine Tränen der Welt ausreichten, um es zu stillen.
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Um ihn herum begann die Erde erneut zu beben. Doch nicht nur zu beben, sie brach zu seinen Füßen entzwei.
Kleine Hügel bildeten sich und ein dunkles Rumoren erklang tief unten in der Erde.
Das grünliche Schimmern vermischte sich jetzt mehr und mehr mit dem dunstigen Nebel.
Kal`Verno saß im Schneidersitz auf dem Boden. Mitten auf der Lichtung. Ein Lächeln zierte sein kantiges Gesicht, seine Augen glühten voller inbrünstiger Erwartung.
Dann erhob er sich plötzlich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ihr habt sie also gefunden. Sehr gut. Ich sagte doch, ich werde siegen.“, wieder lachte er, heiser und hohl schwang sein Lachen einen Moment lang in der Luft, dann zerbrach es hörbar.
Knochige Finger erschienen, erdig und mit langen Fingernägeln.
Danach folgten Arme, Köpfe, Rümpfe, an denen noch Kleidungsreste hingen.
Schließlich, Kal`Verno blickte sich zufrieden um, standen sämtliche Krieger wieder auf der Erdoberfläche.
Der Nebel formte ihnen Gesichter, Glieder und Waffen.
Grünlich schimmernd wurden sie dadurch und leise klirrten ihre Schwerter, unter ihren schweren Stiefeln zerbrachen kleine Äste.
Ansonsten, herrschte greifbare Stille.
Der Nekromant war überaus erfreut über das, was er sah. Welch eine großartige Streitmacht, welch eine großartig Waffe gegen seinen ärgsten Feind.
„Folgt mir!“, rief er befehlend und deutete mit dem Arm in Richtung Westen.
Einen Moment lang geschah nichts. Für kurze Zeit zweifelte Kal`Verno und Angst drohte in ihm hinauf zu steigen, ihm die Kehle zu zuschnüren.
Doch dann bewegte sich die Streitmacht, seine Streitmacht in die angegebene Richtung.
Er konnte sich ein lautes Lachen nicht verkneifen, als plötzlich aus der Stille der Nacht ein Ruf erklang, vom Wind wurde er ihm zugetragen und der Wind trug ihn wieder mit sich fort.
Zögernd hielt Kal`Verno inne und auch die Krieger verharrten.
Erneut rief jemand seinen Namen.
„Wer ruft mich? Zeig dich und kämpfe!“, Kal`Verno fühlte sich siegessicher. Die Armee unter seiner Macht war stark genug, um jeden Feind zu töten.
Doch nichts geschah, wieder lag nur die Stille in der Nacht.
Kal`Verno zuckte die Schultern.
„Weiter jetzt, wir haben es eilig“, befahl er seiner Armee, die Geduld des Nekromanten war langsam wahrhaftig aufgebraucht.
Folgsam setzte sich der große Trupp in Bewegung. Und von Nebelschwaden umwoben erreichten die ersten Krieger den Rand der Lichtung.
Wieder erklang ein leiser Ruf.
„Kal`Verno. Bleib, Kal`Verno. Dies ist der falsche Weg.“.
Während die Krieger in ihrem Schritt innehielten, war der Mann nun endgültig außer sich vor Zorn.
„Du hast mir nichts zu befehlen! Wer auch immer du bist, zeig dich und kämpfe oder schweige für immer!“.
Ein sanfter Wind ließ einige der Nebelschwaden tanzen und für einen Moment dachte Kal`Verno, dass er darin die Gestalt einer Frau gesehen hätte.
Seltsam schön und fein, waren ihre Züge gewesen, die Hände bittend nach ihm ausgestreckt.
„Tu es nicht.“, der Ruf war nicht mehr als ein Flüstern.
Doch das Herz des Nekromanten war steinern und schwarz, so folgte er also seiner Armee, verließ die Lichtung und betrat den dunklen Wald.
-6-
Plötzlich war der Nebel verschwunden.
Nur die Lichtung hinter ihm, war noch von ihm erfüllt.
Von dort rief leise eine Stimme: „Noch kannst du zurück, Kal`Verno. Lass’ sie bei mir.“.
Er lachte nur und wandte sich vorwärts, stand plötzlich direkt vor einem Krieger, so Furcht erregend, wie er noch nie zuvor einen gesehen hatte.
Hinter dem Mann, der eine schwere Rüstung trug, dessen Augen voller Hass loderten, standen weitere und noch viele mehr dieser Art.
Ihre Waffen glänzten im silbernen Mondlicht.
„Du hast es gewagt uns zu erwecken? Glaubst du wirklich außerhalb ihres Schutzes bist du uns noch überlegen?“, ein grausiges Flüstern trug ihm diese Worte zu, ein hohles Lachen folgte.
„Du Narr. Du eitler Narr. Nun ist deine Zeit gekommen.“.
Kal`Verno erkannte sofort seinen Fehler. Hatte er nicht die ganze Zeit die schützende Macht über der Lichtung gespürt? Hatte er nicht selbst den Schutzkreis zerschlagen?
Nun konnte das Böse dieses Ortes auch außerhalb von ihm wüten. Unkontrolliert. Grausam. Uralt und voller Macht.
Der Magier trat einige Schritte zurück.
„Glaubst du, du könntest uns jetzt noch entkommen? Für deinen Frevel musst du sterben, koste es, was es wolle!“.
Er spürte schon den Nebel ganz nah hinter ihm, er sah die dunklen Wesen vor sich.
Hasserfüllte Augen.
Hände mit schwarzen Fingernägeln, die rostige Schwerter hielten.
Leises Lachen in der Dunkelheit, aus vielen Kehlen, ein Chor, ein Lied.
Sein Lied, sein Requiem.
Jetzt weinte Kal`Verno, dachte wieder an die Gestalt im Nebel, die feinen Gesichtszüge.
Dann erinnerte sich an ein Detail in ihren Augen. Tränen.
Die Krieger traten auf ihn zu, ihre schweren Stiefel zertraten weiße Blüten und ein Stich fuhr durch Kal`Vernos Herz.
Hatte er nicht ebenfalls weiße Blüten zertrampelt?
Ein lang gezogenes Heulen erklang über ihm, der Wind pfiff durch die Bäume, Regen prasselte vom plötzlich pechschwarzen Himmel und Blitze zuckten.
Donner rollte aus der Ferne heran, wurde lauter, dann plötzlich leise und war dann genau über ihnen.
„Spürst du, wie nahe dein Ende ist?“.
Der Krieger kam auf ihm zu und hob sein Schwert.
Gerade noch rechtzeitig konnte sich der Magier darunter hinweg ducken. Er verlor dabei das Gleichgewicht, landete auf dem Boden und krabbelte auf allen vieren weiter, wieder zurück zur Lichtung.
Doch er erreichte sie nicht.
Der nächste Schwertstreich des Krieges hieb in seine Seite, verletzte ihn aber nur oberflächlich.
Da begriff Kal`Verno, der Krieger spielte mit ihm, hätte ihn schon längst töten können.
Dieser lachte und beugte sich zu dem am Boden liegenden hinunter.
Ein scharfer Geruch von Verwesung und Tod, strömte Kal`Verno entgegen. Er schloss die Augen, ängstlich, als der Krieger sein rostiges Schwert erhob.
„Nun ist es endgültig zu Ende mit dir.“.
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Der Magier spürte einen Luftzug über seinem Kopf und die Zeit dehnte sich, wurde weit und groß; und sein letzter Moment ward zur Unendlichkeit.
Er sah sein Leben vor sich, seine Kindheit, seine Eltern, deren Tod und dann auch seinen Meister. Seinen Lehrmeister, der ihm auf dem dunklen Pfad geführt hatte, dessen ganzer Stolz er war.
Dann, sah er das Mädchen, weinend, allein im Nebel.
Ihr Schmerz drang ihm tief in das kalte Herz.
Er sah die Bilder einer Schlacht vor sich, kein Blut, kein Kampfgeschrei, nur im Nebel tanzende Krieger, die einander in seltsam verzerrten Bewegungen das Leben nahmen.
Das Mädchen stand am Rande dieser Schlacht, am Rande von all dem Leid und weinte.
Sie war so schön, braunes Haar fiel in ihr blasses Gesicht, die blauen Augen waren so wundervoll tief und klar, als würde ein Ozean in ihnen wogen.
Wo ihre Tränen zu Boden fielen, wuchsen kleine weiße Blüten.
Und Kal`Verno verstand.
In seiner Vision, nahm er ihre schmale Hand in seine, willig ihr Gesellschaft zu leisten, mit ihr den grausamen Tod ins Auge zu blicken und er weinte mit ihr für die Toten.
Eine Träne für jede verlorene Seele, für jeden Schmerz und jede Wunde.
Eine, für jede einzelne Träne Kilamis.
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Kilami schritt langsam an den ersten Bäumen des Waldes vorbei.
Der Nebel war fort. Endlich.
Sorgsam setzte sie ihre Füße über die gelblichen Knochen, die einmal Menschen waren, Krieger.
Gezielt steuerte sie auf dem am Boden liegenden Kal`Verno zu, Blut klebte an der Klinge in seinem Bauch. Seine Augen waren geschlossen und auf seinen Wangen standen Tränen.
Sie kniete sich vor ihn. Ihre Hände zitterten.
„Kal`Verno...“, ihre Stimme war nicht mehr, als ein Flüstern.
Der Mann öffnete die Augen, dunkle Augen blickten in blaue. Ein Lächeln formte sich auf zwei Gesichtern.
Zwei Seelen verbunden durch den Tod.
Dann zog sie das Schwert aus seinem Körper, legte ihre schmalen Hände auf die blutende Wunde.
Nun waren sie rot.
Ein leichtes Glühen umfing ihre Fingerspitzen, weitete sich aus auf ihre Hände, ihre Arme, seinen Körper.
Das Blut gerann und die tiefe Wunde, heilte von innen heraus.
„Komm mit mir.“, sie reichte ihm die Hand und er ergriff sie.
Der Wald nahm sie auf, leises Knacken unter ihren Füßen, große Schritte über alte Knochen, dann am Ende, waren sie nicht mehr zu sehen.
Folgten einen Weg, dessen Ziel im Nebel lag.