Was ist neu

Kiki

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16.08.2003
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Kiki

4.23 27.08.03
Mein Bett riecht nach Zervixschleim.
Nach Körperflüssigkeiten und meinem sinnentleertem Leben.
Es richt nicht nach meinen Sünden von denen ich nicht weiß ob ich sie haben will oder nicht. Es richt nicht nach meinem Leben oder meiner Einsamkeit.
Es riecht nach meiner Leere.
Nach meiner vollkommenen Leere in der die einzigen Dinge die versuchen eine Rolle zu spielen meine kurzlebigen Ziele sind. Liebe, Freundschaft, Männer, Ruhm, Macht, Glück.
Irrealität – mein Ziel.
Meine Leere.
Meinen Tag habe ich mit pendeln zwischen nichts und wieder nichts verbracht. Ich habe geschlafen. Habe zufällig Freundinnen getroffen in denen ich hoffte ein Stückchen Vergangenheit einzufangen und bin mit ihnen nach Düsseldorf gefahren um am Rhein zu sitzen und Zigaretten zu essen.
Vermaledeites streben nach Vergangenheit.
Es ist alles so leer, so vollkommen leer.
Das Haargummi geht nicht aus meinen Haaren, weil ich mir eine dieser geschnürten Frisuren gemacht hab.
Habe mich danach bei wildfremden Leuten besoffen und ging nach Hause. Habe heute nichts gegessen außer Kaffee und geschnorrten Chips.
Bis dieser Jo anrief. Er sagte er holt mich ab und ich sagte OK und der Rest war Leere.
Er ist süß, interessiert sich für Pornografie, gute Filme und das Ausland. So jedenfalls habe ich ihn aus meinem besoffenen Zustand in Erinnerung. Das ist so typisch Mädchen für leere und vollkommen unbekannte Leute viel zu empfinden.
Er ruft morgen an.
Aber morgen kommt erst mal der verklemmte Teil des Wiedersehens. Mit allen eingespielten Details wie immer. So kenn ich jedenfalls die Menschen, sie haben immer ein Szenario, so dass nichts aus den Fugen gerät und keine neuen Spielsituationen erforscht werden müssen.
Alles schon mal gespielt, alles schon mal gelernt. Alles einstudiert.
Jo mag „Nicht Auflegen“.
Vielleicht bin ich ja auch nur die gespielte. Ich will die Realität gar nicht mehr wissen. Ich verschließe meine Augen vor ihr. Was hab ich denn schon vom angeblich „echten“ Bild der Welt? Keine Ahnung! Keine Ahnung!
Pure Leere.
Nichts ist neu! Alles schon mal gespielt. Es gibt keine „Improvisation“! Nur schlechte Schauspieler.
Mein Leben riecht nach Tod.
Since change is constant you wonder if people crave death because it’s the only way they can get anything finished.
Die Welt ist konstant, egal wie sie ist. Sie hat keine Eigenschaften.
Nur die Art wie wir sie ansehen in dem einen oder anderen Moment.
Pure Leere.
Ich will nicht wissen wie was ist.
Mein Leben riecht nach Schlaf.
Mein Bett riecht nach Stille.
Lass und einfach alles vergessen.
Alles.
Wirklich alles. Die ganze Welt!

05.30 – Meine Füße frieren.

***Wenn ich unter die Bettdecke schlüpfe, sehe ich kleine Rote Lichter.
Meine Füße sind kalt wie Eis.
Kleine Rote Lichter bedeuten Leere.
Wenn ich unter die Bettdecke schlüpfe verändert sich die Welt.
Da unten ist ein ganzes Reich zu entdecken.
Ich würde gern ein Buch schreiben. Aber heut zu Tage ist das einzige was gelesen wird vorpubertäre Scheiße.
Ich bin nicht unglücklich, oder unzufrieden. Ich bin nur verstört weil meine Füße so unglaublich frieren. Unter der Bettdecke leuchten die roten Lichter und ich nähere mich ihnen. Unter der Bettdecke ist es wie in der Traumwelt, es gibt keine Dimensionen oder Maßeinheiten, nichts konstantes.
Unter der Bettdecke ist es kalt wie bei den Eskimos, aber ich spüre nur noch wärme. Weil meine Seele warm ist.***


Als ich aufwachte tat mein Nacken weh. Es lag an der gottverdammten neuen Matratze die sorgte dafür, dass meine ganze Wirbelsäule zu Staub gerieben wurde. Ich ging in die Küche mit suchte nach meinem Aspirin, suchte nach meinem halben Stückchen Valium. Suchte nach den Kaffeefilter. Suchte nach meinem Lippenstift, den ich wahrscheinlich gestern hinter der Spülmaschine verloren hatte.
Es war 5:30. Draußen noch vollkommene Dunkelheit, aber die Sonne würde kommen, auch wenn ich mir wünschte sie nicht zu sehen. Ich legte das Valium weg, nahm das Aspirin und machte den Kaffee, unsicher ob ich ihn trinken sollte oder nicht. Ich zündete mir eine Winston an und sah aus dem Fenster. Wartend auf Sonnenaufgang, auf 6:00 um Kristina zu wecken, und sie zur Schule zu fahren um mich dann meinem verquirlten Leben zu widmen. Die Sterne und der Mond verblassen und der Himmel wird in ein angenehmes wärmendes blau getaucht und die Wolken sind immer mehr zu sehen, da die Sonne sie rosa anmalt. Irgendwo zwitschern hässliche Vögel und ich nippe an der Winston. Überlege, dass ich Kristina vielleicht noch eine halbe Stunde länger schlafen lassen sollte.
Der Kaffee ist fertig.
Danach ging ich in Kristinas Zimmer um sie zu wecken und an den Tisch zu rufen. „Kiki, aufstehen!!!“, so lautete mein Repertoire. Ich habe sie einige male gerufen. Einpaar mal gerüttelt. Und einmal hatte ich mir fast eingebildet sie hätte sich abwendend bewegt. Aber das hatte sie nicht, weil sie tot war. Unter der dicken Bettdecke aus synthetisch wärmenden Stoffen lag meine Tochter in ihrer eigenen Blutlache.
Was danach geschah weiß ich nicht. Die Welt hatte angefangen sich schneller zu drehen als ich. Die Nachbarin hatte meine Schreie gehört und die Polizei allarmiert. Und sie alle kreisten um mich und summten ihr Binnengesumme und ihre Stimmen füllten das Zimmer meine Tochter mit Geräuschen und Leben. Hektisch flogen sie um uns rum, mich und das junge Ding, dass ich vor 17 Jahren in die Welt gesetzt hatte. Mein einziges junges Ding. Hektik und ständigen Gebrumme um mich. Ich sah keine Menschen mehr, keine Lichter, oder Genaue Bewegungen, nein ich sah nur Lichtlinien, Menschenschatten und die Luft wie sie sich veränderte nach jeder Bewegung einer unbestimmten Person. Ich war weg, irgendwo auf einer horizontalen Fläche wo ich rennen konnte. Wo ich einfach nur vor diesem Bild wegrennen konnte. Einfach nur rennen. Es ist so viel einfacher zu rennen, der Adrenalin in deinem Blut verbietet dir zu denken. Verschnürt dir jede andere Emotion außer Glück.
Als ich wieder zu mir komme, was auch immer das heißen mag, wird Kristina mit einem weißen Tuch bedeckt wegtransportiert. Die Polizisten scharren sich um mich und befragen mich, obwohl sie wissen, dass ich nicht rede. Beruhigen mich, obwohl sie wissen, dass ich nichts höre.
In meinen Händen halte ich Kikis Tagebuch, verziert mit kleinen Pailletten. Ihr letzter Eintrag lautete: 05.30 – Meine Füße frieren.
Das lag an dieser Decke. Vollkommen aus Synthetik das Teil. Ich hätte nicht so knauserig sein sollen und ihr, die mit den echten Tierfedern holen sollen. Dann würden ihre Füße nicht so sehr frieren. Dann würde ihre Füße nie wieder frieren.


© Copyright by Alissa Berger

 

Etwas verwirrend ... ich war mir anfangs nicht ganz sicher, wem der erste Teil deiner Geschichte zugeschrieben ist (wobei man es am Ende ja doch noch erfährt). Im Nachhinein erscheint alles klar :)

Im ganzen ein trauiger Text ... Kiki ist so jung und ziemlich fertig mit der Welt (da sist der Punkt, den ich fast etwas unrealistisch finde - ich denke, zumindest ihre Mutter hätte da ein wenig aufgepasst oder Kiki selbst, da ja durchscheint, dass sie selbst nicht zufrieden ist).

Schade, dass man nicht erfährt, warum Kikis Leben so ist.

 

Hi Alkestis, danke für deine Kritik.
Warum du die Geschichte, bzw. die Tatsache das Kiki "ziemlich fertig mit der Welt" ist unrealistisch findest, versteh ich nicht.
Wie hätte ihre Mutter denn deiner Meinung nach aufpassen sollen, wenn sich das Kind zu sehr abschottet, oder ihre wilde pubertät durchmacht oder irgendsowas ;)

"Schade, dass man nicht erfährt, warum Kikis Leben so ist."
Müsste das einen bestimmten Grund haben? Ihr Leben ist eigentlich fast genausp, wie das jedes anderen Menschen, nur dass sie es eines Abends nicht so gut verdauen kann, wie der Rest der Menschheit.

LG,
delena

 

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