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Kieselsteine

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21.04.2015
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Kieselsteine

Bei Gewitter saß Oma in der Küche, Koffer auf dem Schoß, Hände auf dem Koffer. Die Finger fest ineinander verschlungen. Weiße Knöchel unter rissiger Haut, hier und da kleine Kratzer von den Stachelbeeren im Garten. Donner rollte über das Haus, hinüber zum Stall, verlor sich im Feld.
Sie saß nur da und wartete auf den Knall.

Ich sehe die Szene wie im Film.
INNEN – KÜCHE - TAG
Nahaufnahme des Gesichts meiner Oma. Zwischen den Augenbrauen eine steile Falte. Der Mund ein feiner Strich.
Manchmal erinnert sie mich an einen Vogel, der aus dem Nest gefallen ist. So schmal. Auch ein wenig plusternd, wenn sie sich aufregt.
Langsam zieht sich die Kamera aus der Küche zurück. Gleitet den Flur entlang und durch die Haustür hinaus. Regen trommelt aufs Gehäuse.
SCHNITT
Fette Tropfen klatschen in braune Pfützen. Die Kameradrohne schwebt ein paar Meter über der Einfahrt. Sie verweilt kurz, fängt den Blitz ein, der sich im dreckigen Wasser spiegelt. Dann fliegt sie Richtung Himmel, gibt den Blick frei, Stück für Stück, auf den Hof meiner Großeltern.

Er liegt auf der rechten Seite der Dorfstraße, gleich hinter der kleinen Brücke beim Ortseingang. Früher stand hier nur ein schmales Haus, der Laden meiner Urgroßeltern. Sie verkauften Dinge, die man gebrauchen konnte. Die verfügbar waren.

Hundert Jahre ist das her.
Hundert Jahre, meine Familie, genau hier.​

Irgendwann bauten sie Stallungen für Schweine und Hühner. Sie beackerten das Land, hauptsächlich Kartoffeln und Kohl. Der Laden wurde zum Wohnhaus, dahinter entstand der Obst- und Gemüsegarten mit dem Gewächshaus am Ende der Beete.
Auf diesem Hof ist Opa geboren.
Er war mal ein Baby.
Ein simpler Satz, den ich selten kapiere.

Der jüngste von vier Söhnen. Von seinem Vater hat er nicht mehr viel mitbekommen. Kurz nach Opas Geburt wurde mein Urgroßvater eingezogen. Landete in russischer Kriegsgefangenschaft und kehrte 1948 schwer krank zurück. Er schlürfte rohe Eier und Rotwein. Den ganzen Tag. Dann starb er. Gleich dort in dem Haus, hinter der kleinen Brücke rechts.

In meiner Erinnerung gibt es nur eine Straße, die den Ort durchquert, gesäumt von Gehöften und Feldern. Keine Abzweigungen, Seitenarme oder verwinkelte Gässchen. Eine Straße. Ein winziger Strich auf der Landkarte mit kaum sichtbaren Punkten auf beiden Seiten. Nach einer langgezogenen Linkskurve das durchgestrichene Ortsschild. Ab hier ewige Alleen, flackerndes Sonnenlicht zwischen Baumstämmen.
Bis zur Ostsee.

Das Gittertor vor der Hofeinfahrt ist geschlossen.

Hier, vor diesem Tor, stand meine Mutter, als sie acht war, und bewarf drei Jungs mit Steinen.​

Mein Onkel hatte damals Stress mit ein paar Typen aus der Schule. Sie standen auf der anderen Straßenseite und brüllten zu ihm herüber, er solle sich nur vom Hof trauen, dann würden sie ihm schon zeigen. Mama hörte den Lärm bis in die Küche und flitzte hinaus. Sie schrie, lasst meinen Bruder in Ruhe, ihr Doofköppe, aber keiner der Vierzehnjährigen beachtete sie. Da öffnete sie das Tor, bewaffnete sich mit Kieselsteinen, die am Wegrand lagen, und warf. Immer wieder von neuem füllte sie die kleinen Hände und schleuderte ihre Ladung auf die Gegner. So lange, bis die Halbstarken sich verzogen, wenn auch eher deshalb, weil mein Opa schließlich über die Einfahrt gestiefelt kam und polterte, dass jetzt hier ma Schluss is.
Danach hat er meine Mutter geschimpft. Du kannst doch nich mit die Steine auf die Jungs werfen, Lüdde!
Doch, konnte sie.
Konnte sie sehr wohl.

Auch ich werfe manchmal mit Kieselsteinen.​

Seit ich diese Geschichte kenne, funkelt meine Mutter bunter. Welche Farben gibt es da noch? Bevor sie meinen Vater traf, bevor ich in ihr heranwuchs und danach mein Bruder – als es nur sie gab, ohne uns.

Ich müsste mich bücken, um das Tor rechts aus der Verankerung im Boden zu heben und es aus dem Weg zu schieben.
Opa hat das immer gemacht, wenn wir zu Besuch kamen. Ich bin vom Rücksitz aus dem Auto geklettert, durch die Lücke geschlüpft, während Opa noch am Schieben war, und den schmalen Steinweg zum Haus gerannt. Oma stand auf der Schwelle, oft mit ihrer Gartenschürze um die schmalen Hüften, und beugte sich mir entgegen.

Meine Mutter hat mir die Geschichte erzählt.
Die von Oma, dem Koffer und dem Gewitter.
Seitdem kriege ich das Bild nicht mehr aus dem Kopf. Wie sie dasitzt, die Schultern hochgezogen. Bei jedem Blitz zuckt sie zusammen. Ihr Blick hetzt durchs Fenster raus in den Garten, zurück in die Küche, hinauf zur Zimmerdecke, dann zur Tür. Wenn er einschlägt, müssen wir sofort raus, sagt sie.

Ich wandle über den Hof, entdecke Details, die lange herumlagen. Irgendwo außerhalb des Sichtfelds.​

Die Tür zum Wohnhaus steht offen. Dunkel liegt der Flur vor mir. Braune Fliesen, auf denen Stiefel stehen. An der Garderobe hängt Opas schwerer Mantel, daneben Omas Regenjacke, nur halb so groß.

Oben haben wir geschlafen, mein Bruder und ich. Die schmale Treppe hinauf, unterm Dach zwei schmale Betten, so weich, dass ich Angst hatte, ich würde im Schlaf verschluckt.

Über den Träumen hängt der Geruch nach Geräuchertem.​

Jedes Mal, wenn ich am Kopf der Treppe vor der Tür zur Kammer stehe, will ich den Riegel zur Seite schieben. Opa hat die Fleischbrocken dort aufgehängt. Ich lege die Hand aufs Holz, warte, rieche. Nur, wenn Opa bei mir ist, öffne ich die Tür. Ich bleibe auf der Schwelle stehen, während er drinnen das Fleisch in Augenschein nimmt, mir erklärt, worauf man beim Räuchern achten muss. Manchmal nehmen wir ein Stück mit hinunter, manchmal nicht.

Vom Flur aus geht es links ins Bad. Ich laufe geradeaus. Eine Stufe führt in die Küche. Vor dem Fenster steht der schwere Tisch. Durch dünne Gardinen kann man den Garten sehen. Am liebsten war ich im Gewächshaus, wo Oma mit mir Tomaten gepflückt hat. Ich hab immer am Strunk gerochen, hab dabei die Augen geschlossen. Um mich herum warme und dicke Luft. Oma hat gelacht. Du bist schon ein Persönchen, hat sie gesagt.

Jetzt sehe ich sie da sitzen, an dem Tisch vor dem Fenster, auf ihrem Schoß der Koffer. Drei Mal hat sie erlebt, wie der Blitz bei den Nachbarn einschlug, ein Mal war das Haus noch zu retten, zwei Mal nicht. Meine Mutter ist bei ihr in der Küche, aber sie denkt, Mama übertreibt. Sie rutscht auf dem Stuhl hin und her, die Beine baumeln in der Luft. Was ist da drin, fragt sie. Alles, was wichtig ist, sagt Oma. Draußen prasselt der Regen, drückt Feuchtigkeit durch Ritzen, klamm und erdig.

In meinem Geldbeutel steckt ein Foto.
Ich dachte, ich hätte es verloren, beim Auszug, nach der Trennung, habe stundenlang Kisten durchwühlt. Bis ich es wieder in den Händen hielt. Auf dem Bild ist meine Mutter sechzehn. Sie lehnt an einem Felsen, das linke Bein angewinkelt.

Die Aufnahme ist schwarz-weiß, aber ich sehe Farben.​

Ihr Sommerkleid türkis, der dünne Stoff bauscht sich auf bei jedem Lufthauch. Hinter ihr unbestimmtes Grün, vielleicht eine Wiese, ein Flussufer. Gelbe Sonnenstrahlen, fein und pastellig, fallen auf ihr Gesicht.
Ich bleibe an ihrem Blick hängen. Fordernd, trotzig. Sie hat früher oft den Mund gehalten, genau wie Oma. Weil die Stimme meines Opas so gepoltert hat, sie sich dem Lärm nicht entgegenstellen konnten. Ich erkenne beide Frauen in den Zügen meiner Mutter, ihrer Haltung, dem sanften Mund. Wie viele Worte in ihrem Kopf stecken. Wie sie darauf drängen, ausgespuckt zu werden.

Manchmal ist da ein bitterer Geschmack, wenn Mama von Opa spricht. Von der Härte seines Gangs, der Wucht, mit der er mit einem Satz die Familie zum Schweigen brachte. Ich spüre ihre Wut, auch wenn sie vorüber ist. Als sie ein junges Mädchen war, hat Opa Oma betrogen. Vielleicht sogar mehrfach - was Mama weiß, ist vage.
Mein Opa, ein ordinärer Betrüger.
Ein Mann, der Fehler gemacht hat.

Mit dreizehn färbe ich mir die Haare kastanienbraun, trage schwarzen Nagellack und höre Garbage. Beim Weihnachtsbesuch steige ich aus dem Auto, zusammengepresster Mund, only happy when it rains. Ich lasse mich von Oma und Opa umarmen, schweige bei Kaffee und Kuchen, verkriech mich unterm Dach.
Vor der Bescherung gehen wir spazieren. Ein langer Feldweg, vorbei an dem Hof meiner Uroma.

Drei Männer hat sie verloren und eine Tochter. Wenn ich an ihr Gesicht denke, durchzogen von tiefen Falten, sehe ich nie Groll. Keine scharfen Züge, kein beißendes Wort. Sie war dem Leben nicht böse. Oma hat das von ihr geerbt. Oma, die keine Kindheit hatte, als älteste von drei Schwestern. Ich staune jedes Mal über ihre zierlichen Hände. Während ich hinter der Turnhalle mit dem Kerl aus der Neunten rumknutsche, hat meine Oma den Hof bewirtschaftet, die Kleinen versorgt, an der Seite meiner Urgroßmutter auf den Feldern geackert.

Heute verfällt das Haus. Bis sie neunzig war, fuhr Uroma jeden Tag mit dem Fahrrad ins Dorf. Zum Einkaufen und Schnacken. Ich hab sie nur ein paar Mal gesehen. Hab sie kaum verstanden, so platt war ihr Deutsch.

Ich wünschte, jemand hätte mir das beigebracht.​

Opa und ich fallen ein Stück hinter den anderen zurück. Ich seh zu ihm rüber, kicke Kieselsteine ins Gras. Er legt mir den schweren Arm auf die Schulter und sagt, is schon gut. Du machst dat schon.
Ich stelle mir gern vor, wie er heute sagen würde, wenn dat Kind keine Lüdden will, dann is dat so. Und wenn dat Kind erstma die Schnauze voll hat von die Männer, dann hat se die Schnauze nun ma voll. Ohne in Frage zu stellen, was andere ständig hinterfragen.

Ich drehe der Küche den Rücken zu, verlasse das Haus und überquere den Hof. Die Tür zum Schweinestall klemmt. Ich zerre sie auf, betrachte die leeren Boxen. Es riecht noch immer nach ihnen, obwohl Opa die Tiere schon lange verkauft hat. Rechts führt eine zweite Tür hinaus zu den Kaninchen.

In einem Sommer bin ich früh morgens hierher geschlichen. Die ganze Nacht habe ich mich auf die ersten Geräusche des Tages gefreut, darauf, dass der Himmel endlich sein Schwarz verliert, damit ich zu den Kaninchenbabys zurück kann. Opa hatte sie mir am Abend zuvor gezeigt, winzige nackte Gestalten, die sich in meiner Hand versteckten.
Jetzt, ein paar Stunden später nur, sind sie weg. Ich öffne den Käfig, greife vorsichtig hinein, hebe die Mutter hoch, spähe in die Ecken.
Nichts.
Im Haus klappert Geschirr. Ich presche in den Flur, Opa, die Babys sind verschwunden, warum sind die nicht mehr da? Er sagt, dass sie krank waren. Dass ihre Mutter sie deshalb gefressen hat. Ich kann nicht fassen, wie ruhig er ist. Renne erneut zum Gehege, suche in den anderen Käfigen nach den Kleinen. Das kann doch nicht sein, sage ich, als Opa nach draußen kommt. Wieso hat sie das gemacht? Sie ist doch ihre Mama. Und warum macht dir das überhaupt nichts aus? Er sieht zu mir herunter, ich zu ihm hinauf, wische mir Tränen aus den Augen. Lüdde, so is dat Leben, sagt er und legt mir seine große Hand auf den Kopf.

Da sind sie.
Die Grauzonen.​

Bloß kurz sehe ich sie in diesem Moment. Starre in den Käfig. Ich will nicht akzeptieren, dass. Ich will nicht begreifen, warum. Es macht mich stinksauer, dass in mir drin etwas sagt: Ist okay.

Ich verlasse den Stall, überquere den Hof und steige über das niedrige Tor auf die Dorfstraße. Deutsche Soldaten haben hier die Kriegsgefangenen durchgetrieben, als mein Opa ein kleiner Junge war.

Ein paar Mal habe ich versucht, mit meinen Großeltern über den Krieg zu sprechen, über die Zeit danach. Kind, das ist lange her, hat Oma gesagt. Ihre Lippen haben gezuckt. Opa hat aus dem Fenster gesehen, die Hände über dem Bauch gefaltet und geschwiegen.

Die Geschichte von den Kriegsgefangenen kenne ich nur, weil Opa sie meiner Mutter erzählt hat. Erst letztes Jahr ist das gewesen. Ich hab ihn noch nie so erlebt, hat sie gesagt. Er hat sich furchtbar geschämt.
Die Gefangenen waren gefesselt, an Hand- und Fußgelenken. Mit Stricken oder Ketten, Opa kann sich nicht mehr genau erinnern. Sie liefen gebeugt, Augen tief in den Höhlen, fahle Haut, abgezehrt bis auf die Knochen. Opa und seine Brüder standen hinterm Tor, sahen sie schon von Weitem kommen und rannten zum Komposthaufen. Als der Zug den Hof passierte, warfen die Jungs den russischen Männern verfaulte Kartoffeln zwischen die Beine. Lachten darüber, wie sie strauchelten. Die Männer bückten sich, sammelten die Knollen auf und bissen hinein. In rohe, stinkende Kartoffeln. Da haben wir nicht mehr gelacht, hat Opa gesagt. Er lief ins Haus, versteckte sich in der Küche, bis sie hinter der kleinen Brücke verschwunden waren.

Der Zug fährt in den Bahnhof ein.

Jahre liegen zwischen der letzten Ankunft und mir.​

Mama wartet auf dem Vorplatz, winkt und zieht an ihrer Zigarette. Möwen fliegen über unsere Köpfe, der Wind trägt das Meer umher, Algen und Salz.
Ein Taxi fährt uns aus der Stadt. Ab hier ewige Alleen, flackerndes Sonnenlicht zwischen Baumstämmen.
Bis zum Hof meiner Großeltern.

 

Lieber @Willibald,

schon gleich hier

Die Außenwelt der Außenwelt der Innenwelt, die Gegenwart der Vergangenheit der Gegenwart
habe ich mich gefreut, weil ich dachte, yes, du fühlst den Text so, wie ich ihn fühlbar machen wollte.

Imperfekt, Perfekt und Präsens sind nicht monopolartig für Vergangenes und Gegenwärtiges reserviert, sondern es gibt einen magischen Flow im Fokus der Tempora.
Puh, große Erleichterung auch an dieser Stelle. Ich sitze schon sehr lange an diesem Text, wollte schon immer mal was über meine Familie schreiben, hab es aber nie gebacken gekriegt. Dann gab es einen Auslöser und das Ganze hat sich Woche für Woche weiterentwickelt. War total schön zu merken, dass da was aus mir rauskam, was irgendwie schon lange rumgehockt ist ;) Aber zum Punkt: Ich hatte viele der Szenen erst im Imperfekt geschrieben, anfangs war da ganz wenig im Präsens. Aber dann hat sich das so distanziert angefühlt, nicht so, wie ich mich gefühlt habe, als ich all diese Geschichten gehört habe, bzw. wie ich mich fühle, wenn ich über das Thema Familie nachdenke. Und dann habe ich beschlossen, diese klaren Abgrenzungen der Zeitformen ein wenig zu vermischen und das hat mir gefallen, das hat sich verflochtener angefühlt. Dass das für dich nun auch noch so funktioniert, bzw. den Effekt hat, dass eben alles verschwimmt, das Jetzt mit den Erinnerungen, das freut mich mega. Danke für diese Rückmeldung.

Filmisches Erzählen vom Feinsten.
Auch hier hab ich lange überlegt, ob ich so einsteigen kann. Aber ich dachte mir, einfach versuchen, um die Ohren gehauen werden kann es mir immer noch, aber ich mag es, also mach ich's. Und mir gefällt die Vorstellung dieser Kamerafahrt, diese anfängliche Distanz, die dadurch geschaffen wird. Die Erzählerin ist da, aber doch betrachtet sie den Hof durch eine Linse, durch ein Medium, das Distanz bringt. Diese wird im Laufe der Geschichte weniger, hört aber nie so ganz auf. Irgendwie schwingt da immer sowas mit, das ist Heimat, aber gleichzeitig auch weit weg, fremd.

Damit kombiniert ein Tiefenmotiv, die Grauzone: Ein Okay für eigene Kinderlosigkeit und Kinderlosigkeit in der Welt des Stalles.
Das ist super interessant, so hab ich das - ungelogen - noch gar nicht betrachtet. Abgefahren ... Muss ich drüber nachdenken.

es ihm schon zeigen?
Das "es" habe ich absichtlich weggelassen, um in diese indirekte Rede noch mehr Rotzigkeit, Unmittelbares und Umgangssprachliches reinzukriegen. Sozusagen verkürzt von "dann würden sie ihm schon zeigen wie der Hase läuft".

Vielen Dank dir für deine Rückmeldung.
Nachdem ich nun schon ne Weile keinen längeren Text mehr zustande gebracht habe, fällt mir ein kleiner Stein vom Herzen, wie du diese Geschichte aufgenommen hast.

Schönen Abend noch!
RinaWu

 

Hallo RinaWu,

Du hast mich an die Hand genommen und ein Stück durch meine Kindheit geführt. Das mit dem Gewitter - bei mir war es Vater, der mitten in der Nacht in der Küche auf dem Stuhl saß. Wir haben erlebt, wie es beim Nachbarn einschlug oder ein Haus in der Nachbarschaft abbrannte ... wenn der Strom ausfiel bei einem Gewitter ... die Stimmung jener Zeit hast Du präzise beschrieben, ohne rührselig, aufdringlich oder geschichtsbuchartig rüber zu kommen. Wie sanfte Wassertropfen fallen die Bruchstücke zusammen und ergeben ein Bild jener Zeit, gerade mal 100 Jahre alt. Ist es Wehmut, die mich streift, ist es ein bisschen Sehnsucht nach unbeschwerten Tagen, obwohl diese Tage nicht unbeschwert waren? Opa beschreibt es gut mit seiner schweren Hand auf der Schulter. So is dat Leben. Hingenommen, angenommen, sich wenig beklagt, das Stück Erde verteidigt, bebaut, bewirtschaftet und Heimat genannt. Zuhause. Wie krass dieser Blick mit Garbage auf den Ohren durch ein Loch in der Zeit. Von hier nach dort. Ich las es drei Mal und bin sehr berührt. Danke.
Gruß Detlev

 

Hallo @Detlev und vielen Dank für deinen Kommentar.

Du hast mich an die Hand genommen und ein Stück durch meine Kindheit geführt.
Wow, das ist schön zu lesen und freut mich sehr. Es ist schon verrückt manchmal, was solche kleinen Szenen in einem auslösen, finde ich. Und was für Gedanken auch erst dann kommen, wenn man selbst älter wird. Wie man beginnt, seine eigene Familie mit anderen Augen, bzw. viel differenzierter zu betrachten.

die Stimmung jener Zeit hast Du präzise beschrieben, ohne rührselig, aufdringlich oder geschichtsbuchartig rüber zu kommen. Wie sanfte Wassertropfen fallen die Bruchstücke zusammen und ergeben ein Bild jener Zeit
Es ist wirklich schwierig, so eine Geschichte zu erzählen, ohne zu sehr ins Tell zu rutschen. Deshalb habe ich die Geschichte dann am Schluss auch doch noch einmal überarbeitet und viele Szenen im Präsens beschrieben, um genau das von dir genannte "Geschichtsbuchartige" ein wenig da rauszunehmen und es unmittelbarer zu machen. Wie Erinnerungen eben manchmal plötzlich wieder total real sein können, sich auf einmal ganz nah anfühlen. Es freut mich sehr, dass die Bruchstücke für dich zusammenwachsen, denn auch das war eine Sorge von mir. Ob das zu viele Szenen sind, ob das zu bruchstückhaft ist, oder ob es funktioniert, dass die Ausschnitte am Schluss ein Bild ergeben. Danke für diese Rückmeldung.

Hingenommen, angenommen, sich wenig beklagt, das Stück Erde verteidigt, bebaut, bewirtschaftet und Heimat genannt.
Ja. Ganz anders, wie ich jetzt lebe. Und dennoch bin ich ja genau daraus entstanden. Familie ist schon so eine Sache. Ich bin beim Schreiben da auch vom Hundertstel in Tausendste gekommen, musste dann schlussendlich doch wieder viel aussortieren, um das Ganze nicht zu überfrachten. Denn genau das, was du erwähnst, wollte ich transportieren. Diese völlig andere Herangehensweise an das Leben damals. Und zwar ohne das zu bewerten. Denn natürlich macht die jeweilige Zeit auch einfach was mit den Menschen. Aber die Bescheidenheit, die in diesem Leben liegt, auch eine Härte und Kraft, die zieht sich dann manchmal durch die Generationen, ohne dass es einem vielleicht auf Anhieb bewusst ist.

Ich las es drei Mal und bin sehr berührt.
Freut mich sehr, danke dir.

Viele Grüße
RinaWu

 

Hallo RinaWu,

danke für die vielen lieben Zeilen. Und toll, wie Du meine Worte verstanden hast - ist ja nicht immer leicht, sich verständlich auszudrücken. :hmm: Bei Deinem Schreibstil und Deinem Gespür für den Inhalt Deiner Erzählung lege ich Dir nahe, ein Buch über dieses Thema zu schreiben, falls nicht schon geschehen. Grüße - Detlev

 

Liegt es an den „Grünen“, dass es in Europa rumpelt?

Die Frage ist natürlich ironisch gemeint, hat doch seinerzeit Joschka Fischer & Co. den „Balkankrieg“ erleiden müssen …
und schon Deine ersten Zeilen,

liebe Mme. Wou,

erinnern mich an meine alte Dame, „Frau Mutter“, – die bei Gewitter am liebsten in den Keller „geflüchtet“ wäre -
und einmal ist alles aufgefrischt worden, ist der Schreck auch für uns Brüder real geworden – wir waren bei Verwandten im Münsterland, "Prärie", wenn man so will, als der Blitz buchstäblich ins Nachbarhaus einschlug … Zwo Häuser auf weiter Flur - und wir kamen mit dem Schrecken davon ...

Alles schon gesagt, bis vllt. auf diese Raum-Zeit-Vermischung im sehr irdischen Straßenbau

Ab hier ewige Alleen, flackerndes Sonnenlicht zwischen Baumstämmen.

Vllt. besser „[schier] endlosen Alleen“,

meint der

Friedel,

der mit einem "sehr gern gelesen" schließt ...

 

Lieber @Friedrichard,

schön, von dir zu lesen.
Hier in München gewittert es gerade - kein Witz - und ich finde, das ist die perfekte Stimmung, um dir zu antworten.

Sehr interessant, welche Assoziationen/Erinnerungen allein die erste Szene beim Leser auslöst. Hätte ich gar nicht gedacht, dass das bei so vielen Eltern/Großeltern so ähnlich war. Aber irgendwie macht es auch Sinn, so sehr ich selbst zum Beispiel Gewitter total mag, so sehr war es früher einfach eine Bedrohung, die das eigene Heim innerhalb von Minuten zerstören konnte.

Vllt. besser „[schier] endlosen Alleen“,
Da muss ich mal drüber nachdenken, Friedel. Ich mag nämlich das "ewig", das ja ein rein zeitliches Wort ist, hier in der Benutzung für eine räumliche Beschreibung eigentlich ganz gerne, weil es das Ganze ein bisschen bricht, bzw. das auch wieder dieses Gefühl unterstützt, dass Raum und Zeit sich miteinander verflechten.

Freut mich sehr, dass die Geschichte dir gefallen hat.
Liebe Grüße
RinaWu

 

Da muss ich mal drüber nachdenken, Friedel. Ich mag nämlich das "ewig", das ja ein rein zeitliches Wort ist, hier in der Benutzung für eine räumliche Beschreibung eigentlich ganz gerne, weil es das Ganze ein bisschen bricht, bzw. das auch wieder dieses Gefühl unterstützt, dass Raum und Zeit sich miteinander verflechten.

Nur ganz kurz - und natürlich bleibt Dear die Ewigkeit unbenommen,

liebe Mme. Wou,

aber ich geh mal von aus, dass die "Allee" nicht grundlos klingt wie das frz. Laufen (aller) und selbst der VW, der in der Werbung anno tobac lief und lief und ... hat irgendwann sein Ende gefunden (noch zu unseren Lebzeiten). Aber, wie sagt mancher so gerne, alles ist relativ, die Nordsee ist relativ klein, ein Kaffeefleck auf der weißen Bluse relativ groß und vor allem auffällig ...

Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass einiges ziemlich lange währt ...

Nur ma' so aus'm Pott vonnet

Dante Friedchen

 

Hallo @RinaWu


mir hat dein Text sehr gut gefallen. Dein Blick in die Vergangenheit mit den liebevoll beschriebenen Großeltern. Du hast mich in eine Zeit mitgenommen, die so ganz anders ist als die heutige, die mir jedoch auch bekannt ist und so konnte ich jeden deiner Schritte gut mitgehen.
Mir gefällt es, wie du deine Verbundenheit mit diesem Ort zeichnest und ich spüre auch eine gewisse Sehnsucht in diesem Text, vielleicht kann man es auch Melancholie nennen.

Sie saß nur da und wartete auf den Knall.
Das würde ich weglassen denn ich kann nicht glauben, dass sie auf einen Knall ( du meinst Donner oder) wartete. Meine Oma hatte da einen Rosenkranz in der Hand betete.
Ich sehe die Szene wie im Film.
Nahaufnahme.
Das verkrampfte Gesicht meiner Oma, die mich manchmal an einen Vogel erinnert, der aus dem Nest gefallen ist. Sie ist so schmal und auch ein wenig plusternd, wenn sie sich aufregt. Langsam zieht sich die Kamera aus der Küche zurück. Gleitet durch den Flur und die Haustür hinaus in den Regen. Er trommelt aufs Gehäuse.
Fand ich so toll diese Idee mit der Kamera.
Dann fliegt sie Richtung Himmel und gibt den Blick frei, Stück für Stück, auf den Hof meiner Großeltern.
Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden. Die Drohne fliegt in den Himmel und gibt den Blick frei?
Sie verkauften Dinge, die man gebrauchen konnte. Die verfügbar waren.
Mich hätte interessiert was für „Dinge” sie verkauften. Dass die verfügbar sind hätte ich auch weggelassen, dass ist klar.
Danach hat er meine Mutter geschimpft. Du kannst doch nich mit die Steine auf die Jungs werfen, Lüdde! Doch, konnte sie. Um ihren Bruder zu verteidigen, sich Gehör zu verschaffen, konnte sie das sehr wohl.
Toll, so klasse geschrieben.
Ich müsste mich bücken, um das Tor rechts aus der Verankerung im Boden zu heben und es aus dem Weg zu schieben.
Das habe ich auch nicht verstanden: Warum bücken?
Über den Träumen hängt der Geruch nach Geräuchertem.
Diesen Satz finde ich auch schön.
Draußen prasselt der Regen, drückt Feuchtigkeit durch Ritzen, klamm und erdig.
Ebenso einer meiner Lieblingssätze …
Während ich hinter der Turnhalle mit dem Kerl aus der Neunten rumknutsche, hat meine Oma den Hof bewirtschaftet, die Kleinen versorgt, an der Seite meiner Urgroßmutter auf den Feldern geackert.
Dieser Vergleich mit der Gegenwarts ist toll.
. Ich wünschte, jemand hätte mir das beigebracht.
Ja.
Ohne in Frage zu stellen, was andere ständig hinterfragen.
Großväter können schon etwas wunderbares sein.

Sie ist doch ihre Mama. Und warum macht dir das überhaupt nichts aus? Er sieht zu mir herunter, ich zu ihm hinauf, wische mir Tränen aus den Augen. Lüdde, so is dat Leben, sagt er und legt mir seine große Hand auf den Kopf.
In dem Moment sehe ich sie zum ersten Mal. Die Grauzonen. Bloß kurz und ohne sie zu begreifen, starre ich in den Käfig und will nicht akzeptieren, obwohl etwas in mir sagt, ist okay.
Das habe ich auch erlebt und das tut weh und da ist dann diese große Opa Hand …
Opa und seine Brüder standen hinterm Tor, sahen sie schon von Weitem kommen und rannten zum Komposthaufen. Als der Zug den Hof passierte, warfen die Jungs den russischen Männern verfaulte Kartoffeln zwischen die Beine. Lachten darüber, wie sie strauchelten. Die Männer bückten sich, sammelten die Knollen auf und bissen hinein. In rohe, stinkende Kartoffeln. Da haben wir nicht mehr gelacht, hat Opa gesagt. Er lief ins Haus, versteckte sich in der Küche, bis sie hinter der kleinen Brücke verschwunden waren.
Das ist natürlich auch Thema dieser Zeit gewesen und prägte diese Generation und uns, die wir Verbunden sind mit den Menschen und ihren Geschichten.


Danke für deine Zeitreise und diese sprachlich so schön geschilderten Begebenheiten.

Liebe Grüße CoK

 

Hallo @CoK und vielen Dank für deine Anmerkungen!

Mir gefällt es, wie du deine Verbundenheit mit diesem Ort zeichnest und ich spüre auch eine gewisse Sehnsucht in diesem Text, vielleicht kann man es auch Melancholie nennen.
Schön, dass das rüberkommt. Ich muss sagen, dass Heimat für mich persönlich eine ganz seltsame Sache ist. Irgendwie verbunden und sehnsüchtig, ja. Aber auch fremd und als jetziger Lebensort nicht vorstellbar. Zerrissenheit trifft es wohl ganz gut.

Das würde ich weglassen denn ich kann nicht glauben, dass sie auf einen Knall ( du meinst Donner oder) wartete.
Nein, ich meine nicht Donner, ich meine den Knall, wenn der Blitz einschlägt. Da genau das ja das ist, was ihr Angst macht, worauf sie wartet, wonach sie sofort das Haus verlassen wird, wenn es passiert. Daher würde ich das ungern streichen.

Die Drohne fliegt in den Himmel und gibt den Blick frei?
Ja. Sie hängt ja erst ganz nah über der Pfütze, fängt den Blitz ein und erhebt sich dann Richtung Himmel. Dadurch wird das Sichtfeld der Kamera automatisch immer größer und sie gibt somit den Blick frei auf den kompletten Hof und nicht nur Ausschnitte davon.

Das habe ich auch nicht verstanden: Warum bücken?
Weil das Tor niedrig ist. Ich schaue mal, ob da noch jemand drüber stolpert, dann mache ich das deutlicher. Denn eigentlich war die Idee durch dieses Bücken ein Bild entstehen zu lassen, ohne das Tor eindeutig zu beschreiben.

Freut mich sehr, dass die Idee mit der Kamerafahrt am Anfang dir gefallen hat und auch, dass ich dich mitnehmen konnte auf diese kleine Zeitreise. Es ist schön zu sehen, was, bzw. welche Erinnerungen die Geschichte bei anderen auslöst.

Viele Grüße und einen guten Start ins Wochenende!
RinaWu

 

Hallo RinaWu,
die stärkste Stelle war das mit den russischen Kriegsgefangenen. Dein Opa muss doch im Innersten ein anderer gewesen sein, weil er sich sein Leben lang dafür geschämt hat. Meine Mutter hat mir auch erzählt, dass mein Großvater, dort wo er gearbeitet hat (Schlosser im Wasserturm), Kriegsgefangenen Brot zugesteckt hat. Bei den französischen Kriegsgefangenen wurde das nicht so geahndet, aber bei den Russen war das gefährlich. Ich war immer deswegen stolz auf meinen Großvater, den ich aber nur als mürrischen Gesellen kenne, der nur in der Vergangenheit gelebt hat und sich nicht für mich interessiert hat und für meine Mutter auch nicht. Aber auch er muss ja andere Seiten gehabt haben, wovon er aber nichts merken ließ.
Gruß Frieda

 

Hallo @Frieda Kreuz,

ich finde es auch beeindruckend, wie sehr ihn diese Szene noch heute beschäftigt. Und wie lange er darüber nicht gesprochen hat, eben wegen genau dieser Scham, die er damit verbindet. Für mich ist das total schwer zu begreifen im Sinne von - wie bewerte ich das? Und ich will es irgendwie gar nicht bewerten. Ich möchte vielmehr verstehen, was meine Großeltern für ein Leben geführt haben, weil ich - je älter ich werde - immer mehr kapiere, dass ich so gut wie nichts über sie weiß, bis auf die hard facts. Und das ist irgendwie traurig.

Siehst du, bei mir ist es umgekehrt, mein Opa war immer total liebevoll, also schon ruppig und direkt, ein Nordlicht eben, aber er hat mir immer das Gefühl gegeben, wird schon alles! Als Vater war er da schon anders - und auch das finde ich total interessant, weil ich mir diesen Mann von früher so schwer vorstellen kann. Ja, Familie ist schon so eine Sache, je tiefer man gräbt, desto mehr Dinge findet man, schöne und unangenehme.

Danke dir für deine Gedanken zu meinem Text.
Viele Grüße
RinaWu

 

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