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Kescher und Knarre

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27.06.2024
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Anmerkungen zum Text

Die Geschichte entspringt der Methode des Roman-Stechens. Eine zufällige Seite eines Romans wird aufgeschlagen und der erste Satz, der einen in die Augen springt, wird als Ausgangspunkt genutzt. Der dick gedruckte Text ist aus dem Buch "Der Pate", daraus ist dann mein eigener Text entstanden. Keine Sorge, es ist nur der kurze Satz. Es sind keine Spoiler zum eigentlichem Roman enthalten.

Kescher und Knarre

Vito Corleone hatte sich durch die Demütigung der Capones zu sehr von Wut und Rache verleiten lassen. Wieder und wieder die Machenschaften der Capones zerschlagen, das Blut ihrer Familienmitglieder im Waschbecken verschwinden lassen und beim täglichen Abendgebet sich von den Sünden gesäubert.
Doch auch wenn die heilige Maria gnädig ist, so war sich Vito zumindest immer sicher, schon als kleiner Junge hatte das Mama gesagt, so war es der kalte, stählerne Pistolenlauf an seiner Schläfe nicht. Der Mann, der neben ihm steht und Vito die Waffe dagegen presst, wirkt nicht sehr gnädig. Keine Gnade für seinen gleich zerplatzenden Stirnlappen. All die Bilder und Erinnerungen würden als Hirnmatsch auf dem dreckigen Lagerhallenboden landen. Unlesbar für alle. Schließlich wäre alles matschig rot und die, die den Fleck sehen würden, ekeln sich wohl eher.

Keiner würde darin sehen welche Freude Vito durchströmte als Mama ihm einen Kescher gebastelt hat. Einen extra eng gewebten, der Stab aus robustem Kiefernholz, um selbst große Fische aus dem salzigen Meer zu fangen. Es würde auch keiner darin lesen wie traurig er war, als er eine Schaufel Erde auf den blasen, leblosen Körper seines besten Freundes warf, um die Mordleiche zu beseitigen, nur weil es der Don damals befahl. Er hatte das erste mal geweint, nachdem er wen umgebracht hat. Die Hände auf seine Augen gelegt, drückte er sie fest an sich. Er wusste noch, wie aufgequollen er danach aussah, sodass er Marcella versetzen musste. Wie so oft. Doch damals das letzte mal, wie sich herausstellte.

Es würde auch niemand erfahren wie gerne er nur einmal einen dampfend heißen Cappucino auf dem Balkon des Casa Cipriani Milano trinken wollte. Ganz gemütlich, während imposante Kirchen trotz ihrer hundert jährigen Schönheit, unter den Alpen, die mit einer millionen-jährigen Schönheit dominieren, fast schon wertlos wirken. Und guten Wein. Er möchte Rotwein aus Norditalien trinken. Burlotto Barolo. Halbtrocken. Ihr Nachbar, der viel gereist ist, hat Mama und Papa immer eine Flasche mitgebracht. An diesen Abenden gings ihnen immer gut. Dann lagen sie sich in den Armen, leicht schaukelnd zur Musik.

„Betest du?“ drängelt sich eine Stimme zwischen Vito's Gedanken. Der Mann mit der Waffe tippt leicht gegen Vito's Kopf. Vito öffnet die Augen. „Ich bin vielleicht dein Henker“ sagt der Mann „ich bin aber auch ein gläubiger Mensch. Wenn du Gebete hast dann geb' ich dir eine Zigarette lang Zeit.“ Ohne zu zögern fischt er mit seinen Zähnen eine Zigarette aus der Schachtel, die er sich prompt anzündet. „Nur eine Zigarette lang, hörst du“ mahnt er nochmals. Der Qualm beißt in Vito's Augen. Er schließt sie wieder.

Nur die Worte, die er jedes mal in der kleinen Kapelle sprach, fielen ihm ein. Die Kapelle hatte immer knatschige Bänke, die gleichzeitig verblichen waren, von den ganzen Hintern der betenden und sündigen Leute. „Ave Maria, piena di grazia...“ beginnt Vito leise die Wörter vor seinem innerem Augen abzulesen. Wie Maria, die heilige Maria wohl wirklich aussieht? Würde er sie wohl anschauen dürfen? Vielleicht weiß sie sogar seinen Namen. Immerhin hallte sein Name nicht selten durchs Essenszimmer. Bei Tisch hatte er als kleiner Junge oft das Gefühl, dass die hölzerne Statue, auf der urigen Kommode, ihn anschaute. Ganz zart, gar nicht herabschauend oder so was. „Bambino“ sagte Papa immer „tu nichts was Santa Maria böse auf dich macht.“ Davor hatte Vito allerdings nie Angst. Dafür schien die Figur zu gutmütig. Doch den einen Tag, als er am Essenstisch saß und seine Faust fest um den abgegriffenen Zinnsoldat schloss, versteckt in der Hosentasche, da hatte Vito das Gefühl, Santa Maria hatte ihn enttäuscht beäugt. Als hätte sie ganz genau mit angesehen, wie er kurz davor den Zinnsoldaten seinem Freund heimlich aus dem Regal stahl.
Erwartet ihn der gleiche enttäuschende Blick, wenn er hier und heute mit all den Gräueltaten im Gepäck die Reise ins Jenseits antritt?

Aber im Himmel tut sowieso nichts weh. Zumindest hatte das der Pfarrer immer gesagt. Im Himmel herrschte Sicherheit, Frieden und Sorglosigkeit, hat der Pfarrer zu den Kindern gepredigt. Ganz anders als Guiseppe, der den kleinen Fischerladen, ein wenig abgelegen von den anderen Häusern im Dorf besaß. Er war der einzige der Sonntags nie in die kleine Kapelle kam. Papa meinte er sei ein von Satan geplagter Heide und er sollte sich ja von ihm fernhalten. Vito hatte allerdings keine Sorge, vor dem beschwipsten Mann. Der Satan, von dem Papa geredet hat, kam ganz klar aus der Flasche, die Guiseppe sich regelmäßig an die Lippen legte. Fast jeden Abend torkelte er mit roten Wangen durch die wenigen Gassen. Vito hatte ihn als kleinen Jungen einmal gefragt warum er denn immer trank. Da hatte Guiseppe sich runter gebeugt, seine Augenlieder auf Halbmast und einem säuerlichem Atem gesagt: „Is' zur Überbrückung. Damit dieser Trümmerhaufen schnell vorbeizieht.“ „Welcher Trümmerhaufen“, hatte Vito damals nachgehakt. „Mein Leben, Vito. Von diesem Trümmerhaufen rede ich. Bei manchen ist es ein stetiges aushalten, statt genießen." „Also freust du dich etwa auf deinen Tod?“ erwiderte Vito mit einem verwunderten Blick. „Hast du gar keine Angst davor?“ fügte er hinzu. Guiseppe grunzte hämisch. Dabei schwankte er so stark hin und her, dass Vito befürchtete sein bulliger Körper kracht gleich auf das Pflaster. Doch als Guiseppe wieder die Kontrolle über sein Gleichgewicht hatte, schaute er den kleinen Jungen ernst an. „Vito...Bambino. Tot sein...is tot sein.“ Er räusperte sich. „Fühlt sich...genau so an...wie das Gefühl vor der Geburt. Nach nichts. Also tuts auch nicht weh.“

Vito wusste noch genau wie ihn dieser Gedanke, selbst wenn er nur einem Trunkenbold aus dem Dorf entsprang, noch lange beschäftigt hatte. Der Pfarrer war gar nicht froh, als Vito ihn darauf ansprach. Er wurde sogar regelrecht wütend. Mama und Papa haben davon nie erfahren. Sollten sie auch nie, weshalb er es für sich selber auch schnell vergessen wollte und fleißig die Verse lernte, die der Pfarrer jeden Sonntag erhaben durch die kleine Kapelle sprach.

Doch nun muss er wieder an Guiseppe denken, während der Tod in einer harten, kühlen Pistole steckt, die immer noch an seine Schläfe drückt. Der Mann der sie führt riecht nach billigem Rasierwasser. Vito hätte sich für seinen Henker mehr Stil gewünscht.

Es tut nicht weh tot zu sein, denkt sich Vito. Er weiß nicht, was ihn mehr tröstet. Die gutmütigen Arme der heiligen Maria oder die verworrenen Lebensweisheiten von Guiseppe. Dann nimmt er ein zischen war. Dann das Geräusch eines Lederschuhs, der auf dem Boden schabt. Dann ein klicken.

Langsam schreitet der Mann mit den Lederschuhen und dem billigen Rasierwasser um den reglosen Körper. Er tippt gegen die Schulter der Leiche. Die Kugel hat sich quer durch den Kopf gefetzt, was er daran erkennt, dass etliche große Blutflecken auf dem dreckigen Boden der Lagerhalle verteilt sind. Die Nase rümpfend schaut er auf die roten Pfützen die den zerplatzten Kopf verlassen haben. Kurz hält er inne, während er die Spiegelung im Blut betrachtet. Dann ging er.

 

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