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Kerzenschein in dunkler Nacht
Dies ist die Überarbeitung meiner LOVE STORY
„Vorwärts Marsch! Bewegt eure faulen Knochen!“
Wir stapfen durch den eisigen Schnee, die Füße in Lumpen gewickelt. Manche haben nicht mal das. Ab und zu hallt ein Schuss durchs Lager. Wieder hat es einer geschafft, geschafft aus dieser Hölle zu entkommen. Es sind schon Jahre vergangen, wer weiß wie viele?
Sie kommen und sie gehen, genauso wie die Menschen. In Viehwagons gepfercht und wieder entlassen durch das Feuer eines blinden Hasses.
Hier habe ich gelernt, dass wer die Hoffnung aufgibt, im Graben landet, genauso, wer die Liebe erlöschen lässt.
Deshalb achte ich darauf, dass mir keine meiner Erinnerungen verloren geht. Sie geben mir Hoffnung auf ein Danach.
Vater geht mit mir spazieren, es ist Sonntag. Die Sonne scheint durchs Blätterdach als wir die mit Birken gesäumte Allee am Rande des Flusses erreichen. Wir versuchen, Vögel nach ihrem Gesang zu bestimmen.
Da kommt uns ein alter Mann entgegen. Er ist in schmutzige Klamotten gehüllt. Er humpelt, stützt sich auf einen Stock, hat einen ängstlichen Ausdruck im Gesicht.
„Vater, was hat dieser Mann?“ flüstere ich.
„Das Glück hat ihn im Stich gelassen“, raunt Vater zurück. Sein Gesicht zeigt Abscheu, als er das sagt.
Mein edler und gerechter Vater! Wo hatte ihn das Glück begünstigt, als sie nachts kamen und ihm Frau und Tochter nahmen, als sie ihn aus nächster Nähe gerichtet haben?
Meine Hände sind blau, ich spüre die Finger nicht. Diese Finger, die einst Chopain spielen konnten, sind heute dazu bestimmt, die Schaufel zu halten. Sie sind unter der Kontrolle von denen dort, die mit dem Maschinengewehr regieren.
Da sehe ich sie wieder. Sie kommt aus der Baracke mit den anderen Frauen. Wie wir alle gleicht sie einem mit Haut bespanntem Knochengerüst. Alle Weiblichkeit ist verdorrt, wie eine Lilie ohne Wasser. Aber, sie ist es einfach.
Mir ist egal, wenn ich nichts über sie weiß. Ich habe gehört, sie heißt Hannah. Das reicht mir. Meine Hannah …
„Augen auf den Boden, beweg' dich du Hund!“
Ich spüre die Härte eines Gewehrkolbens in meinem Kreuz. Fast wäre ich gestürzt, fast wäre es zu Ende mit mir gegangen. Nur ein Gedanke hält mich noch fest auf den Stelzen, die einst meine Beine waren: Es ist der Gedanke an ihre Augen, in die ich vor einiger Zeit blicken durfte.
Ich sah sie zufällig im Vorübergehen. Nein, es war wohl eher Fügung, es war Gottes Wille, dass ich hineinblickte. Ich habe mich in ihnen gespiegelt, darin das Bild meiner Leiche betrachtet. Sie lächelte.
Da war es dieses Glück, von dem Vater sprach. Es war die Wirklichkeit des Glücks: unendlich weit, Trost und Geborgenheit spendend.
Langsam erlischt der brennende Schmerz meiner Rippen. Sollen sie mich doch misshandeln, einäschern, in die Winde verstreuen, niemals werden sie es mir wieder nehmen können. Es ist ihnen auch egal. Es zählt nicht.
Ich glaube, es hat sie verstoßen.
Die Gruppe der Frauen bewegt sich in Richtung der Anlage. Ein ständiger Ascheregen hat die Umgebung geschwärzt. Jeder weiß, dass es von dort keinen Ausgang gibt. Aber niemand spricht darüber, wie als gäbe es ein stillschweigendes Abkommen. Was hätte Reden hier auch für einen Sinn gehabt?
Ich versuche den Gedanken zu verdrängen, sie das letzte Mal gesehen zu haben. Zu was wären meine Augen dann noch nütze, was hätte mein Leben noch für einen Wert?
Vater und ich kommen nach Hause zurück. Es duftet nach frisch gebackenem Kuchen. Meine kleine Schwester sitzt am Esstisch. Freudig steht sie auf, eilt uns entgegen um uns kosten zu lassen. Da stolpert sie und fällt mit samt dem Kuchenstück vor uns hin. Als sie alles auf dem Boden sieht, beginnt sie jämmerlich zu heulen.
Mutter kommt herbeigeeilt und nimmt sie auf den Arm. Sie trocknet ihre Tränen und singt ein altes russisches Wiegenlied. Es handelt von einem Mädchen, das seinen Liebsten verloren hat und ihn unendlich vermisst. Mit gebrochenen Herzen und vor lauer Kummer muss sie sterben. Am Ende treffen sie sich wieder, irgendwo unter einem Baum.
Uns Kinder hat Mutter damit immer getröstet. Sie hat auch erzählt, dass die, die sich lieben, niemals fern voneinander wären.
„Herzen sind Brücken“, hat sie uns gesagt.
Die Gruppe ist nun fast angelangt. Die Tür der Anlage gleicht dem Schlund eines Monsters. Wie sehr ich mir wünsche, dass sie sich jetzt zu mir umdreht und mir ein Zeichen gibt.
Aber wahrscheinlich weiß sie nicht mal, wer ich bin.
Wenn ich nur könnte, würde ich zu ihr hinrennen und sie umarmen, so fest ich nur kann. Mein Leben schenkte ich ihr.
Doch käme ich wohl nicht mal in ihre Nähe, ohne mit Kugeln vollgepumpt zu werden.
Vielleicht denkt sie jetzt an die Menschen, die sie geliebt hat.
Nein, sie hat bestimmt keine Furcht. Ich merke, wie ich Mutters Lied summe.
Da kann ich nicht mehr an mich halten und schreie so laut ich nur kann:
„Hannah! Ich liebe dich!“
Und sie dreht den Kopf zu mir.
Plötzlich eine Explosion. Flugzeuge donnern über uns. Es herrscht große Aufregung. Als die Menschen durcheinander rennen, denkt jeder nur an sich selbst, nur daran, weiter zu leben. Ich nicht. Ich renne zu ihr, sie streckt mir die Hand entgegen. Wir laufen zum Zaun. Wir springen ab und fliegen. Hand in Hand schweben wir über die Wälder. Uns wird ganz warm. Wir steigen höher und höher. Sie lächelt mir zu. Und ich bin so glücklich.