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Kered X Karib
Gelegentlich bastelten wir mit den vielen Fertigsuppenpackungen, die sich angesammelt hatten, um so unserer Wegwerffaulheit einen Sinn zu geben. Wie man sich vorstellen kann, ist es allerdings nicht möglich, mit diesen Pappschachteln allein etwas zu bauen, das wirkt, als sei es auf der Höhe der kontemporären bildenden Kunst: Immer wieder sahen wir uns gezwungen, zu Materialien wie Kreppband und Whisky zu greifen, um die Werke mit dem richtigen Geiste zu tränken.
Vom ewigen Abwaschen hinterher wurden meine Hände ganz trocken.
Als ich einmal wieder genug Energie gehabt hatte, um aufzuräumen, aber lieber etwas anderes hatte machen wollen, hatte ich in der Zeitung eine Anzeige aufgegeben, um Schüler zu finden, die Werke von uns im Kunstunterricht einreichen könnten. (Zwischen den vielen herumstehenden Basteleien gab es mittlerweile kaum noch freie Plätze, wo sich das Rohmaterial ansammeln konnte.)
Jetzt klingelte das Telefon und es meldete sich eine Stimmbruch-Stimme, die von ihrem Besitzer behauptete, er habe eine ausreichend schlampige Kunstlehrkraft und ausreichend wenig eigenen Ausdrucksdrang, um bei unserem Vorhaben voll dabei zu sein.
Wir wollten ihn einladen, vorbeizukommen und sich ein passendes Ding auszusuchen, aber er hatte nichtmal Interesse. Er sagte, wir sollten dann einfach zur Präsentation kommen und ihm sein Ding mitbringen. Er verlasse sich auf uns.
Also jetzt ein paar kurze Worte zu uns. Wir sind gar keine Menschen. Ein ziemlich bekannter Künstler hat uns zusammengeschustert (wir sind nicht gerade Schönheiten) und zum Leben erweckt. Aber bald hatte er keinen Bock mehr auf uns (wahrscheinlich wegen unserem schlechten Kunstgeschmack) und setzte uns in eine heruntergekommene Dachgeschosswohnung, wohin er uns jeden Monat 500 Euro zum Leben schickt. Das reicht grade so, aber auch nur, wenn man sich auf Tütensuppen und Whisky beschränkt. Hinzu kommen Versandkosten, da wir uns alles im Internet bestellen müssen, da unsere Erscheinung so viel Aufsehen erregt, wenn wir nach draußen gehen. Warum man sich sowas gefallen lässt? Miese Geschichte, wir mussten gleich nach unserer Erschaffung Verträge unterschreiben, die uns ziemlich knebeln. Aber besser als sofort den Garaus gemacht zu kriegen, right?
Nun, natürlich wollten wir zur Präsentation des Jungen. So oder so. In irgendeiner Art selbst Ausstellungen zu organisieren oder auch nur teilzunehmen, verbot uns nämlich der Vertrag mit dem fiesen bekannten Künstler. Wir konnten nur hoffen, mit der geplanten Aktion unter dem Radar zu fliegen. Wir waren ja auch keine sehr guten Künstler. Unser Werk würde sicher kein Aufsehen erregen zwischen denen der Schüler. Aufsehen war nämlich verboten, insgesamt.
Zwei Tage arbeiteten wir an unseren Verkleidungen.
Ich sagte zu Kered, dass ich ein gutes Gefühl hätte. Er sagte, er sei sich nicht so sicher. Er sei ein wenig ängstlich. Falls Wesen wie wir Angst fühlen könnten. Ich sagte: »Ich denke schon, dass wir Angst fühlen können. Wir können auch so viele andere Dinge fühlen, oder nicht?« (Aber ich war mir nicht so sicher. Ich dachte nach, ob mir noch andere Gefühle einfielen als mieser Ausdrucksdrang.)
Wir trafen uns mit unserem Proxy in sicherer Entfernung vom Schulgebäude und übergaben ihm das Kunstwerk in einer Plastiktüte. Dann nahmen wir einen anderen Weg zur Schule als er, so dass wir etwas später kamen, um jedwedes Verdachtsmoment zu vermeiden.
Im Präsentationsraum waren etwa zwanzig Erwachsene, wohl Eltern. Unser Proxy baute grade unser Werk auf. Wir stellten uns an einen Stehtisch, an dem noch niemand stand. Dort begannen wir, so viel Kaffee und Kuchen in uns reinzuschlingen, wie unauffälligerweise möglich war, während wir die Besucher bei der Begutachtung der Ausstellungsobjekte beobachteten. Bei der Begutachtung \emph{unseres} Werkes begutachteten. Ach ja. Ich muss schon sagen. Es fühlte sich sehr gut an. Jeder Blick darauf war wie ein warmer Strich direkt in meinem Inneren.
Als ich bei meinem dritten Stück Kuchen (Pflaumenkuchen) war, sagte jemand, der vor dem Werk stand: »Schon ziemlich gut.«
Jemand anderes, der daneben stand, sagte: »Naja.«
Dann stellte sich eine Frau zu uns an den Tisch und fragte: »Und wer sind Sie?« Wir waren nicht unauffällig genug gewesen.
Aber Kered bewies Geistesgegenwart, indem er die gleiche Frage übertrieben unfreundlich wiederholte, was die Frau weit von uns wegstieß.
Ich sagte: »Ich hoffe nur, das wird uns jetzt nicht auf die Füße fallen.« Dann fiel mir ein, dass wir diesen Satz mit schwarzem Stinkstift im Inneren des Werks untergebracht hatten. Mit aufwallender Panik hob ich den Blick vom Pappteller und sah mich um, ob jemand was gemerkt hatte. Es schien nicht so. Ich atmete auf.
Kered sagte: »Oh man.«
Ich blickte betrübt zurück auf den Pappteller. Dann schielte ich wieder zur Seite, in Richtung unseres Werks. Es fand so wenig Beachtung wie alle anderen. Da atmete ich wieder ein bisschen auf.
Eine ereignislose Viertelstunde später sagte ich: »So richtig viel bringt es nun auch nicht.«
»Vielleicht hätten wir eins von denen nehmen sollen, die nach Whisky riechen«, antwortete Kered.
»Oder das, auf das du raufgekotzt hast«, sagte ich, »herrje, das muss eh bald mal weg.«
Dann wurde ich mir des verdächtigen Gesprächsinhaltes bewusst und blickte mich panisch um. Zuerst guckte niemand. Aber dann traf ich den Blick der Frau, die sich vorhin zu uns an den Tisch gestellt hatte.
»Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein vorhin«, sagte sie, als sie mittels dreier Schritte wieder zu uns gekommen war. Offenbar hatte sie meinen Blick irgendwie gedeutet. Und jetzt fiel Kered keine Maßnahme mehr ein.
Also sagte ich: »Ja, naja. Ist doch schon okay.«
»Ein hübsches buntes Hemd haben Sie an«, sagte die Frau, »passend zur Ausstellung, he, hi.«
Ich gab alles, die Panik zu unterdrücken, starrte stur auf den Pappteller voller Krümel und sagte: »Ja, naja.« Dann lugte ich zu Kered, um zu sehen, ob meine Stimme gezittert hatte, aber fand seinen Blick nicht. Kurz schien es, als sei etwas vor unserem Kunstwerk passiert, aber ich blickte hin und es war nichts, vielleicht hatte nur jemand mit dem Arm gewedelt um eine Mücke zu verscheuchen. Ich fühlte kaum noch warme Striche in mir drin.
Die Frau stand weiter bei uns rum. Sie wiederholte ihre Frage von vorhin noch mal sehr viel höflicher und wohlformulierter. Ich wusste nicht, was tun. Sie stellte sich sogar vor, sagte, sie sei eine Freundin der Kunstlehrerin hier, die die kleine Schau organisiert hatte.
Oh Gott, dachte ich, sie kennt ganz sicher den fiesen Künstler, der uns erschaffen hat. Oh Gott.
Kered endlich fiel ein Ausweg ein, indem er sagte, wir müssten jetzt langsam los.
Draußen stellten wir uns noch an einen versteckten Ort und beobachteten unser Werk durch die Scheibe, bis wir keine Lust mehr hatten und wirklich gingen; es waren auch die meisten anderen Besucher schon gegangen.
»Wir müssen zurück in unsere Dachgeschosswohnung«, sagte Kered.
»Ich weiß nicht, was wir mit dem Werk machen sollen, auf das du gekotzt hast«, sagte ich, »wir können es nicht wegwerfen.«
»Ich weiß nicht, Karib, was wir mit allen unseren Werken machen sollen«, erwiderte Kered, »irgendwann haben wir zu viele, wenn wir uns nicht jetzt umbringen, irgendwann ist unsere ganze Wohnung voll, wir können sie nicht wegwerfen.«
»Ja, naja, vielleicht können wir immer wieder neue aus den alten bauen und irgendwann einmal rohe Tütensuppenschachteln einfach wegschmeißen«, sagte ich, aber wusste doch, wusste, was für einen Betrug ich vornahm, innerlich, an mir, wo manchmal die warmen Striche sind.
Jedenfalls, als ich nachher unsere Verkleidungenen in der Waschmaschine wusch und herausnahm und aufhängte, da wurden von der vielen Feuchtigkeit meine Hände ganz trocken.