Kennen sie eine solche Familie?
Ihr alle kennt doch diese kleinen amerikanischen Vorstädte, die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Viele werden jetzt klischeehafte Vorstellungen entwickeln und sagen: klar!
Alle Häuser scheinen wie aus einem Guss, das Leben, das sich da abspielt, ist alltäglich. Morgens aufstehen, breakfast, dann geht der Mann zur Arbeit, die Frau kümmert sich um den Haushalt und die Kinder haben Schule. Abends sitzen sie zusammen vor dem Fernseher und ziehen sich eines der unzähligen Programme und Widerholungen rein. Immer wieder trifft sich der Ehemann mit seinen Kumpels in der Taverne. Nachts wird dann geschlafen, Mann und Frau nebeneinander, selten miteinander. Tag und Nacht, Woche um Woche, Monat um Monat, jedes Jahr das Gleiche.
Soweit, so gut. Aber wisst ihr auch, dass ein solches Familienleben mittlerweile auch in
deutschen Landen Einzug gehalten hat?
Der Ort, in dem sie lebt, sei Frühlingsfeld genannt.
Der Familienvater heißt Hans, ist ein Mann Mitte vierzig, stabil gebaut und untersetzt, hat nur noch wenige Haare auf dem Kopf, trinkt gern Bier und sieht sich für sein Leben gern Wiederholungen im Fernsehen an, wobei er auf seiner nun schon Jahrzehnte alten Couch liegt. Seine Frau Margarethe und seine drei Kinder, Bernd, Lisa und Manuela bilden den Rest der Familie, mit der er unter einem Dach wohnt. Er arbeitet als Sicherheitsbeauftragter eines Atomkraftwerkes etwa so effektiv wie ein Kind im Informatikstudium es tun würde und seine Ausdauer in diesem Job stellt er täglich durch stundenlanges Schlafen unter Beweis. Die Verantwortung, die er bei einem solchen Job wahrnehmen müsste, ist ihm weder bewusst noch lästig; er sieht es als viel wichtiger an, in mehrere Pausen während der Arbeit sein Gewicht durch massenhaftes Vertilgen von Gebäck zu halten.
Er ist ein Typ, der nichts mehr von den deutschen Tugenden wie Disziplin, Ordnung, Präzision oder Ausdauer besitzt, sondern einfach er selbst ist. Vorschriften sind für ihn da, um gebrochen zu werden, unabsichtlich natürlich, doch mit einer solchen Sicherheit, dass ihm fast schon Vorsatz vorgeworfen werden könnte. Seine Arbeit am Arbeitsplatz nutzt er dazu, die fehlenden Stunden Schlaf nachzuholen, die er in der letzten Nacht im Pub gelassen hat. Man könnte ihm zwar vorwerfen, jeden Tag einen Super- GAU zu riskieren, wenn er einmal wieder die Füße zum Ausruhen auf die Armaturen legt, doch so leidig die Wahrheit auch ist: gutes Personal ist schwierig zu bekommen. Ob das an der deutschen Ausbildungspolitik liegt?
Zuhause angekommen, ist Hans wieder ganz in seinem Element. Die Arbeit war anstrengend, da er schließlich die komplette Arbeitszeit dort verbringen musste, und nun ist er froh, endlich den Platz auf seiner Couch wieder einnehmen zu können. Das Bier aus der Dose- er liebt das Zischen beim Öffnen- ist eisgekühlt und schmeckt fantastisch. Es ist das Glück des kleinen Mannes, jeden Abend zu wissen, dass ein Bier auf einen wartet. So ist auch Hans zufrieden, als er die ersten drei Dosen geleert hat. Wahrscheinlich wird er nachher noch zu Manni in die Taverne gehen.
Margarethe sieht für ihr Alter noch recht gut aus. Sie hat hochgestecktes Haar, große Augen und ein Lächeln, das entwaffnet, wenn sie einmal nicht wegen irgendwelchen Dummheiten ihrer Familie mürrisch ist. Trotz ihrer drei Schwangerschaften hat sie ihr Idealgewicht gehalten. Sie ist eine liebevolle Mutter und Ehefrau, und die Familie kann sich glücklich schätzen, sie zu haben, denn andernfalls ginge alles drunter und drüber und der Haushalt bald in einer Müllhalde unter. Sie ist die gute Fee im Haus, kümmert sich morgens um das Frühstück und danach um das Baby Manuela, während der Rest der Familie außer Haus ist.
Sie hat wahrlich keinen leichten Stand, denn in sie hat die Familie vieles projiziert. Alle Erwartungen wie die, eine glückliche Familie zu sein, die sich vertraut, die in schlimmen Zeiten zusammenhält und nach schlimmen Zeiten sich verträgt, laufen in ihr zusammen.
Außerdem hat sie den Überblick über die Finanzen, schmeißt den Haushalt, erzieht die Kinder, plant Ausflüge, ist Familienfrau mit Leib und Seele. Sie ist sich bewusst, dass sie eine große Verantwortung trägt. Wäre sie nicht, würde etwa ihr Ehemann total in den Alkoholismus absinken und wahrscheinlich früher oder später zum Psychiater müssen, denn nur ihr erzählt er ab und zu, was in ihm für Sorgen und Ängste leben. Oft genug versucht er es nämlich, seine Probleme in Auseinandersetzung mit Bernd zu lösen. Dann zieht sein Sohn meistens den Kürzeren.
Sie ist der Typ von Frau, die sich eine Familie wünscht. Immer da, immer nah und ehrlich mit sich und den ihrigen. In geordneten Familienverhältnissen aufgewachsen, ist sie pflichtbewusst und einfühlsam, hat ein großes Herz, das sie auch gern ausschüttet. Man sieht sie selten mit Freundinnen zusammen, öfters aber mit ihren Zwillingsschwestern, mit denen sie über die Probleme zu Hause reden kann, obwohl sie eher kühl und rational sind. Sie hätte sich im Leben für eine berufliche Laufbahn, etwa als Sozialarbeiterin, entscheiden können, doch zog sie die Aufgaben einer Ehefrau und Mutter dem Beruf vor. Sie liebt ihren Ehemann wie sie ihre Kinder liebt, auch wenn sie alle ihre Nerven des Öfteren bis zur Grenze strapazieren. Sie entspricht zwar dem klassischen Bild der Hausfrau, der mater familias, was aber kein Gegensatz zur deutschen Gesellschaft im 21. Jahrhundert darstellt, weil viele Frauen sich wieder für Familie und gegen Einsamkeit im Job entscheiden. Margarethe ist eine Frau mit Leidenschaft, die in der Familie aufgeht, was ein unsagbares Glück für ihren Mann und ihre Kinder darstellt.
Ihr Sohn Bernd ist zehn Jahre alt und in einer wilden Phase seines Lebens. Ein quicklebendiger Junge, der mit seiner Igelfrisur und seinem rebellischen Verhalten das Idealbild des praepubertierenden Kindes entspricht. Er liebt es, sich jeden Tag aufs Neue Streiche auszudenken, mit denen er die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Sowohl zu Hause als auch in der Grundschule fällt er durch seinen eigensinnigen Charakter auf, nicht immer positiv, oft auch in der Art, dass Sanktionen gegen ihn verhängt werden müssen.
Für sein Leben gern fährt er Skateboard, was seinem Selbstbild als Rebell durchaus entspricht. Er lehnt die Normen der Konvention strikt ab, denkt nicht daran, sich irgendwelchen Bestimmungen zu unterwerfen, ganz im Gegenteil: er lebt sich selbst aus mit all seinen Trieben, zu denen auch solche destruktiver Art gehören. Nicht verwunderlich ist es also, wenn bei seinen Spielen Glasscheiben bersten, Wände mit Farbe besprüht oder Grünanlagen verwüstet werden. Er hat nicht gerade einen sonderlich hohen IQ, was wohl vom Vater vererbt wurde, dennoch aber eine besondere Art der Schläue und der Cleverness, was ihm dabei hilft, das Leben zu bestehen. Er hat Freunde, die alle bei Weitem nicht an seine Energie heranreichen, die sich aber gut mit ihm ergänzen. Zusammen mit ihnen bestreitet er das Leben in Schule und Freizeit. Mit seiner Schwester streitet er sich oft, was aber durchaus normal ist in diesem Alter. Bedenklicher sind da schon die Auseinadersetzungen mit seinem Vater, da dieser weder das Einfühlungsvermögen noch die Geduld aufbringt, sich verbal mit ihm auseinander zu setzen und Bernd auf diese Art und Weise ein solches Verhalten übernehmen könnte.
Bernd ist ein typisches Beispiel für ein hyperaktives Kind. Seine Energie ist überschwänglich und er findet für sie Ventile, in dem er sie in Streiche jeglicher Art einfließen lässt. Würde der Junge Sport treiben, er wäre durchaus ein Talent. In seiner ganzen Lebenseinstellung sucht er nach Aufmerksamkeit, die ihm im Elternhaus vielleicht nicht in dem Maße zuteil wurde, wie er sie gebraucht hätte. Das kann durchaus zu seinem Verhalten geführt haben. Die Streiche, die er spielt, richten sich vorwiegend gegen materielle Dinge. So scheint er es zu lieben, Dinge, die Personen gehören, mit denen er nicht so gut klar kommt, etwa solche seines Direktors, zu beschädigen. Diese Aversion gegen materielle Dinge kann darauf zurückgeführt werden, dass er selbst nie den Wert derselbigen im Elternhaus schätzen gelernt hat, denn er kommt aus einer Arbeiterfamilie, die niemals genug Geld hatte, um alle Wünsche der Kinder zu erfüllen. Auch deshalb kommt es des Öfteren zu handgreiflichen Szenen, in denen er sich mit seinem Vater in die Wolle kriegt. Dies könnte zum einen auf den so genannten Ödipus- Komplex zurückzuführen sein, zum anderen auf eine Verhaltensweise, die durch die Hyperaktivität bedingt ist. Nicht nur zu Hause, auch in der Öffentlichkeit der Schule zeigt er extreme Auffälligkeiten. Man wird ihn weiterhin beobachten müssen, um am Verlauf seiner Entwicklung festzustellen, ob sich die Theorie der Hyperaktivität feststellen und somit beweisen lässt.
Lisa ist eine der zwei Töchter der Familie. Mit ihren acht Jahren ist sie die zweitjüngste in der Familie. Sie ist ein nettes, höfliches und zuvorkommendes Mädchen. Im Gegensatz zum Rest der Familie ist sie sehr intelligent und hochbegabt. Ihre Fähigkeiten reichen bei Weitem über das normale Maß hinaus. Besonders interessiert ist sie im kulturellen Bereich. Sie selbst spielt Saxophon und liest für ihr Leben gern Bücher, weshalb sie auch oft in der städtischen Bibliothek anzutreffen ist. Sie hat wenige Freunde, was aber für ein Genie nicht außergewöhnlich ist. Ihre Bildung reicht soweit, dass sie mühelos einige Klassen überspringen könnte und in eine Schule für Hochbegabte aufgenommen werden müsste. Doch mangels an Einsatz vonseiten ihrer Familie ist dies bisher noch nicht geschehen.
Lisa ist oft allein mit sich und ihren Fähigkeiten. Sie verfügt für ihr Alter über ein hohes Maß an Selbstreflexion und Talent, dessen sie sich beides bewusst ist. Die Musik scheint für sie eine Höhle zu sein, in der sie ihre Gefühle speichert und ausdrücken kann. Sie wird oft missverstanden, weil andere nicht über die Fähigkeit ihres Denkens verfügen, was sich langfristig negativ auf ihre Entwicklung auswirken könnte, wenn ihr Kontakt zur Außenwelt droht abzubrechen. Ihr ist eine große Laufbahn vorbestimmt, keine Frage, wenn sie die richtigen Menschen kennen lernt. Sie sollte in ihrem Tun und Handeln mit allen Mitteln des Machbaren unterstützt werden, denn ihr ist kein Leben in der Arbeiterklasse vorbestimmt.
Insgesamt sehen wir hier das Bild einer Familie, wie sie durchaus nicht selten vorkommt. Vier unterschiedliche Charaktere treffen hier aufeinander, ein jeder einzigartig und doch so oft in deutschen Landen anzutreffen.
Viele werden jetzt sagen: klar, die kenn ich doch aus dem Fernsehen!
Dann überlegen sie einmal, ob nicht auch sie abends auf ihrer Couch liegen und sich ein Bierchen genehmigen…