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Kellner
„Jeder sollte einmal in seinem Leben als Kellner gearbeitet haben“, begann Günni feierlich, als ich aus der Umkleide trat und meine neue Uniform im Spiegel betrachtete.
„Ich werde dir hier alles beibringen, was du wissen musst“, setzte er hinzu. Sein Stolz war kaum zu überhören.
Wenn man in einer Stadt wohnt, in der es mehr Touristen als Einwohner gibt, werden ständig Kellner gesucht. Man kriegt einen Hungerlohn und muss sich wie ein Sklave behandeln lassen, doch man muss sich auch nicht besonders viel Mühe geben, denn wenn du morgens deinen Job verlierst hast du bis abends einen neuen. Und trotzdem gibt es so bemitleidenswerte Typen wie Günni, die sich voll mit ihrem Job identifizieren. Wie er schon da steht, perfekt rasiert, gerade Haltung, wie ein verdammter englischer Butler.
„Spar dir das. Mit der Kasse hab ich schon gearbeitet und Tabletts hab ich auch schon getragen. Also wie teilen wir die Tische?“
„Links du rechts Ich.“
„Trinkgeld?“
„ Durch vier. Du, ich und die zwei Idioten in der Küche.“
„Na dann los…“
Ich geh also los zu meinem ersten Tisch und lasse Günni stehen, den ich anscheinend etwas aus der Fassung gebracht habe. Auch meine Laune ist nicht die Beste.
Ein Paar, etwa Dreißig, liest schon in der Karte.
„Schon gewählt?“
Sie glotzen mich an.
„Haben sie schon gewählt?“, frage ich ein wenig lauter.
„Ja…also für mich die 21 und dazu den Salat aber ohne Oliven….und für meine Frau…“
„Moment ich hab mein Block vergessen“, murmle ich und geh zurück zur Bar, um ihn zu holen. Günni packt mich am Arm.
„Was soll das werden?“
„Ich hab meinen Block vergessen.“
„Du ruinierst mein Geschäft.“
„Dein Geschäft? Du arbeitest doch nur hier! Scheiß doch auf die…“
Er zerquetscht mir fast den Arm.
„Hör mal Klugscheißer, mein Geschäft ist das Trinkgeld. Und das sind 1.Klasse Gäste. Oder waren es. Du wirst jetzt besonders freundlich sein, vielleicht können wir noch was retten.“
„1.Klasse?“
„Als ich vorhin sagte ich werde dir hier alles beibringen, hab ich bestimmt nicht gemeint, wie man 4 Teller gleichzeitig trägt. Wenn ich das will, dressiere ich mir einen Affen. Kellnern ist mehr als Essen durch die Gegend schleppen. Das ist Psychologie.“
„1.Klasse?“
„Paare. Wahrscheinlich erstes Date. Er versucht sie zu beeindrucken, indem er viel Trinkgeld gibt. Aber auch hohes Risiko. Bist du unfreundlich will er es dir zeigen und du kriegst gar nichts. Oder wenn du zu freundlich zu seiner Frau bist. Hier braucht man Fingerspitzengefühl, dann ist das eine Goldgrube. Freundliche, neutrale Zurückhaltung, nicht zu oft stören.“
„Das halt ich nicht den ganzen Abend durch, vor jedem so zu buckeln. Das macht mich psychisch fertig.“
„Du musst deinen Hass kontrollieren und in die richtigen Bahnen lenken. Siehst du die da?“
Er deutete auf einen Tisch in seinem Bereich, an dem eine Familie saß, Mutter, Vater, zwei kleine Kinder.
„Familien. Die geben sowieso kein Trinkgeld. Die müssen keinem mehr was beweisen. Schau dir den Typen an, wie genervt der ist. Eigentlich hassen sie es doch, mit ihren Familien essen zu gehen. Und man kann es ihnen nicht recht machen. Mal ist das Wasser zu kalt, mal das Essen zu scharf für ihre Bälger. Lass deinen Frust an denen aus. Ich hab ihnen absichtlich das falsche Essen gebracht. Jetzt muss der arme Kerl noch eine Stunde länger mit seinen quengelnden Gören hier sitzen und versuchen sie ruhig zu halten. Siehst du, wie er leidet?“
Ich sah es. Und zum ersten Mal nach Jahren machte mir das Kellnern Spaß.
Wir machten richtig Kohle. Das System funktionierte, die vielversprechenden Gäste bekamen ihr Essen so schnell es ging, auf Kosten der potentiellen Knauser, deren Bestellungen nach hinten durchgeschoben wurden. Wir machten uns einen Spaß daraus, Wetten darauf abzuschließen, wie lange es dauern würde, bis sie sich beschweren würden. Kaum zu glauben, wie viel sich manche Leute bieten ließen. Wir hatten eine gute Zeit.
Eines Tages kam Günni nicht zur Arbeit, keine Ahnung was aus ihm geworden ist, ich wusste nichts von seinem Privatleben. Stattdessen schickten Sie uns irgendeinen Jungen, ausgebildeter Restaurant-Irgendwas, frisch von der Schule. Mir gefiel seine Fresse gar nicht und ich versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren und weiter mein Ding durchzuziehen. Doch ohne Günni war es nicht dasselbe.
Nicht nur das der Bengel seine Bons vor meine 1. Klasse Gäste hängte und ich eine Heidenarbeit hatte, das Ganze in der Küche wieder zu sortieren, das schlimmste war, er machte mehr Trinkgeld als ich. Ich dachte erst, es läge an seinem Milchgesicht, dass die Leute irgendwie Mitleid mit ihm hatten, weil er zur Kinderarbeit gezwungen wird oder sowas. Aber das war es nicht. Er war einfach gut. Freundlich und verdammt schnell. Keine Ahnung was die an der Schule mit ihm gemacht haben, er schien keine Seele mehr zu haben. Mit dreißig wird er Gesichtsfalten wie eine Dogge haben von seinem bescheuerten Dauergrinsen.
Vielleicht bin ich einfach alt geworden. Was soll nur aus unserer guten, alten Servicewüste werden, wenn die Leute sich lieber von Robotern als von Menschen bedienen lassen wollen?
Ich habe nie wieder gekellnert. Das Doggengesicht hat meine Illusion zerstört. Ich frage mich ob Günni wirklich an sein System geglaubt hat, ob ihm der Begriff selbsterfüllende Prophezeiung etwas sagt oder ob er nur ein verdammt guter Motivationstrainer war. Aber wie auch immer, in diesem Sommer hatten wir die Macht.