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Kellerbilder

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31.07.2001
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Kellerbilder

Ich warte.
Seit mehr als drei Jahren habe ich nichts von dir gehört. Du hast dich nicht gemeldet, ich habe es auch nicht. Die Erinnerungen wurden seltener, weniger, unter den Ranken meines weiteren Lebens versteckt. Nah dran, nur noch in der kleinen Schachtel mit Fotos, die ich unter meinem Bett aufbewahre, zu leben. Und jetzt das.
Ich bin durcheinander.

Einmal lief ich durch den Wald, der nah bei dem Hause meiner Eltern steht. In Wolken, in Bildern aus grünen und braunen Blättern fand ich dein Bild. In sanften Vogelstimmen und dem leisen Rascheln im Laub unter meinen Füßen hörte ich deine Stimme; Lachen, Singen und geschwungene Wörter, die sich, schwebend, anmutig, Gehör verschafften. Aber selbst das ist nun schon fast vier Jahre her. Kaum, das ich dich zum Bus begleitete, besuchte ich diesen Wald. Ich weiß, dass er noch steht, aber die Bilder hat er verloren. Meine Eltern haben ihr Haus verkauft. Den Keller und dieses Sofa, auf dem wir die kurze Zeit zusammen verbrachten. Selten die Sonne gesehen. Einfach nur für eine Zeitspanne gelebt, deren Ende wir beide absehen konnten.

Und jetzt sitze ich hier, bin unruhig und warte. Habe diese Schachtel mit Bildern vor meinem geistigen Auge, brauche sie nicht herüber zu holen, sehe die Bilder, beinahe vollständig, vor mir. Kellerbilder.

Ich denke, du siehst sie auch. Obwohl ich nicht weiß, ob ich das wirklich möchte. Denn ich kann nicht sicher sein, ob du überhaupt noch in mein Leben passt. Immerhin bist du einen halben Erdball entfernt. Und nebenher, ich bin verdammt sicher, dass diese vier Jahre viel mehr bedeuten, als einfach nur die Zeit, die seitdem vergangen ist. Sie erscheinen mir gerade so kurz, das Leben dazwischen so lang. Und mein Herz schlägt schneller, in mir dieses unstete Gefühl, das mich kaum ruhig denken lässt.

Ich habe in meinem Heimatort ab und zu, mehr oder weniger zufällig, die Straßen beschritten, die wir zusammen gingen, wenn es dunkel war. Ich wohne nicht mehr dort, seit über dreißig Monaten ist dort nicht mehr meine Heimat; nur auf dem Papier und in diesem Moment, da ich die Bilder vor mir sehe. Jetzt fühle ich mich hier fremd, kann nichts gegen das Gefühl unternehmen. Höre Chöre in meinem Kopf, Chöre, die mich zurückrufen. Und das macht mir angst, denn ich dachte, mein Leben wäre fester verankert. Aber es ist noch da, in den Straßen, in dem Haus – in dem Keller.

Nun, ich sitze hier und warte weiter. Kann nichts machen, denn deine Nummer wolltest du nicht sagen. Ich habe mich schon gefragt, was wäre, wen meine Eltern mit dem neuen Haus, das sie gebaut haben, auch eine neue Nummer gewählt hätten. Ich würde nicht hier sitzen und hätte nicht den Stoff für diese neuen Zeilen. Ich schreibe Geschichten. Stelle mir Menschen vor, die Zeiten wie diese durchmachen sollen. Jetzt bin ich mittendrin und bemerke ganz überrascht, dass es verdammt schwer ist, es wirklich zu erleben. Ich weiß tatsächlich nicht, wie ich Herr der Situation werden kann.
Gestern habe ich das Telefonkabel rausgezogen, denn da ist weiterhin etwas, das du nicht weißt. Ein Mensch ist in mein Leben getreten, dem es verdammt wehtut, dass du nach mehr als drei Jahren anrufst. Aus Südkorea. Ihre Gedanken wandern um dieses Thema herum, anders, als meine es tun.
Du weißt nicht, was sie denkt. Sie ist verletzlich. Und es macht ihr angst.
Und das macht mir angst. Ich dachte, sie ist anders als du. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich bin mir über gar nichts sicher, nicht im Moment. Und deswegen hoffe ich, dass das Telefon nicht jetzt klingelt. Nicht gleich. Denn wie kann ich bereit sein? Jemals? Also, lass es besser klingeln, solang sie nicht hier ist.
Ich habe das Telefon wieder zum Leben erweckt. Der Stecker steckt. Und die Daten bahnen sich ihren Weg. Du hast ja meine Nummer. Wann rufst du an?

Es gibt mehr Erinnerungen. Wäre dies eine Geschichte, dann könnte ich schlussendlich den Punkt setzen. Bei Gott, es wäre vorbei, wenn ich es wünschte. Aber du weißt ja, das läuft anders. Und du hast es in der Hand. Sobald du das Telefon berührst. Vielleicht spüre ich es ja. Wenn die Magie noch da ist. Auf dem Fundament der gemeinsamen zwei Wochen. Ich kann sie noch aus dem Hut ziehen, die Bilder. Kannst du? Ich hoffe ja, ich bete, dass nicht.
Du machst mich fertig.
Ruf an, verdammt!

 

Hallo Baddax,

Eine Mischung aus Liebesbrief und Situationsbeschreibung, Unsicherheit, Nervosität, ambivalente Gefühle.

Der Text ist in sehr ruhigem Ton verfaßt, dennoch ist er an manchen Stellen etwas zu hastig, zu ungenau. Hmm, mal sehen, ja, ich denke ich finde da so eine Stelle:

Und nebenher, ich bin verdammt sicher, dass diese vier Jahre viel mehr bedeuten, als einfach nur die Zeit, die seitdem vergangen ist. Sie erscheinen mir gerade so kurz, das Leben dazwischen so lang.
Der erste Satz ist nur schwer zu verstehen (das nebenher verwirrt, führt ins Dunkle?). Auch verführt das 'gerade' im zweiten Satz, an einen Vergleich zu denken, als folgte etwas wie 'gerade so lang, als ...'. Das rührt vermutlich von der Schwierigkeit des Vorhergegangenen.

Sicher, der Erzähler ist keineswegs ruhig oder abgeklärt, weiß selbst nicht, was geschehen wird und wie. Darin mag auch eine Schwäche des Textes liegen: er beschreibt eine Situation ohne Handlung, vielleicht erschöpft sich so etwas zu schnell.

Mehr Handlung soll an dieser Stelle jedoch nicht bedeuten, daß das Telefon klingeln sollte. Ich denke da eher an Erinnerungen, Geschehenes, Reflexion und Entwicklung im Denken des Erzählers.

Und wenn ich jetzt noch sagen sollte, ob der Text mir gefallen hat: ich weiß es wirklich nicht, kenne hier weder ja noch nein.

Claus.

PS: Den Titel der Geschichte halte ich für nicht sonders gut gewählt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Claus,

was den Titel angeht hast Du recht; habe ich mich gestern noch vor dem Einschlafen drüber geärgert - werde ihn ändern...

Weiterhin stimme ich Dir auch bezüglich der Hast zu, die im Text liegt und verwirren kann. Da werde ich mich sicher noch mal dranmachen. Der Erzähler ist in dieser Phase wirklich verdammt unsicher und hastet, versucht seine Gedanken irgendwie zu ordnen, bevor der Anruf erfolgt. Da er sich zwischen den Zeilen bewusst werden soll, dass er das eh nicht schafft, sagt er am Ende: "Ruf an, verdammt."

Der Text ist tatsächlich so kurz, weil das Geschehen tatsächlich an dieser Stelle erschöpft ist. Ich habe weitere Erinnerungen rausgelassen, weil sie meiner Meinung nach nichts Neues gebracht hätten und den Text nur aufgepuffert hätten.

Danke für Deine Kritik; werde mich bald noch mal an den Text machen und einiges davon umsetzen. Zuerst aber mal der Titel...

gruß, baddax

 

Hallo baddax,

der neue Titel ist wirklich wesentlich besser. Die Sache mit dem Keller...

Daß Du meine Anregung und Kritik bezüglich der im Text auftauchenden Hast positiv aufnimmst, freut mich.

Ich denke allerdings dennoch, daß einige Erinnerungen noch notwendig sein werden.

Claus.

 

Jupp, werde sehen was ich noch 'ausgraben' kann. ;)

Bis denn, baddax

 

Hallo, Baddax!

Mir gefällt dein Schreibstil, der emotional aufwühlend wirkt, sehr gut. Kompliment!

Gruß
Antonia :thumbsup: :thumbsup: :thumbsup:

 

Hi Baddax

Erneut ein schönes Stück poetischer Beschreibung, welche gerade durch ihre Zerissene Form den Leser an der Situation teilhaben lässt.

Mir gefiel´s

Lord ;) :)

 

Immer, wenn ich einen neuen Text von Baddax entdecke, freue ich mich schon darauf, ihn zu lesen, denn Baddax KANN schreiben. Einerseits beherrscht er die Orthographie, und andererseits - was weitaus wichtiger ist - versteht er es, jeden Leser schnell in seinen Bann zu ziehen und an seinen Emotionen teilhaben zu lassen, ohne daß irgend etwas auch nur annähernd aufgesetzt klingt.

Ich finde den Titel 'Kellerbilder' übrigens sehr passend. Ich hatte schon nach der Lektüre des Titels etwas aus der Vergangenheit erwartet. Und der Text wird dem Titel gerecht. Eine sich aufbauende, spannende Handlung würde die Aussage des Textes vollends zerstören, weil es um nichts anderes als eine Momentaufnhame geht, nicht aber um einen Roman.

Ich freue mich schon auf Deine nächste Veröffentlichung! Weiter so!

Gruß Ralf/Hexenmeister

[Beitrag editiert von: Hexenmeister am 06.04.2002 um 00:28]

 

Hi Baddax!

Bewundernswert, wie Du es schaffst, so viele Emotionen auf eine einzige Seite zu schreiben, ohne daß es dabei überladen wirkt!

Ein Text, der so real geschrieben ist, daß man nicht weiß, ob der Protagonist zugleich auch der Autor ist. Ob so oder so, stilistisch bist Du perfekt! :thumbsup:

Nach dem Lesen hatte ich eine Menge Dinge im Kopf, so etwa eine Textstelle von Reinhard Mey, wo er sowas singt, wie "Erinnerungen sind im Kopf und nicht an irgendeinem Ort".

Auch die innere Zerrissenheit hast Du sehr gut herausgearbeitet, man kann richtig im Text mitfühlen. Tolle Leistung!

Alles liebe
Susi

 

Hi Häferl,
vielen Dank für die lieben Worte.
Stilistisch perfekt ist sicherlich ziemlich ... ähh ... hochgegriffen, was soll ich da noch sagen? Nochmals danke.
Es ist tatsächlich immer heftig, wie plötzlich Erinnerungen aus dem Nichts heraus auftauchen; im Kopf sind sie irgendwie immer abrufbar, wenn der richtige Anstoß kommt. Hat dann ja gut geklappt, das rüberzubringen. Genauso das Problem, sich damit auseinanderzusetzen.

Also, auch von mir alles Liebe,
baddax

 

Hi baddax.

Deine Geschichte hat mir fast durchgehend gut gefallen. Die Situation in dem sich das lyrische Ich befindet ist schön nachgezeichtnet und bewegt. Der Titel ist auch wunderschön, so melancholisch und passend zu der Geschichte. Klasse gewählt!
Leider machst du diesen Einschub, wo der Erzähler anfängt zu berichten, daß er Geschichten schreibt, über Menschen, welche genauso etwas erleben soll(t)en wie er es selbst gerade tut. Ist wahrscheinlich eine sehr eigene und subjektive Betrachtungsweise meinerseits, aber irgendwie finde ich, daß die Geschichte an der Stelle in ihrem sonst sehr schönen Fluss ein wenig hakt. Es wirkt irgendwie (find ich zu mindest) eingesetzt, um das Ganze ein wenig länger werden zu lassen. Hätte meiner Meinung nach nicht sein müssen, da deine Story auch ohne dies schon sehr schön auf den Leser (respektive mich) wirkt.

So long

Signore Salami

[ 24.06.2002, 21:01: Beitrag editiert von: SignoreSalami ]

 

Hallo Baddax!

Auch ich finde diese eine sehr gelungene Geschichte, und ich glaube, jeder, der einmal eine ähnliche Situation erlebt hat, weiss, wie der Erzähler sich fühlt, ich zumindest tue es!

Liebe Grüsse
Dany

 

Hi, ihr beiden,

@Sunshine:
Dankeschön. Ich weiß, was Du damit meinst...

@S.Salami:
Ebenfalls vielen Dank. Der von Dir mokierte Teil ist tatsächlich nicht als Verlängerung gedacht. Nicht in dem Zeitraum, in dem die Geschichte geschrieben wurde. Ich verstehe Deinen Einwand, will aber noch auf andere Meinungen warten, okay?

Liebe Grüße, baddax

 

Hi baddax,
nach Deinen beiden Wörterbörse-Geschichten, die ich bisher gelesen habe, hatte ich unter dem Titel "Kellerbilder" etwas anderes erwartet.
Mir gefällt die Art, wie Du erzählst sehr, aber die "Geschichte" ist für meinen Geschmack gar keine echte Geschichte. Sie erscheint mir eher wie eine Skizze aus dem Skizzenbuch eines Malers: Er hat eine Idee und will sie festhalten, später wird er dann ein Gemälde anfertigen....

Deine Geschichte macht Lust darauf, zu erfahren, wie es dem Helden mit seinen beiden Frauen ergehen wird. Wird sie anrufen? Wie wird die andere reagieren? Wird er sich entscheiden müssen? Und wenn ja, wie entscheidet er? Für mich ist das Ganze eher der Anfang eines Romans oder zumindest einer längeren Erzählung.

Liebe Grüße
Barbara

 

hi baddax.
schön geschrieben, will man weiterlesen bis zum Schluß. schließe mich al-dente an daß es eher eine Momentaufnahme ist als eine kg. und eine sehr schöne dazu.
Wie wäre es denn, nur so als Anregung, wenn du als nächstes die gleiche Story aus ihrer Sicht schreibst? aus der Sicht der Frau die gegangen ist und sich jetzt wieder meldet?
fände ich spannend wie du das machst,
liebe Grüße, alex.

 

Hi,

danke für's Lesen an Euch beide.

Ihr habt Recht, es ist eine Momentaufnahme und nicht mehr. Eine Skizze, aber daraus wird wohl kein Gemälde mehr entstehen können - ich habe die Farbe dazu nicht mehr bei mir.
Sie wird nicht anrufen und die Sache gerät mehr und mehr in den Hintergrund - es ist besser, wenn es Kellerbilder bleiben, in einer Schachtel unter dem Bett. :shy:

@alex: Ich glaube, wenn ich probieren würde, aus der anderen Sicht zu schreiben, dann würde sich das verlaufen - eben weil die Farbe fehlt.

@Barbara: Jetzt interessiert es mich aber, was Du Dir bei dem Titel vorgestellt hast... :susp: ;)

Gruß, baddax

 

Moin baddax :)

Jatzt war ich mal neugierig was du so schreibst und habe diese Story gewählt weil sie die kürzeste ist ( bin zu müde für längeres)

Du baust hier wunderbar eine melancholische Stimmung auf, dieses Hoffen auf den Anruf der nicht kommt ohne kitschig zu werden und das gefällt mir sehr gut :)

Vielleicht gefällt mir diese Story auch so gut, weil ich ähnliches erlebt habe :)

Gute N8

jaddi

 

Hi,

danke für Dein Kommentar (und das Du so die Story nach exakt einem Jahr wieder ausgebuddelt hast ;) ).
Freut mich, dass Dir die Story gefällt - ähnliches erleben mehr Leute als ich dachte.

Danke fürs Lesen :)

Gruß, baddax

 

Ich glaube dieses "stille hoffen das sich jemand den man einmal geliebt/gemocht hatte wieder meldet" erleben viele aber neimand gibt es gerne zu, warum weis ich auch nicht :)

Och ich grabe ganz gerne alte Storys wieder aus .- ich achte bei Leuten mit denen ich PNe oder die mir nen Komment zu ner Story geschrieben haben nicht darauf wie neu/alt die Story ist die ich aus ihrer Liste fische :)

 

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