- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 18
Kellerbilder
Ich warte.
Seit mehr als drei Jahren habe ich nichts von dir gehört. Du hast dich nicht gemeldet, ich habe es auch nicht. Die Erinnerungen wurden seltener, weniger, unter den Ranken meines weiteren Lebens versteckt. Nah dran, nur noch in der kleinen Schachtel mit Fotos, die ich unter meinem Bett aufbewahre, zu leben. Und jetzt das.
Ich bin durcheinander.
Einmal lief ich durch den Wald, der nah bei dem Hause meiner Eltern steht. In Wolken, in Bildern aus grünen und braunen Blättern fand ich dein Bild. In sanften Vogelstimmen und dem leisen Rascheln im Laub unter meinen Füßen hörte ich deine Stimme; Lachen, Singen und geschwungene Wörter, die sich, schwebend, anmutig, Gehör verschafften. Aber selbst das ist nun schon fast vier Jahre her. Kaum, das ich dich zum Bus begleitete, besuchte ich diesen Wald. Ich weiß, dass er noch steht, aber die Bilder hat er verloren. Meine Eltern haben ihr Haus verkauft. Den Keller und dieses Sofa, auf dem wir die kurze Zeit zusammen verbrachten. Selten die Sonne gesehen. Einfach nur für eine Zeitspanne gelebt, deren Ende wir beide absehen konnten.
Und jetzt sitze ich hier, bin unruhig und warte. Habe diese Schachtel mit Bildern vor meinem geistigen Auge, brauche sie nicht herüber zu holen, sehe die Bilder, beinahe vollständig, vor mir. Kellerbilder.
Ich denke, du siehst sie auch. Obwohl ich nicht weiß, ob ich das wirklich möchte. Denn ich kann nicht sicher sein, ob du überhaupt noch in mein Leben passt. Immerhin bist du einen halben Erdball entfernt. Und nebenher, ich bin verdammt sicher, dass diese vier Jahre viel mehr bedeuten, als einfach nur die Zeit, die seitdem vergangen ist. Sie erscheinen mir gerade so kurz, das Leben dazwischen so lang. Und mein Herz schlägt schneller, in mir dieses unstete Gefühl, das mich kaum ruhig denken lässt.
Ich habe in meinem Heimatort ab und zu, mehr oder weniger zufällig, die Straßen beschritten, die wir zusammen gingen, wenn es dunkel war. Ich wohne nicht mehr dort, seit über dreißig Monaten ist dort nicht mehr meine Heimat; nur auf dem Papier und in diesem Moment, da ich die Bilder vor mir sehe. Jetzt fühle ich mich hier fremd, kann nichts gegen das Gefühl unternehmen. Höre Chöre in meinem Kopf, Chöre, die mich zurückrufen. Und das macht mir angst, denn ich dachte, mein Leben wäre fester verankert. Aber es ist noch da, in den Straßen, in dem Haus – in dem Keller.
Nun, ich sitze hier und warte weiter. Kann nichts machen, denn deine Nummer wolltest du nicht sagen. Ich habe mich schon gefragt, was wäre, wen meine Eltern mit dem neuen Haus, das sie gebaut haben, auch eine neue Nummer gewählt hätten. Ich würde nicht hier sitzen und hätte nicht den Stoff für diese neuen Zeilen. Ich schreibe Geschichten. Stelle mir Menschen vor, die Zeiten wie diese durchmachen sollen. Jetzt bin ich mittendrin und bemerke ganz überrascht, dass es verdammt schwer ist, es wirklich zu erleben. Ich weiß tatsächlich nicht, wie ich Herr der Situation werden kann.
Gestern habe ich das Telefonkabel rausgezogen, denn da ist weiterhin etwas, das du nicht weißt. Ein Mensch ist in mein Leben getreten, dem es verdammt wehtut, dass du nach mehr als drei Jahren anrufst. Aus Südkorea. Ihre Gedanken wandern um dieses Thema herum, anders, als meine es tun.
Du weißt nicht, was sie denkt. Sie ist verletzlich. Und es macht ihr angst.
Und das macht mir angst. Ich dachte, sie ist anders als du. Aber ich bin mir nicht sicher. Ich bin mir über gar nichts sicher, nicht im Moment. Und deswegen hoffe ich, dass das Telefon nicht jetzt klingelt. Nicht gleich. Denn wie kann ich bereit sein? Jemals? Also, lass es besser klingeln, solang sie nicht hier ist.
Ich habe das Telefon wieder zum Leben erweckt. Der Stecker steckt. Und die Daten bahnen sich ihren Weg. Du hast ja meine Nummer. Wann rufst du an?
Es gibt mehr Erinnerungen. Wäre dies eine Geschichte, dann könnte ich schlussendlich den Punkt setzen. Bei Gott, es wäre vorbei, wenn ich es wünschte. Aber du weißt ja, das läuft anders. Und du hast es in der Hand. Sobald du das Telefon berührst. Vielleicht spüre ich es ja. Wenn die Magie noch da ist. Auf dem Fundament der gemeinsamen zwei Wochen. Ich kann sie noch aus dem Hut ziehen, die Bilder. Kannst du? Ich hoffe ja, ich bete, dass nicht.
Du machst mich fertig.
Ruf an, verdammt!