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Keine Zeit
Heiligabend. Hektik. Geschenke kaufen. Nachher noch den Weihnachtsbaum schmücken helfen. Nur keinen Stress. Mehr oder weniger angenervt hetze ich durch die graue, mir entgegenströmende, Menschenmasse. Alle tragen graue Mäntel, alle halten die Köpfe geduckt. Einer wie alle, alle wie einer.
Die Gesichter zu genervten Grimassen verzogen hasten sie an mir vorbei. Vermutlich sehe ich genauso aus.
Verdammtes Wetter, nasskalt. Es scheint als wolle der „Liebe Gott“ Weihnachten einen Strich durch die Rechnung machen. Er wird gewinnen.
Der warme Duft von Glühwein dringt durch die feuchte Luft an meine Nase, als ich an der Bude vorbeigehe. Ein paar Leute stehen dort, lachen. Gerne würde ich jetzt auch einen Glühwein trinken, verweilen, doch es bleibt keine Zeit. Ich muss noch Geschenke kaufen, für meine Mutter, meinen Bruder und meinen Opa, also weiter.
Nass glänzen die Pflastersteine zwischen den Füßen der Menschen.
Ich kämpfe mich weiter durch den grauen Strom.
Weihnachtsmarktstände mit Holzfiguren, Tassen, Tellern, Schmuck, Gewürzen fliegen an mir vorbei. Keine Zeit stehenzubleiben. Habe ich außerdem bestimmt alles schon mal gesehen.
Ich weiß was ich noch besorgen muss, einen Gutschein für meinen Opa, einen Lego Bausatz für meinen Bruder, einen Schal für meine Mutter. Seit langem geplant, oder eigentlich nur nichts besseres eingefallen. Ich hatte einfach keine Zeit mir Gedanken darüber zu machen, als ob mein Leben nicht so schon stressig genug ist.
Eigentlich mochte ich Weihnachten immer. Was soll’s, denke ich und schlage den Kragen meine Jacke hoch, ziehe den Kopf noch ein Stückchen tiefer zwischen die Schultern.
Ich schnaube wütend als einer der grauen Mäntel versehentlich meinen Arm streift, empört wende ich mich um. Hochgeschlagener Kragen, grauer Mantel, er verschwindet in der Masse.
Verdammtes Wetter. Die Feuchtigkeit dringt in jede Falte, jede Ritze. Ich vergrabe meine Hände tiefer in den Hosentaschen, verfluche den Tag. Mein Gesicht brennt von der nassen Kälte. Es gibt Tage an denen sollte man einfach im Bett bleiben. Nächstes Jahr.
Gehetzt scharren meine Füße über den Boden. Kaufhaus, Warteschlange und ich habe doch keine Zeit. Der Schal ist das letzte Geschenk das ich besorge, wenn die Kassiererin endlich mal weitermacht. Ich werde unruhig, nein, ich bin unruhig, genervt. Geht das irgendwann auch nochmal weiter da vorne? Endlich. Ich bin froh dem penetranten Piepsen der Kasse zu entkommen, als ich die Scheine auf den Verkaufstresen lege.
„So bitte, schöne Feiertage wünsche ich ihnen“, die Kassiererin lächelt. Ja ja, dir auch schöne Feiertage, ohne ein Wort zu sagen verlasse ich das Kaufhaus.
Wieder die Kälte, wieder die Nässe. Verdammt noch mal, ich hasse Weihnachten. Eigentlich will ich überhaupt nicht genervt sein, bin es aber trotzdem. Scheiß Wetter.
Ich spüre wie mein Magen rebellisch knurrt, merke erst jetzt, dass ich einen ziemlichen Hunger habe. Morgens nicht gefrühstückt, gestern Abend auch nicht viel gegessen, muss mir irgendwas für auf die Hand holen.
Ich stürze mich wieder in den Menschenstrom und schwimme eine Weile mit. Grauer Himmel, graue Mäntel, graue Menschen.
Der Hunger fängt an ziemlich unangenehm zu werden, mir wird ein wenig übel. Würstchen, Mc Donalds, Reibekuchen? Irgendwas, was ich im gehen essen kann, ich muss nach Hause den Weihnachtsbaum schmücken helfen. Keine Zeit, nichtmal zum ruhig essen. Ich hasse solche Tage.
Nach kurzem suchen habe ich einen Stand gefunden an dem ich Reibekuchen und Würstchen kaufen kann. Am besten gleich beides, ich habe Kohldampf, ziemlichen sogar. Ich bezahle mit meinem letzten Geld für diesen Monat, lege die Münzen auf die Glasplatte und versuche dann die Tüten so zu organisieren, dass ich Essen und Tüten ordentlich tragen kann. Am besten erst einmal aus der Menschenmasse heraus. Man habe ich einen Hunger, mein Magen knurrt vernehmlich.
Ich gehe wohl direkt in Richtung Bahnhof am Münster vorbei. Keine Zeit für Umwege.
Groß und grau erhebt sich das Münster am Rande des Platzes, streckt den steinernen Turm in Richtung der grauen Wolken. Wie ein Finger der zum Himmel zeigt.
Als ich noch kleiner war, bin ich an Heiligabend immer in diese Kirche gegangen. Damals war ich noch jung, wenn man älter wird hat man halt keine Zeit mehr. Ist letztendlich ja auch nur eine Kirche.
Ich haste weiter, gleich bin ich am Bahnhof, da ist es wenigstens etwas wärmer. Schnell nach Hause.
An den mächtigen Türflügeln steht noch immer derselbe Obdachlose. Derselbe Obdachlose der dort schon stand als ich noch klein war, er hält den Menschen die Tür auf, lächelt freundlich. Früher freute ich mich an Weihnachten immer den Mann zu sehen. Früher. Eigentlich ist der ja auch nur aufs Geld aus. Ist halt eine clevere Art zu betteln. Ich gehe weiter, zehn Schritte, zwanzig Schritte. Plötzlich werde ich langsamer, bleibe stehen. Mein Magen knurrt jetzt ganz deutlich, ich spüre wie es in meinem Bauch rumort, sehe auf die unangetasteten Reibekuchen und die Bratwurst in meiner linken Hand.
Ich kann mir nicht erklären warum ich halt gemacht habe, doch ich gehe nicht weiter. Eine Ewigkeit bewege ich mich kein Stück. Einen Augenblick lang.
Langsam drehe ich um. Zehn Schritte, zwanzig Schritte.
„Entschuldigen sie, ich würde Ihnen das hier gerne schenken“, ich halte ihm die dampfenden Reibekuchen und die Bratwurst hin. Er blickt mich verwundert an, zieht eine Augenbraue in die Höhe. Sein Gesicht ist faltig, tiefe Furchen durchziehen die raue Landschaft seines Antlitzes. Erstaunlich wenig Sorgenfalten, wesentlich mehr Lachfalten.
Er lächelt mich an.
„Für mich?“ Seine Stimme klingt rau aber voller Wärme. Ein wenig habe ich das Gefühl, dass die Wärme auf mich übergeht. Ich nicke und gebe ihm die Reibekuchen und die Bratwurst.
„Danke mein Junge, ich wünsche dir und deiner Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest, möge Gott mit dir sein“, langsam öffnet er die schwere Tür.
Ein schwerer, roter Vorhang verdeckt die Türöffnung, leise dringt der Klang der Orgel zu mir heraus. Ich mache einen Schritt nach vorne und schiebe die eine Hälfte des Vorhangs ein Stück zur Seite. Ich werfe nur einen kurzen Blick hinein, dann trete ich wieder zurück.
„Ein frohes Weihnachten“, ich drehe mich um. Während ich langsam gehe spüre ich den Blick des Mannes noch in meinem Rücken.
Es ist gut, dass manche Türen die man von selber nicht öffnen kann, für einen geöffnet werden. Ich lächle; das erste Mal an diesem Tag.
Ich sah ihn nie wieder.