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Keine Verwandlung

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16.02.2012
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Keine Verwandlung

Als Greta Samsor eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand sie sich in ihrem Bett - eigentlich ganz gut aufgehoben. Sie war gestern sehr spät in die Gänge gekommen und hatte sich von ihrer Vorarbeiterin einiges anhören müssen. Heute hatte sie noch weniger Lust auf den immer gleichen Trott, fühlte sich auch kaum besser als am Tag zuvor. Sie hatte allerdings etwas dazugelernt: "Eine von uns mehr oder weniger, das fällt nicht auf. Zuspätkommen dagegen sehr!", beruhigte sie ihr Gewissen und blieb dann einfach liegen. "Außerdem scheint längst die Sonne". Der Ärger wäre also viel größer als gestern, wenn sie sich jetzt aufraffen und doch noch zur Arbeit gehen würde. Greta drehte sich schlaftrunken auf die andere Seite. Dann fielen ihr die Augen zu.

„Ihhhhrkk!“ entfuhr es ihr, als es plötzlich dunkel wurde, "nicht schon wieder verschüttet sein!“ Böse Erinnerungen stiegen auf. Greta war mit einem Schlag hellwach. Genau so schnell wurde es um sie herum auch wieder hell. "Meine Güte! Was war das denn jetzt? Ich bin wohl doch ernsthaft krank", grübelte sie, "am besten wird sein, ich bleibe einfach liegen und warte ab". Kaum hatte sie zu Ende gedacht, sank wieder alles in tiefe Finsternis. Greta erschrak erneut, worauf es sofort wieder hell wurde. Dieses Spiel wiederholte sich noch ein paar mal, bis sie langsam begriff, dass sie offenbar Licht und Dunkelheit allein mit der Kraft ihres Willens steuern konnte.

Greta war überwältigt. "So muss sich eine Königin fühlen", dachte sie. Sie wusste nur wenig über die Königin, niemals war sie auch nur in ihre Nähe gekommen. Gänge reparieren, das kannte sie, Erde herumschleppen und festdrücken, tagaus und tagein. Den meisten ihrer Kolleginnen hätte das genügt, sie hätten nie nach einem dahinter verborgenen Sinn gesucht. Greta war aber schon immer ein wenig vorlauter, ein wenig neugieriger und ein wenig phantasiebegabter als alle anderen gewesen, und so versuchte sie auch jetzt, sich einen Reim auf die Sache zu machen.

Hie und da wurde erzählt, dass aus manchen Arbeiterinnen über Nacht Königinnen werden, die in die Welt hinausfliegen und neue Kolonien gründen. Greta hatte das immer für ein Märchen gehalten, denn niemand wusste Genaueres darüber zu berichten. Bei einer solchen Verwandlung dabeigewesen war erst recht niemand. Mit ihrer neu entdeckten Macht über das Licht aber nahm die Idee, sie selbst könnte ausersehen sein eine Königin zu werden, Greta nach und nach völlig gefangen. Angestrengt dachte sie nach, an welchen anderen Zeichen sie erkennen könnte, ob es wirklich so war.

"Flügel! Junge Königinnen haben Flügel! Wenn sie in die Welt hinausfliegen können, dann müssen sie Flügel haben!" Greta war über ihre Erkenntnis so aufgeregt wie noch nie zuvor in ihrem Leben. "Ob ich einfach versuchen soll, sie zu bewegen?" Vorsichtig spannte sie der Reihe nach alle Muskeln an, doch nichts geschah. Plötzlich aber schlenkerte ein hässlicher, blasser Schlauch mit fünf kleineren Auswüchsen an seinem Ende durch ihr Blickfeld, der so überhaupt nichts mit dem gemein hatte, was Greta sich unter einem Flügel vorstellte. Bevor sie darüber nachdenken konnte, was dieses seltsame Gebilde sein könnte, überstürzten sich plötzlich ihre Sinneseindrücke.

Begleitet von einem trockenen, kurzen Knall mitten in ihrem Kopf spürte sie in ihrem linken Hinterbein jene Vibrationen, die gewöhnlich Gefahr bedeuteten. Gleich darauf breitete sich ein stechender Schmerz in diesem, aber auch in ihrem rechten Vorderbein aus. Instinktiv krümmte sie den Hinterleib schutzsuchend unter den Körper und zog dabei blitzschnell die Beine an. Augenblicklich brach die Hölle los. Mehrere dieser seltsamen, fleischigen Gebilde schlugen nun auf Greta ein und zischten kreuz und quer durch ihr Blickfeld, während sie in ihrem Schmerz wild herumstrampelte.

Je mehr sie sich wehrte, um so erbitterter stürzte sich ihr Gegner auf sie. Endlich bekam sie einen der dünneren Schläuche mit ihren Mundwerkzeugen zu fassen und biss mit aller Kraft zu. Doch statt daraufhin von ihr abzulassen, zahlte der übermächtige Angreifer es ihr offenbar in gleicher Münze heim und biss ihr in eines ihrer Vorderbeine. Die Schmerzen wurden nun so unerträglich, dass Greta keine Kraft mehr aufbrachte weiterzukämpfen. Doch genau in dem Moment, in dem sie sich in ihr unausweichliches Schicksal fügen wollte, zog sich der Angreifer unerwartet zurück.

Greta blieb keuchend liegen und ärgerte sich über sich selbst, weil sie nicht früher auf die rettende Idee gekommen war: mit der Kraft ihres Geistes ließ sie es jetzt dunkel werden, um dem Gegner jede Orientierung zu nehmen, falls er sich noch in der Nähe aufhielt. Der Plan schien aufzugehen, denn der Angreifer kehrte tatsächlich nicht zurück.

"Ich glaube, das alles war eine Strafe für meinen Hochmut", dachte Greta, "ich bin eine Arbeiterin und werde immer eine sein. Heute will ich meine Wunden auskurieren, aber gleich morgen werde ich mit dem größten Eifer an meine Aufgabe zurückkehren. Ich will in Zukunft die fleißigste aller Arbeiterinnen sein." Und es war ihr wie eine Bestätigung ihrer neuen Träume und guten Absichten, als sie am nächsten Morgen als erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte.

 

Hallo veermouth,

schöne Idee, den Gregor Samsa auf den Kopf oder besser auf die weibliche Ameise zu stellen.
Man merkts am Anfang überhaupt nicht, dass sie eine Ameise ist. Nur bei "verschüttet" hab ich ein bisschen gezuckt und überlegt, was das wohl jetzt soll. Na gut, im Nachhinein erklärt es sich natürlich. Ich habe das gerne, diese kleinen Irritationsstellen für den Leser, die sich aber am Ende als absolut logisch und nötig entpuppen (hihi, schon wieder so ein Wort).
Damit meine ich die liebevollen kleinen Anspielungen, die man vielleicht sogar erst beim zweiten Lesen mitkriegt. Redewendungen, die man ameisenmäßig wortwörtlich nehmen muss. Ist eine schön hintergründige Wortspielerei.

in die Gänge gekommen

oder

Lust auf den immer gleichen Trott,

Ich hoff ja, dass du dass überhaupt extra gemacht hast und ich mir hier nicht nur einen abspintisiere. Wenn es dir einfach so in die Feder geflutscht wäre, wäre es aber auch gut. Könntest du dir auf dein kreatives Unterbewusstsein was einbilden. ;)

Bis zu der Stelle, wo sie dann mit dem schlauchartigen Gebilde konfrontiert ist, fand ichs amüsant und erfindungsreich.
Aber gegen Ende hin habe ich es leider nicht gerafft. Vermutlich stehe ich irgendwie auf dem Schlauch (siehste!) , aber wer drangsaliert sie denn da?

Das Ende fand ich ein bisschen schwächlicher als den Anfang. Aber das liegt ja vielleicht auch nur daran, dass ich das vorher nicht so gerafft habe.

In der Hoffnung um Aufklärung
Novak

 

Hallo vermouth,

Mir gefällt die Idee der umgekehrten Verwandlung ebenfalls sehr gut! Das ist eine ganz schöne Herausforderung, die Perspektive von einem Lebewesen zu wählen, auf das Menschen total fremdartig und seltsam wirken müssen, ohne dass der Leser gleich am Anfang merkt, dass das keine menschliche Perspektive ist. Ich finde aber es hat bis auf ein paar kleine Ausnahmen gut funktioniert.

Den Teil mit dem "Kampf" habe ich so verstanden, dass Greta mit ihrem ungewohnten menschlichen Körper nicht zurecht kommt, und deshalb gegen ihre eigenen Hände und Füße kämpft, die auf sie bedrohlich wirken. :D
Das war für mich auch die lustigste Stelle, als sie zubeißt und dann glaubt, der Gegner hätte sie auch gebissen.

Noch ein paar kleine Anmerkungen zu einzelnen Stellen:

Sie war gestern sehr spät in die Gänge gekommen und hatte sich von ihrem Chef einiges anhören müssen.
Mir ist völlig klar, dass am Anfang ein bisschen geschummelt werden muss, damit man als Leser erst mal annimmt, Greta wäre ein Mensch. Aber das mit dem Chef finde ich trotzdem nicht ganz sauber - die Art von Hierarchie gibt es bei Ameisen meines Wissens nicht. Da gibt's die Arbeiterinnen, die Königin und manchmal noch Soldaten. Ich würde den Chef durch Kolleginnen ersetzen - dann funktioniert die Täuschung auch und es ist trotzdem noch etwas ameisiger. :)
Das "In die Gänge gekommen" finde ich übrigens auch sehr schön doppeldeutig!

Dann machte sie die Augen zu.
Das könnte sie mit ihren Ameisenaugen ja nicht, aber trotzdem fällt ihr hier noch nichts Ungewöhnliches auf ... aber ich fand es trotzdem niedlich, wie sie dann denkt sie könnte das Licht mit ihren Gedanken steuern. Ich schiebe das einfach mal darauf, dass sie an der Stelle noch nicht ganz wach ist. :)

"Meine Nervenzellen müssen überreizt sein. Ich bin wohl doch ernsthaft krank",
Das mit den Nervenzellen ist für mich irgendwie zu menschlich gedacht. Klar, was in einem Ameisenhirn vor sich geht, hat aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt keine Ähnlichkeit mit Sprache, aber trotzdem finde ich sie sollte nicht wissen was eine Nervenzelle ist ... ihre Verwirrung lässt sich bestimmt auch anders umschreiben.

Grüße von Perdita

 
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Puuh, mir fällt ein Stein vom Herzen!

Meine erste Leserin fand die Geschichte so misslungen, dass sie mir ihre Meinung dazu lieber persönlich mitgeteilt hat, statt sie hier zu veröffentlichen. Ich liebe sie trotzdem. Oder gerade dafür.

Hallo Novak,

ich weiß ja nicht, wer sich das Thema "Insekten" ausgedacht hat ..., aber diese Tierchen sind wirklich eine Herausforderung. Weit davon entfernt, mich an die Vorbilder "Antz" oder "Das große Krabbeln" auch nur im geringsten heranwagen zu können, hab ich eben Kafka genommen.

Im Ernst: manches funktioniert wirklich nicht gut, aber Zufall ist nichts an der Geschichte. Vielleicht entdecken andere sogar noch mehr, ich warte sehnsüchtig darauf - z.B. auf richtige Schimpfe für das pathetische Ende. Das war ich aber nicht!

Hallo Perdita,

vielen, vielen Dank für die Hinweise. Man selbst sieht es nach so einer Quälerei (blöde, langweilige Krabbler!) einfach nicht mehr. Ich baue es gleich um, auch wenn deine Kritik dann ein wenig in der Luft hängen sollte.

Liebe Grüße,

veermouth

 

Hallo, ich bins noch mal,
Mensch, bin ich blöd, natürlich, das waren die Hände. Gut, dass es Perdita gibt.

Und leider ... den Krabbeleinfall hatte ich. :dozey:.
Bis vor einer halben Stunde war ich noch ganz stolz darauf, denn immerhin sinds jetzt schon mal drei Geschichten, die sich an den Insekten abarbeiten.

Naja, ich finde, es lockt eure interessantesten Seiten hervor und so ein bisschen Mühe ... .:Pfeif:

Vielleicht entdecken andere sogar noch mehr, ich warte sehnsüchtig darauf - z.B. auf richtige Schimpfe für das pathetische Ende. Das war ich aber nicht!
Ich versprechs, gleich gehe ich auf die Suche.
Dafür kriegst du aber auch die Schimpfe, ein anderes Ende fänd ich besser.
Und was soll das heißen? Das war ich nicht? Wer wars dann?
Hilfe, ich verstehs nicht.

Gern gelesen, deine Geschichte.
Lg Novak

 

Alles klar, daher kommt das Ende. Ist schon komisch, ich glaube, jeder kennt den Anfang von Kafkas Kurzgeschichte, kaum einer das Ende. Habs vorhin mal bei Freunden ausprobiert, die konnten den Anfang wortwörtlich zitieren. Das Ende? Nix.
Bis die Tage, Novak

 

Hallo veermouth,

vielleicht war ich zu abgelenkt beim Lesen, aber ich brauchte die Rezensionen, um mir meinen Reim drauf zu machen. Geschrieben ist es schon niedlich, bis auf einige Satzungetüme wie duieses:

Mit ihrer neu entdeckten Macht über das Licht aber nahm die Idee, sie selbst könnte ausersehen sein eine Königin zu werden, Greta nach und nach völlig gefangen.
Umstellen/kürzen.
Manche Phrasen sind auch arg verbraucht, guck mal da noch mal drüber.

Besonders lustig fand ich es jetzt nicht :confused:, womöglich bleibt mir noch immer ein gewisser Punkt der kg verschlossen?

grüßlichst
weltenläufer

 

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