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Keine Panik!
Ich kann nichts sehen, es ist dunkel. Ich stecke irgendwie fest, verdammt – ich könnte schreien; ich könnte weinen.
Die Dunkelheit ist für meine Augen undurchdringbar. Ich liege auf dem Bauch, mein rechter Arm ist auf dem Rücken, der linke eingeknickt unter meiner Brust. Beide Schultern berühren die kalten Steinwände der Röhre und behindern mich: Kann mich nicht bewegen; nicht vor- und nicht zurückrutschen. Ich stecke kopfüber in einem Abwasserkanal... nicht senkrecht, er ist nur angeschrägt. Mein Genickt schmerzt, ich kann ja meinen Kopf nicht abstützen und ihn in den Dreck legen mag ich auch nicht – aber ihn länger zu halten geht ebenso wenig. Ich will loslassen. Meine Sehnsucht nach Entspannung übersteigt meinen Ekel, die Stirn ruht im Dreck.
Ich weiß nicht wie lange ich hier schon so liege. Mein linker Arm wird langsam taub und meine Hand tut weh. Ich bin tapfer - ich muss tapfer sein.
Wie tief ich wohl unter der Erde begraben bin? Da ist irgendwo ein Rauschen: Keine Ahnung, ob vor mir oder hinter mir. Vielleicht ist es Wasser?
Ich bin so ein Idiot! Ich will hier raus! Es stinkt. Es stinkt fürchterlich. Ich könnte kotzen. In meinem Mund sammelt sich Speichel, ich spüre dass ich gleich kotzen werde. Ich muss aufstoßen.
Glück gehabt, ich konnte es gerade noch mal verhindern, spüre nur ein leichtes Brennen im Hals. Durch den Mund atmen, du musst durch den Mund atmen. Ich atme schneller, ich hechle. Scheiße, das bringts auch nicht. Ich beginne wieder aufzustoßen. Mein Magen verkrampft sich, die Muskeln ziehen sich zusammen. Ich kotze und schlage unwillkürlich mit meinem Kopf mehrmals gegen den kalten, rauen Stein. Meine Nase schmerzt. Mein ganzes Gesicht tut weh. Ich blute. Ich will doch nur hier raus. Ich habe solche Angst. Ich habe den ganzen Scheiß in der Fresse, habe ihn im Mund – als hätte ich sonst keine Probleme.
Ich verkrampfe mich noch immer, aber da ist doch nichts mehr in mir, das ich noch rausbringen könnte. Langsam lässt es nach, ich jammere, ich weine, der Rotz läuft aus meiner Nase.
Es juckt, ich würde mich gerne kratzen.
Ich beruhige mich, finde mich mit meinem Schicksal ab: Hieraus gibt es kein entkommen – nein, sterben will ich trotzdem nicht! Ich habe solche Angst. Ich wollte doch noch so vieles machen! Was werden meine Freunde denken, meine Familie, wenn ich nicht mehr da bin? Mir war doch nur langweilig; ich war neugierig und wollte etwas entdecken. In mir schlägt das Herz eines Forschers, auf diese Entdeckung hier würde ich jedoch liebend gerne verzichten. So ein altes Aquädukt ist ein interessanter Ort.
Ich könnte schreien, aber wer sollte das hören. Niemand, man wird mich wohl niemals finden.
Da ist wieder dieses Rauschen: Es klingt wie Wasser. An meinem Knie wird es feucht, ich spüre es ganz deutlich, jetzt am Bauch. Was ist jetzt los? Regnet es draußen etwa? Was soll denn jetzt dieser Scheiß?
Das Wasser wird mehr.
Irgendetwas hat mich am Kopf berührt. Was war das? Da wieder. Ich zucke weg, mit geöffnetem Mund, mit dem Kopf zur Seite, in das mich umspülende Wasser. Ich verschlucke mich, verkrampfe wieder und bekomme spastische Zuckungen.
Ratten! Es sind Ratten. Sie flüchten vor dem Wasser, wollen die Röhre hinauf – ich bin im Weg. Sie drängen gegen mich, Einzelne kommen vorbei, klettern über meinen Kopf, meinen Rücken entlang. Ich muss meinen Kopf nach unten drehen, sonst springen sie mir ins Gesicht – aber unter mir fließt das Wasser, ich bin mit meiner Nase eingetaucht und die Strömung hat es mir reingetrieben. Es gelangt in meinen Rachen, ich hebe den Kopf und spucke es aus. Jetzt verspüre ich ein nerviges Kitzeln, als wolle ich niesen, aber ich kann nicht. Ich muss den Kopf zur Seite drehen, um noch Luft zu bekommen, das Wasser ist weiter gestiegen. Einige Ratten krabbeln über mich; ich spüre ihre Pfotentritte: am Hinterkopf, auf dem Rücken. Eine krabbelt mir direkt über das Gesicht, tritt in mein Auge, ich bin versucht den Kopf ins Wasser zu tauchen. Das Wasser, es wird immer mehr; ich spüre wie es stärker gegen mich drückt, mich hinunter schieben will, das geht aber nicht.
Das Rattenproblem ist fort – vom Wasser die Röhre nach unten gespült. Meinen Kopf muss ich jetzt noch stärker zur Seite nach oben drehen, um Luft zu bekommen. Lange halte ich diese Verrenkung nicht mehr aus.
Das Wasser ist knapp unter meinem Mund. Jetzt bekomme ich nur noch durch meine Nase Luft. Weiter darf es nicht steigen. Bitte lass es so bleiben! Nein, lass es weniger werden. Lass es weniger werden!
Ich atme durch die Nase, ziehe dabei etwas Wasser mit ein. Ich muss würgen, muss Husten, zucke mit dem Kopf unwillkürlich ins Wasser und versuche reflexartig einzuatmen – ich atme Wasser, verkrampfe stärker und huste, ziehe nach jedem Husten wieder Wasser ein. Mir wird schwarz vor Augen. Ich-.
Ich lebe noch. War es ein Traum?
Mein Kopf schmerzt. Es ist dunkel, kalt und etwas Wasser umspült mich. Ich kann mich nicht bewegen. In meiner Brust ist ein starker, stechender Schmerz. Ich muss aufstoßen: Wasser läuft aus meinem Mund.
Wo bin ich – war wohl doch kein Traum? Ich würde am liebsten lachen. Das Wasser wird weniger. Jetzt ist es nur noch ein Rinnsal.
Was ist passiert? Wie konnte es so schnell nachlassen?
Ich höre es immer noch rauschen, weit hinter mir, aber es kommt nichts mehr. Ich lege meine Stirn in den angeschwemmten Schlamm, brauche etwas Ruhe.
Mein Kopf dröhnt, wie nach einer durchzechten Nacht. Es ist so einiges passiert – geändert hat sich trotzdem nichts, meine Lage ist unverändert: Kopfüber in einem Kanal aus Stein, rechter Arm auf dem Rücken, linker angewinkelt mit der Hand unter der Brust.
Wenn ich doch nur irgendwie meine Arme vor mich bekommen würde, dann könnte ich mich vielleicht Stück für Stück hinaufschieben. Warum habe ich da nicht schon früher dran gedacht? Es geht nicht. Ich kann mich bewegen wie ich will, es ist kein Platz; müsste mir schon meinen linken Oberarm brechen, damit ich ihn dichter am Körper vorbeiziehen könnte – doch dann wäre die Sache mit dem hinaufschieben nicht mehr drin, mal davon abgesehen, dass es mir in meiner Lage nicht möglich ist, ihn zu brechen. Beim Rechten gibt’s das gleiche Problem, ich zerre wie verrückt, versuche mich zu verbiegen – es geht einfach nicht.
Was würde ich dafür geben jetzt aufzuwachen und festzustellen, nur im Bett zu liegen. Eigentlich bin ich ein Optimist – hier raus zu kommen halte ich dennoch für ausgeschlossen. Vielleicht finden sie einmal meine Leiche. Sie werden sich wohl fragen, wie ich in diese Lage gekommen bin. Vielleicht bin ich sogar einen Zeitungsartikel wert. Ich muss Lachen, bringe aber nur ein raues Husten hervor, das in einem Röcheln endet.
Scheiße! Ich bin müde; ich will jetzt schlafen.
Autsch. Ich verspüre einen pochenden Schmerz an meinem rechten Bein. Was war das? Ich wollte doch nur mal meine Ruhe haben!
Was ist das? Ich höre ein Poltern hinter mir. Etwas schlägt dauernd gegen die Steinwände. Da kommt was den Kanal herunter. Es klingt noch ganz fern, hallt nur bis hierher. Jetzt ist es mir gegen die Schuhsole geschlagen und liegen geblieben. Hat das jemand in die Röhre geschmissen?
„HEY! ICH BIN HIER UNTEN!“ Niemand Antwortet.
„HILFE! BITTE! HILFE, Hilfe. So hilf mir doch jemand! Hilfe! Bitte!“
Ich verstumme, da ist wohl keiner.
Für einen kurzen Augenblick verspürte ich das belebende Gefühl von Hoffnung: So schnell wie es gekommen war, ging es auch wieder.
Ein dumpfes Grollen lässt mich zusammenzucken, es rieselt kleine Steinchen und Staub auf meinen Nacken. Hinter mir ist in der Ferne erneut dieses Poltern, oder ein Klatschen; ja, es klingt wie Steine die gegeneinander klatschen – dieses mal hört es sich nach sehr vielen an, die schnell näher kommen. Es ertönt nochmals ein dumpfes Grollen: Ich kann es beinahe mehr spüren als hören. Die Steinwände vibrieren – gibt es jetzt ein Erdbeben?
Vor mir kracht und grollt es, als ob große Steinmassen in Bewegung geraten würden. Werde ich jetzt zermahlen? Ich spüre einen Windzug. Kurze Stille – dann ein tiefes, lautes Wasserplätschern, als wären diese Steinmassen in einen See gefallen. Der Boden unter mir bewegt sich. Was geht hier vor? Ich kann nichts sehen.
Ich rutsche weg, kann den Stein nicht mehr fühlen, bin wohl frei. Ich schwebe. Nein, ich stürze. Lass mich bitte nicht mit dem Kopf aufschlagen!
Mit dem Arsch zuerst, tauche ich ins Wasser ein; tauche unter und versuche hoch zu gelangen. Meine Arme wollen nicht wie ich. Ich verschlucke Wasser und versuche nach irgendetwas zu greifen. Ich kann nichts sehen. Wo soll ich hin schwimmen? Ich kann kaum schwimmen – mir fehlt die Kraft dazu.
Ich kann nach einer Kante greifen, fühlt sich wie Stein an. Halte mich daran fest, soweit es geht: Meine Finger sind Taub, ich spüre ein tiefes, schmerzendes Kribbeln, als wäre der gesamte Arm eingeschlafen; mit den Beinen ist es nicht anders.
Ich friere und fange zu zittern an. Ich muss auf diesen Stein gelangen! Ich rutsche bei dem Versuch hinauf zu gelangen immer wieder ab, bin nun mit beiden Ellenbogen auf der Fläche und lasse den Kopf nach vorne auf meinen Unterarm sinken, muss kurz ruhen, es fehlt mir die Kraft, um mich mit den Armen hoch zu drücken.
Vielleicht ist vor mir irgendwo eine Rille im Stein, mit deren Hilfe ich mich draufziehen kann.
Nichts. Er ist zwar rau, aber zum Festhalten ist da nichts. Ich versuche meinen Fuß seitlich auf die Kante zu schwingen. Geschafft. Mit aller Kraft, die ich noch in mir habe, drück ich mich mühsam hoch.
Ich liege mit dem Bauch und ausgestreckten Gliedmaßen auf dem Stein. Zeit zu ruhen. Ich verspüre erneut dieses Verlangen laut zu lachen, bringe es aber nur zu einem lachenden Husten.
Ich drehe mich auf den Rücken und strecke mich. Meine Augen sind weit aufgerissen – ich sehe nichts. Es ist still. Kleine Steine, die manchmal noch ins Wasser fallen, stören diese Ruhe.
Was wäre, wenn sich jetzt ein größerer Brocken von der Decke lösen würde und genau auf mich drauf fiele? Ich würde ihn gar nicht kommen sehen. Er wäre einfach so da und würde mich zerquetschen: Bei meinem Glück würde ich’s noch überleben, aber natürlich eingeklemmt.
Ich muss wieder lachen, diese ironische Seite an mir kenne ich ja noch gar nicht.
Ich kann hier nicht ewig bleiben. Auf den Knien taste ich mich zu der Kante zurück. Da ist sie. Nun taste ich mich an der Kante entlang, was ich genau vorhabe, weiß ich selbst noch nicht. Der Felsbrocken, auf dem ich da bin, ist sehr natürlich geformt. Scheint als wäre er ein Teil der Steinmassen, die sich von der Decke gelöst haben. Mich beschleicht das üble Gefühl, auf einer Insel zu Sitzen. Tatsächlich, wenn ich mich nicht ganz irre, habe ich nun einmal rundum getastet. Nur um ganz sicher zu gehen, kann es wohl nicht schaden, noch ne Runde zu drehen.
Scheiße! Was mache ich jetzt? Ruhig bleiben. Ich bin hier in einem Hohlraum. Ist er natürlichen Ursprungs? Ich glaube nicht, dann wäre der Raum wegen dem Grundwasserspiegel bestimmt bis zur Decke überflutet – oder auch nicht, ich bin ja kein Geologe.
Vielleicht ist es ein Zwischenbecken des Aquädukts! Ich hoffe es. Dann müsste es hier einen Ausgang geben, aber wo? Ich müsste nur in irgendeine Richtung schwimmen, doch in welche? Egal in welche Richtung ich auch schwimme, auf eine Wand würde ich auf jeden Fall treffen. Wenn da aber nichts ist, hätte ich nicht mehr die Kraft zu dieser Insel zurück zu schwimmen, falls ich sie denn wiederfinden würde.
Es hilft nichts weiter nachzudenken. Meine Kraft wird bestimmt nicht stärker werden, wenn ich länger warte. Ich entscheide mich unwillkürlich für eine Richtung, setze mich auf den Rand und lasse mich mit den Beinen voran ins Wasser gleiten.
Ich glaube einige Meter schon geschwommen zu sein. Die nächsten schwimme ich nur noch mit den Beinen, ich befürchte sonst womöglich mit dem Kopf irgendwo dagegen zu stoßen.
Das Schwimmen ohne Arme kostet mich viel Kraft.
Da ist sie. Ich taste an ihr nach links und nach rechts. Sie ist glitschig – und von Menschenhand gebaut. Lass mich jetzt nur noch einen Ausgang finden, wie auch immer der aussehen mag. An dieser Stelle ist nichts. Das finde ich beunruhigend. Ich muss mich entscheiden: Für links oder rechts.
Ich schwimme nach rechts und versuche dabei die linke Hand immer an der Wand entlang streifen zu lassen. Ich merke wie die Kraft schwindet. Meine Beine schmerzen, meine Lunge noch mehr. Ich spüre das sich ein Krampf anbahnt: Ein starkes Ziehen in der linken Wade.
Da ist etwas! Es ist rund, fühlt sich kalt an, metallisch. Ich halte mich daran fest und greife auch mit der anderen Hand danach. Es ist eine Metallstange in der Horizontalen. Ich glaube zu wissen, was es ist, wage es aber noch nicht auszusprechen. Ich greife höher und hoffe. Da ist eine weitere. Ich arbeite mich hoch, es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Die Leiter ist zuende, sie hat mich zu einer Ebene geführt.
Ich habe mich vorgetastet, bis zu einer weiteren Wand und bewege mich nun nach links weiter, komme an einigen Metallrohren vorbei und einem kleinen, leeren Kanal, der in einem Loch seinen Ursprung findet, in welches ich garantiert nicht hineinkriechen werde.
Hier in diesem Raum ist eine Leiter, also muss es auch einen normalen Weg nach draußen geben!
Ich habe etwas, es fühlt sich metallisch und rau an; scheint ziemlich rostig zu sein. Da ist der Türgriff. Ich versuche ihn herunter zu drücken – geht aber nicht. Ich gehe einen schritt nach rechts und trete nach dem Griff. Nach ein paar Tritten kracht es – hoffentlich habe ich den Griff nicht abgetreten. Glück gehabt, mit einigen kräftigen Rüttlern bekomme ich die Tür auf. Sie führt in einen Gang, ich kann hier gerade so aufrecht stehen, meine Harre streifen an der Decke entlang.
In so einem Gang hat alles angefangen, glaube ich.