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Keine Chance für Keinen! - Willi
Willi.
Keine Chance für Keinen, denn der Täter war schon vorher da.
Willi ist wieder toll in Schuss. Willi ist schwer auf der Suche nach einer Frau, einer Frau, die auch bleibt, so eine wäre ihm am liebsten. Und geistig-seelisch gesund sollte sie sein. Aber wo so eine erwischen? Das wird nicht leicht sein, meint er. Willi ist frisch geschieden. Er zahlt für zwei Kinder Alimente, insgesamt circa siebenhundertsechzig Teuros. Aber er ist im Vergleich ganz gut ausgestiegen. Für seine Ex zahlt er keinen Unterhalt, sie arbeitet ja jetzt wieder, seit einem guten halben Jahr. Und er verdient ja fast Viertausend. Das Haus wird verkauft und er hat bereits eine tolle und gar nicht so teure Wohnung gefunden. Er möchte sein Leben wieder genießen, aber noch weiß er gar nichts damit anzufangen.
Er ist jetzt knappe vierzig und seit gut sechs Jahren weg von der Jagd. Er ist total aus der Übung, total überfordert. Er versteht die Weiber nicht mehr. Dabei kam er früher doch immer verdammt gut mit ihnen zu recht. Und jetzt sitzt ihm die Einsamkeit, samt den dazu gehörenden eiskalten Füßen, und ein Gebirge der Angst in den Knochen. Das Alleinsein zerfetzt ihm seine Lenden. Seine Eier brodeln auf der Ofenpfanne der Nacht. Er hat seit gut drei Jahren nicht mehr gefickt. Nicht einmal schmusen war drin. Willi ist so geil. Willi möchte endlich wieder leben. Er killt seine Geilheit im Fitnessstudio. Er bringt seine Geilheit unter einem Berg von Gewichten um. Wenn er die Kinder nicht hat, dann ermordet er diese Einsamkeit und auch die Angst jeden Abend bis zum Umfallen. Er redet eigentlich nur davon, von seinem neu gestählten Body und vom Sex, den er nicht mehr hat. Seine Geilheit frisst ihn noch auf.
Ja, Willi redet nur noch von seinem Body und vom Sex, den er nicht hat. Und natürlich von den "Untaten" seiner Frau. Eine Geschichte nach der anderen fließt aus ihm heraus. Er sitzt mir jetzt schon seit über vier Stunden gegenüber. Ich habe bis jetzt noch keine zwei ganzen, eigenen Sätze gesagt. Er will gar Nichts von mir hören. Seine Geschichten zerreißen ihn. Er zersprudelt sich darin. Und jede Geschichte ist "geiler" als die von Zuvor. Der Mensch Lothar möchte am liebsten weg laufen, einschlafen. Gähn, gähn mal gähn. Aber buji, der Dichter, hört begierig zu. Manchmal hasse ich mich dafür, diesen Schizzoo.
Mann o Mann, ist Willi geil, und zugleich tiefst deprimiert. Armer Junge. Armer Freund. Ich kenne ihn jetzt schon eine halbe Ewigkeit. Willi ist so gut sieben Jahre jünger als ich. Ich spielte Fußball in einem Verein, unterste Klasse, nur so nebenbei als Ausgleichssport zum Karate. Auch für Willi war der Fußball nur so nebenbei. Er war lange Zeit in den Top 3 in Österreich auf seinem anderen Gebiet, war auch bei einigen Olympiaden und Welt- und Europameisterschaften dabei. Ein echt harter Hund, einer der nettesten Hurensöhne, die ich kenne. Er tut keiner Fliege was zu leide, wenn die nicht vorher ihm was tut. Und er war ein fairer Kicker, er setzte nur seinen Oberkörper perfekt ein. Wenn er seine Hüfte mal ausfuhr während eines Parallellaufes nach dem Ball, dann brauchte sein Gegner nachher ein neues Becken. Zum Glück spielte ich nicht gegen ihn. Beim Training habe ich immer geschaut, dass ich in seine Mannschaft kam. Er war einer der wenigen, die den letzten Pass drauf hatten. Er hätte jederzeit auch in der Oberliga mit spielen können. Und ich war ja immer ein guter Abstauber. Ich war nie ein richtiger Kicker, Trippeln war meine Sache nicht. Aber ich war schnell und haute auch mal mit dem Spitz ganz schiach drauf. Das sah nie toll aus, ich weiß, aber Tor ist Tor, oder etwa nicht?
Er trainierte schon mit dreizehn mit der Ersten mit. Ich habe ihn gleich ins Herz geschlossen, wegen seiner genauen Passes. Er stand im Strafraum gut über dem Ball und er war nicht eigensinnig. Ich lebte von ihm. Und als er dann älter wurde, haben wir ihn beim Ausgehen immer mit genommen. Ich habe ihn das erste Mal auf eine Frau gelegt. Nicht ganz natürlich, nur symbolisch. Ich habe sie ihm aufgerissen. Er hätte sich ja gar nicht getraut. Aber als sie dann nebeneinander saßen, hat es auch bei ihr gefunkt. Die Beiden waren lange Zeit ein Paar. So mit fünfundzwanzig war er dann wieder solo und trieb sich dann lange in abwechselnden Beziehungen herum.
Verdammt, er hört nicht auf mit dem Sudern. Meine anderen alten Freunde, die auch die seinen sind, die jammern auch schon. Alle auch geschieden. Aber sie haben das Ärgste jetzt halt schon hinter sich. Sie waren damals kurz nach ihren Scheidungen auch nicht anders. Oder doch? Ja, etwas war anders in Willis Fall, sonst würde ich die Geschichte ja nicht erzählen. Ja, etwas war ganz anders bei ihm. In Willi kochte ein Höllenfeuer. Dagegen hatten die Anderen mit ihren Frauen nur das Fegefeuer erlebt. Bei einigen war es wohl auch umgekehrt, da waren die Frauen die Armen.
In Willi kochte ein wahres Höllenfeuer, das nur brennen kann in einem wirklich guten Menschen. Und mein Willi, der ist so ein wirklich guter Mensch. Wie schon gesagt, ein harter, aber netter Hund, so einer zum Pferde stehlen. Dieses Höllenfeuer, das verbrennt ihn, es brennt ihn in den Boden. Diese Hölle frisst ihn innerlich auf. Und seine neuen stahlharten Bauchmuskeln helfen ihm dabei gar nichts. Seine Frau, ... ne, noch nicht, davon später. Es ist besser, ich halte Euch Leser, Euch Leserinnen noch eine Weile hin und so am Lesen. Wenn ich jetzt schon Alles auspacke, dann lauft Ihr mir glatt Alle gleich scharenweise davon, weil es so ununglaublich ist. Und doch ist es eine wahre Geschichte, die das Leben geschrieben hat.
Manchmal scheint mir, mein eigenes Leben holt mich immer wieder ein. Es scheint, als schriebe ich nicht nur für die Opfer, nein, es scheint, als sammelte ich sie auch. Es scheint, als schliefen sie Jahre, Jahrzehnte lang heimlich still und leise an meiner Seite, ohne dass ich davon eine Ahnung habe. So Schläfer eben. Ich denke, Ihr wisst, was ich meine. So schlafende Menschenbomben. Du lebst neben ihnen, du denkst, du weißt Alles über sie. Du denkst, du kennst ihn, sie.
Dabei hat Willi in den letzten gut fünf Jahren nur ein Spiel gespielt. Seit seiner Hochzeit haben wir uns ja nur noch selten gesehen, beim Fußball. Und das habe ich ja auch vor gut drei Jahren aufgegeben, weil ich am nächsten Tag nicht mehr laufen konnte, so dick geschwollen waren meine hinigen Knie. Dann nur noch so ein, zwei Mal vielleicht im Monat. Da war er aber immer gut drauf, hatte immer ein paar neue Witze auf Lager. Klar, er war nicht mehr so wie früher. Auf Aufriss gehen war nicht mehr, er liebte seine Frau und das Mädchen und dann den Jungen. Früher war er so ein eher stiller, aber wenn es sein musste, auch scharfer Aufreißertyp. Er sah immer gut aus, gute Figur, er brauchte nie viel zu tun. Die Hasen waren nicht gerade abgeneigt. Etwas zum Reden hatte er auch immer, er hing auch nie verzweifelt an einem schon abgewetzten Thema fest. Ich hielt ihn immer gerne aus, was ja bei mir immer schon eher selten war und heute noch viel seltener ist. Vor Allem: er war kein besserwisserischer Gutmensch, der mir das Leben als etwas erklären wollte, das es nun mal nicht war.
Es lief ihm immer gut, bis er auf Janet traf. Verdammt! Dabei habe ich es ihm gleich voll und beinhart gesagt. Warum, verdammt, hört nur Niemand auf mich? Shit! Echt, das habe ich nie verstanden. Dabei hatte ich dann doch immer wieder Recht. Zumindest wenn ich nicht gewettet habe. Deshalb wette ich auch nicht mehr. Mit neunundzwanzig ging mir da mal etwas total in die Hose, dabei war ich mir so sicher, aber das ist wieder eine andere lange Geschichte. Jedenfalls wette ich seitdem nicht mehr.
"Mann", sagte ich zu ihm, "Willi, lass die Finger von Der. Die hat das depressive Dynamit in ihren Augen. Glaube mir, Willi, Die hat die selben Augen wie Karin. Ne, Die hat noch schlimmere." Er hat es nicht glauben wollen und jetzt sitzt er bis zu den Nasenlöchern in der Scheiße. Als Karin damals explodierte, da zerriss es ihre ganze Welt. Doch Karin war gegen Janet ein wahres Honig lecken, dabei war auch sie schon ein paar Stangen Dynamit. Nicht ganz so viel halt.
Er hat es nicht geglaubt. Er hat sich mit ihr eingelassen. Am Anfang lief auch Alles gut. Sie sah ja wirklich toll aus und war auch echt ein tolles Mädchen, besser eine tolle Frau. Sie war ja auch schon über dreißig. Er schien glücklich wie nie. Janet nahm auch keine Pille. Klar, mit diesem Hormonschub kam so eine nicht klar. Ich wette, sie hat es zuvor schon x Mal ausprobiert. Ach so, ... wetten, na dann nicht. Aber ...
Na ja, jedenfalls kam dann gleich das Mädchen. Willi war irrsinnig happy. Sie haben natürlich gleich geheiratet. Da lief es auch noch so einigermaßen. Beim ersten Mal glaubte er noch an die Mär von der Hormongeschichte. Er dachte, bei ihm dauert die Geschichte halt ein wenig länger. Wird schon wieder. Er war schließlich hart im Nehmen. Und dass man Geduld und Ausdauer haben muss, wenn man etwas erreichen will, so viel hatte ihm sein Sport gelernt. Im Beruf hat er sich auch durchgesetzt, hat alle Schmufties, wie er immer sagte, die Studierten, hinter sich gelassen. Er sitzt jetzt im Management und die Doktoren und Magisters hören auf ihn. Also warum sollte er das mit seiner Frau nicht irgendwie auch hin kriegen. Und er liebte sie ja, verdammt, er liebt sie eigentlich noch immer. Schließlich hat sie ihm zwei verdammt liebe Kinder geschenkt. Und Liebe ist schließlich Liebe. Wer versteht schon wirklich, was das wirklich ist und warum und wieso? Und es gab ja auch immer wieder so Zeiten zwischendurch, wo sie "funktionierte". Aber selbst da, wenn sie dann himmelhoch jauchzend, anhänglichst und schuldbewusst auf ihm hing, wurde sie ihm mit der Zeit zu viel. Hyperventilationsphasen nennen das die Psychologen, so weit ich weiß. Und mit der Zeit schnallte er ja, dass danach wieder die andere Zeit dran war. Sein Leben war auf einmal wie eine Achterbahn. Rauf und runter und wieder rauf und wieder runter. Und Alles in einem Höllentempo, das er nicht und nicht unter Kontrolle bekam.
Dann schlug achtzehn Monate später der Junge ein. Und Peng. Scheiße. Auf ein Mal hatte er keine Frau mehr, nicht mal noch die halbe von zuvor. Sie wies ihn nur noch ab. Sie konnte nicht mehr. Sie wollte Nichts mehr von ihm wissen. Peng. Einfach so. Er hatte nicht die geringste Ahnung, er wusste kein Bisschen: WIESO? Er war doch immer gut zu ihr gewesen, ein guter Kerl. Er schlug weder sie noch seine Kinder. Er war ihr immer treu. Also ein guter Vater, Mann ja sowieso. Damit hatte er nie ein Problem. Er schwärmte richtig gehend von den Ficks, die sie gemeinsam hatten. Früher. Er kam dann sogar irgendwie mit den Zeiten ihrer Tiefendepression zu recht.
Ich habe ihn oft mit den Kindern gesehen. Beim Baden und so. In den letzten Jahren immer allein. "Sie hat Kopf weh", sagte er. Er sagte nie: "Sie hat (schon) wieder Kopf weh." Das weiß ich ganz genau. Doch er sagte es so oft. Das ist mir gar nicht aufgefallen, erst jetzt kommt es mir hoch. Oder vielleicht doch? Und er tat ja immer so auf super, wenn wir uns sahen. Dabei hätte ich es mir eigentlich denken können, ... müssen. Ich hatte ja damals schon so dieses Gefühl bei ihren Augen.
Willi hat Probleme, Mann o Mann. Man muss sich das ja vorstellen. Seine Frau kam mit den Kindern, dem Haushalt, überhaupt mit ihrem ganzen Leben nicht mehr zu recht. Sie kriegte davon Kopf weh, und zwar regelmäßig dann, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. Und jedes Wochenende Kopfweh. Und sie ging dann auf Sinnsuche. Fitnessstudio, regelmäßig zwei Mal pro Woche, Donnerstag war Weibertag, da blieb sie bis in die Früh. Oft wenn er am Freitag aufstand, Frühstück machte, auf die Uhr sah, weil er ja in die Firma musste, schneite sie im letzten Augenblick zur Tür herein. Aufgekratzt, angesoffen. Er hatte bald auch den Verdacht, dass sie noch was anderes nahm. Sein Leben war eine einzige Katastrophe. Er hatte jeden Tag Angst, wenn er vom harten Job nach Hause kam. Was hat sie den Tag über wieder ausgeschwitzt? Mit WAS muss er heute wieder fertig werden? Zuletzt redete sie oft von Selbstmord. Er wusste nicht, lebt sie noch? Leben die Kinder noch?
Kopfweh. Jedes Wochenende, seit sie nach der Geburt des Jungen aus dem Krankenhaus kam. Der Junge ist jetzt drei Jahre alt. Und wenn sie Kopfweh hatte, dann trieb sie ihn mit samt den Kindern aus dem Haus, ja sogar aus dem schönen, großen Garten. Sie konnte das Kindergeschrei, ja nicht ein Mal deren Lachen hören. Er zog dann mit den Kindern den ganzen Samstag, den ganzen Sonntag nach dem Mittagessen in der Gegend rum. Er traute sich nicht, sich irgendjemandem anzuvertrauen.
"Mann o Mann", sagte ich zu ihm, "warum hast Du Idiot denn nichts gesagt? Wir hätten ja zusammen was machen können. Ich hatte doch auch regelmäßig meinen Jungen. Du hättest zu uns in den Garten kommen können. Wenn Jimi da ist, dann wird doch ab Mai, wenn es schön ist, abends fast immer gegrillt. Und ein Biertscherl habe ich immer für dich, auch mehr, Mann o Mann, das weißt du doch." Er hat sich nicht getraut. Verdammt!
Und dann brach es aus ihm heraus. Janet wurde als Kind missbraucht. Ich sagte: "Aber nicht vom Vater, der ist ja schon gestorben, als sie so um die zwei Jahre alt war." (Vater hat sich aufgehängt!) Ne, na klar. Und dann druckst er rum. Ich frage: "Einer von den Onkeln?" "Ne!", gebe ich mir gleich selber die Antwort. "Die kenne ich alle, das hätte ich gefühlt. Ne, von denen ist Keiner so eine Sau. Ne, so irren ist bei mir nicht. Du weißt ja, für Opfer oder Täter habe ich eine Nase. Mein Dichterschwanz spürt die sogar, wenn sie sich hinter meinen Rücken neben mir an die Bar setzen."
Ich setze dann nach. So etwas interessiert mich immer, der Dichter in mir läuft ja dauernd solchen Geschichten hinterher. Und auf diese Täter-Opfer-Geschichten bin ich inzwischen ja richtig dressiert. "Einer von den Nachbarn?" "Ne, die sind okay." "Einer ihrer Lehrer?" "Ne." Dann lenkt er ab, erzählt mir wieder eine andere Geschichte, irr, einfach irr, nicht zu glauben. Aber dann nach zwei weiteren Whiskeys kommt er damit rüber. Wir haben ja in dieser Nacht eine ganze Flasche geleert, mit Red Bull und dann mit Cola. Ich habe mich mit ihm grausamst angesoffen. Aber was tut man nicht Alles für seine Freunde, und wenn man auch noch ein schlechtes Gewissen hat. Er schmeißt dann so ganz nebenbei in eine Geschichte eingebaut und zart versteckt, folgende Worte hin:
"Sie kann nicht mehr mit den Kindern schlafen. Sie hält ihre eigenen Kinder im Bett neben ihr nicht aus. Kannst du dir das vorstellen?" Gott o Gott, und da schuppt es mir gewaltig von den Augen. Die Mutter! Na klar, das war es, was so anders war bei ihr, als bei Karin und einigen anderen, die ich so kenne. Und da fange ich zu rechnen an, während er weiter erzählt. Ihre Mutter ist aus dem Sudetenland. Sie ist jetzt siebzig, so weit ich weiß. Er erzählte ja letztes Jahr irgendwann von der großen Geburtstagfeier. Es waren lauter alte Weiber da, und er mit seiner Frau und den Kindern. Die Feier war eine Katastrophe für ihn. Sie haben nur auf die "scheiß Mauna" geschimpft und er musste sich den Scheiß stundenlang anhören.
2002 minus 70, das ist 1932, dann war ihre Mutter 1945 gute dreizehn Jahre alt. Und die Tschechen waren damals ja nicht gerade zimperlich, wie man jetzt endlich zugeben darf, ohne dass man gleich ein Nazischwein ist. Bingoo. Die haben dem kleinen Mädchen wahrscheinlich Seele, Herz und Hirn ruiniert. Janets Vater wollte dann wahrscheinlich mit seinem Wissen nicht mehr weiter leben. Und geholfen hat denen damals ja kein Mensch, und unser 68er-Gutmensch schon gar nicht. Der wollte davon Nichts wissen. Zum Psychiater gehen ging nicht, das konnte sich damals kein Arbeiter leisten. Einen Krankenschein dafür gab es nicht, also hat sich der arme Mann dann aufgehängt.
Und die Frau war dann einsam. Sie hatte ja dann nie wieder einen Mann ins Haus gelassen. Und in ihrer Einsamkeit hat sie sich dann ihre Kleine ins Bett geholt. Und irgendwie wird es dann halt irgendwann passiert sein. Mutter und Tochter. Ein Irrsinn des Lebens. Und Janet kann jetzt nicht mit ihren Kindern schlafen. Ob Willi weiß, warum? Ich weiß es nicht, aber mein Dichterschwanz weiß Dieses:
Man muss sich das ja einmal vorstellen. Sie kann mit ihren eigenen Kindern nicht im selben Bett schlafen. Ja, sie dreht fast durch, wenn sie zu lange mit ihnen alleine ist. Janet ist Mutter. Und "Mutter" sein, das bedeutet für Janet nicht das selbe, wie für Dich und für mich. In Janet ist die absolute Hölle. Sie hat Angst, furchtbare, furchtbare Angst, sie könnte sich auch an ihren Kindern vergreifen. Deshalb hält sie ihre Kinder nicht aus. Sie hat Angst, so unvorstellbare und Herz zerreißende, ihre Seele zerfetzende Angst. Und sie kann mit Niemandem darüber reden.
Es war ja ihre Mutter. Das glaubt ja kein Mensch. Es ist ja schon schlimm, wenn dich dein eigener Vater ... aber die Mutter, nein, eine Mutter tut so was nicht. Über so etwas mit anderen reden, das ist nicht. Das ist in unserer Gesellschaft noch immer ein absolutes Tabu. Wir haben doch seit Freud jetzt gerade mal so ein wenig begriffen, dass der Vater auch Täter sein kann. Dabei kann das ein Vater, der ein Vater ist, gar nicht verstehen. Man will es sich ehrlich gesagt nicht einmal vorstellen. Und doch ist das Leben so. Und jetzt sollen wir DAS auch noch begreifen. Aber die Chinesen glauben wohl nicht umsonst ans Ying und ans Yang. Wie im Guten, so im Bösen. Bis der Mensch jetzt DAS wieder begreift, wird wohl ein weiteres Jahrhundert vergehen müssen, insbesondere, wo doch die jeweiligen Gutmenschen ihrer Zeit vom Bösen ja nichts wissen wollen.
Die Mutter, die eigene Mutter! Das war es in ihren Augen, das mich damals so irritiert hat, als ich sie das erste Mal sah. Janet ist ganz alleine in ihrer Hölle. Sie hat keine Chance auf Behandlung, auf Hilfe. So lange ihre Mutter noch lebt, wird sie auch keine Heilung suchen. Der Skandal. Sie würden Alle mit dem Finger auf sie zeigen. Wer weiß, ob es überhaupt jemand glaubt?
Willi ist heute wieder toll in Schuss. Doch Willis Glaube an die Frauen ist zerbrochen. Er hofft, dass er bald eine findet, die normal und gesund ist und vielleicht auch bleibt und ihn vielleicht nimmt, samt seinen Kindern, denn er weiß nicht, wie es weiter gehen soll. Janet hält ihre Kinder ja nicht lange aus. Er müsste seinen Job aufgeben. Was dann? Von was soll er bitte leben? Und er weiß, über Kurz oder Lang hat er die Kinder alleine "am Hals". Jetzt hat er auch begriffen, warum sie die Kinder nie bei ihrer Mutter alleine gelassen hat. Also, bitte, wohin mit den Kindern? Er hat ja selber keine Mutter mehr.
Willi und Janet hatten nie eine Chance. Nie und nimmer, der Täter war schon früher da. Bei Willi und Janet war es halt eine –rin, die selbst zuvor armes Opfer war, von ihrer Welt im Stich gelassen. Durch die Politik des Verschweigens des Leids der Menschen auf der Großen Flucht hat man diese Opfer gleich noch einmal über den Tisch gezogen.
Diese Geschichte glaubt mir wieder einmal kein Mensch, sie ist aber wahr, und sie beweist einmal mehr, wie gefährlich es ist, wenn sich eine Gesellschaft, wie die unsere, nicht um ihre Opfer schert und einfach so tut, als gäbe es sie nicht.
© Copyright by Lothar Krist (10.2.2003)