Kein schlechtes Gewissen?
Wach.
Unter einem Haufen von alten Decken und Altzeitungspapier begraben, machten sie ihre Augen auf. Schmutz, Gestank. Sahen als erstes den Atem des anderen an sich vorbei ziehen. An ihren Nasen schienen Eiszapfen zu hängen. Haben gar nicht richtig geschlafen. Mehr eine Art Halbschlaf. Sie mußten sich ausruhen, waren viel unterwegs. Doch nun hatten sie aufzustehen, würden in der Kälte sonst zu tode schlafen. War ja auch Winter. Und das schon lange. Mußten sich bewegen, aufwärmen. Zuerst stand Peter auf und wurde geblendet von der weiß angestrichenen Wand eines Wohnhauses in Kalk. Es stand am Rand des Parkplatzes auf dem sich unser Trio hinter einem Papierkontainer niedergelassen hatte. Seit einem Jahr schon kamen sie zu an diesem Ort um die Nacht über da zu liegen. Peter bekam die Augen nur schwer auf. Hatte zu kämpfen. Wach war er aber. Unweigerlich stand er mit einem lauten Krächsen auf. Hat es absichtlich laut gemacht. Alfons folgte ihm. Atmete erst langsam tief durch und stand dann auch auf. Wollte nicht im Halbwarmen liegen bleiben. Stand rasch auf. War ein bischen jünger als Peter, trotzdem steinalt. Dann guckten sie sich gegenseiteig an. Hatten keine Zigaretten. Ein Schluck Fusel. Alfons fing an sich mit den Handflächen die Beine runter zu reiben. Dann wieder hoch. Kratzte sich am Kopf. Peter rieb sich mit seinen Fingerspitzen die Stirn hoch. Juckte sich an seiner kalten Nase. Wischte sie sich trocken. Alfons pulte sich noch Dreck aus den Augen. "Ich habe noch ein bischen Kleingelt" mummte Peter. Alfons mußte antworten: "Ja, lass uns Kaffe holen." An dem Kiosk bei der alten Fabrik gab es in Plastikbecher gefüllten Kaffe für fünfzig Pfennig. Ein Windzug fegte über ihre beiden Rücken. Sie verschränkten die Arme und ließen ihre Hände unter den Oberarmen verschwinden. Den Kopf nach unten gesenkt, den Rücken zum Buckel gekrümmt, standen sie da. So war es ein bischen wärmer. Das Gewicht abwechselnt auf den einem und dann auf den anderen Fuß verlagernt. Dann gingen sie los.
Horst lag noch da. Er war der Allerälteste. Und unterwegs fing Peter an zu erzählen, fing an sich mit Alfons zu unterhalten: "Alfons...?" Dann holte er erstmal tief Luft. "Wenn ich am einschlafen bin, dann habe ich das Gefühl in eine warme Kiste zu steigen. Und wenn ich anfange zu träumen, dann schließt sich diese Kiste und mir ist ganz warm. Und fühle mich wohl, sehe nicht was außerhalb dieser Kiste vor sich geht. Doch wenn ich aufwache, dann öffnet sich der Boden und ich falle. Erst wenn ich aufgestanden bin, falle ich nicht mehr." Alfons hatte eigentlich nicht die Lust sich zu unterhalten: „Ich träume nie.“ Als sie am Kiosk ankamen und eine Weile dort verweilten wurde Peter stutzig: "Wo bleibt denn Horst? Sonst kommt er doch immer nachgelaufen. Noch nie ließ er so lange auf sich warten. Lass uns mal zurück gehen und nachsehen." "Warte", erwiederte Alfons. "Nein, lass uns nicht zurückgehen. Lass uns den Kaffee zuende trinken und dann woanders hingehen. Ich habe Angst, dass er noch immer noch da liegt."
Dann guckten sie nach unten auf den Boden und waren ruhig. Auf dem Bürgersteig klebten alte Kaugummies die schon schwarz getreten waren. Sahen zwischen die Bordsteinplatten den Unkraut an, der sich da mühsam hindurch gezwängt hatte. Kratzten sich am Kopf, rieben sich die Oberarme warm. Zum Glück fing der Kioskbesitzer an sich mit ihnen zu unterhalten. Er machte dumme Witze über das Leben. Sie lächelten aber lachten nicht wirklich. Vielleicht stoßten sie mal etwas lauter den Atem aus. Der alte Kioskverkäufer äußerte sich dann noch über die Politiker. Man werde nicht beachtet. Peter und Alfons hörten zu und nickten zustimment. Schauten dabei wieder auf den Boden. An der Theke bildete sich eine Schlange von Fabrikarbeitern. Peter und Alfons standen abseits, wollten nicht mehr warten. Wolken zogen am Himmel vorbei. Es wurde grau. Sah nach Regen aus. „Es wird bestimmt gleich anfangen.“ Passanten packten schon ihre Regenschirme aus. Dann gingen Peter und Alfons in eine andere Richtung weiter. Es regnete nicht. Doch von der Ferne hörten sie schon das Donnern.