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Kein schöner Anblick
Karl sitzt mit dem Rücken zur Wand in der Kneipe, in der er immer ist, wenn er nicht zu Hause in der Kuhle seiner Couch sitzt. Die Wange hat er in die Hand gelegt, stützt den Ellenbogen auf die Tischplatte. Sein Blick verliert sich im stumpf gewordenen Glas.
Auf den Fensterscheiben liegt ein blauer Dunst, draußen auf den Straßen ein hell werdender Tag und Karl versucht auf die Füße zu kommen. Mühevoll stellt er sich auf, seine Beine sind wacklig und er denkt an die Zeit zurück, wenn er morgens früh aus dem Haus musste, da war er noch stark. Da stand er mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Werkshalle, kontrollierte die Abläufe der Maschinen, wies die Hilfskräfte ein. Doch jetzt taumelt er, stützt sich am Fenster ab und verschmiert das Gemisch aus Nikotin und Staub – ein schöner, auf Glas gebannter Regenbogen.
Als er noch stark war, kam er erst nach Feierabend, irgendwann aber wurde die Firma verkauft und er weg reduziert. Es dauerte nicht lange und Karl kam immer früher in die Kneipe, hat auf seine alte Truppe gewartet, schon mal eins, zwei später sogar drei vorweg getrunken und am Abend dann den Heimweg für alle hinaus gezögert. Bernd blieb noch am Längsten bei ihm doch irgendwann ist die Truppe gar nicht mehr gekommen, hat wo anders den Abend gefeiert, ganz ohne Karl. Er öffnet die Tür der Kneipe und blickt in den hell werdenden Morgen, senkt seinen Blick, zieht den Kopf zwischen die Schultern und geht nach Hause. Die Straße muss er nur hinunter laufen, dann die erste links, bei dem dritten Hauseingang bleibt er stehen, pfriemelt einen Schlüssel aus der Hosentasche und schließt auf.
Im Hausflur hängen die ordentlich geleerten Briefkästen all der Nachbarn, die ihn meiden. Aus seinem Briefkasten quillt in Plastik eingepackte Werbung. Die Nachbarn finden den Anblick nicht schön. Eines Morgens standen sie vor ihm, haben im Hausflur auf ihn gewartet und es ihm gesagt, aber dann ist er an ihnen vorbei gegangen, hat die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen und sich wieder in seine Kuhle gesetzt. Aus Gewohnheit macht er den Fernseher an, schaut aber nicht hinein. Er sitzt einfach da, isst Fisch aus der Dose. Die Fernbedienung liegt dicht an seinem Schenkel. Ihre Zahlenknöpfe sind abgewetzt. Das Fach, in dem die Batterien stecken, ist mit braunem Klebeband fixiert. Der Aus-Knopf leuchtet kräftig rot. Durch die zugezogenen Vorhänge kommt kaum Licht in das Wohnzimmer. Die Luft ist verbraucht und Karl nickt ein, verliert sich im Traum: Er träumt, wie die zu langen Tage ein Ende nehmen, das morgen sein neues Leben anfängt und am Tag darauf scheint wieder die Sonne. Er lacht mit Kollegen, setzt sich wieder ein Limit und dann passiert es: Ein Gemisch aus unverdautem Fisch und Magensäure wälzt sich die Speiseröhre hinauf. Seine Mundwinkel verziehen sich, doch er träumt lieber. Mit letzter Kraft hebt sich seine Brust und dann erstickt er an dem, was ihm im Halse Stecken bleibt. Zu bequem ist der Traum.