Mitglied
- Beitritt
- 29.01.2002
- Beiträge
- 14
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Kein Glück
... Langsam komme ich zu mir. Ich öffne meine Augen und um mich herum ist es dunkel und sehr still. Ich glaube mich zu erinnern, das es bis vor kurzem eigentlich nicht so still war. Etwas fehlt hier. Dieses seltsame Gefühl zu wissen, das etwas nicht so sein kann wie es ist, aber den Grund nicht zu kennen, warum es so ist, macht mich stutzig. Ich versuche mich zu bewegen, doch irgendwie will kein Muskel auf die Steuerimpulse meines Willens reagieren.
Dann bricht er auf mich herein. Dieser Schmerz. Plötzlich scheint jeder Knochen in meinem Leib weh zu tun, jeder Nerv zum Zerreißen angespannt zu sein. Das Gefühl für meinen Körper kehrt langsam wieder in mich zurück. Nur das Gefühl in meinen Beinen läßt sich auch durch weitere Bewegungsversuche nicht reanimieren.
Das Sehpurpur in meinen Augen hat sich nun ausreichend abgebaut, um mir eine grobe Orientierung zu verschaffen. Ich erkenne das Lenkrad meines Autos. Dahinter Tacho und Drehzahlmesser. Ich kann letztlich das ganze Cockpit meines Autos erkennen, alles jedoch in absurdem Verhältnis zueinander. Alles wirkt verschoben, verformt und irreal. Die Frontscheibe fehlt.
Die letzten Sinne nehmen ihre Funktion wieder auf. Ich hänge irgendwie in meinem Gurt. Mein Gleichgewichtssinn meldet eine Schräglage von etwa 170°. Ich muß mit meinem Auto auf dem Dach liegen. Was war passiert?
Gleichzeitig mit dem Feingefühl setzt auch wieder ein reales Denken ein. Ich spüre wie eine warme Flüssigkeit meinen Oberschenkel hinauf läuft, etwa in der Mitte des Selben kurz verharrt um dann einen Tropfen zu bilden der immer dicker wird, bis er der Schwerkraft nicht mehr trotzen kann und mit einem dumpfen Geräusch auf den Dachhimmel fällt. Die Flüssigkeit verrät sich durch ihren schweren, metallischen Geruch. Es ist Blut. Mein Blut.
Die Stimmung ist noch immer ausgelassen, als er mit einem Kumpel die Fete verläßt. Sie haben eigentlich nicht vor, lange weg zu bleiben. Es ist gerade sehr amüsant. Einer der Partygäste, der bei dem Trinkspiel zuvor verloren hatte, hat gänzlich die Besinnung verloren. Zur Freude aller anderen.
Er selbst hat zwar auch gut mitgehalten, aber diese kurze Strecke ist zu schaffen. Sie wäre auch im Zustand des gescheiterten Trinkspielers zu schaffen, denk er schmunzelnd. Dennoch muß er sich sehr zusammenreißen, um geradeaus laufen zu können. Er und sein Kumpel wollen nur einen Ort weiter fahren, um dort ein Mädchen abzuholen, welches ihm schon lange den Kopf verdreht. Wer weiß? Vielleicht wird er es heute schaffen, sie in in dieser Hinsicht anzusprechen. Genug Mut habe ich mir ja angetrunken, denkt er bei sich und kann sich diesmal einen kurzen Lacher nicht verkneifen.
Sie setzen sich ins Auto und fahren gleich los. Nach einer kurzen Fahrt durch die Ortschaft befinden sie sich auch schon auf der Umgehungsstraße, die sie geradewegs zum nächsten Ort bringt, dem Ziel dieser Fahrt. Doch kaum einige Meter gefahren, biegt direkt vor ihnen ein LKW auf ihre Spur ein.
"Dich Krieg ich, du Penner!" Hört er sich sagen und drückt das Gaspedal durch. Er schert aus, und ist gerade dabei, den Laster auf der Linksabbiegerspur des Gegenverkehrs zu überholen, als hinter der Kuppe die beiden Lichter eines Fahrzeuges auftauchen. Er sieht für eine Sekunde in den Lichtkegel und will gerade nach links ausweichen, doch ehe er diese entscheidende Handbewegung hätte machen können war es schon zu spät. Er rast ungebremst in das entgegenkommende Fahrzeug und sieht noch, wie es über seinen eigenen Wagen hinweg schießt, wie über eine Schanze. Nach einer endlos scheinenden Schleudertour bleibt sein Wagen am linken Straßenrand stehen.
Wie in Zeitlupe sieht er den LKW-Fahrer aus seinem Führerhaus steigen und zu dem anderen Fahrzeug laufen, von dem nur noch die beiden Hinterräder aus dem Dickicht ragen. „Hallo?!“, hört er ihn immer wieder rufen... „Hallo?!“.
Nun war es endlich soweit. Ich werde bald schon mit meiner Frau in unsere neue Wohnung ziehen. Mit Stolz sage ich bewußt „Meine Frau“, denn das ist erst seit einer Woche so. Unsere Hochzeit war ein Traum. Und unsere Flitterwochen versprachen mindestens genau so aufregend zu werden. Und wenn wir erst mal eine gemeinsame Wohnung haben, hört diese ewige Pendlerei auch auf. Ich freue mich schon richtig. Ob das wohl gut geht, wenn wir uns dann jeden Tag sehen? Gewohnt sind wir das ja nicht. Und je länger wir uns nicht gesehen haben, desto heftiger sind die „Begrüßungen“. Bei diesem Gedanken legt sich ein Lächeln über sein Gesicht. Aber wieso sollte es schief gehen? Wir kennen uns schon so lange und verstehen uns noch immer so prächtig. Möge es noch lange so bleiben.
Nur noch 32 Kilometer, dann sind wir am Flughafen. Alles läuft nach Plan, kein Stau auf der Autobahn, keine Schlafmütze, die den Verkehr aufhält. Schon bald sitzen wir im Flugzeug, mit erleichtertem Lächeln im Gesicht.
Ich wäre lieber morgens geflogen. Ohne Zwischenstop wäre das aber nicht möglich gewesen. Dann lieber direkt. So kommt man auch nicht in den Berufsverkehr.
Oh! Meine Abzweigung! Ich schalte zurück, setze den Blinker links und steuere langsam auf die lange Abbiegespur.
Ich nehme den Blick kurz von der Straße um nach rechts zu schauen. Dort auf dem Beifahrersitz schläft sie. Meine Königin. Meine kleine Kröte.
Irgend etwas Abnormales am Verkehr läßt mich sofort wieder in Fahrtrichtung sehen. Sofort, aber trotzdem zu nicht schnell genug.
Auch mein Erinnerungsvermögen kommt nun wieder zurück. Das Blut tropft nun nicht mehr, es ergießt sich nun in einem hauchdünnen Strahl über mich auf die Innenseite des Wagendachs. Ich versuche, das Bein zu bewegen doch es klemmt irgendwie fest. Mir wird schwindelig. Ich drehe den Kopf vorsichtig nach rechts. Da liegt Jasmin. Sie ist aus dem Gurt gerutscht und liegt mit dem Oberkörper halb aus dem Fenster. Sie bewegt sich nicht.
Ich will gerade über sie rufen, mich selbst befreien und ihr zur Hilfe kommen, da verlassen mich meine Kräfte. Meine Sinne weichen. Ich spüre auch keinen Schmerz mehr.
„Hallo?!“, höre ich noch jemand rufen, scheinbar weit entfernt... „Hallo?!“
Ich spüre, wie das Leben meinen Körper verläßt ...
-------------------------
Vaihingen/Enz
In der Nacht zum Samstag ereignete sich auf der L1131
ein schwerer Verkehrsunfall, bei dem zwei Personen
ums Leben kamen. Aus zunächst ungeklärter Ursache
geriet ein junger Fahranfänger, der nach Polizeian-
gaben zudem unter Alkoholeinfluß stand, in den
Gegenverkehr und prallte frontal auf ein entgegen-
kommendes Fahrzeug. Durch die Wucht des Aufpralls
hob ein Fahrzeug regelrecht ab und wurde an einen
am rechten Fahrbahnrand stehenden Baum geschleu-
dert. Die beiden 25 und 27 Jahre alten Insassen dieses
Wagens konnten von der freiwilligen Feuerwehr nur
noch tot geborgen werden. Der 19-Jährige Fahrer des
anderen Fahrzeugs sowie sein 21 Jahre alter Beifahrer
blieben nahezu unverletzt, wurden aber unter Schock
in das städtische Klinikum gebracht. (Pol.)