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Kein Fuchs und kein Hase

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09.12.2001
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Kein Fuchs und kein Hase

Unsere Häuser haben eine feste Zuordnung, denn unsere Strassen haben Namen. Es steht fest, ob wir auf der Seite mit den geraden oder ungeraden Hausnummern wohnen. Unsere Hausnummer passt exakt in die Reihe. Es gibt Regeln und die Gemeinschaft legt fest was wir sind und wie wir sind. Zumindest solange alle sich daran halten.

Ich hatte diese neue Wohnung bezogen. Es war eine kleine Wohnung in der Innenstadt und sie hatte einen Balkon zum Innenhof des Hauses. Das Haus war alt und grau, ziemlich furchtbar insgesamt. Warum ich die Wohnung gemietet hatte? Keine Ahnung? Ich habe sie mir angesehen und irgendwie gewusst, ich würde dort einige Ideen haben. Ich bin Texter.
Der Job ist hektisch, weil die Konkurrenz so groß ist und an manchen Tagen glaubt man fast, sie ist so groß, dass alle wirklich guten Ideen schon an die anderen verlorengegangen sind.
Aber an anderen Tagen findet sich eine gute Idee und dann sieht alles schon wieder viel besser aus, viel besser! Also ich bildete mir ein, in gerade dieser Wohnung würde ich die Ideen haben, die ich brauchte und so war es dann auch, meistens jedenfalls. Mir viel ein gerissener Claim für einen Müsliriegel ein. Und für ein neues Waschmittel. Gut? Gut!
Ich hatte es mir angewöhnt, auf dem Balkon zu sitzen und Cappuccino zu trinken. Capuccino zum aufbrühen. Man hatte mir 200 Päckchen geschenkt. Warum?
"Cappuccino macht froh, unserer sowieso!"
Nun da saß ich auf meinem Balkon und sah in den Hof. Meistens spielten da unten die Kids. Es war eine Gruppe von vier Jungen und drei Mädchen, die gerade alle in dem Alter waren, in dem man Fangen, Räuber und Gendarm und so spielt. War manchmal ein ganz schöner Krach!
Aber mich störte das nicht, im Gegenteil, es half, es brachte Ideen, weil Kinder so verdammt unkonventionell sind; alles ist möglich, keine Grenzen. Kinder leben so und deshalb reden sie ebenso miteinander und das hatte für mich viel für sich.
Ich hatte also den Kids zugesehen, wie sie sich in verschiedenen Varianten ein und des selben Spiels immer wieder gegenseitig einfingen!
Eines Tages passierte etwas außergewöhnliches. Vielleicht hätte ich es an vielen anderen Tagen übersehen, aber an diesem nicht!
Eine neue Familie war ins Haus gezogen. Den Namen habe ich vergessen. Sie hatten eine Tochter. Sie passte vom Alter her genau in die Gruppe der Kinder im Hof. Und bald hatten sie auch Kontakt mit dem Mädchen.
Es war etwas kleiner als die anderen, ruhig, sehr bedacht und fiel durch seine rotbraunen Haare auf, die einen Kontrast zu den grauen Wänden des Innenhofs darstellten.
Die kleinen waren im Hof und diskutierten die Spielregeln eines Spiels, das sie gerade selbst erfunden hatten. Einmal mehr ging es darum, sich gegenseitig einzufangen. Wie gehabt. Die Frage war nun, wer jetzt wen einfangen sollte und wer was war, will heißen, es ging darum, ob man jetzt Räuber und Gendarm heißen würde oder Cowboy und Indianer oder sonst wie.
Sie einigten sich auf Füchse und Hasen. Wie und warum sich Kinder letztlich immer einigen bleibt für uns Erwachsenen wohl irgendwie ein Rätsel.
Eigentlich wollten die Kinder gerade anfangen zu spielen, als man ein lautes Nein! hörte. Das kleine rothaarige Mädchen hatte gesprochen! Die anderen drehten sich zu ihr um. "Ich bin kein Fuchs!" sagte sie laut, klar und deutlich.
"Dann bist Du eben ein Hase." bot ein anderes der Kinder an.
"Nein, ich bin auch kein Hase! Ich bin ein Schmetterling!" antwortete sie.
"Ein was...?" fragte einer der Jungen.
"Ein Schmetterling! SCHMET...TER...LING!" so die Kleine.
"Das geht nicht!" meinte ein Mädchen.
"Ich sage ich bin ein SCHMETTERLING. Ich will es so und so bleibt das!" antwortete das Mädchen mit den roten Haaren.
Ich staunte. Sie war also ein Schmetterling. Ja, sie war ein Schmetterling. Nun gab es nicht mehr nur Füchse und Hasen in unserem Hof, sondern auch einen Schmetterling.

 

Hallo Vadeviesco,
ich finde die Geschichte sehr schön erzählt. Du beschriebst deine Eindrücke sehr anschaulich. Die Schlusspointe ist auch glaubhaft, insgesamt richtig gut. Ich habe überhaupt nichts zu meckern! Herzlichen Glückwunsch!
Ich wäre gern Fuchs gewesen, aber Schmetterling ist auch ganz schön!
Anerkennende Grüße! Marion

 

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