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Kehricht der Worte

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22.09.2013
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Kehricht der Worte

Kehricht der Worte

Angelika Wolters gehört zum Personal eines großen Reinigungsunternehmens. Sie ist 55 Jahre alt, geschieden und quasi alleinstehend, da ihre 30-jährige Tochter schon seit langem im Ausland lebt. Vielleicht sollte man sie eher als einsam bezeichnen, denn ihre sozialen Kontakte sind sehr dürftig, obwohl sie den Leuten mit einer zurückhaltenden Höflichkeit begegnet und von ihnen als sympathisch bezeichnet wird. Sie bewohnt eine winzige Dachwohnung , die sie Alltags nur für die nötigsten Einkäufe verlässt, wobei sie
sorgsam darauf achtet, möglichst niemandem im Treppenhaus zu begegnen. Frau Wolters liebt die Stille, verbringt ihre Tage in Schweigsamkeit und genießt daher auch die Einsamkeit der Büroräume, die sie während ihrer Nachtschichten zu reinigen hat. Dort nutzt sie ihre einzigartige Gabe, durch welche sie sich von gewöhnlichen Menschen unterscheidet. Für Frau Wolters werden nämlich die gesprochenen Wörter der Menschen in einer Weise sichtbar, als seien es achtlos fortgeworfene Gegenstände, die auf dem Boden zwischen Hausstaub und Wollmäusen vor sich hin modern.
Wenn sie beispielsweise einen Konferenzraum zu reinigen hat, so ist das Parkett für gewöhnlich übersät mit dem Wortmüll des Vortags. Da liegen Phrasen wie abgenagte Knochen neben Worthülsen, federleicht und aufgeschäumt wie Styroporbrocken, deren Krümel statisch aufgeladen an den Schuhen haften. Fürchterlich sind auch wissenschaftliche oder juristische Termini, die wegen ihrer Sperrigkeit in keinen Müllbeutel passen und das Entsorgen zu einer Strapaze machen. Frau Wolters denkt mit Schaudern an die Nacht zurück, als ihre Kehrmaschine sich im Gerichtsgebäude an einer Handvoll Paragraphen verschluckte und darauf heißlief. Bevor bei einer Gebäudereinigung also der Staubsauger das Sagen hat, um mit seinem gefräßigen Saugstutzen alles Gesprochene zu inhalieren, stochert Frau Wolters mit dem Besenstiel auf der Suche nach verbalem Gefahrgut im Abraum umher. Manchmal trifft sie dabei auch auf thematische Begriffe, die zwischen all den Worttrümmern als Bedeutungsbojen dümpeln und Auskunft über den Inhalt der geführten Gespräche geben könnten. Besonders freut es sie, wenn sie auf neue Wortschöpfungen stößt. Diese heben sich als buntschillernde Paradiesvögel vom grauen Einerlei der übrigen Wörter ab und landen normalerweise als Trophäen auf der Wohnzimmerkommode von Frau Wolters, wo sie zwischen Porzellanfigürchen und Sammeltassen ein Nippesdasein führen.
Für Frau Wolters kann ein und dasselbe Wort, abhängig von der Intention, mit der es gesprochen wurde, sehr unterschiedliche Erscheinungsformen besitzen. So ist Gelogenes meist klebrig und haftet wie Kaugummi unter den Schuhen oder setzt sich hartnäckig an den Borsten des Besens fest. Geheucheltes hingegen ist glitschig und inkonsistent wie Auswurf und scheint infektiös zu sein. Zum Entsorgen dieses Sondermülls bedarf es natürlich spezieller Kleidung, zu der Gummistiefel und Schutzhandschuhe gehören. Frau Wolters erinnert sich diesbezüglich an den Sitzungssaal eines Parteigebäudes, dessen Rednerpult derartig verklebt und verkrustet war, dass sich manche Wörter nur mit dem Spachtel entfernen ließen. Ein anderes Mal war Frau Wolters unter der Kanzel einer Kirche auf einem frommen Wort wie auf einer Bananenschale ausgerutscht und hatte sich den Arm gebrochen. Zum Glück sind dort Flüche und Schimpfworte sehr selten zu finden, denn die gute Frau reagiert auf den Kontakt mit dieser Art Fundstücke, die gesprochen wie erbrochen wirken, sehr allergisch und musste sich daher bereits mehrfach einer Desensibilisierungskur unterziehen.(übrigens ein Wort , das sie sich damals beim Arzt aufschreiben musste, da es nicht in ihre Handtasche passte )
Bei allem Stress gibt es jedoch auch interessante und ungewöhnliche Entdeckungen, deretwegen Frau Wolters ihren Beruf überaus schätzt.
Eines Nachts erkannte Frau Wolters nämlich die Magie der Reimwörter. Sie mühte sich damals in der Stadtverwaltung mit der Entsorgung des Wortes "Eignungsfeststellungsprüfungsbedürftigkeitsprüfungsfragebogen", das sie seiner Sperrigkeit wegen nur mit äußerster Anstrengung vom restlichen Müll trennen konnte und überlegte gerade, wo am besten die Säge anzusetzen sei, als ihr auffiel, dass die Worte
"Umgezogen", "Modedrogen", "Ungelogen" daran klebten, wie Nägel an einem Magneten.
Hierdurch aufmerksam geworden, langte sie nach dem erstbesten Wort, dass in Reichweite lag und hielt es wie eine Leimrute über den herumliegenden Wortsalat. All das, was sich darauf reimte, schnellte, wie von Geisterhand gelenkt, dem Köder entgegen und blieb daran haften .
Diese Entdeckung hat Frau Wolters seither bei der Reinigung des Trausaals im Standesamt nutzbringend verwenden können. Da der dortige Boden für gewöhnlich nur mit "Ja"-Worten bedeckt ist, genügt ein einziges auf "a" endendes Wort, um mit dessen
magnetischer Wirkung für sofortige Sauberkeit zu sorgen. Wenn sich Frau Wolters in einer romantischen Stimmung befindet, so bedient sie sich für diesen Zweck vorzugsweise ihres Vornamens "Angelika". Wenn dann innerhalb weniger Sekunden an diesem Wort Hunderte von "Ja-Worten" kleben, so sonnt sich Frau Wolters für einen kurzen Augenblick in der Illusion, begehrt und verehrt zu sein. Doch im nächsten Moment gibt sie sich einen Rück, öffnet den Mülleimer und entsorgt die Eheversprechen ohne mit der Wimper zu zucken. Einmal blieb nach solch einer Blitzsäuberung ein einziges wehrhaftes Wort auf dem Boden liegen. Es war ein schlichtes "Nein". Frau Wolters hob es
vorsichtig auf und betrachtete es mit einer Mischung aus Heiterkeit und Erstaunen.
Auch dieser Fund hat den Weg auf Frau Wolters Wohnzimmerkommode gefunden und erinnert nun daran, dass ein einziges Wort auch ganze Romane erzählen kann. Eine Arbeitsschicht mit den hier beschriebenen Unwägbarkeiten kann ermüdend lang werden.
Erst dann, wenn die letzten Worte in die Müllsäcke gestopft worden sind und die Flure so reinlich entleert wirken, als hätten dort nie Gespräche stattgefunden, legt sich eine wirkliche tiefe Stille über das Gebäude. Es ist darin ein wahrhaftiger Friede, unbelastet von den Bedürfnissen, Forderungen und Streitigkeiten der dort tätigen Menschen. Frau Wolters registriert diesen Wandel mit einem Glücksgefühl und stellt lächelnd den Besen fort.
Wenn sie in den frühen Morgenstunden von ihrer Nachschicht heimkehrt, so kommt sie im Treppenhaus an den nebeneinanderliegenden Wohnungstüren ihrer Nachbarinnen
vorbei. Dort liegen für gewöhnlich massenhaft Klatsch- und Tratschworte, unter denen auch häufig die Namen "Wolters" und "Woltersche"zu finden sind.
Da Ihre Hausmitbewohnerinnen offensichtlich nicht vor ihren eigenen Türen kehren,
unternimmt dies Frau Wolters, indem sie mit den Fuß den groben Müll zusammenkratzt, aber bei der Entsorgung verstößt sie wissentlich gegen ihre beruflichen Vorschriften. Sie hebt nämlich die Fußmatten der Nachbarinnen an einer Ecke in die Höhe und schiebt den Wort-Kehricht darunter, bevor sie schließlich die restlichen Stufen zu ihrer Wohnung emporsteigt.

 
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Angelika Wolters gehört zum Personal eines großen Reinigungsunternehmens. Sie ist 55 Jahre alt, geschieden und quasi alleinstehend, da ihre 30-jährige Tochter schon seit langem im Ausland lebt.

Guten Tag, Tellstar (Differnzierungsheld oder Erzählstern?),

und welcome auf dieser Plattform, gleich doppelt sowie identisch, wenn ich recht sehe.
Das Fettige scheint mir wortmüllbar, hat irgendwie Nullwert für die Story noch für die Charakterisierung von Angelika, es sei denn du willst auf Deubel komm raus dein quasi promoten, ich würde aber drauf ausglitschen.

die sie Alltags nur für die nötigsten

alltags

... unterziehen.(übrigens ...

... unterziehen. (Übrigens ...

finden, denn die gute Frau reagiert auf

Find ich ungut formuliert, hülsig und textunangemessen - nichts für Angelikas Vitrine (auch falls du hier mit dem "gute" auf den christlichen Kontext zieltest)
Ein anderes Mal war Frau Wolters unter der Kanzel einer Kirche auf einem frommen Wort wie auf einer Bananenschale ausgerutscht und hatte sich den Arm gebrochen.

Das ist gut, wie so manches hier. Ich hätte hier instinktiv dem benutzten Kondom den Vorzug gegeben, aus der Rippenbruch resultiert. Aber vielleicht ist die Bananenschale auch besser, jedenfalls eine Inspirationsquelle ...


haften .

Leerzeichenversündigung (Du hast wirklich nicht viele Fehler im Text.)

befindet, so bedient sie sich für diesen Zweck vorzugsweise ihres Vornamens "Angelika". Wenn dann innerhalb weniger Sekunden an diesem Wort Hunderte von "Ja-Worten" kleben, so sonnt

Hier kann ich einen Verbesserungsvorschlag aufbieten. Mindestens eines dieser "so" täte ich Frau Wolters in ihren Sack legen. Außerdem, das kursive betreffend - schöner klänge mE:

Kleben dann innerhalb weniger Sekunden...,

da die etwas sperrige "wenn dann"-Verschwulstung dadurch umgangen würde.

Doch im nächsten Moment gibt sie sich einen Rück, öffnet den Mülleimer und entsorgt die Eheversprechen ohne mit der Wimper zu zucken.

Sehr schön, doch reicht da schon der gegebene "Ruck". (und Komma vor ohne)

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es klug war, die Basis des Erzählens hier in der Präsensform anzulegen.
Deine Satire basiert auf einer trefflichen Idee, welche du nicht minder schön umgesetzt hast.
Hat mich schmunzeln lassen, deine Wort-Müllersfrau.
7miles

 

Hej Tellstar,

abgesehen von der hin und wieder falschen Formatierung liest es sich erstmal gut.
Ich bin unruhig geworden, als für meinen Geschmack relativ lange die Konsistenz einzelner Wörter beschrieben wird, ohne eins zu benennen. Irgendwann kam das.

Es gibt ein paar nette Ideen. Die Magnetwirkung von Reimen und wie Frau Wolters ab und an ihren Vorname mit lauter "Ja's" schmückt, das hat mir gefallen.

Zum Schluss habe ich bei den Beispielen, die die Fähigkeit der Frau Wolters beschreiben, das Gefühl, dass etwas fehlt, eine Konsequenz, etwas Spitzeres als die Tatsache, dass Frau Wolters sich einzelne Wörter auf ihre Kommode stellen, damit aufräumen und sie den Nachbarinnen zuschustern kann.

Trotzdem hab ich die Geschichte gerne gelesen.

Ich wünsche Dir noch viel Spaß hier,

LG
Ane

 

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