Kaufhaus
Schon als ich die Rolltreppe betrat, wurde mir mulmig, dort, wo ich hinwollte/sollte war ich noch nie gewesen. Ich würde in Bereich vordringen, die ich noch nie in meinem Leben betreten hatte. Eine Art Mission, ich als Raumschiff Enterprise. Ein mutiger Mann, der sich ungeahnten Herausforderungen stellt, ein moderner Held. Tapfer, todesmutig, bereit eine neue Welt zu entdecken, ein Christopher Kolumbus der Neuzeit, ein Conquistador.
Irgendwann zu diesem Zeitpunkt meines Lobliedes auf mich selbst, war ich auch angekommen. Ohne es wirklich bemerkt zu haben, schien ich auf einen völlig anderen Planeten gelandet zu sein. Grün, gelb, blau, rot, pink plus diverse Abstufungen dieser Farben stachen mir ins Auge. Eine Welt, wie aus dem Tuschkasten. Solche Farben kannte ich von Bonbons oder mißglückten TV Testbildern. Die Wirklichkeit hatte für mich immer andere Farben gehabt, ich schien mich getäuscht zu haben, diese Wirklichkeit schien nur diese Farben zu kennen. Es war eine Reizüberflutung aller erster Güte, ich drehte mich um mich selbst und suchte verzweifelt nach einem beigen Farbton, der Treppe nach unten, zur Herrenabteilung oder aber der Treppe nach oben, zu den Elektronikwaren. Wie süß, wie verlockend kam mir die Aussicht auf einen Drucker, oder gar ein Breitbild-TV Gerät vor. Willenlos ergab ich mich in meinen Fluchtinstinkt. Sagte man (oder besser Frau) mir nicht erst letztens wieder, ich sollte mehr meinen Instinkten vertrauen?
Ganz langsam schaute ich nach rechts. Keine Reaktion. Vorsichtig setzte ich einen Fuß in Richtung Rolltreppe und erntete damit einen komischen Blick eines Halbwüchsigen. In ein paar Jahren geht es dir genauso, Kurzer! Nur noch zwei Schritte, einen...
Eine Hand findet meinen Arm und drückt zu. "Wo willst Du denn hin?"
"Öhm, ach nichts. Ich komm schon. Dachte nur, da wäre...ein Kollege."
"Mhm. Laß uns mal als erstes dahinten hin gehen."
Sollte es mir wirklich nicht erspart bleiben? Unwillig ergab ich mich in mein Schicksal, obwohl der animalische Teil in mir, der urwüchsige, der gesunde noch immer, ja sogar immer lauter, nach Flucht schrie. Ob Kolumbus auch so fühlte, als er in Amerika landete? Bestimmt! Sicher! Aber klar!
Irgendwie konnte ich mich auch schon mal besser selber belügen. Also, dann nicht, keine CDs, keine Videogames, stattdessen Oberteile und Tangas.
Wenn die hier mal alle in Tangas rumlaufen würden... Na ja, die da hinten nicht, aber immerhin beinahe alle...ja, dann. Dann wäre ich hier nicht der Einzige meiner Spezies. Aber so? Ich verdiene Mitleid, wo ist Amnesty wenn man sie mal braucht. Und warum schaut mich die alte Schachtel dahinten so an? Die lacht doch nicht etwa? Doch! Sie grinst. Etwa über mich? Blöde Kuh. Du bist halt alt und ich ein Mann, wo ist dein Problem?
Wir bleiben stehen, vor einem Wühltisch, sieht aus als sei Dali Amok gelaufen und hätte einfach alle seine Farbe auf diesen Tisch geknallt. Alles durcheinander, wild, bunt, knitterig. Ich mag keine Dali Bilder. Flinke Hände wühlen umher, suchen, fördern hervor, halten sich an und werfen wieder weg. Sie natürlich auch. Herdentrieb? Gruppendynamik? Oder auch wieder nur ein Instinkt?
"Wie sieht das aus?"
"Äh, ja. Großartig. Nehm das doch." so scheinheilig, wie möglich natürlich betont.
Sie schaut mich prüfend an, ich lache verlegen, dann legt sie es wieder weg. Ich hätte nicht lachen sollen! Ernst bleiben dabei. Jetzt hat sie mich durchschaut. Okay, ist vielleicht auch ganz gut so, das Teil sah scheiße aus. Sie hätte es wohl eh nie angezogen, hätte ihr auch nicht gestanden, aber ich wäre hier raus gekommen! Dafür lüge ich gerne Mal. Vielleicht auch zwei Mal, eigentlich würde ich ihr sogar ziemlich alles erzählen. Ich will hier weg. Das ist der Horror hier. Und außerdem gucken die mich alle so komisch an.
Ja, was soll ich denn machen?, denk ich. Ich versuche ja schon teilnahmslos hier herumzustehen, fasse nichts an und gebe keinen Kommentare. Was denn noch? Ich schleiche mich ein bißchen weiter, den Gedanken an Flucht habe ich aufgegeben, irgendwie scheint sie meine Absichten riechen zu können.
Sie nimmt sich eines der T-Shirts, ich hab es mir nicht angeschaut. Wahrscheinlich legt sie eh keinen Wert mehr auf meine Meinung, gefügig trotte ich ihr hinterher als sie zu den Umkleidekabinen geht. Immer tiefer wage (...eigentlich wagt sie sich ja anstelle von mir) ich mich in diese Farbhölle vor. Vielleicht sollte ich stolz darauf sein all den abschätzigen Blicken der versammelten Frauenschaft zu trotzen. Vielleicht hätte ich heute auch einfach zu Hause bleiben sollen. Schließlich macht sich ja der Abwasch, die Klamotten, die Wohnung, die Kinder, wenn wir denn welche hätten, nicht von selber. Verstört wegen dieser Gedanken betrachte ich mich im Spiegel, die gehetzten Augen machen keinen guten Eindruck und diese nervösen Schweißperlen auf der lichten Stirn deuten auch nicht gerade auf den entspanntesten Menschen hin, aber ich wirke dünner als noch heute morgen. Dünner? Trotz des Döners eben? Trotz der Coke zum nachspülen? Manipulieren die hier etwa die Spiegel?
Wir sind da. Die Umkleidekabinen. Ein Blick von ihr genügt und ich bleibe an der Schwelle stehen. Der Blick sagt mir, daß ist das Heiligtum, betrete es nicht. Der Blick der Kampfemanze mit den raspelkurzen roten Haaren und dem "Schlampe" auf dem Shirt hinter uns sagt mir, betrete es einmal und wirst hier nicht mehr lebend rauskommen. Ich lächle sie an, beide. Keine lächelt zurück.
Sie verschwindet hinter den Vorhängen, zieht ihn bis zur letzten Spalte zu. Damit niemand was sieht! Wenn ich das bei den Herren mache, lachte sie immer spöttisch. Guckt dir schon niemand was weg, sagt sie. Hier wohl schon. Frauen sind halt anders.
Während sie das T-Shirt anprobiert streife ich durch die anliegenden Regale. Interessante Dinge liegen da. Ich kann nicht genau einordnen, was genau da nun herumliegt, oder wo genau, ich meine an welchen Körperteil, man es anzieht, aber interessant sieht es allemal aus. Ich sollte ihr eines dieser Teile bringen, daß würde mich darüber aufklären, wie man so was trägt. Sie weiß das mit Sicherheit.
"Kommst Du mal bitte," schallt es gereizt in meine Richtung.
Natürlich ist sie es. Mit dem neuen T-Shirt. Es sieht einigermaßen aus, ich versuche fröhlich auszusehen, als ich zu ihr hin gehe.
"Was sagst Du?" fragt sie mich und dreht sich dabei beinahe grazil um die eigene Achse. Sie sollte mal wieder öfter Sport machen.
"Schön. Wirklich. Besser als das Top eben. Das sieht gut aus. Und das sag ich nicht nur so."
Diesmal lache ich nicht ermutigend, ich bleibe ernst und mustere sie eingehend, zumindest tue ich so. Na, hoffentlich nimmt sie das Ding jetzt!
"Ach, ich weiß nicht. Eigentlich brauch ich gar kein neues T-Shirt!" sagte sie und geht zurück in die Kabine. "Frauen!" murmle ich resigniert und fühle mich doch irgendwie schuldig, beinahe erwarte ich, daß die Emanze mit dem "Schlampe" Shirt mir sogleich wegen dieses "Frauen!" eine Predigt hält über Männer, Machos und die abgelaufenen Zeit des unterdrückenden Patriachats. Niemand sagt irgendwas. Wahrscheinlich hat es nicht einmal jemand gehört.
Es dauert eine Weile bis sie wieder da ist, ihr Blick ist mürrisch, meiner nicht, meiner ist wohl bloß noch stumpf. Die Griffe der Plastiktüten schneiden in mein Fleisch. Ich trotte ihr weiter hinterher, sie sagt nicht einmal wo sie hin will. Ziellos geht es vorwärts, vorbei an Dinger mit Kuhfellmusterung, Stoffetzen, die aussehen, wie Reste eines richtigen Kleidungsstücks, aber mit eigenen Preisschildern ausgestattet sind und anderen Gegenständen zweifelhafter Verwendung. Ein leiser Verdacht keimt in mir auf, als neben mir Bikinis und Badeanzüge auftauchen und sie immer noch sicheren Schrittes vorwärts geht, danach kommt nur noch eine Abteilung. Dessous! Dumpf entsinne ich mich, daß das ja eigentlich ein Grund der Freude sein sollte, doch der Hormonstoß ebbt beängstigend schnell wieder ab.
"Nur noch hier, dann können wir nach Hause," sagt sie.
Ich antworte nichts, mein Blick wird gefesselt von einer Pappfigur, die Verona Feldbusch in Unterwäsche zeigt. Eine ältere Dame schaut mich strafend an, als sie meine lüsternen Augen auf Veronas Busen bemerkt, ich schaue verschämt weg und meine bessere Hälfte scheint sich mit ihren Blicken für mich und mein Verhalten zu entschuldigen. Na toll!
Sie navigiert uns sicher durch diverse BH Ständer, vorbei an der Unterwäsche für ältere Damen und direkt auf die Slip Abteilung zu. Früher wollte ich hier immer mal hin, schauen wie das so aussieht hier, jetzt will ich hier weg, am besten niemals hier gewesen sein. Sie bleibt stehen, bei den Tangas, streift mit ihren Finger über den Stoff. Ich kann es nicht lassen und nehme mir auch einen raus, einen schwarzen, sieht nett aus, aber verdammt klein. Ich muß grinsen. So klein kann nur jemand sein, der weit unter dem Alter von Tangaträgerinnen liegt!
"Hey, schau mal den hier. Wer ist denn bitte so klein?" frage ich sie amüsiert.
"Zeig mal!" sie greift ihn sich und schaut professionell auf das kleine Schildchen. "Das ist meine Größe!" antwortete sie empört.
"Oh"
Wütend funkelt sie mich an. "Ich nehm dich nie wieder mit."
Ich hoffe, daß sie ernst macht.