Was ist neu

Katzengold oder Was Die Leute Sagen

Mitglied
Beitritt
24.09.2000
Beiträge
521

Katzengold oder Was Die Leute Sagen

Ist er nicht ein braver Junge?, fragen sich die Leute. Wie anständig er doch ist. Wie höflich.
Es ist Sonntag. Die Leute gehen zur Kirche. Auch Roland geht zur Kirche. Natürlich tut er das, sagen die Leute, er ist doch ein braver Junge und zu einem braven Jungen gehört die Kirche.
Der Pfarrer hinter dem Altar singt "Ave Maria" und alle Einwohner des kleinen Dorfes singen mit. Auch Roland singt, und so schön. Er hat eine schöne Stimme. Aber wo sind denn seine Eltern heute? Anständige Leute sind das, seine Eltern. Kein Wunder, dass ihr Sohn auch so ist. Anständig und gescheit, sagen die Leute.
Die Kirche ist aus und die Leute gehen nach Haus (welch netter Reim, sagen die Leute, der könnte glatt von Roland sein). Roland geht auch nach Hause. Vor der Haustür streift er die Sohle seine Schuhe an der Türmatte. Obwohl sich gar kein Schmutz an ihnen befindet, wie anständig, sagen die Leute.
Er geht in das Vorzimmer das mit einer Blumentapete tapeziert ist und hängt seinen Mantel auf den Mantelhalter, natürlich, wo denn sonst? sagen die Leute. Danach geht er in sein Zimmer und schaltet seine HiFi-Stereoanlage ein. Mozart erklingt im ganzen Haus. Mozart hört er, ist das nicht nett? sagen die Leute. So schade dass er keine Freundin hat, sie wären sehr froh über so einen Schwiegersohn, sagen die Leute. Aber er wartet doch bis er die Fleischwarenhandlung seines Vaters übernehmen kann, bevor er sich eine Frau sucht, die er dann heiratet. Sex? Geschlechtsverkehr kennt er nur vom Biologieunterricht in der Schule. Auf keinen Fall vor der Ehe. Und das auf eigenen Wusch, sagen die Leute.

Roland betrat das geräumige Wohnzimmer. Rechts stand der große Esstisch, mit drei Stühlen. Eigentlich waren es ja vier die um den Tisch standen, aber einer stand in der Mitte.
"Guten Tag geliebter Vater! Wie geht es dir?"
Sein Vater antwortete nicht.
"Mutter schläft schon. Sie schläft schon seit gestern, ich denke sie ist krank!"
Wieder sagte sein Vater nichts.
"Naja ich denke ich gehe mal zu ihr und decke sie zu, nicht dass sie sich auch noch eine Erkältung zuzieht!"
Sein Vater sagte noch immer nichts, er konnte auch gar nichts sagen. Er hatte ein Tuch um den Mund gebunden, das ihm nur ein Wimmern erlaubte. Er konnte sich dieses Tuch auch gar nicht abbinden, denn seine Hände waren um den Stuhl gebunden, auch weggehen war ihm unmöglich, da sie ebenfalls gefesselt waren.
"Aber hab keine Angst, auch du wirst bald schlafen",hauchte ihm Roland ins Ohr und dann lachte er, nicht wie ein Verrückter sondern wie ein Mann, der gerade die schönste Entdeckung seines Lebens gemacht hatte. Eine Entdeckung die sein Leben verändern konnte. Und irgendwie stimmte das auch.
"Ich komme gleich wieder Vater, dann schlafen wir gemeinsam..."

Als die arme, alte Frau Weber die drei nicht mehr lebenden Dorfbewohner fand, fiel sie in Ohnmacht und bei einer Dame ihren Alters waren solche Ohnmachtsanfälle sehr gefährlich, sagen die Leute.
Drei Menschen sind gestorben, Roland VanAchen hatte seine Eltern und danach sich selbst ermordet. Das war doch von Anfang an klar, sagen die Leute. Man hatte das doch schon immer gesehen, dass er seltsam war, sagen die Leute, man hatte ihn nie wirklich gemocht. Eine solche Erziehung ist doch wirklich verkehrt, so streng und ohne Freundin.
Wir sind froh, dass wir unsere Kinder noch richtig erziehen können, sagen die Leute.

 

Gefällt mir.
Der Stil und der Aufbau und die Aussage, die scheinbar nur einige wenige Menschen meint, solche die man eigentlich nur vom Hörensagen kennt, "die Leute" eben, aber irgendwie auch jeden anspricht, weil jeder Teil einer urteilenden und verurteilenden Masse ist. Weckt auch - wie alle solche Geschichten - den Wunsch anders, gerechter, wacher zu sein, sich zu unterscheiden und nicht mitzusagen, "was die Leute sagen".
Das Motiv dieser trügerischen Kleinstadtidylle, wo jeder jeden kennt und alles hübsch und nett ist verursacht bei guter Umsetzung immer wieder einen kalten Grusel.

 

Psycho lässt grüsen! ich finde deine Geschichte, klasse. Aber auch beängstigend. Beängstigend deshalb, weil sie jederzeit zur Realität werden kann und auch schon mehr als häufig real geworden ist. Die Frage aber ist, wie kann man sowas verhindern. "Die Leute" können und wollen das auf jeden Fall nicht. die sind doch der Hauptgrund, warum so ein Drama immer und immer wieder geschieht. Ich glaube der einzige Weg für mich, so einem Drama aus dem Weg zu gehen, ist, nie zu "Den Leuten" zu gehören!
Auf all Fälle! herzlichen Glückwunsch zu deiner Story, besser gehts kaum!

Franz

In jedem Menschen steckt ein Spinner, nur ich lasse ihn raus!

 

Deine Geschichte ist gut. Das stimmt schon mit den Leuten. Sie beurteilen eben nur das was Sie sehen. Erst beneiden Sie die Eltern um den lieben Jungen nach dem Motto: "Was stellen die bloß an um so einen lieben Jungen zu bekommen?" Und dann als das Unglück geschah wunderts keinen mehr: "Bei der Erziehung muss man ja so werden - Ich habs kommen sehen" Gerade durch dein krasses Beispiel wurde dies klar! Mach weiter so!

 

Sieh mal an, welch alten Leichen man aus dem Keller noch ziehen kann... :D

Ne, Peterchen, das ist eine ganz tolle Geschichte! Der Schlusssatz ist wahr, einfach nur wahr:

Wir sind froh, dass wir unsere Kinder noch richtig erziehen können, sagen die Leute.

Mir ist das wieder bewusst geworden vor ein paar Wochen, als dieses junge Mädchen und ihr Freund starben durch falsch gestrecktes Kokain (oder war´s was anderes? Ist auch egal). Und ihre "Freunde" haben ihnen beim Sterben zugeschaut.
Da heißt es dann immer: "Weiß doch keiner, wie es in den Köpfen von solchen Leuten ausschaut."
Aber von irgendwo muss doch diese Kälte, diese Grausamkeit kommen, oder?
Und mit Erklärungen ist man immer rasch bei der Hand: Horrorvideos, Rap-Musik, Comics, was auch immer. Nur nicht die Schuld womöglich bei sich selber suchen anfangen, Gott behüte!!!

Was wollte ich eigentlich sagen? Ach so, tolle Geschichte, aber das habe ich ja schon gesagt... :rolleyes:

 

Tja, "Was die Leute sagen", welch Klassiker!

Hat aber nicht an aktualität verloren und wird es wahrscheinlich nie haben. Denn das ist ja das seltsame an den Leuten, über andere können die immer reden, aber die solln lieber an sich selbst suchen, als das sie da irgentwem beschuldigen! Blöde Leute...

Aber irgentwie auch selbstverständlich, denn kommt man irgentwann dazu (hoff nie!!!), dass man die Summe seiner Fehler erkennt, ist man dem Wahnsinn nicht mehr fern. Wahrscheinlich ist das so etwas ähnliches wie ein Schutzmechanismus der Zivilisation, der uns hilft zu überleben. Denn würde man von sich selbst nicht annehmen, das man etwas besseres wäre, wozu sollten wir dann weiterleben?
Für irgentwas muss man doch da sein, auch wenn man nur andere ausstalliert (=derb kritisieren, H.d.A.).

Jaja, alte Leichen im Keller, aber da muss es eigentlich noch ganz andere geben auf kg.de...

Naja, bis dann, Habe die Ehre Rainer und pfiat eich (= Auf Wiedersehen, H.d.A.)

Euer treuer Schreiber, Peter Hrubi

 

Tja, ich denke mir immer: Wenn schon zu nichts gut, dann bin ich wenigstens ein abschreckendes Beispiel: "Und sooo einer wirst du mir nicht, verstanden?!?" :D

Gute Nacht, mein Freund (für Ösis: Seawas, du Nudlaug!)

 

Auch mir hat die Geschichte außerordentlich gut gefallen! Kompliment! Sie ist kurz und vielaussagend!!!! <IMG SRC="smilies/thumbs.gif" border="0">

Erinnert hat sie mich nicht an "Psycho", sondern eher an eine Kurzgeschichte von Patrick Süskind... ;) Nur da war's eine Künstlerin, die immer gezeichnet hat und die Leute zu ihr sagten, sie hätte nicht genug Tiefe. Nachdem sie sich deshalb in Selbstmord getrieben hatte, sagten die Leute plötzlich; O... diese Tiefe... dieser Hilfeschrei, den ihre Kunstwerke schon immer ausgesagt und symbolisiert haben...

Jaja, ist schon eine bizarre Welt, in der wir da leben...

Griasle
stephy

 

@stephy
Naja, da wollen wir doch nicht den kleinen Peter Hrubi, der zaus am Computer ein paar Wörtchen schreibt mit Patrick Süsskind vergleichen!!! Die Geschichte die du meinst kenn ich, und die ist WIRKLICH gut.
Ich kenn nämlich auch hier ein paar Geschichten, von denen man behauptet, sie hätten nicht viel Tiefe. Aber das kann man ja sehen wie man will, und wenn sich die Umstände ändern sind es vielleicht sogar die, die die Wahrheit widerspiegeln. Wer weiß...

@Rainer
Eh, waß eh! Ur leiwand du kepplates Drum, du! <IMG SRC="smilies/newlaugh_ron.gif" border="0">
Kenn mich schon aus, wünsch dir noch eine gute Nacht, "Ösi" (ich hasse dieses Wort!)

Bis dann, wünsch euch eine gute und gesegnete Nachtruhe, euer Petzi Bär
Peter Hrubi

 

Hi Petzi Bärli,

nette kleine Kurz-Kurzgeschichte!
Mir fällt auf, dass du stilistisch mit sehr vielen Wiederholungen arbeitest. Immer dann, wenn sich die Leute ihre Meinung bestätigen wollen, dann wiederholst du ihre Aussagen und damit sind sie dann doppelt und dadurch wirkt diese Geschichte wie die alltägliche Erkenntnis, dass man nur immer wieder dasselbe wiederholen muß, bis es dann auf jeden Fall zur Wahrheit wird, denn wenn man etwas laufend wiederholt bleibt doch immer mal wieder was hängen und so weiter....
Gut gemacht, dieses Prinzip wendest du hier an. Was mich überrascht ist, dass deine Geschichte dadurch , also durch diese Wiederholungen nicht im Mindesten langatmig wird. Bist halt doch ein Begabter. :)

Und die Moral von der Geschicht?
die Leute schaun dem Mörder ins Gesicht
und merken's nicht.

Lieben Gruß
elvira

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom