Katzengold oder Was Die Leute Sagen
Ist er nicht ein braver Junge?, fragen sich die Leute. Wie anständig er doch ist. Wie höflich.
Es ist Sonntag. Die Leute gehen zur Kirche. Auch Roland geht zur Kirche. Natürlich tut er das, sagen die Leute, er ist doch ein braver Junge und zu einem braven Jungen gehört die Kirche.
Der Pfarrer hinter dem Altar singt "Ave Maria" und alle Einwohner des kleinen Dorfes singen mit. Auch Roland singt, und so schön. Er hat eine schöne Stimme. Aber wo sind denn seine Eltern heute? Anständige Leute sind das, seine Eltern. Kein Wunder, dass ihr Sohn auch so ist. Anständig und gescheit, sagen die Leute.
Die Kirche ist aus und die Leute gehen nach Haus (welch netter Reim, sagen die Leute, der könnte glatt von Roland sein). Roland geht auch nach Hause. Vor der Haustür streift er die Sohle seine Schuhe an der Türmatte. Obwohl sich gar kein Schmutz an ihnen befindet, wie anständig, sagen die Leute.
Er geht in das Vorzimmer das mit einer Blumentapete tapeziert ist und hängt seinen Mantel auf den Mantelhalter, natürlich, wo denn sonst? sagen die Leute. Danach geht er in sein Zimmer und schaltet seine HiFi-Stereoanlage ein. Mozart erklingt im ganzen Haus. Mozart hört er, ist das nicht nett? sagen die Leute. So schade dass er keine Freundin hat, sie wären sehr froh über so einen Schwiegersohn, sagen die Leute. Aber er wartet doch bis er die Fleischwarenhandlung seines Vaters übernehmen kann, bevor er sich eine Frau sucht, die er dann heiratet. Sex? Geschlechtsverkehr kennt er nur vom Biologieunterricht in der Schule. Auf keinen Fall vor der Ehe. Und das auf eigenen Wusch, sagen die Leute.
Roland betrat das geräumige Wohnzimmer. Rechts stand der große Esstisch, mit drei Stühlen. Eigentlich waren es ja vier die um den Tisch standen, aber einer stand in der Mitte.
"Guten Tag geliebter Vater! Wie geht es dir?"
Sein Vater antwortete nicht.
"Mutter schläft schon. Sie schläft schon seit gestern, ich denke sie ist krank!"
Wieder sagte sein Vater nichts.
"Naja ich denke ich gehe mal zu ihr und decke sie zu, nicht dass sie sich auch noch eine Erkältung zuzieht!"
Sein Vater sagte noch immer nichts, er konnte auch gar nichts sagen. Er hatte ein Tuch um den Mund gebunden, das ihm nur ein Wimmern erlaubte. Er konnte sich dieses Tuch auch gar nicht abbinden, denn seine Hände waren um den Stuhl gebunden, auch weggehen war ihm unmöglich, da sie ebenfalls gefesselt waren.
"Aber hab keine Angst, auch du wirst bald schlafen",hauchte ihm Roland ins Ohr und dann lachte er, nicht wie ein Verrückter sondern wie ein Mann, der gerade die schönste Entdeckung seines Lebens gemacht hatte. Eine Entdeckung die sein Leben verändern konnte. Und irgendwie stimmte das auch.
"Ich komme gleich wieder Vater, dann schlafen wir gemeinsam..."
Als die arme, alte Frau Weber die drei nicht mehr lebenden Dorfbewohner fand, fiel sie in Ohnmacht und bei einer Dame ihren Alters waren solche Ohnmachtsanfälle sehr gefährlich, sagen die Leute.
Drei Menschen sind gestorben, Roland VanAchen hatte seine Eltern und danach sich selbst ermordet. Das war doch von Anfang an klar, sagen die Leute. Man hatte das doch schon immer gesehen, dass er seltsam war, sagen die Leute, man hatte ihn nie wirklich gemocht. Eine solche Erziehung ist doch wirklich verkehrt, so streng und ohne Freundin.
Wir sind froh, dass wir unsere Kinder noch richtig erziehen können, sagen die Leute.