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Katz und Maus
Es gibt eine aktuellere Fassung weiter unten. Bitte die neue zuerst lesen ... Danke
Es ist so ein Morgen, wie er viele schon kannte. Der Kaffee ist zum Durchlauf bereit. Er streift mit monotonem Gesicht sein gesteiftes Hemd über, überprüft den korrekten Sitz der Bügelfalten an seiner Hose. Die Schuhe - blankpoliert - verraten ihr Alter nicht.
Mit geschickter Hand ordnet er seine Haare. Sein Blick fällt auf ihr Foto, ein leichtes Zucken im Mundwinkel. Er wäscht die Kaffeetasse ab und stellt sie an ihren Platz.
Das Jackett übergezogen, die Aktentasche unter dem Arm geklemmt, sein Ich im Spiegel kontrollierend – verlässt er das Haus.
Es ist ein sonniger Tag. Jemand hat sich die Mühe gemacht den blauen Himmel mit Wattebäuschen zu bestücken. Die Vögel zwitschern munter durcheinander und vereinigen sich dennoch zu einer unendlich sanften Melodie. Das Grün verschluckt den Staub der Stadt.
Nur wenige Meter sind es bis zum Bus. Er muss nicht warten. Seinen Fahrschein vorzeigend setzt er sich auf einen Einzelplatz, den Koffer auf dem Schoß, gehalten durch seine verschränkten Hände.
„Entschuldigen Sie bitte – fährt der Bus auch in die Braumeisterstraße?“
Mit direktem Blick erwidert er: „Auskünfte erteilt der Fahrer während des Haltes.“
„Was Sie nicht sagen, danke.“
Vorbei geht es an zumeist grauen Häusern, wo nur manchmal frech ein gelbes oder rotes, ab und an auch blaues herausragt. Ein Park wird zur Kulisse, Frauen mit Kinderwagen, Omas mit Hund, Opas Zeitung lesend auf einer Bank – hier und dort ein Jogger.
Endstation.
Zielstrebig verlässt er den Bus, überquert mit festem Schritt die Straße und biegt in eine kleine Gasse ein. Kinder malen mit bunter Kreide Bilder auf den Steig vor dem hübschen Backsteinhaus. Er geht hinein.
Sein Atem ist gleichmäßig und ruhig als er in der 4. Etage ankommt. Geräuschlos öffnet er die Tür und tritt ein. Dieser vertraute Duft, alles riecht nach ihr. Tief atmet er ein.
Der rechte Flügel der Schlafzimmertür ist nur leicht angelehnt. Das Öffnen kann die Stille nicht zerreißen. Er hält inne und betrachtet sie ...
Wie ein Engel schaut sie aus. Mit diesem Gesichtsausdruck, den sonst nur kleine Kinder haben, diese tiefe innere Zufriedenheit. Ihre Haare sind leicht zersaust und ihr Körper blitz unter der farbenfrohen Satindecke hervor. Sie ist allein in ihren Träumen.
Eine leichte Wölbung macht sich an seiner Hose bemerkbar. Er straft sie mit Ignoranz.
Langsam nähert er sich ihrem Bett. Er blickt auf sie nieder. Ein dumpfer Schlag.
Er nimmt den hölzernen Elefanten, geht ins Bad und stellt ihn sodann gesäubert zurück auf den Nachttisch.
Eine Schüssel mit warmen Wasser – er wäscht ihre Stirn.
Die Schüssel wieder im Schrank, verlässt er die Küche.
Sein Koffer steht bereit. Er öffnet sich mit einem Klick. Obenauf liegt eine CD, welche alsbald der Player verschluckt.
Nach japanischer Manier fesselt er ihre Hände und Füße ans Bett, streicht sanft ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Die Morphiumspritze wird mit höchster Präzision angesetzt. Aus zwei kleinen Beuteln holt er Rosenblätter.
Wie eine Prinzessin liegt sie gebettet auf Rosen. Sein Blick schweift immer wieder von den Zehen zum Kopf und zurück. Er war nie glücklicher.
Langsam öffnet sie die Augen, versucht den Blick zu schärfen. Er steht lächelnd vor ihr. Sie begreift nicht – noch nicht ...
„Meine Schöne, hast Du gut geschlafen?“
Schweigen.
„Es tut mir leid, dass wir uns so lange nicht gesehen haben. Ich habe Dich angerufen, aber Du warst anscheinend nicht da. Ich bin sicher Du wolltest zurück rufen, nicht wahr? Du wolltest doch zurück rufen ... sicher wolltest Du es.“
Stille.
„Deine kürzlich verstorbene Mutter war so nett mir Deinen Schlüssel zu geben. Eine wirklich sympathische Frau.“
Der Schock besiegt den Verstand – noch.
„Aber meine Schöne, Dir laufen ja Tränen über das Gesicht. Tränen für mich ... meine Schöne, allein für mich. Ich weiß Du liebst mich, erzähl mir nicht es ist nicht wahr. Psssst, nein erzähl mir nichts ... ich habe es Dir nie geglaubt.“
Er geht zum CD-Player. Alles ist bereit. Der Raum wird durchtränkt von Angst und Wahn, untermalt von Carmina Burana.
„Wir zwei sind ein Paar meine Schöne – Du und ich. Wir sind ein hübsches Paar nicht wahr? Wir waren es immer – Katz und Maus. Wie habe ich unsere Spiele geliebt. Eins zwei drei vier Eckstein – jeder muss versteckt sein. Ich hab Dich gefunden ... „
Ein greller Schrei durchtönt den Raum. Der Verstand hat das Unmögliche realisiert, zu spät ...
Er verbindet ihr den Mund mit einem seidenen Schal. Wieder steht er vor ihrem Bett, die Pistole in der Hand, den Blick liebevoll auf sie.
„Keiner stirbt so gern alleine meine Schöne.“
Er drückt ab.
Langsam sackt er in sich zusammen, einen schwachen Blutstrahl aus dem Mund rinnend befleckt er sein gesteiftes Hemd.
Tränen strömen ihr aus dem Gesicht, die ihr den Blick auf die aufgeschnittenen Pulsadern verwehren.
[ 19.06.2002, 15:15: Beitrag editiert von: Bella_Xela ]