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Katie

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04.09.2002
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Katie

Schmerz. Schmerz war alles, an das Katie jetzt noch denken konnte. Aber das würde vergehen. Das war nicht das Problem. Nur noch einmal, noch ein einziges Mal, dann würde sie auch aufhören. Ein einziges Mal noch.
Ihre Hand klammerte sich krampfhaft um das kleine Messer...

Die Polizei kam wie immer zu spät. Als der erste Polizeibeamte die Treppe hinaufstürmte und die Tür des Apartments mit einem gekonnten Fußtritt öffnete, lag das Mädchen bereits zwei Stunden tot und der Badezimmerteppich war vollgesogen mit der roten, dicken Flüssigkeit, die auch die Wände des kleinen Zimmers befleckte. (...)

Monica Andrews, die Nachbarin, tat in dieser Nacht kein Auge zu. Immer und immer wieder drehte und wendete sie sich in ihrem Bett, doch einschlafen konnte sie nicht. Vier Wochen war es her, seit ihr Mann sie verlassen hatte- wahrscheinlich wegen einer Jüngeren, Hübscheren mit vollen Brüsten und einem Schmollmund. Solche Mädels gab es in L.A. zuhauf. Junge Dinger, die von zu Hause weggezogen waren, von Washington oder Oregon, um in L.A. Karriere zu machen. Ihnen waren alle Mittel recht um sich und ihre Interessen weiter zu bringen. Sex war da keine Ausnahme. (...)

Es war mitten in der Nacht. Alles schien zu schlafen, nur gegenüber brannte noch Licht. Die dumme Andrews hatte wohl mal wieder vergessen das Licht auszuschalten, oder war mit einem ihrer Liebhaber zu Gange. Katie war hellwach und stand im dunklen Badezimmer des alten, heruntergekommenen Apartments. Jemand hatte vergessen das Fenster zu schließen. Ihre kleinen Füße waren schon ganz blau vor Kälte, doch das merkte das Mädchen nicht einmal. Stumm betrachtete sie sich im gegenüberhängenden Spiegel. Doch was sie sah, erschrak sie. Das war nicht die liebe kleine Katie von früher. Nein, diese Katie kannte kaum einer. Katie verzog das Gesicht. Hass erfüllte sie bei diesem Anblick. Diese allzu unschuldigen blauen Augen und der kleine rote Kirschmund passten schon lange nicht mehr. Die Haare hingen ihr in dünnen, blonden Strähnen ins Gesicht. Ihr war noch nie aufgefallen, wie billig sie eigentlich aussah. Billig und schmutzig. Fast vier Wochen waren schon vergangen und immer noch konnte sie ihn an sich riechen. Ihr wurde schlecht bei diesem Geruch. Doch so oft sie sich auch wusch, sie konnte diesen Geruch einfach nicht vertreiben. Er klebte an ihr, wie eine Klette.
Katie stand da und starrte in den Spiegel. Sie starrte und starrte- so lange, bis ihr Gesicht in sich zusammenfiel und nur noch Formen und Farben zu erkennen waren. Ein echter Picasso! Katie versuchte ihr Lachen zu unterdrücken. Oh, wie sie dieses Gesicht haßte!

Am Anfang waren es noch kleine Schnitte. Wie Kratzer sahen sie aus, als ob Katie mit der Nachbarkatze gerauft hätte. Saubere kleine Schnitte, die man erst gar nicht sah, bis dann das Blut an die Oberfläche kam. Doch dann wurden es immer mehr und mehr, und das Messer glitt tiefer und tiefer, bis Katies ganzes Gesicht von Schnitten übersät war. Irgendwann hatte sich das Mädchen einfach nicht mehr unter Kontrolle und geriet in eine Art Rausch, aus dem sie nie mehr erwachen würde.
Die ersten Schnitte hatten noch wehgetan und gebrannt, doch mit der Zeit wurde Katie immun gegen diese Art von Schmerz. Dieser Schmerz war doch gar nichts, im Vergleich zu dem, was er ihr angetan hatte. Aber jetzt konnte er ihr nichts mehr anhaben. Nie wieder würde er ihr wehtun. Nie wieder.
Heute Nacht feierte sie ihren Triumph.
Noch immer hielt sie das kleine Messer fest in ihrer Hand. Das letzte Stück des Weges lag noch vor ihr und sie war bereit, das wußte sie. Doch als sie das Messer an ihre Pulsader anlegte, zögerte sie einen Moment lang. Einen winzigen Moment lang überlegte sie, bevor sie ihre Entscheidung traf.
Als sie das Blut strömen sah, wurde ihr schwindelig und sie kniete sich nieder. Ein schriller Schrei entfuhr ihren Lippen. (...)

Monica lag auf der Couch ihres dunklen Wohnzimmers und sah fern, als sie auf einmal einen Schrei hörte. Verängstigt drehte sie sich um und wagte einen Blick aus dem Fenster. Draußen war alles dunkel, nicht ein Licht brannte mehr in den Nachbarwohnungen. Dann entdeckte sie das offene Badezimmerfenster im zweiten Stock. Aber wie konnte das sein? Mr. und Mrs. Foster waren doch im Urlaub und die kleine Katie hatte Monica schon ewig nicht mehr gesehen. Sie wartete noch einen Augenblick, hielt es dann aber doch für besser nachzuschauen.
Doch gerade in dem Augenblick, als sie sich daran machte die Tür aufzuschließen, klingelte das Telefon. Es war Ted, der ihr mit wehleidiger Stimme verkündete, wie leid es ihm tat, dass er sie verlassen hatte. Er sagte es sei der größte Fehler seines Lebens gewesen und dass er zu ihr zurückkommen wollte, falls sie ihm denn noch eine zweite Chance geben wollte. Er hatte mal wieder getrunken. Wahrscheinlich hatte ihn seine Geliebte sitzen lassen und jetzt kam er auf allen Vieren zurückgekrochen. Doch Monica brachte es nicht übers Herz ihn abzuwimmeln. Schließlich liebte sie ihn noch immer, trotz alledem, was er ihr angetan hatte. Sie konnte einfach nicht von ihm lassen.
Als sie am nächsten Tag das Apartment der Fosters aufsuchte und klingelte, machte niemand die Tür auf. Das kleine Badezimmerfenster stand noch immer offen. Neugierig schaute Monica hinein. Der Anblick der sich ihr bot, ließ sie blitzschnell wieder zurückschrecken. Da lag die Leiche der kleine Katie, zusammengekauert auf dem Fußboden. Ihre rechte Hand, die zu einer Faust geballt war, hielt noch immer das kleine Messer, dessen metallene Klinge im strahlenden Sonnenlicht aufblitzte.

 

Uffz.

Hej Noah, willkommen auf kg.de!
Deine Geschichte nimmt einen mit. Zu Anfang war mir nicht klar, wie alt das Mädchen ist, ich dachte eher an eine 20Jährige, aber dann wird es klarer, daß sie jünger sein muß.

Menschen, die sich selber verletzen, um seelischen Schmerz zu vergessen, gibt es wohl mehr, als man denkt. Deine Beschreibung ist gleichzeitig distanziert und mitten drin, so daß sie einem unter die Haut geht.

Das Ende würde ich etwas verändern, es wirkt zu sehr konstruiert: Die Nachbarin will ja nachgucken, wird dann aber abgelenkt. Besser wäre es, wenn sie sich entscheidet, doch lieber im Bett zu bleiben, das Fenster komplett ignoriert oder ähnliches.
Ansonsten aber eine sehr gute Geshcichte, finde ich!
Lieben Gruß,

chaosqueen :queen:

 

Hi Noah,

du hast in jedem Fall eine fesselnde Geschichte geschrieben. Es war spannend sie zu lesen und das ist wichtig. Ich habe aber noch zwei Fragen:

Sind die ersten beiden Abschnitte der eigentliche Schluss der Geschichte?
Wäre es nicht besser gewesen nur den Abschnitt mit der Polizei nach vorne zu stellen und den ersten Abschnitt in die Mitte?
Meine zweite Frage wäre, mit welcher Intention du die zweite Perspektive, die der Nachbarin, mit eingebaut hast. Das du eine zweite "Front" eröffnest, sollte auch einen gewichtigen Grund haben. Die Idee finde ich generell sehr gut. Sollte verdeutlicht werden, dass das Schreckliche beinahe hätte verhindert werden können? Denn irgendwie finde ich, hätte man in die zweite Perspektive mehr hineinpacken müssen, vielleicht eine engere Verflechtung zum Opfer.

LG

PP

 

Hallo Noah,

es ging ganz schön unter die Haut. Ich habe es erst nicht verstanden. Der dritte Absatz hat mich verwirrt und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher.

Das Thema ist heikel. Ein Mensch der verletzt worden ist zerstört sich deswegen. Zuerst ergibt es gar keinen Sinn, und dann doch wieder.

Jedenfalls habe ich jetzt einiges gelesen und auch wieder etwas zum nachdenken.

Bitte schreib doch mehr.

Ziska

 

Hi Noah, ich kann mich meinen Vorgängern nur anschließen. Die geschichte ist spannend und intensiev in der ganzen krnkhaftigkeit des Themas.
Was den schluß angeht, so würde ich ihn lassen wie er ist, selbst wenn das ende gestellt wirken sollte es passt einfach.

@peter: ich glaube das der mann der Nachbarin der vergewltiger ist, dass würde die zweite Perspektieve erklären. Frage mich nicht warum ich das glaube, ist einfach so ein Gefühl.

 

Danke Marot, du sprichst mir aus der Seele.
Endlich versteht mich jemand! ;)

 

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