Katharina reitet wieder
Katharina wollte nicht länger warten: Sie striegelte und sattelte heimlich Laura, ihre bayrische Warmblut-Stute, stieg auf und ritt weg.
Sie hatte viele Wochen auf diesen Tag gewartet. Wochen, in denen sie nur zusehen konnte, wie sich Laura auf dem Reitplatz ohne Reiterin vergnügte. Einmal hatte sie stundenlang zugesehen, wie Laura und der befreundete Pony-Wallach im Januar einen abgehalfterten Weihnachtsbaum über den Platz schleiften, und an ihm knabberten bis nur noch ein dürres Gerippe ohne Nadeln übrig war.
Katharinas Aufgabe war schwierig: Sie durfte nicht zu schnell und nicht zu langsam reiten, sondern genau so, dass ihr am Ziel noch genug Kraft blieb, um Laura festzubinden, die Trense durch das Stallhalfter zu ersetzen und den Sattelgurt zu lockern. War sie zu schnell, würde sie am Ziel zu lange warten müssen; war sie zu langsam, war sie zu langsam, nein, zu langsam durfte sie auf keinen Fall reiten. Galoppieren kam zunächst nicht infrage - zuerst würde sie im Schritt den größten Teil der Strecke bewältigen.
Sie genoss es auf ihrer Stute zu sitzen. Die Welt von oben, die Luft, die Wiesen und der Wald dahinter. Es war wunderbar, wie immer, das Warten hatte sich gelohnt, bald war es vorbei.
Walter, ein Freund von Markus, ihrem Mann, sah sie unterwegs: Nein! Unglaublich! Katharina auf einem Pferd und sie reitet auch noch so als ob sie es nicht eilig hätte. „Hey Katharina, was tust du denn da oben? Ist das nicht gefährlich?" Katharina winkte ab. „Nein, nein, es geht mir wunderbar." Und schon war sie an Walters Hof vorbei, nur weg hier, Walter hätte sie nicht sehen sollen. „Er ruft bestimmt bei Markus an, jetzt nehme ich den Waldweg," dachte sie. Sie hielt kurz an, klopfte Laura am Hals, gab ihr ein Leckerli und ritt vorsichtig im Schritt weiter, in den Wald, da wo Markus sie nicht mit dem Auto einholen konnte. Dieser Weg war länger als sie es geplant hatte, aber sie fühlte, dass sie es schaffen konnte.
Nach Walters Anruf hatte Markus Angst um Katharina. Diese Aktion passte zu ihr, deshalb wunderte er sich nicht. Er stieg ins Auto, fuhr viel zu schnell und wartete vor der Klinik. Sie würde bald kommen, denn sie benahm sich meistens vernünftig. Eine große Suchaktion hielt er nicht für angebracht. Katharina hatte sicher ihr Handy mitgenommen und würde um Hilfe rufen, wenn es nötig war.
Zum Glück war ihr unterwegs nichts passiert, das sah Markus sofort, als Katharina im Trab am Eingang ankam. So, als ob sie es doch eilig hätte. Er half ihr vom Pferd, umarmte sie erleichtert, küsste sie und sagte all die Dinge, die ein Mann in so einer Situation sagt: „Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Tu das nie wieder! Geht es dir gut? Ist es so weit?" Er legte Laura das Stallhalfter um, band sie an einem Geländer fest, lockerte den Sattelgurt und gab ihr Kraftfutter und die Rübschnitzel, die er mitgebracht hatte.
Dann begleitete er seine Frau in die Klinik und sie bekamen im Jahr des Pferdes eine Tochter, wie alle anderen auch.