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Katerli
Seit frühester Kindheit bin ich schon Katzenfan. Ich weiß nicht wieso, aber vielleicht war ich in einem früheren Leben selbst eine Katze.
Meine langjährigen kätzischen Freunde, Joshi und Topsy, sind schon einige Jahre im Katzenhimmel.
Nun ist auch vor über fünf Jahren meine liebe Mutti verstorben.
So war ich gezwungen, umzuziehen.
Seit fast fünf Jahren wohne ich nun in einer, ursprünglich als Altenwohnungen gedachten Siedlung, in einem kleinen Häuschen. Das Umfeld ist sehr ruhig, zwei Kirchen sind in der Nähe, und das alte Schloß.
Wenige Wochen nach meinem Einzug lernte ich am Müllplatz Nachbar Peter mit seinem Kater Charly kennen. Wir unterhielten uns, und ich hielt Charly meine Hand hin, damit er sie abschnuppern konnte. Neugierig kam Charly heran, schnupperte und liess sich kurz kraulen. Darüber schien Peter sehr erstaunt zu sein und meinte: „Das hat er aber noch nie gemacht!“ Nachdem wir noch etwas geredet hatten, verabschiedeten wir uns.
Erst später wurde mir klar, dass diese Begegnung der Beginn eines ungewöhnlichen Geschehens war.
Im Lauf der folgenden Tage und Wochen merkte ich, dass Charly sich öfter mal in meine Wohnung schlich, wenn die Terrassentür offen stand. Als Katzenfan machte es mir nichts aus, zumal ich allein lebte und selten Besuch kam, dass der Kater kurz vorbeikam. Natürlich informierte ich Peter darüber; der hatte nichts dagegen, freute sich sogar, jemanden gefunden zu haben, bei dem Charly, im Fall Peter käme ins Krankenhaus, Unterschlupf hätte. Daher bat er mich, mit für den Kater zu sorgen, und ich sollte Charly vorerst abends füttern.
Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass Peter ziemlich wirr war, wohl beginnende Demenz. Auch musste ich leider feststellen, dass er wohl gern scharfen Alkohol trank und dann zur Brutalität neigte.
Charly war wohl ein guter Jäger; einmal zeigte mir Peter, wie ich Charly dann mit der Faust auf die Nase schlagen sollte, wenn er ein Kaninchen anbrachte.
Eines Morgens blaffte Peter mich an, warum ich Charly noch nicht gefüttert hätte? Gut, fütterte ich das arme Tier halt morgens und abends.
Charly kam gerne zu mir, mutiger geworden, inspizierte er öfter meine Wohnung. Mein Bett mied er.
Mit einem registrierte ich, dass Charly, Katerli ,wie ich ihn inzwischen kosend rief, nicht mehr kam und tagsüber Amseln aus dem Futternapf auf der Terrasse pickten, abends das Futter von Igeln geschmatzt wurde.
Er wurde wieder komplett von Peter gefüttert, wie ich einige Tage später herausfand.
Nur noch selten waren die Besuche des Katers.
An einem Abend im Juni wollte ich vor dem Schlafengehen noch einmal lüften, als plötzlich Katerli im Zimmer war. So gab ich ihm Futter, auch ein Wassernapf stand, eigentlich für die Vögel gedacht, immer auf meiner Terrasse. Am nächsten Morgen verlangte der Kater sein Frühstück und verschwand wieder. Auch am Abend kam er zu mir, und so wusste ich, dass Peter nicht da war.
Die Bestätigung dafür erhielt ich am nächsten Tag durch Peters Sohn, zufällig ein Nachbar aus meinem früheren Zuhause. Sein Vater sei im Krankenhaus, es könnte sein, dass er nicht zurückkäme. So stellte ich mich darauf ein, nun wieder stolze Katzenmama zu sein, und richtete in der Wohnung Futter- und Trinkplätze ein.
Katerli wurde immer zutraulicher, und als es einige Tage dauerhaft regnete, sah ich ihn zufällig laut maunzend vor Peters Wohnung sitzen. Ich rief ihn lockend zu mir, erst zögerte er, doch dann folgte er mir dankbar in die Wohnung. Über zwei Stunden schlief er auf einer alten Wolldecke auf dem Teppich, dann wollte er in die Freiheit zurück. Abends kam er zum Fressen wieder, und blieb die erste Nacht in der Wohnung.
Mein Bett mied er weiterhin, bis er eines Tages den Mut fand, auf mein Locken hin, doch den Sprung darauf zu wagen.
Sicher hat er das bei Peter nicht gedurft, dabei lieben es Katzen doch, möglichst nahe bei ihrem Menschen schlafen zu dürfen, sind jedenfalls meine Erfahrungswerte.
Wir gewöhnten uns aneinander. Katerli fing an, mir Mäuse und kleine Kaninchen zu bringen – tot oder lebendig. Kein einziges Mal habe ich ihn dafür geschlagen. Wieso auch? Aus seiner Sicht war es ein großer Liebesbeweis, seine Beute mit mir zu teilen.
Inzwischen liebte es Katerli, mit bei mir im Bett zu schlafen, und er blieb immer länger bei mir in der Wohnung.
Dann kam Mitte Juli der Geburtstag meiner verstorbenen Mutter. Vormittags war ich am Grab, ich hatte ihr von meinem Katerli erzählt.
Wenige Tage zuvor war plötzlich Peter zurückgekommen, Katerli hatte gar nicht darauf reagiert, kam weiterhin zu mir; ich hatte es nur zufällig bemerkt.
Als ich kurze Zeit vom Friedhof zurück war, läutete Peter Sturm bei mir. Er verlangte die sofortige Herausgabe seines Katers! Katerli war kurz zuvor zu mir gekommen, hatte erst Wasser getrunken und schlabberte gerade seine Katzenmilchilch, die er früh hatte stehenlassen. Er machte keine Anstalten, zu Peter zu kommen. Peter brüllte mich an, ich solle den Kater gefälligst hinausprügeln!
Das tat ich natürlich nicht, und während wir warteten, erzählte Peter mir stolz, dass er dem Kater Salzheringe gegeben hatte, und etwas Sahne, er hätte nichts anderes für ihn gehabt … „Kein Wunder, dass er Durst hatte“, dachte ich im Stillen. Peter sagte ich, dass er ihm Wasser geben müsse statt Sahne, da guckte er mich nur verständnislos an.
Als Katerli sich endlich bequemte, zu seinem Herrn zu trotten versetzte ihm dieser zur Belohnung einen kräftigen Hieb auf den Popo.
Katerli folgte seinem Herrn in sein altes Zuhause, drehte sich kurz zu mir um und sah mich traurig an.
Sicher wird Peter den armen Kater durch weitere Schläge von mir ferngehalten haben, jedenfalls kam Katerli nicht mehr zu mir.
Nur am Wochenende, mal kurz zu einer Mahlzeit, dann wieder davon.
Erst am darauffolgenden Samstag sah ich Katerli wieder, allerdings mochte er das angebotene Futter nicht und trollte sich.
Das war vorläufig das letzte Mal, dass ich Katerli sah, auch das letzte Mal, dass ich Peter nach ihm rufen hörte. - Kein Nachbar sah und hörte Katerli seitdem. - Katerli war verschwunden. …
Peter erzählte überall herum, dass die Nachbarin Charly eingesperrt in der Wohnung hielte. Damit meinte er wohl mich.
Meine Vermutung war, dass Peter ihn erschlagen hatte, und ich trauerte um mein Katerli.
Am Dienstag nach seinem Verschwinden brachte eine gehbehinderte Nachbarin zwei Katzenkinder zu mir. Sie hatte die Beiden auf ihrer Terrasse gefunden und berichtete, dass eine einen Strick um den Hals gehabt hätte, welchen sie gleich entfernt hatte. Sie waren krank, so rote Augen hatte ich bei Katzen noch nie gesehen. Mir blieb nichts anderes übrig, als sie ins Tierheim zu bringen. So rief ich einen Bekannten an, der Taxi fährt. Dummerweise hatte sein Dienst schon begonnen, aber ich konnte einen Sonderpreis aushandeln. Andi half mir, die Schüssel mit den beiden Kätzchen ins Auto zu verfrachten, sie waren so krank, dass sie relativ still hielten. Im Tierheim wurde Katzenschnupfen vermutet, da ich sie als Fundtiere gebracht hatte, brauchte ich für die Abgabe nichts zu bezahlen. Als die Formalitäten erledigt waren, machte ich mich auf die Rückfahrt mit dem Bus. Einige Tage später erfuhr ich am Telefon, dass die Kätzchen über den Berg wären und durchkommen würden.
Zwei Tage danach hatte ich einen Traum. Katerli war quietschfidel über die Terrasse in meine Wohnung gekommen.
An jenem Wochenende übergab ich meiner Freundin Rosi alles übriggebliebene Katzenfutter für ihre Katze.
Dann, just am Geburtstag meiner ältesten Schwester, geschah ein unglaubliches Wunder. Zumindest empfand ich es als solches.
Es war spätabends, da klingelte es wieder einmal Sturm bei mir, und zusätzlich hämmerte jemand gegen meine Tür.
Als ich öffnete, stand draußen ein alter Mann, der nur Bescheid geben wollte, dass er einen Hund in Pflege gehabt hätte, als plötzlich aus der Ferne ein Katzenmaunzen zu hören war. Ich meinte, den Alten leise sagen zu hören: „Äh, Kater“, ob er tatsächlich einen Hund dabei hatte, vermag ich nicht zu sagen. Kurz beobachtete ich noch, wie er weiter von Tür zu Tür zog, um sein Sprüchlein aufzusagen, dann schloß ich die Tür und ging zurück ins Zimmer. Meine Terrassentür war offen, es war noch mild Anfang August.
Plötzlich kam das Katzenmaunzen von terrassenwärts näher – und Katerli stand in meiner Wohnung, kläglich maunzend! Mein Traum von vor ein paar Tagen war wahr geworden.
Katerli schien glücklich, wieder bei mir zu sein, er wollte erst nicht fressen, nur mit mir schmusen, und er folgte mir auf Schritt und Tritt. Futter hatte ich noch in der Nacht organisiert, mein Kumpel Micha, zum Glück ein Nachtmensch, hatte es von Rosi geholt.
In den ersten Tagen nach seiner Rückkehr waren Katerlis Ausflüge nur selten und von kurzer Dauer.
Wo er gewesen ist, blieb sein Geheimnis.
Peter erkannte seinen Kater in seiner mittlerweile schweren Demenz nicht mehr, auch mied Katerli den Kontakt zu ihm.
Zu mir wurde Katerli immer zutraulicher, wie freute ich mich, als er im Oktober zum ersten Mal auf meinen Schoß kam! Oft weckte er mich nachts, wenn er am Kopfende des Bettes saß und mir die Haare abschleckte – wohl Fellchen putzen bei Frauchen. Auch hatte er von sich aus damit angefangen, mit mir zu knutschen. Das schien er besonders zu lieben.
Im Winter schlief er die meiste Zeit in der Wohnung, hatte sich etliche Schlafplätze erobert, seine Ausflüge waren meist nur von kurzer Dauer und auch nicht oft am Tag.
Peter war im Dezember in ein Altenheim gekommen, wohl nachdem er mal den Herd angelassen hatte und fast die Wohnung in Brand geraten wäre. Seine Wohnung wurde ausgräumt.
Seitdem wirkte Katerli freier – er rannte durch meine Wohnung und nach draußen, kam wieder hereingesprintet – anscheinend eine unbändige Lebensfreude.
Der Frühling kam, und brachte uns einen neuen Menschen. Für Katerli ein neues Herrchen, mir einen Partner.
Eine turbulente Zeit begann, finanzielle Krisen, Zerwürfnisse mit Freundinnen, Mäuse- und Kaninchenjagden in der Wohnung.
Katerli hatte angefangen, alles lebend hereinzubringen, was er zwischen die Zähne bekam. Einmal mussten wir die halbe Küche umräumen, um ein Kaninchen hinter dem Kühlschrank hervorzuholen.
Die lebenden Mäuse ergriffen wohl nach einiger Zeit von selbst wieder die Flucht ins Freie. Bis auf eine, die wird ihr Ende in der Kleiderkammer gefunden haben. … Auch musste ich öfter einen Nachbarn um Hilfe bitten, ein verängstigtes Kaninchen unter dem Sofa zu befreien.
Trotz Partner lebte ich weiterhin allein mit Katerli in meiner kleinen Wohnung. Zum Glück ist Ingolf einer der wenigen Männer, die akzeptieren können, dass das Tier zuerst da war.
Die Beziehung zu Katerli wurde immer intensiver, sehr überrascht war ich, dass er es eines Tages zuliess, ihm die weiche Unterwolle seines Bauches durchzukraulen. Später fing er an, mir seine Pfote in die Hand zu legen. Beides wohl Gesten eines unsagbaren Vertrauens.
Einmal kam Katerli humpelnd heim. Der Besuch beim Tierarzt ergab, dass er sich wohl die Bänder im Knie gezerrt oder gar gerissen hatte, so durfte ich nur mit ihm an der Leine hinaus. Da war es von Vorteil, dass er mir draußen hinterherlief, auch von sich aus, hatte er schon bei Peter gemacht. Brav liess er sich das Geschirr anlegen, nur beim ersten Versuch, mit ihm dann an der Leine zu gehen, wollte er erst nicht mit, raffte sich aber dann doch auf. Ich liess ihn vorangehen, so lernte ich sein Revier kennen, trotzdem er mich immer einen anderen Weg führte, sicher nur einen kleinen Teil davon. Auch später, als sein Bein längst ausgeheilt war und er allein raus durfte, forderte er mich oft regelrecht auf, mit ihm sein Revier abzugehen.
Manchmal trafen wir Nachbarn auf unseren Touren durchs Viertel, meist sprachen wir dann miteinander, so bekam ich oft zu hören, wie gut es „Charly“ doch nun hätte, wo er bei mir ist. Laut ihren Aussagen musste Katerli schon 20 Jahre oder älter sein, und ich erfuhr auch, dass er vor Peter schon mehrere Besitzer hatte, eine Zeitlang sogar draußen gelebt haben muss.
Vorletzes Jahr stellte ich fest, dass Katerli kaum noch Mäuse und Kaninchen brachte, im Sommer lieber auf der Terrasse lag und döste.
Dann, eines Sonntagmorgens Ende Oktober, kam Katerli um fünf Uhr heim und verkroch sich gleich unter dem Bett. Erst als Ingolf wie üblich um neun Uhr anrief, kam er hervor. Erst da habe ich gesehen, dass sein Gesicht total zerfetzt war. Ich war entsetzt, dachte, er hätte sich mit einem anderen Kater oder einem Hund gebissen. Sofort versuchte ich, herauszufinden, welcher Tierarzt Notdienst hatte und klingelte in meiner Verzweiflung den italienischen Taxifahrer von gegenüber aus dem Bett. Nach einigem Zögern erklärte er sich bereit, uns zum Tierarzt zu fahren. Es dauerte nicht lange, bis wir an die Reihe kamen. Der Arzt untersuchte Katerli und sagte, dass er angefahren worden sei. Der Kiefer wohl gebrochen und ausgerenkt, er hätte nie wieder fressen können, dazu noch schwere innere Verletzungen …
So blieb mir nur, Abschied zu nehmen von meinem treuen Gefährten.