Kassiber aus der Todeszelle
Liebe Mitbürger,
dem Zensor wurde ein sensationeller Kassiber aus dem Nationalgefängnis eines uns befreundeten Landes zugespielt. Bitte lesen Sie diese erschütternden Zeilen, es könnte auch Sie betreffen!!!
Liebe Kurzgeschichten.de-Freaks,
ich will noch schnell meine Geschichte erzählen, die in fünf Minuten mit einer Giftspritze beendet wird.
Der Anfang von meinem Ende liegt gut zwei Jahre zurück, als ich eines Morgens die Zeitung aufschlug. Es war ein Schock, was ich da las, denn ich war ruiniert. All die Jahre hatte ich umsonst geschuftet, umsonst meine ganze Zeit in dieses eine Projekt investiert. Mit nur einem läppischen Zeitungsartikel war alles zerstört, was ich mir über Jahrzehnte aufgebaut hatte.
Nichts hätte dagegen gesprochen, auf der Stelle das Fenster zu öffnen und in die Tiefe zu springen.
Doch die Photographie neben dem Artikel, die den eigentlichen Übeltäter meiner Niederlage zeigte, hielt mich ab von einem unüberlegten Schnellschuss. Nun sei erwähnt, dass es eine widerwärtige Aufnahme war. Es zeigte den fettleibigen Verursacher meines Unglücks, wie er mit einem primatenhaften Grinsen vor seinem Chateau steht, und voller Stolz seine Cadillac-Flotte und drei barbusige Wasserstoffblondinen präsentiert.
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Wenn ich schon am Ende war, dann sollte dieser Lump zumindest mit mir gemeinsam in die Hölle fahren.
Kurz und gut, ich versilberte meine letzten paar Habseligkeiten, vermietete für eine Mark meine Hinterhaushöhle an einen Junkie und sagte denen Lebewohl, die mich in Zeiten bitterster Armut aufopferungsvoll unterstützt hatten, obwohl sie selber am Hungertuch nagten.
Ich bestieg mit einem Einfach-Flugschein die Trans-Atlantik-Maschine, die mich dorthin bringen sollte, wo dieses Schwein lebte, dem ich endgültig und für alle Zeiten das schmutzige Handwerk legen wollte.
Die Vorbereitungen meines unangemeldeten Besuchs gestalteten sich mühelos. Ich kaufte in einem Waffengeschäft ein passendes Geschenk, und in einem Kostümverleih besorgte ich mir eine verblüffend echtaussehende Polizeiuniform.
Mein letzter Spaziergang in Freiheit war ein kurzer, sehr "straighter". Die Leibwächter zwangen mich zum Nachladen - was ich selbstverständlich sehr bedaure. Aber schließlich stand ich vor ihm, dem Drecksack, der mich um meine Million gebracht hatte. Die Sekunden der Begrüßung, will ich nicht näher beschreiben. Ich sah nur den spöttischen Blick seiner weit aus dem Kopf herausstehenden Glotzaugen, der verriet, dass er sich verloren sah. Die beringten Wurstfinger umklammerten das Whiskeyglas, als würde es der letzte Halt am Irdischen sein.
Langsam, ganz langsam hob ich die Pistole und zielte auf seinen dicken Kopf. Dann knipste ich jenem Mitmenschen das Lebenslicht aus, der meine Kurzgeschichten aus dem Internet geklaut und an die Film-und Werbeindustrie verhökert hat.
So, ich muss Feierabend machen, der Mann mit der Spritze kommt.
Macht's gut, meine lieben Träumer! Und Ihr, die sich am geistigen Eigentum anderer vergreifen, verpisst Euch!
Eure
Dinah Moham
Von Blumenspenden und Beileidsbekundungen bitte ich Abstand zu nehmen.
Der Zensor