Kassandra-Klone

[Ben Jockisch]

Kassandra-Klone

Kassandra-Klone

„Moin!“
„Moin.“
„Oh Mann, was mir wieder passiert ist, das ist typisch. Ausgelacht haben sie mich. Sie wollen mir nicht glauben! Sie hören mir einfach nicht zu!“
„Weswegen sollten sie dich denn auslachen?“
„Wegen der Wahrheit! Ich wollte ihnen die Wahrheit sagen, aber sie sperren sich. Keiner hört auf mich. Die Welt schlittert volle Kanne in den Abgrund und niemand will die Wahrheit wissen!“
„Das kenne ich nur zu gut. Man kann ihnen die Fakten noch so oft verkünden, man fühlt sich immer wie ein Rufer in der Wüste...“
„Sie zensieren dich!“
„Sie machen dich mundtot!“
„Sie jagen dich mit Knüppeln aus ihrer Ignoranzwelt hinaus, um sich wieder in Ruhe ihrem Canastaabend zuwenden zu können.“
„Ja, genau. Wenn ich ihnen erzähle, dass die CIA und die UNICEF gemeinsame Sache machen, um den Kosovo in ein riesiges Atommüllendlager zu verwandeln, dann...“
„He, aber das ist gar nicht die Wahrheit. In Wirklichkeit will die UNICEF zusammen mit der islamistischen Tarnorganisation von Aktion Sorgenkind unser Trinkwasser mit LSD verseuchen, um...“
„Siehst du, da haben wir’s! Du verschließt auch die Augen vor der Wahrheit. Ach, der Prophet gilt nichts im eigenen...“
„Lass mich doch wenigstens ausreden.“
„Das hat keinen Sinn, du bist ja auch bloß einer von den...“
„Ha! Willst du mich etwa Zensieren? Du hast anscheinend Angst vor den Geheimnissen, die ich...“
„Moin! Hab ich hier was von der UNICEF-Verschwörung gehört?“
„Moin.“
„Moin, ja so ist es. Er hier meinte gerade, dass die UNICEF zusammen mit der CIA...“
„Die UNICEF gibt’s doch gar nicht, ihr Deppen. Das ist bloß ein Deckmantel. Der internationale Ableger der Manson Family will darüber...“
„Ach, so ein Schwachsinn!“
„He, pass auf, ja. Unterdrück mich nicht!“
„Was heißt das, ‚pass auf`’? Bedrohst du mich etwa?“
„Nein, aber du unterdrückst mich.“
„Nein, du unterdrückst mich, und wer unterdrückt wird, hat Recht!“
„Ach ja? Wer hat hier wen zuerst bedroht?“
„Versuche nicht, die Tatsachen zu verdrehen. Du unterdrückst mich nur, weil ich mit meinen Ansichten zu gefährlich für dein begrenztes Weltbild bin! Ha! Wenn du dann morgen ein Glas Leitungswasser trinkst, und du danach Agenten durch die Wände kommen siehst und einen Briefmarkenautomaten im Bauch hast, der mit Papier gefüttert werden will, dann kommst du angekrochen, du...“
„Quatsch mit Soße! Ihr in eurer albernen Welt von LSD-Verschwörungen und Manson-Komplotten. Heute mögt ihr euch noch über mich amüsieren, aber wenn im Kosovo morgen siebenköpfige Drillinge geboren werden, dann sehen wir, wer zuletzt lacht...“
„Ich an Eurer Stelle wäre mal ganz vorsichtig mit dem, was ich sage. Wenn die Manson Family schließlich den Weltsicherheitsrat in die Luft gesprengt hat, dann wird ein gewisses Buch, das ein gewisser jemand darüber schreibt, plötzlich ganz gewaltig aktuell werden. Und ein Kapitel davon ist voll von Zitaten von Deppen wie euch, es handelt von der festgefahrenen, blinden und tauben Gesellschaft, die zu dämlich, zu ignorant und zu ängstlich ist, um die prophetische Kraft der Worte zu erkennen, die der Verfasser des Werkes...“
„Du leidest ja an völligem Realitätsverlust!“
„Moin! Hör ich hier was von Realitätsverlust?“
„Moin.“
„Moin.“
„Moin. Ja, er meinte gerade, er...“
„Leute, Leute. Die Realität, die gibt’s ja gar nicht. Und das erkennen nur wenige. Die meisten Leute sind einfach zu beknackt, um zu begreifen, dass die Realität in Wirklichkeit ein Geflecht aus komplexen Illusionen ist, die in gezwirbelten Spiralen um den...“
„Selten so eine Scheiße gehört.“
„Dito.“
„Außer dem Kram mit der Manson Family.“
„He! Pass auf, du!“
„Da sieht man mal wieder, was ihr für Ignoranten seid. Na dann bleibt doch in eurer kleinen Welt, ihr Pisser. Realität, ha! Ich lach mich tot. Ihr Kleingärtner. Ihr seid einfach zu begrenzt in eurer Sicht der...“
„He, wie hast du uns genannt?“
„Ich habe nur die Wahrheit gesagt, und die Wahrheit wird immer... Argh!“
„Hehe. Das war für den Pisser!“
„Und das ist für die Kleingärtner!“
„Argh! Ihr wollt mich mundtot machen. Aber ihr könnt die Wahrheit nicht für immer unterdrücken... Argh... ihr werdet noch sehen... Argh... Tschüss, ihr Trottel!“
„Hau ab!“
„Da ging er hin. So ein Blödmann.“
„Stimmt. Gezwirbelte Spiralen. Ich lach mich kaputt!“
„Hehe.“
„Har Har.“
„Wo waren wir stehengeblieben?“
„Dabei, dass die Gesellschaft die Wahrheit unterdrückt.“
„Das stimmt ja auch.“
„Verbleiben wir dabei?“
„Ich bin dafür.“
„Ich auch.“
„Hört, hört!“
„Scheiß Gesellschaft.“
„Alles Trottel!“
„Pöbel.“
„Gesocks.“
„Pack!“

 

[Hagen]

Moin.

Habt ihr schon gehört: Bielefeld ist gar keine echte Stadt, sondern nur ein Code-Wort mit dem Mitarbeiter der UNICEF sich untereinander über atomare Endlagerung im Kosovo verständigen, wenn sie nicht gerade zusammen mit der Manson-Familie LSD Trips schmeißen, um die Grenzen der Realität zu überwinden.

Selten so gelacht . Ein treffender Seitenhieb gegen all die Verschwörungstheoretiker, die es immer mehr gibt (gehöre aber manchmal auch dazu).

Wundert mich nur, dass sich bisher noch niemand hier gemeldet hat.

Nur eine Frage: Was sind Kassandra-Klone bzw Was ist ein Kassandra?

Ansonsten grins

Hagen

 

[sabberbacke]

Zu Hagen: Hem, soviel ich weiss, war Kassandra eine Seherin in Troja, die vor dem trojanischen Pferd warnte und "den Braten roch". Aber sie wurde nicht beachtet und das Unheil nahm seinen Lauf...

Zu Ben:
Äh, also was ich sagen wollte: Toll! Echt super zum ablachen!

Und noch eine Frage: Wie bist du bloss auf diese "Verschwörungsideen" gekommen? Wurde da jemands Trinkwasser mit LSD verseucht? :stoned:

 

[Porcupine]

tja, wer so freizügig geheimes Wissen veröffentlicht, darf sich nicht wundern, wenn er bald von der Unicef verhaftet und von der Manson Familie verhört wird.

naja, du hast glück, dass das meiste davon nicht stimmt, und die Sachen die stimmen sind aus den Zusammenhang gerissen.

Porcupine

 

[Ben Jockisch]

Moin!

Schönen Dank fürs lesen und kommentieren!

@Hagen:

Selten so gelacht . Ein treffender Seitenhieb gegen all die Verschwörungstheoretiker, die es immer mehr gibt (gehöre aber manchmal auch dazu).

Besonders das Internet fördert ja Verschwörungszirkel in großem Stil. Wo du vorher allein in deinem mit ausgenschittenen Zeitungsartikeln zugeklebten Keller hocktest, und vielleicht hin und wieder pamphlete in der Fußgängerzone verteiltest, kannst du übers Netz schnell und bequem viele Gleichgesinnte erreichen. Beizeiten schlägt die Postmoderne gnadenlos zu: Beim 11. September sponn man die Verschwörungstheorien bereits während man die Ereignisse im Fensehen sah ("Bush war's selbst!") und man konnte sich an den Fingern abzählen, dass das Internet kurz darauf voll davon sein würde. Gibt es eigentlich ein größeres Event in der jüngeren Amerikanischen Geschichte ohne dazugehörige Verschwörungstheorie?

@sabberbacke:

Zu Hagen: Hem, soviel ich weiss, war Kassandra eine Seherin in Troja, die vor dem trojanischen Pferd warnte und "den Braten roch". Aber sie wurde nicht beachtet und das Unheil nahm seinen Lauf...

Sabberbacke hat es erfasst.

Und noch eine Frage: Wie bist du bloss auf diese "Verschwörungsideen" gekommen? Wurde da jemands Trinkwasser mit LSD verseucht?

Naja, einige "echte" Verschwörungstheorien sind auch nicht mehr weit davon entfernt. Im modernen Ironiedschungel kann man aber nur noch schwer herausfinden, ob die auch "ernst gemeint" sind. Ist aber auch nicht wichtig. Die Theorien in der Story sind ja auch da, um ein gewisses Verhaltensprinzip der Protagonisten zu illustrieren.

@porc:

naja, du hast glück, dass das meiste davon nicht stimmt, und die Sachen die stimmen sind aus den Zusammenhang gerissen.

Tja, wer weiß. Vielleicht ergeht es mir bald so wie Mel Gibson in "Conspiracy Theory". Sollte mir schon mal einen Fluchtplan ausdenken.

 

[Häferl]

Lieber Ben!

Wenn ich meine Sicht auf normal stelle, dann ist Deine Geschichte auf jeden Fall gut, weil sie das Thema leicht verständlich aufgreift, und zugleich ist sie unterhaltsam und keine Spur von trocken.
Außer zwei kleinen Fehlern, die mir entgegengehüpft sind, hab ich nichts auszusetzen.

»wer unterdrückt wird, hat recht!«
– Recht

»Ihr wollt mich Mundtot machen.«
– mundtot

Wenn ich aber Deine Protagonisten mit meinem Ex vergleiche, dann stellst Du sie viel zu friedlich dar. Die lassen sich ja sogar überwiegend gegenseitig ausreden… Mit meinem Hintergrund gesehen sind Deine Charaktere eine Weichzeichnung, als käme es jedem nur drauf an, seine Meinung einmal gesagt zu haben, ohne die anderen mit Nachdruck überzeugen zu wollen. Es fehlt mir das In-die-Zange-genommen-Werden, sodaß man eigentlich gar nicht mehr anders aus kann, als zu sagen »Ja, du hast Recht, es muß so sein«, auch, wenn man es gar nicht glauben will.

Aber ich glaube auch zu wissen, woher das kommt: Eins haben nämlich mein Ex und Jan van Helsing gemeinsam: Sie verleugnen beide, durch ihre Kindheit psychische Schäden zu haben. Sie schützen ihre Eltern, indem sie all ihren Haß und ihre innere Unzufriedenheit dort hinlenken, wo sie selbst machtlos sind, etwas zu ändern. So müssen sie sich selbst nicht ändern, da sie ja die „Situation“ nicht ändern können. Sie sind die wahren Blinden, weil sie die naheliegendsten Ursachen nicht sehen wollen.
van Helsing schreibt sogar davon, daß man selbst schuld an allem ist, was einem widerfährt, auch, wenn man die Schuld nicht erkennen kann. Sogar für sexuellen Mißbrauch hätte man die Ursache selbst in einem seiner Vorleben gesetzt, sich schuldig gemacht und das sei die Strafe dafür. Ich würde jede Wette eingehen, daß van Helsing eine grausame Kindheit hatte und es für ihn leichter ist, diese Theorien aufzubauen bzw. zu glauben, als seiner persönlichen Wahrheit ins Auge zu sehen.
Alice Millers Analyse von Hitlers Kindheit (in „Am Anfang war Erziehung“), paßt genau in dieses Bild: Sie schreibt, daß es ohne Hitlers tragischer Kindheit und der Verleugnung dieser wohl nicht zum zweiten Weltkrieg gekommen wäre…

Aber das zu wissen hilft mir nichts, wenn mich mein Ex kleinredet, weil er van Helsing glaubt, obwohl er meint, ein Linker zu sein. Leute, die von sowas überzeugt sind, sind in Wirklichkeit viel extremer als Deine Protagonisten. Weil der einzige Weg etwas zu ändern in ihren Augen ja nur der sein kann, die ganze Welt davon zu überzeugen bzw. aufzuhetzen.
Und jemand, der diesen Druck drauf hat, sagt nicht mehr „Quatsch mit Soße“ oder „Ja, er meinte gerade“. Insofern kann ich Deine Protagonisten nur als Schüler einstufen, die halt irgendwo ein paar Wortfetzen aufgeschnappt haben und sich wichtig machen wollen. – Wenn Du diese satirieren wolltest, dann wäre es eine glatte Eins.
Aber wenn Du Leute satirieren willst, die das wirklich ernst nehmen, dann sind Deine Figuren in meinen Augen vor allem zu sanft im Umgang miteinander, zu wenig Meinung aufzwingend.

Nimm das aber jetzt nicht auf die schwere Schulter, ich bin ja bei dem Thema auch kein „normaler Leser“.

Alles Liebe,
Susi

 

[Ben Jockisch]

Moin!

Ja tatsächlich, dein Beitrag tauchte gar nicht in der Liste auf. Die Illuminaten wollten verhindern, dass ich den lese!

Nun, in dieser Story treffen einige Verschwörungstheoretiker sich ja gegenseitig, und es trifft nicht ein Missionar auf eine Horde "Ungläubiger". Sie alle haben "die Wahrheit wird unterdrückt" als verbindendes Motto, was vielleicht ein Grund ist, weswegen sie ein Minimum an Respekt voreinander haben, da sie ja gemeinsam gegen die "Ignoranten" stehen, und sich auch deshalb erst spät gegenseitig an die Gurgel gehen.

Aber du hast Recht: Die ganz schweren Hardcore-Fälle sind es nicht. Hier ging es mir auch mehr darum, dass die selben Argumente benutzt werden, um ganz widersprücliche Theorien zu verteidigen (also "ich werde unterdrückt" und Ähnliches als Bestätigung der richtigkeit der jeweiligen Theorie, unabhängig vom Inhalt).

Alice Millers Analyse von Hitlers Kindheit (in „Am Anfang war Erziehung“), paßt genau in dieses Bild: Sie schreibt, daß es ohne Hitlers tragischer Kindheit und der Verleugnung dieser wohl nicht zum zweiten Weltkrieg gekommen wäre…

Mit sowas wäre ich sehr vorsichtig. Gibt ja auch Leute, die meinen, entdeckt zu haben, Hitler hätte nur ein Ei gehabt, oder sei impotent gewesen, und das sei die Erklärung für alles.
Die Welt ist ein wenig komplexer als das, und selbst wenn Hitler eine schlimme Kindheit gehabt hätte, wäre das nicht ausreichend als Erklärung eines solchen Krieges.

Aber das zu wissen hilft mir nichts, wenn mich mein Ex kleinredet, weil er van Helsing glaubt, obwohl er meint, ein Linker zu sein. Leute, die von sowas überzeugt sind, sind in Wirklichkeit viel extremer als Deine Protagonisten. Weil der einzige Weg etwas zu ändern in ihren Augen ja nur der sein kann, die ganze Welt davon zu überzeugen bzw. aufzuhetzen.
Und jemand, der diesen Druck drauf hat, sagt nicht mehr „Quatsch mit Soße“ oder „Ja, er meinte gerade“. Insofern kann ich Deine Protagonisten nur als Schüler einstufen, die halt irgendwo ein paar Wortfetzen aufgeschnappt haben und sich wichtig machen wollen. – Wenn Du diese satirieren wolltest, dann wäre es eine glatte Eins.
Aber wenn Du Leute satirieren willst, die das wirklich ernst nehmen, dann sind Deine Figuren in meinen Augen vor allem zu sanft im Umgang miteinander, zu wenig Meinung aufzwingend.

Oh meine Charaktere nehmen es durchaus ernst, bis zu einem gewissen Grad. Wäre es allerdings so, dass sich niemand gegenseitig ausreden lassen wollte (es sind ja alles verfechter unterschiedlicher Theorien) würde die Geschichte nach wenigen Sätzen zu einer reinen Transkription einer Prügelei werden.
Hier ist die Story dann wohl mehr Fiktion als realistische wiedergabe, wobei ich sagen muss, dass sich das nur auf den Typus von Verschwörungstehoretiker bezieht, den du kennst. Ich kenne durchaus Fälle von total harmlosen Leuten, die nichtsdestotrotz fest überzeugt sind, dass der Erfinder des Computerspiels DOOM in wirklichkeit der Satan ist.

Gruß

Ben

 

[Woltochinon]

Hallo Ben,

flott und treffend geschrieben, mit schönem, schnellen Einstieg.
Vielleicht ist es die beste Taktik, wenn man die Verschwörer - sich gegenseitig bekämpfend - ihrem Schicksal überlässt, mit Vernunft ist da ja nichts zu machen. Schon interessant wie orientierungslos eine Gesellschaft offensichtlich ist, wenn sie so einen großen Bedarf an solchen Theorien hat.

LG,

tschüß... Woltochinon

 

[Zaza]

Die Geschichte liest sich viel zu konstruiert. Die Dialoge sind total unrealistisch und entbehren einer gewissen Tiefe. Hier fehlt das Originelle, das Du in so manch anderem Text eingesponnen hast. Da die Thematik ja eigentlich ziemlich einfach ist und dazu noch hochaktuell, bedarf es da einer besonderen Herangehensweise. Mir fehlen Spritzigkeit, Überspitzung und gekonnt eingesetzte, treffende Satzschöpfungen (und wenn die drin sind, geht mir auch das Unrealistische am Arsch vorbei).