Karlas Augen
Karlas Augen starren mich an. Ihr Blick trifft mich wie tausend Messer, die meinen Körper durchbohren. Ein eiskalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter.
Das Zimmer ist halb abgedunkelt und Fenster und Türen geschlossen. Um uns herum nur Stille, unerträgliche Stille- Totenstille. Mir kommt es vor, als ob ich schon ewig hier stehen würde, hier neben ihrem Bett. Als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Wie spät ist es jetzt? Halb fünf? Sechs? Der stechende Geruch von Urin fährt mir in die Nase und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich muss fort hier, ich ertrage das einfach nicht mehr.
Ich stehe da und halte ihre Hand. Sie ist so dünn und zerbrechlich. Ihre Haut hat eine seltsam gelbliche Farbe, wie durchsichtiges jahrhundertealtes Pergamentpapier. Ihr Körper besteht nur noch aus Haut und Knochen. Wie eine Glaspuppe liegt sie da, in ihrem Grab aus Samt und Seide.
Ihre Hand aber, ist ganz warm. Ich drücke sie ganz fest und schließe meine Augen um meine Tränen zu verbergen, aber ich kann nicht mehr und ich frage mich, warum sie immer noch lebt. Auf einmal schießt alles aus mir heraus. Da drückt Karlas Hand auf einmal zurück, als ob sie mir sagen wollte, „ Ja, ich will, ich will leben. Zählt mich noch nicht zu den Toten.“
Während ich Karlas Hand noch immer ganz fest in meiner halte, wische ich mir mit der anderen die Tränen aus den Augen. Fragend schaue ich in Karlas ausdrucksloses Gesicht. Ich habe so viele Fragen. Fragen die mir Karla nie beantworten wird. Ihr Mund bleibt für immer verschlossen.
Sie ist gefangen, gefangen in ihrem eigenen Körper, der sie nun zum Stillschweigen zwingt. Doch ich weiß, dass ein winziger Teil der alten Karla überlebt hat.
Karlas Augen sind vom Weinen ganz rot.