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Karla oder der "Austrian Way of Life"

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16.06.2002
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Karla oder der "Austrian Way of Life"

In London sind alle „very busy". Jonathan hat natürlich keine Zeit Karla zu treffen, denn er ist „so very busy", daß er sich mit so einer Kleinigkeit wie seiner österreichischen Urlaubsfreundin nicht abgeben kann. Karla versteht das irgendwie, denn sie kennt ja die Preise und vor allem die Mieten dort, deshalb sind alle, denkt sie, „very busy", um das nötige Geld für die teuren Mieten zu verdienen. Jonathan hat seine Wiener Affäre einfach abserviert. Karla ist eben wieder ins stickig heiße Wien zurückgeflogen. In Wien sind die Menschen nicht so „very busy", hier hätte es gar keinen Sinn „very busy" zu sein, denn die Steuern sind so hoch, daß vom „Very-busy-sein" nichts mehr übrigbleibt. Die Mieten sind zwar auch in Wien nicht ohne, aber irgendwie scheint man sich hier arrangieren zu können, wenn die Eltern in Pension sind und etwas zuschießen können, oder wenn man es ertragen kann, sich die Wohnung mit jemandem zu teilen. Ist beides nicht möglich, gibt man sich eben mit etwas kleinerem zufrieden oder zieht in einen Außenbezirk. Deshalb ist man in Wien nicht ganz so „busy" sondern eher gemächlich. „Busy" sind nur ein paar Fanatiker, oder welche, die so tun als ob, um anzugeben, oder um ihrem in der Studienzeit importierten „American Feeling" in den Straßenschluchten, die sich in das Häusermeer von Jugendstilbauten und Barockpalästen kerben, zu huldigen. Solche Menschen gehen natürlich nicht ins Kaffeehaus sondern zu Starmuds gleich gegenüber der Oper. Karla geht nie zu Starmuds, sie geht ins Kaffeehaus. Karla ist nie wirklich „very busy". Das hat sie sich abgewöhnt, nachdem ihr aufgrund von Intrigen (eine Wiener Spezialität) die Leidenschaft an ihrem Beruf abhanden gekommen war. Karla war früher schon öfters „very busy", nach Abzug der Steuern und Abgaben, aber vor allem nach den Intrigen ist ihr halt die Lust am Ach-so-sehr-Beschäftigtsein vergangen. Nun sitzt Karla im Kaffeehaus am Hohen Markt und nippt an ihrem Großen Braunen. Karla denkt an Jonathan, der ja nie Zeit hat, nach Wien zu kommen. Es würde Jonathan für länger hier eh nicht gefallen, denkt sie.

Karla hat eine nette Wohnung in einem Bezirk innerhalb des Gürtels, in einem Jahrhundertwendehaus, Zimmer mit hohen Wänden und Doppelflügelfenstern, durch die es immer hereinzieht. Karla macht manchmal Fremdenführungen, so nebenbei, um sich etwas dazuzuverdienen, schwarz versteht sich, das Reisebüro ist damit einverstanden. Ihre Eltern geben ihr ein wenig Geld für die Miete, wenn sie Geburtstag hat oder Weihnachten ist. So kommt Karla ganz gut durch. Mit ihrer Tätigkeit als zu ihr nach Hause ausgelagerter Fremdsprachenkorrespondentin auf Werkvertragsbasis und den Führungen. Karla hat manchmal auch unter der Woche frei. Dann geht sie ins Kaffeehaus oder in den Stadtpark. Sie schlendert vorbei am Stepahnsplatz, die Kärtnerstraße entlang bis zur Oper. Studenten in Rokokokostümen versuchen bei fünfunddreißig Grad Karten für Mozartkonzerte an Touristen zu verkaufen. „Viennese Mozart Concerts, 500 Euro only...if you pay with Golden Krisa you get a Mozart Tamagotchi for free..." Karla verkauft auch Konzertkarten, wenn sie gerade eine Gruppe durch die Innenstadt führt, Walzerkonzerte im Schloß Schönbrunn. Ein Glas Schaumwein ungarischer Erzeugung ist im Preis miteinbegriffen. Karla bekommt Provision, wenn sie Konzertkarten verkauft. Zusätzlich zu ihrem Entgelt für die Führung. Im Sommer geht es Karla gut.

Karlas Freundin Lisa ist wirklich oft beschäftigt, nicht weil sie das so möchte, sondern da sie Angst hat, die Stellung zu verlieren. Am Wochenende treffen sie sich in einem Gastgarten, der im Hinterhof eines Jahrhundertwendegebäudes liegt. Sie setzten sich dann auf eine der lehnenlosen Bänke unter der dickstämmigen Kastanie und trinken Bier. In Wien schaut man manchmal etwas tief ins Glas, man ist ja nicht gar so beschäftigt wie anderswo. Lisa hatte mal jemanden aus Frankfurt kennengelernt. Als sie ihn besuchen fuhr, war er zwar nicht „very busy", aber „total im Streß". Er hatte sie immerhin bei sich wohnen lassen, ohne sie anzurühren. In Wien war er wie Lisa meint „gaaaanz süüüüß". „Ich wußte nicht, daß Österreich Industriemaschinen und Technologieprodukte exportiert." meinte er erstaunt, als Lisa ihm erzählte, daß sie als Sekretärin im Wiener Büro des größten Stahlherstellers arbeitete. Lisa verdrehte die Augen und umarmte ihn. Damals war er halt süß. Hier hatten sie ein Verhältnis, als sie dort war, durfte sie bei ihm wohnen. Immerhin!

Karla schlägt ihr dann vor, sich einen Italiener oder Spanier zu angeln, die seien, meint sie, nicht gar so „very busy". Aber Machos meint Lisa trocken. Tja!

So sitzen Lisa und Karla am Wochenende im Gastgarten und lächeln in ihr Bier, sie sind nicht im Streß. „In Ameriga" schreit jemand am anderen Tisch voll Inbrunst in seine Runde, „jo in Ameriga do is leiwond, duat kumman nua die hoatn duach, duat deaf jeda tuan wos a wüh, jo Ameriga, supa, echt! Won da Maida kummt wiads wia in Ameriga, daun hauns des gonze Ausländagsindl auße und unsere Sozialschmarotza miassn endlich hackln."

Lisa und Karla stehen auf und gehen, sie können es nicht mehr ertragen. Sie gehen durch die Tür in die Bar. Auf einem Hocker beim Tresen sitzt ein Mann so um die dreißig im schneidigen Anzug und hochpolierten Lederschuhen, die Beine übereinandergeschlagen, die schwarzglänzenden Füßchen wippend. Er studiert mit gerunzelter Stirne die Karte. „Und was bieten sie mir sonst noch?" eist er mit hoher Stimme den Barmann an. „Ahm, nur das auf der Karte". „Ach ist das hier provinziell" feixt er in Richtung Karla. „Einkaufen kann man nicht in der Nacht, geben tut’s nur das auf der Karte, meine Herren!". Lisa und Karla verlassen die Bar. Sie gehen in Richtung Naschmarkt. Vor der U-Bahnstation steht eine Gruppe Afrikaner, die holzgeschnitztes Kunsthandwerk feilbieten. Die Station wurde von Otto Wagner entworfen, Jahrhundertwende, Jugendstil, Belle Epoque. Ein Transvestit flutscht hurtig durch die grüne Schwingtür aus Holz. Karla und Lisa nehmen die letzte U-Bahn. In der Halle breitet sich der Schmutz über den Mosaikboden aus schwarzen und weißen Steinrauten, die Toilettentür steht halb offen, ein Drogensüchtiger liegt am Boden.

Karla liegt auf ihrem Sofa. Sie knipst die Ikea-Stehlampe Bröm an, die sie gestern in der Shopping-City um nur zehn Euro erworben hat. Die Insektenplage im Sommer ist unerträglich. Jonathan. Sie liebt Jonathan, ein wenig, gar nicht. Es hat keinen Sinn, er ist ja immer so „busy". Morgen hat Karla wieder eine Führung. Anschließend Begleitung ins Mozartkonzert in der Staatsoper. Dann wälzen sich dickbäuchige Herren und Damen in kurzen Hosen und bunten Leibchen mit um den Hals schlenkernden Fotoapparaten in die Staatsoper und klatschen zur „Kleinen Nachtmusik". Sie drückt auf die Fernbedienung „Dove-Intensivdeo gegen lästigen Körpergeruch.." Mitternachtszeitimbild. Schorsch Maider hat einen Furz gelassen und die Nation ist in Aufruhr. Die Vizekanzerin schießt eine Salve in den Äther. Die Opposition schießt zurück, es fällt ihr nichts anderes ein. „Schönen guten Abend nach Gaza, ist jetzt endlich Ruh dort unten?" Karla wechselt den Kanal, ein Muskelfilm mit vielen Toten.

Karla möchte manchmal weg hier, aber sie ist wie gelähmt, man gewöhnt sich schließlich an alles. Karla wäre gern im Süden, dort wo man nicht im Streß oder „busy" ist, wo man auch nicht so hinterfotzig ist wie hier, wo es keinen Schorsch Maider mit unappetitlichem Anhang oder sonstige Unannehmlichkeiten gibt. Karla ist aber zu gelähmt, sie träumt von Jonathan und schließlich hat man selbst nach dem elften September auch noch sein Weinderl gehabt, was soll schon passieren. Karla wird nicht in den Süden gehen, sie gehört hierher. Karla mag nicht, was in Wien oft geschieht, daß die Stadt sich nicht nur zum Guten gewandelt hat, und trotzdem bleibt sie. Es ist ihre Stadt.

[ 09.07.2002, 12:02: Beitrag editiert von: Echnaton ]

 

Hi Echnaton!

Ich kann nur sagen: That´s it. The Austrian Way of Life.

...und ich bin auch noch immer da... :lol:

Alles liebe
Susi

 

Servus Häferl,

tja man hat uns hier angeklebt. Eionen Sommergespritzten auf Dein Wohl!

liebe Grüße

Echnaton

 

Hi Echnaton!!!

Deine Geschichte ist zwar nicht besonders spannend, noch fesselt sie den Leser, doch das Leben in Österreich hast du sehr schön und treffend geschildert. Deine Art zu schreiben passt zum Inhalt und gefällt mir nicht schlecht.
Nur im ersten Abschnitt ist mit das "very busy" und "busy" nach den fünften Mal auf die Nerven gegangen. Ich glaub, es sollte einem auch so ein klein wenig nerven, doch das war für meinen Geschmack etwas zuviel des Guten. Das "busy" an sich ist eine super Idee und gut beobachtet, es trifft die Sache.

Mit ihrer Tätigkeit als zu ihr nach Hause ausgelagerter Fremdsprachenkorrespondentin auf Werkvertragsbasis und den Führungen.
Was du da sagen willst, versteh ich nicht ganz, das ist zu hoch für mich :shy:

Karla schlägt ihr dann vor, sich einen Italiener oder Spanier zu angeln, die seien, meint sie, nicht gar so „very busy". Aber Machos meint Lisa trocken. Tja!
Das hat mir besonders gut gefallen :D

liebe Grüße

ciao

kaschi

 

Hi Echnaton!

Ich fand deine Geschichte sehr unterhaltsam, fühlte mich richtig daheim *g* , hatte die U-Bahn-Station direkt vor Augen und weiß jetzt wieder, warum ich "aufs Land" gezogen bin. Danke!
Zum "very busy": hat mir gut gefallen und ich musste lachen, weil es immer wieder kam. Aber irgendwie reißt es einen doch aus dem Lesefluss heraus, weil man dann beginnt, das nächste "very busy" zu suchen.

Liebe Grüße
Barbara

 

Servus an alle,

@kashila. Ich habe in meiner Jugend und Pubertät viel Zeit in England zugebracht, allerdings in einer mittleren Großstadt, wo es ganz gemütlich war. Außerdem finde ich die Manie des deutschsprachigen Raumes Anglizismen anzuwenden einfach nervtötend, so nervig, wie Dich mein wiederholtes "busy" gestört hat. Deshalb ein brutaler Einschnitt. Ich wollte keine Spannung erzeugen, sondern nur meine Stadt "malen". Das mit der Fremdsprachenkorrespondentin: ich weiß nicht, ob Du in Österreich lebst. Hier geschieht es oft, daß Firmen ihre Mitarbeiter kündigen und sie dann mit einem Werkvertrag entweder dort oder zu Hause arbeiten lassen, ohne die Sozialversicherungskosten, sowie 13. und 14. Gehalt zahlen zu müssen. Arbeit auf Abruf sozusagen. Ausgelagert eben. "Outsourcing" nennt man das in Neusprache. Meine Geschichten haben im allgemeinen nicht viel Handlung, sind eher Beschreibungen von Menschen, Umgebungen, Situationen. Das kann jeder halten wie er will.

@Barabara: Du bist also weggezogen und kommst nie wieder in den Genuß, die letzte U-Bahn in der Kettenbrückengasse zu nehmen. Freut mich, daß es Dir gefallen hat. Ich habe es beabsichtigt, den Text durch den Anglizismus zu zerschneiden, das machen unsere Journalisten ja andauernd und da stört es mich auch, sehr sogar.

Liebe Grüße an Euch beide

Echnaton

 

Hi Echnaton!!!
Vielleicht ist das nicht ganz so gut rüberkommen, aber ich habe nicht kritisiert, dass keine Spannung vorhanden ist in deiner Geschichte. Es ist blos eine Feststellung. Und es muss ja auch nicht immer eine großartige Handlung in Geschichten sein. Wenn schöne Bilder verwendet werden, dann ist das auch in Ordnung, wie man an deinem Text schön sieht. :) Nur wenn du einmal vorhast, etwas längeres als eine Kurzgeschichte zu schreiben, dann wäre mehr Geschehen angebracht.

Zu der Fremdsprachenkorrespondentin: Danke für deine Erklärung, jetzt habe ich es verstanden. Für jemanden, der nicht aus Österreich kommt und diese Dinge nicht weiß, ist es schwer das nachzuvollziehen.

Du sprachst von Anglizismen. Darf ich mal dumm fragen, was das ist??? :shy:

ciao

liebe Grüße

Kaschi

 

@Kashila

Angeln = Engländer
Anglizismus: Wenn man englische Spracheigenschaften in eine andere Sprache übernimmt, hier natürlich ins Deutsche. In dieser Geschichte wäre es zutreffend für "very busy", gilt aber generell für alle englischen Ausdrücke und Phrasen, die so ins Deutsche gerutscht sind.
All right?

Liebe Grüße
Babs

 

@kashila

Was größeres als Kurzgeschichten, dazu habe ich leider keine Zeit, was mir sehr, sehr leid tut. Das mit dem Anglizismus hat Barbara ja Erklärt.

Ich weiß nicht, wie man in Deutschland versucht beim "Humankapital" (schreckliches Wort, ist aber derzeit in aller Munde, pfui!) zu sparen. Hier gibt es diese Form des Werkvertrages. Eigentlich Erpressung, entweder man schluckt es oder man geht auf das Arbeitsamt, was einem dann dort erwartet bei derzeitiger Witschaftslage kann man sich ausmalen. Das heißt die meisten steigen darauf ein. Für den Betreffendne bedeutet dies, daß er für die Versteuerung seines Einkommens verantwortlich ist, sowie den Verzicht auf soziale Rechte wie Krankengeld, Urlaubsanspruch, Anspruch auf Abfertigung und 13. und 14. Gehalt., Kündigungsschutz, etc. gewerkschaftlich organisieren kann man sich natürlich auch nicht. Dafür schönt diese Art der Beschäftigung die Arbeitslosenstatistik der Republik. Diese Menschen gelten dann vor dem Gesetz als Selbsständige und zahlen sich alles selbst. Die Steuer- und Abgabensätze sind jedoch die höchsten in der Geschichte des Landes, was dann einen massiven Einkommensverlust bedeutet. Im Vergleich zu vielen anderen Teilen der Welt lebt man hier trotzalledem noch sehr gut, man hat allerdings schon bessere Zeiten erlebt. Ich glaube, das gilt für ganz Europa.

in diesem Sinne

liebe Grüße aus Wien

Echnaton

 

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