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kari-katur
>Die Karikatur
Es war einmal ein Kind, das sich andere Menschen nur als Bilder vorstellen konnte. Je
mehr er sie kannte, desto mehr sprach eine eigene, einheitliche Stimmung aus ihnen.
Bilder die er kaum kannte waren oft sehr bunt – geradezu kitschig – oder
vergleichsweise farblos. Die bunten und wirren Bilder entwickelten sich bei näherer
Betrachtung langsam, aber stetig, zu harmonischen Farbverläufen, der Welt immer
ähnlicher werdend. Dagegen schienen die Unfarbigen mit der Zeit zu reifen und an
Leben und Farbe zu gewinnen; aus dem Detail auf das Gesamtkunstwerk.
„Was sollen wir bloß mit ihm machen?“, fragte die junge Mutter ihren Mann. „Ich
weiß es doch auch nicht. Vielleicht wäre es nicht besser noch länger zu warten und
einen Arzt aufzusuchen!“
Sie schauten sich kurz bedrückt, hilflos, aber vorhabend an und setzten dann ihren
Entschluss in die Tat um.
Ein Familienausflug zum Doktor.
Der Arzt war bestimmt erfahren und wissend, aber hier lagen seine Fähigkeiten noch
in der Kinderstube. Die Eltern bemerkten dies allerdings nicht ... oder wollten es nicht
bemerken. Oberflächlich wirkte er routiniert, als er seine Spielchen (sein Geplänkel)
beim Kind vollzog. Es wurde nicht viel gesprochen während der zehnminütigen
Prozedur, lediglich die Blicke zwischen den Eltern und dem Kind verrieten die
ängstliche Unsicherheit – die Eltern hatten schon so eine gewisse Befürchtung – das
Kind eine gewisse naive Furcht, den Schmerz schon erahnend.
Der Arzt setzte sich in seinen nachwippenden und leicht drehenden Arzt-Lederstuhl
und blickte den Vater, kurz das Kind, den Vater, etwas länger die Mutter und wieder
den Vater an und teilte dann, mit einem professionellen Mitleid (nur kurz anhaltend,
und dieses wissend) mit: „Ich glaube ... ihr Kind ... also ... ihr Kind, es leidet an ... Kari-
Katur“. „Es tut mir leid“ sagte er nicht, als Professioneller.
Für die Eltern brach eine Welt zusammen: warum musste ausgerechnet ihr Kind – ihr
einziges Kind – mit dieser Krankheit geschlagen sein? Behindert, schnell alternd, blind,
taub, dumm: das wäre alles noch auszuhalten gewesen, aber KARI-KATUR!!!
Warum???
Die Antwort hörten sie nicht.
An diesem Tag endete ein Lebensabschnitt: Ab nun fühlte sich das Kind wohl nie
mehr richtig geborgen zu Hause. Die Eltern waren die Ersten, die das Vertrauen in ihn
verloren, der Rest der Welt folgte.
Wenn Sie wissen wollen, was aus dem Kind geworden ist:
Das kleine Kind verließ die Welt. Es Gründete eine eigene, neue und interessantere
Welt, vergaß die undankbaren Eltern, den engstirnigen Arzt und die alte Welt. Er
erfuhr erst nach Ablauf aller beteiligten Dinge, dass die alte Welt unterging, und
konnte entspannt und beruhigt aufhören mit der Suche nach dem Glück: Nun
besuchte es ihn regelmäßig.