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Kapazitäten
„Demokratie!“
Allgemeines Gelächter. Hanuman blickte hilfesuchend zu den Tischen der Jury. Die Gesichter der weisen Männer und Frauen zeigten keine Regung. Also gut, dachte er, zweiter Versuch. Er räusperte sich und holte Luft.
„Freiheit!“
Aus dem Gelächter wurde ein Sturm der Heiterkeit. Die Vorsitzende der Jury winkte ihn zu sich. „Hören sie“, flüsterte sie, „so geht das nicht. Das da unten sind Kapazitäten, keine Schöngeister. Die wissen, was vor sich geht. Wenn Sie jetzt noch ‚Liebe‘ rufen, sind Sie erledigt. Dann war’s das für Sie, glauben sie mir.“ Hanuman presste die Lippen aufeinander und betrachtete die Menge. Der Ekel, der in ihm hochstieg, verhinderte, dass er einen klaren Gedanken fassen konnte. „Expertenpöbel“, zischte er, „wenn ich was zu sagen hätte…“
Die Vorsitzende sah ihn scharf an. „Reißen Sie sich zusammen. Einen Versuch haben sie noch. Denken sie nach. Bringen Sie’s auf den Punkt.“ Sie deutete auf das Podium und machte eine ungeduldige Handbewegung.
Hanumans Herz klopfte hart gegen seine Rippen, als er sich mit beiden Händen auf dem Pult abstützte. Scheiterte er heute, wäre sein gesellschaftlicher Abstieg unausweichlich. Er betrachtete seine manikürten Fingernägel, als sei das Lösungswort auf ihnen eingraviert. Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn, während er fieberhaft nachdachte. Die Sekunden verstrichen. Plötzlich war es da. Er war sich mehr als sicher. Er befeuchtete seine Lippen, beugte sich vor und berührte mit der Rechten das Mikrophon.
„Plutokratie!“
Für einen Moment herrschte Stille, dann begannen die Kapazitäten zu applaudieren. Ihre anschwellenden Beifallsrufe erzeugten in Hanuman ein derart starkes Glücksgefühl, dass er beinahe die Besinnung verloren hätte. Er verbeugte sich tief. Nachdem er die Glückwünsche der Jurymitglieder entgegengenommen hatte, nahm er den Preis entgegen. Die goldenen Stelzen waren hoch und ohne die Hilfe der Saaldiener wäre es ihm unmöglich gewesen, sie zu besteigen. Als sie an seinen Beinen befestigt waren, begann er auf der Stelle damit, seinen Wissenshorizont abzuschreiten. Tränen liefen über sein Gesicht.