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Kanapees und Blutgrätschen

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10.08.2016
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Kanapees und Blutgrätschen

Ein paar von den Verantwortlichen, die auf der Bank saßen, hatte er noch persönlich kennengelernt. Zum Beispiel diesen Jungen, den sie anfangs nur Chickenwing genannt haben. Zu seiner Zeit war er nur einer von vielen jungen, talentierten Spielern gewesen, die hin und wieder bei den Profis mittrainieren durften. Nun war dieser Kerl mit der Hühnerbrust der Teamchef. Vor zwei Jahren sogar Trainer des Jahres.
Jürgen konnte sich noch gut daran erinnern, dass einer seiner Kollegen ihn mal während der gemeinschaftlichen Dusche nach dem Training angepinkelt hatte, woraufhin Chickenwing beinahe den Verein verlassen hätte. Was für ein Glück für den Club, dass er doch geblieben war, denn ein paar Jahre später war der Bursche für viele Millionen nach Spanien gewechselt und nun als Cheftrainer überaus erfolgreich zurückgekehrt.

Dem Kommentator hatte Jürgen den Saft abgestellt, er konnte dieses hohle Geschwätz nicht ertragen. Schon früher hatte er mit den Journalisten auf Kriegsfuß gestanden. Lieber wäre ihm die reine Stadionatmosphäre gewesen, auch wenn die über den Fernseher nicht wirklich einzufangen war.
Als die Spieler den Rasen betraten und das ganze Stadion Schals und Fahnen schwenkte, wünschte er sich zum tausendsten Mal, er wäre immer noch dabei. Aber seine aktive Zeit war lange abgelaufen. Er war jetzt ein Ex, ein Ehemaliger, ein Nichts.

„Jürgen!“
Die Stimme seiner Frau hallte durch den Flur, wie das Geräusch eines rostigen Nagels, der über eine Glasplatte kratzt. Erst da wurde Jürgen bewusst, dass er sich eigentlich hatte anziehen sollen, nun aber nur mit Hemd und Jogginghose bekleidet vor dem Fernseher saß. Immerhin einen Schuh trug er bereits, allerdings war der andere Fuß noch nicht mal mit einer Socke bekleidet und seine Anzughose lag immer noch sauber gefaltet neben ihm. Bianca hatte sie ihm raus gelegt.
„Alleine könntest du dir nicht mal ein Brot schmieren“, sagte sie immer. Und ganz unrecht hatte sie damit nicht. Niemand hatte ihn je gelehrt selbstständig zu sein. Die achtzehn Jahre als Fußballprofi hatten ihr Übriges dazugetan. Das schwirrte ihm als zerfetzte Gedankenfragmente durch den Kopf, ohne dass es ihm wirklich zu Bewusstsein kam.

Bianca stand nun in der Tür und beobachtete ihn mit diesem speziellen Blick, bei dem sich Jürgen immer vorkam wie ein Hundewelpe, der auf den Teppich gemacht hat. Er bemerkte, dass sie auf seine Füße starrte. Weder verärgert, noch amüsiert.
„Thomas holt uns in zwanzig Minuten ab“, sagte sie ausdruckslos. Jürgen nickte, um ihr zu zeigen, dass er es registriert hatte und schaute weiter in den Fernseher.
„Hast du mich gehört?“
„Mhm.“
„Jürgen!? Hast du mich gehört?“
„Ja, Schatz.“
„In zwanzig Minuten. Schaffst du das?“
Jetzt klang sie genervt.
„Ja, Schatz. Bin gleich fertig.“
Sie schnaufte und legte wieder diesen Blick auf, bei dem sich Jürgens Eingeweide jedes Mal ein wenig zusammenzogen, wenn er ihn sah. Diesmal sah er ihn nicht, er hatte nur Augen für den Fernseher und die zweiundzwanzig Spieler, die dort ihr Bestes gaben. Der Mann, der früher nur „Grätsche“ genannt wurde, hätte für jeden Außenstehenden ein jämmerliches Bild abgegeben.

Es war eine dieser typischen Veranstaltungen, auf die Bianca ihn immer mitschleppte. Steife, blasse Typen und aufgedonnerte Schabracken, geschmückt wie Pfingstochsen, die umher stolzierten und hier und da nach einem Glas Sekt oder ein paar Kanapees griffen. Hin und wieder trafen sie jemanden, den sie kannten und stießen grässlich schrille Geräusche aus, die wohl Freude ausdrücken sollten.
Jürgen kam sich vor, wie ein Stück Pizza auf einer festlich gedeckten Tafel. Die Veranstaltung fand angeblich zugunsten sportinvalider Fußballprofis statt, aber Jürgen sah niemanden, den er kannte. Niemand hier schien sich überhaupt für Fußball zu interessieren. Schließlich waren sie alle hier, anstatt sich das Spiel anzusehen, dass gerade in den letzten Zügen lag. Jürgen checkte alle paar Minuten den Spielstand auf seinem Handy. Noch stand es unentschieden.

So wie Jürgen das sah, hatte sich hier die gleiche Mischung von Leuten eingefunden, wie auf allen anderen Benefizveranstaltungen, die er in den letzten Jahren besuchen musste. Gutsituierte Menschen, die die leeren Flecken in ihrem Leben damit zu füllen versuchten, dass sie etwas taten, wodurch sie sich besser fühlen konnten als jene, deren Leben zu aufregend war, um sich selbst zu feiern. Bianca war hier ganz in ihrem Element. Sie waren kaum angekommen, da hatte sie sich schon kurz entschuldigt und Jürgen alleine an ihrem Stehtisch zurück gelassen. Dann stolzierte sie umher und grinste in die vorbeiziehenden Gesichter, wie eine Wahnsinnige auf einem Kettenkarussell. Sie kannte auf dieser angeblichen Sportveranstaltung mehr Menschen als er. Auf die anderen Gäste mochte dieses aufgesetzte Gesicht freundlich wirken, auf Jürgen wirkte es abstoßend.
Sie gesellte sich zu zwei anderen Frauen, die sie schon von Weitem grüßten und genauso braungebrannt und mit teurem Schmuck behangen waren wie sie selbst. Ganz offensichtlich war sie hier, im Gegensatz zu ihm selbst, unter ihresgleichen. Jürgen fühlte sich mies.
Kurz darauf entdeckte er ein paar Stehtische weiter endlich jemanden, den er von früher kannte. Auch er stand dort allein, von seiner Frau abgestellt wie ein altes, schrottreifes Auto.
„Hallo Coach“, grüßte Jürgen seinen alten Trainer und gesellte sich zu ihm an den Tisch. Er freute sich ein bekanntes Gesicht zu sehen. Der ältere Mann musterte ihn, schien ihn kaum zu erkennen und nickte nur kurz. Es war eine traurige kleine Szene.
„Was machen Sie hier, Coach? Es ist Ewigkeiten her. Hab Sie noch nie auf so einer... Veranstaltung gesehen. Hätte nicht gedacht, dass Sie...“
„War ja auch nicht meine Idee...“, murmelte der Alte. Er roch nach Schnaps und nassem Hund.
„...sondern die von...“
Er machte eine Pause und seufzte tief. Ein Geräusch, das aus der hintersten Ecke seiner Seele zu kommen schien.
„von meiner Frau. Die schwirrt hier irgendwo rum.“
Beide standen mit aufgestützten Ellbogen an dem zierlichen, weißen Stehtisch und schwiegen. Jürgen betrachtete seinen Ex-Trainer verstohlen von der Seite und stellte entsetzt fest, wie alt der Mann geworden war. Sein Gesicht war eingefallen und freudlos. Jegliches Interesse an was auch immer schien aus ihm herausgesaugt worden zu sein. Es tat Jürgen fast körperlich weh ihn anzusehen. Er hatte Mitleid und das war doppelt schlimm, denn sein ehemaliger Trainer (noch ein Ex, ein Ehemaliger, ein Nichts, dachte Jürgen) war nie ein Mann gewesen, mit dem man Mitleid haben musste oder der das auch nur ansatzweise gewollte hätte. Früher hatten sich junge Spieler aus Angst vor ihm buchstäblich in die Shorts geschissen. Nun sah er aus, als hätte man ihm alle Organe entfernt und das Innere mit kaltem Kaffee aufgefüllt. Einen kurzen Moment lang schien es Jürgen, als würde er durch einen seltsamen Spiegel in die Zukunft sehen und ihm wurde übel.
„War nett, sich mal wieder zu unterhalten“, murmelte der Alte plötzlich und ohne einen Anflug von Zynismus, anscheinend glaubte er wirklich eine Art Unterhaltung geführt zu haben. „aber da hinten winkt meine...“
Er machte wieder diese merkwürdige kurze Pause und atmete tief durch. „...meine Frau.“
Er ging, ohne Jürgen noch einmal anzusehen und ließ ihn alleine am Tisch zurück. Jürgen sah ihm hinterher und konnte nicht fassen, was aus diesem Mann geworden war, der vor langer Zeit einmal so etwas wie ein Mentor für ihn gewesen war. Ein Mann, der heute noch oft im Fernsehen und in Sportzeitschriften erwähnt wurde.

Bianca hatte mittlerweile eine kleine Gruppe um sich geschart und als Jürgen Blickkontakt mit ihr aufnahm, winkte sie ihn mit einer lässigen Handbewegung zu sich rüber. Jürgen hatte keine Ahnung, wer die Leute waren, die bei ihr standen und hatte auch nicht den leisesten Wunsch sie kennenzulernen.
Er rührte sich nicht. Bianca fühlte sich veranlasst, noch etwas heftiger mit ihrer frisch manikürten Hand zu wedeln und sie legte wieder ihren berühmten Blick auf. Kaum sichtbar formte sie „Jetzt komm schon!“ mit ihren Lippen. Dann wandte sie sich ihren Tischgesellen zu und legte wieder ihr Kettenkarussell-Grinsen auf. Vom Anblick ihrer unnatürlich weiß strahlenden Zähne bekam Jürgen eine Gänsehaut. Sie winkte ihm noch mal, diesmal fordernder. Jetzt fehlt nur noch, dass sie mich anbrüllt, so wie ich meinen Mitspielern früher Kommandos zugerufen habe, dachte Jürgen. Früher war ich der Leitwolf, nun hab ich mich einer Pudeldame untergeordnet. Wie hatte es so weit kommen können? Weil es einfacher war wahrscheinlich. Weil das richtige Leben mehr verlangt, als zu Rennen und zu Grätschen. Und dafür brauche ich Bianca. Aber stimmt das?
Wann habe ich das beschlossen?
Oder hat sie das beschlossen?
Wann war der Wolf zum Lamm geworden?
Wie konnte das passieren, ohne das ich das mitbekam?

Bianca sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an und in ihrem Blick konnte Jürgen all ihre Unzufriedenheit und ihre Ungeduld mit ihm erkennen. Und auch etwas, was vielleicht unterdrückter Hass sein mochte.
Sie winkte wieder, noch ungeduldiger als zuvor, kurz davor die Fassung zu verlieren. Sie wandte sich den anderen Gästen am Tisch zu und machte eine ungelenke, entschuldigende Geste. So als wolle sie sagen: „Entschuldigung, aber mein Mann ist nun mal ein Idiot. Ehemaliger Fußballprofi, was soll man machen?“

Jürgen setzte sich widerwillig in Bewegung und Bianca schien aufzuatmen. Jürgen beschleunigte seinen Schritt, schließlich trabte er. Die letzten Meter rannte er sogar, er war immer noch ganz gut in Form.
Dann packte er seine berühmte Blutgrätsche aus, die früher bei allen Stürmern gefürchtet war. Mit gespreizten Beinen rutschte er über den frisch polierten Parkettboden und traf Bianca, deren Mund zu einem ungläubigen O erstarrt war, genau an den Schienbeinen. Er erwischte auch den Stehtisch und einen der Herren, die bei Bianca gestanden hatten. Wie in Zeitlupe stürzte alles zu Boden. Ein Klirren und Schreien erstickte alle Feiergeräusche.

Auch wenn es diesmal keinen Szenenapplaus gab, sondern Totenstille im Saal einkehrte, hatte Jürgen endlich wieder das Gefühl, es immer noch drauf zu haben. Grätsche war wieder da.

 

Hallo klaatu,

willkommen bei den Wortkriegern! Mag sein, dass ich heute einen anspruchslosen Humor habe, aber ich fand deine Geschichte ganz witzig. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich selbst vor einiger Zeit eine Geschichte über einen abgehalfterten Sportler geschrieben habe. (Die hat allerdings eine komplett andere Richtung genommen.) Vor allem das Ende war ... überraschend. :D Zwar hat der Text ein bisschen die Anmutung eines überlangen Witzes, weil er im Wesentlichen auf die Schlusspointe zusteuert. Aber solange das funktioniert - wen juckt's?

Damit so etwas tatsächlich funktioniert, sollten aber auch die (vermeintlichen) Kleinigkeiten stimmen, denn sonst wird der Leser immer wieder rausgerissen und kann die guten Ideen nicht würdigen. Ich sage jetzt mal nichts weiter zur Orthographie, da gäbe es noch einiges zu reparieren, vor allem Kommas; aber dafür ist es mir schon etwas spät am Tag. Aber Charaktere z.B. sind auch in lustigen Geschichten durchaus wichtig.

Die Bianca finde ich zwar einfach, aber passend gezeichnet, auch der Ex-Trainer passt für mich. An Jürgen stört mich ein bisschen, dass zum einen seine Wehleidigkeit etwas übertrieben wird (das könnte man eine Stufe zurückdrehen, damit es nicht nervt) und zum anderen die Aussage "er war immer noch ganz gut in Form" so überhaupt nicht zur vorangehenden Beschreibung passt (falls das ironisch gemeint war, kommt das nicht gut genug raus).

Dann gibt es noch ein paar kleinere Ungereimtheiten und sprachliche Details, die ich am besten der Reihe nach durchgehe:

Das schwirrte ihm als zerfetzte Gedankenfragmente durch den Kopf, ohne dass es ihm wirklich zu Bewusstsein kam.
Der Satz ist zweifach redundant. Zum einen sind Fragmente ziemlich dasselbe wie Fetzen, zum anderen ist es wohl das Wesen von Gedankenfragmenten, dass sie einem nicht wirklich zu Bewusstsein kommen, denn sonst wären es ja "richtige" Gedanken.

beobachtete ihn mit diesem speziellen Blick, bei dem sich Jürgen immer vorkam wie ein Hundewelpe, der auf den Teppich gemacht hat
:D

Weder verärgert, noch amüsiert. (...) sagte sie ausdruckslos.
Das ist wieder redundant, das "ausdruckslos" würde ich weglassen. So etwas passiert dir auch an anderen Stellen (die ich jetzt nicht alle raussuche), dass du Dinge deutlicher machst als nötig, so als würdest du deinem Leser nicht vertrauen, dass er es rafft. Das raubt deinem Text die Subtilität.

Steife, blasse Typen und aufgedonnerte Schabracken, geschmückt wie Pfingstochsen
Geschmückt sind sicher die "Schabracken", also die Frauen, richtig? Denn die Männer sind ja steif und blass. Dann sind aber Pfingstochsen ein ungeeignetes Bild, weil sie männlich sind. (Na ja, mehr oder weniger ... :D)

Jürgen kam sich vor, wie ein Stück Pizza auf einer festlich gedeckten Tafel.
Hübscher Vergleich, aber verbesserungsfähig. Als Erstes das Komma raus, aber dann die festliche Tafel genauso konkret machen wie die Pizza. Also z.B. wie ein Stück Pizza zwischen Hummer und Kaviar. Und weil Hummer und Kaviar nicht nur zu naheliegend, sondern für den kleinbürgerlichen Empfang vermutlich schon wieder zu hoch gegriffen sind, könntest du noch treffender werden mit Lachshäppchen und ähnlichem. Du weißt, was ich meine, mir fehlt gerade ein bisschen die Kreativität, aber es ist ja auch dein Text.

Niemand hier schien sich überhaupt für Fußball zu interessieren. Schließlich waren sie alle hier, anstatt sich das Spiel anzusehen
Ein sehr logischer Gedanke, da ist nur von den Organisatoren keiner drauf gekommen. :D

Gutsituierte Menschen, die die leeren Flecken in ihrem Leben damit zu füllen versuchten, dass sie etwas taten, wodurch sie sich besser fühlen konnten als jene, deren Leben zu aufregend war, um sich selbst zu feiern.
In Verbindung mit dem vorangegangenen Satz ("So wie Jürgen das sah ...") scheint das ein Gedankengang von ihm selbst zu sein. Das impliziert aber, dass er sich selbst als jemand sieht, "dessen Leben zu aufregend ist, um sich selbst zu feiern". Und das passt nicht, obwohl ich den Satz ansonsten schön finde, denn Jürgen ist ja tief gesunken und sich dessen sehr bewusst. Allenfalls war sein Leben mal so aufregend, aber selbst den Gedanken traue ich ihm nicht wirklich zu.

grinste in die vorbeiziehenden Gesichter, wie eine Wahnsinnige auf einem Kettenkarussell
Kann ich mir lebhaft vorstellen. :D

Warum schleppt sie eigentlich den Jürgen mit? Ich hätte erwartet, dass sie ihn als Ex-Promi herumzeigt, um dem Event ein bisschen geliehenen Glanz zu geben, aber wenn sie ihn nur rumstehen lässt, "nützt" er ihr ja gar nichts.

Jürgen fühlte sich mies.
Hättest du's nicht gesagt ... :rolleyes:

von seiner Frau abgestellt wie ein altes, schrottreifes Auto
Vermutlich ist auch die Formulierung nicht fabrikneu, aber trotzdem nett.

„Hallo Coach“, grüßte Jürgen seinen alten Trainer
Sagt er wirklich "Coach"?! Das muss ja ziemlich lange her sein (wenn er ihn sogar siezt, tippe ich auf Jürgens Jugendmannschaft), und ich denke nicht, dass der Ausdruck da schon gängig war. Eher "Trainer"?

Früher hatten sich junge Spieler aus Angst vor ihm buchstäblich in die Shorts geschissen.
"Buchstäblich" solltest du nur schreiben, wenn du es auch so meinst ...

Nun sah er aus, als hätte man ihm alle Organe entfernt und das Innere mit kaltem Kaffee aufgefüllt.
Interessante Metapher ...

Bianca hatte mittlerweile eine kleine Gruppe um sich geschart und als Jürgen Blickkontakt mit ihr aufnahm, winkte sie ihn mit einer lässigen Handbewegung zu sich rüber.
Ah, jetzt endlich doch ... ein bisschen spät für optimale Wirkung, finde ich. Da hätte ich Bianca für "professioneller" gehalten.

Früher war ich der Leitwolf, nun hab ich mich einer Pudeldame untergeordnet. Wie hatte es so weit kommen können? Weil es einfacher war wahrscheinlich. Weil das richtige Leben mehr verlangt, als zu Rennen und zu Grätschen. Und dafür brauche ich Bianca. Aber stimmt das?
Wann habe ich das beschlossen?
Oder hat sie das beschlossen?
Wann war der Wolf zum Lamm geworden?
Wie konnte das passieren, ohne das ich das mitbekam?
Netter Gedankengang, aber viel zu ausführlich. Das solltest du ungefähr auf halbe Länge zusammenstreichen.

So als wolle sie sagen: „Entschuldigung, aber mein Mann ist nun mal ein Idiot. Ehemaliger Fußballprofi, was soll man machen?“
:lol: Und vielleicht hätte sie damit sogar Recht ...

Jürgen setzte sich widerwillig in Bewegung und Bianca schien aufzuatmen. Jürgen beschleunigte seinen Schritt, schließlich trabte er. Die letzten Meter rannte er sogar, er war immer noch ganz gut in Form.
Dann packte er seine berühmte Blutgrätsche aus, die früher bei allen Stürmern gefürchtet war. Mit gespreizten Beinen rutschte er über den frisch polierten Parkettboden und traf Bianca, deren Mund zu einem ungläubigen O erstarrt war, genau an den Schienbeinen. Er erwischte auch den Stehtisch und einen der Herren, die bei Bianca gestanden hatten. Wie in Zeitlupe stürzte alles zu Boden. Ein Klirren und Schreien erstickte alle Feiergeräusche.
Den fetten Satz würde ich streichen, dann wirkt das nachfolgende Geschehen doch viel besser. Lass den Leser selber merken, was Jürgen da tut! Den Halbsatz mit "bei allen Stürmern gefürchtet" kannst du ja weiter oben recyceln.

Grätsche war wieder da.
Yesss! Fehlt noch, dass er zum Jubeln an die Eckfahne rennt. Aber es war ja kein Tor.

Mir fällt dabei der blöde Witz mit Olli Kahn und dem abstürzenden Baby ein ... :eek:

Also, wie eingangs gesagt: hat mich durchaus amüsiert, könnte aber noch einigen Feinschliff vertragen.

Grüße vom Holg ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo klaatu,

toll, der Unglaubliche hat schon vorgearbeitet und dir viele gute Tipps gegeben, da kann ich mich ganz beruhigt zurücklegen und einfach sagen: hat mir gefallen. Sehr sogar.

Also wie du schreibst, welche Figuren du wählst, wie du deine Geschichte aufbaust, das hat alles Potential.
Als große Sprachbildliebhaberin, die aber manchmal zusammenzuckt, wenn es zu viele werden, wollte ich dir einerseits ein Kompliment machen für die ungewöhnlichen und frischen Bilder, aber ich würd auch aufpassen, es nicht zu übertreiben.

Im Unterschied zu Holg fand ich die Geschichte gar nicht mal nur witzig, sondern eher ein wenig melancholisch, eine Geschichte über einen Mann, der Halt verloren hat, vergangenen Zeiten nachtrauert und noch nicht in der Gegenwart angekommen ist, ich konnte die Gefühle der Verlorenheit nachvollziehen. Das Ende der Geschichte fand ich überraschend und unvorhersehbar. Gar nicht politisch korrekt, aber irgendwie auch befreiend. :D Aber ist ja zum Glück auch Fiktion.

Eine Sache, die ich komisch fand, wollte ich schon noch loswerden, wenn man deine Geschichte hier liest, kriegt man das Gefühl, der schlimmste Feind des Profis oder besser Ex-Profis sei seine Frau. Ist ja in deiner Geschichte nicht nur bei dem Jürgen so, sondern auch bei dem alten Coach.
Also klar, du erzählst ja die Geschichte von dem Jürgend und bei dem ist das halt so, aber so ein kleieieieienes Bisschen mehr hätte ich da schon gewusst, wie das hat so weit kommen können. Warum lässt der sich denn nicht scheiden und hängt stattdessen einfach mit einem Haufen Kumpels im Stadiuon rum. Also die Zwangsläufigkeit, mit der er sich der braungebrannten Pfingstöchsin unterwirft, die ist mir aus der Geschichte nicht ganz klar geworden. Und das finde ich schon immer in einer Geschichte einen wichtigen Punkt, dass die Grundsituation in sich stimmig wirkt.

Der Umkehrpunkt ja, den fand ich sehr schön gelöst, wie du dem alten Coach etwas in die Stimme legst:

Er machte wieder diese merkwürdige kurze Pause und atmete tief durch. „...meine Frau.“
Da sieht der Jürgen seine Zukunft vor sich. Und man kann die wunderbare Blutgrätsche nachvollziehen.


Noch paar Anmerkungen:

Zum Beispiel diesen Jungen, den sie anfangs nur Chickenwing genannt haben.
hatten


Die Stimme seiner Frau hallte durch den Flur, wie das Geräusch eines rostigen Nagels, der über eine Glasplatte kratzt.
Ich mach das mal an dem Beispiel hier, wo und warum mir was zuviel wird:
hallen passt als Ton nicht, Ich weiß, so ein kratzender Nagel auf einer Glasplatte, das wird bestimmt sehr laut und schneidet sich ins Gehör, aber "hallen" , das unterstellt einfach eine andere Klangquelle. Also da passt das ausdrucksstarke Verb inhaltlich nicht. Das Bild des Nagels find ich toll, aber warum muss der rostig sein? Der wird dadurch auch nicht lauter.
In der Fülle der Stilmittel (Verb - Adjektiv - Nagelvergleich) würd ich vorsichtiger sein und einen Vergleich, der als Nebensatz angehängt wird, nicht unbedingt vorher noch mit einem Adjektiv anreichern. Und wenn eines, dann aber keines, was überflüssig ist.


Erst da wurde Jürgen bewusst, dass er sich eigentlich hatte anziehen sollen, nun aber nur mit Hemd und Jogginghose bekleidet vor dem Fernseher saß. Immerhin einen Schuh trug er bereits, allerdings war der andere Fuß noch nicht mal mit einer Socke bekleidet und seine Anzughose lag immer noch sauber gefaltet neben ihm.
Ich würd sowas kürzen, ist mir so ein bisschen zu behäbig. Und "bekleidet" als Wdh ließe sich locker vermeiden. Von solch leicht umständlichen Formulierungen gibts auch später noch welche, da würde ich mal gucken.


Niemand hatte ihn je gelehrt selbstständig zu sein. Die achtzehn Jahre als Fußballprofi hatten ihr Übriges dazugetan.
Echt? Ist das so? Also ich mein das jetzt echt als Frage.


Das schwirrte ihm als zerfetztes Gedankenfragmente durch den Kopf, ohne dass es ihm wirklich zu Bewusstsein kam.
Holg hat schon was zu diesem Sprachbild gesagt. Ich würd auf jeden Fall zerfetztes streichen. Aber für mich passt das Bild insgesamt nicht ganz. Wenn etwas als Fragment durch den Kopf schwirrt, dann ist es im Bewusstsein. wer sonst als der betreffende Mensch mit seinem Bewusstsein sollte es denn bemerken, dass da ein Fragment ist. Und wenn es nicht im Bewusstsein ist, merkt er auch von den Fragmenten nichts.
Du kriegst dann auch ein Perspektivproblem, wer stellt denn da fest, welche hinter allem wesende Erzählgestalt, was dem Helden der Geschichte im Kopf ist und was nicht? Eigentlich erzähltest du ja bisher rein aus Jürgens Sicht.

Das gleiche Perspektivproblem hast du später noch einmal: hier nämlich:

Sie schnaufte und legte wieder diesen Blick auf, bei dem sich Jürgens Eingeweide jedes Mal ein wenig zusammenzogen, wenn er ihn sah. Diesmal sah er ihn nicht, er hatte nur Augen für den Fernseher und die zweiundzwanzig Spieler, die dort ihr Bestes gaben. Der Mann, der früher nur „Grätsche“ genannt wurde, hätte für jeden Außenstehenden ein jämmerliches Bild abgegeben.
In dem Abschnitt passiert es gleich zweimal. Man kann das ja machen, ich kenn mich da auch nicht so aus, ob das nun generell gegen die Lesekonvention spricht, aber ich will es dir einfach zu Bewusstsein bringen.
Wenn er den Blick gar nicht sieht, kann er doch auch nicht wissen, dass er da ist. Wer also sieht diesen Blick? Da hast du also wieder einen Beobachter eingeschaltet. Dies Problem ließe sich leicht lösen, denn der Jürgen kann ja zum Fernseher schauen und genau wissen, dass seine Bianca ihn mit dem Spezialblick durchbohren wird, weil er ihren Blick erstens spürt und weil er weiß, sie tut das eh immer. Das müsstest du halt nur kurz einfließen lassen.
Ähnliches beim letzten Satz: auch der wirkt sehr außenbeobachtend und wenig aus seiner direkten Perspektive.


Mal bis hierhin, ich weiß ja noch nicht mal, ob du mit unseren Kommentaren was anfangen magst und dann hat man zum hunderttausendsten Mal eine Menge Zeit investiert.

Auf jeden Fall aber: ein herzliches Willkommen bei den Wortkriegern.

Viele Grüße von Novak


Stopp-wichtig: Noch etwas: Gib doch deiner Geschichte einen Tag. Rechts unter dem Antwortfeld findest du den button "Stichworte bearbeiten". Da kannst du dir was raussuchen.
Sonst verschwindet deine Geschichte schnell mal und kann nicht so superleicht wiedergefunden werden.

 

Hallo zusammen!

Entschuldigt bitte die reichlich späte Antwort. Bin selten und immer seltener im Netz unterwegs. Habe mich aber sehr über diese beiden Kommentare gefreut und war positiv überrascht, dass sie so konstruktiv und hilfreich ausgefallen sind. Nahezu jeder Einwand war nachvollziehbar und wird in einer Überarbeitung Verwendung finden. Vielen Dank dafür euch beiden!

LG
klaatu

 

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