Was ist neu

Kampf

Mitglied
Beitritt
29.02.2004
Beiträge
12
Zuletzt bearbeitet:

Kampf

Alles, was getan werden konnte, war erledigt. Alle waren informiert, alle Vorbereitungen getroffen, alles durchgesprochen; schon lange, schon bevor wir begonnen hatten und dann immer und immer wieder. Jetzt konnten wir nur noch warten, flezten im großen Raum im Erdgeschoss. Andere warteten zu Hause auf den Anruf, einige wenige draußen auf dem Platz vor dem Haus. Wir sprachen noch einmal alles durch, ob wir nicht vergessen hätten und damit wir nichts vergessen bei dem, was uns bevor stand. Wir sprachen von unseren Erwartungen, denen, die wir zuvor gehegt hatten. Sie waren eingetreten. Wir brauchten auch jetzt nicht damit zu rechnen, dass irgend etwas Unvorhergesehenes geschehen würde, zumindest nicht, was die Linie anging. Wir brauchten nur abzuwarten. Langsam zersplitterte die Runde. Die Stimmung wurde leiser und mannigfaltiger. Die Worte richteten sich nur noch an einige wenige. Die Angesprochenen rückten näher zusammen, bildeten Gruppen.

Ich lag auf meiner Decke auf dem Boden, noch immer der Mitte des Raumes zugewandt, die Arena gewesen war, in der sich Materialien stapelten, die genauso ihre Rollen in diesem Geschen hatten, wie alle hier im Raum. Die ersten Kerzen erloschen. Das Licht wurde gedämpfter. Langsam begannen sich die Beziehungen von Materialien und Gedanken aufzulösen. Die Dinge schienen in sich zurückzukehren, reine Form zu werden.

Ich ließ mich auf den Rücken rollen, richtete meinen Blick zur Decke. Aus den Augenwinkeln erkannte ich Jutta. Sie lag neben mir, noch der Raummitte zugewandt. Den Kopf drehend sah ich in ihr Gesicht, sah in ihre Augen, die schon eine Weile auf mir zu ruhen schienen. Wir kannten uns kaum. Hatten uns vor ein paar Tagen das erste mal gesehen, hatten zusammen gearbeitet, wussten ansonsten nichts voneinander. Trotzdem vermittelten ihre Augen Geborgenheit, schien ihr Blick mich nicht zu fixieren; mir Raum zu lassen. Laute des Wohlbefindens lösten sich aus mir. Meine rechte Hand tastete nach ihrer, schloss sich, wie ihre um meine. Ich genoss den festen Druck ihrer Hand. So dösten wir, so redeten wir. Wir erzählten uns von schönen, aber abgeschlossenen Erlebnissen, von Freundschaften, Lieben, verworfenen Träumen und verstrichenen Möglichkeiten. Ein ruhender Moment in der Zeit schien eingetreten. Wir kamen auf Sport zu sprechen, Judo, den wir beide nicht mehr ausübten aus unterschiedlichen Gründen, beide aber als einzigen mochten, aus den gleichen Gründen. Wir mochten beide die direkten, kraftvollen aber nicht gewaltsamen Bewegungen, besonders den Bodenkamp, die sich steigernde Körperspannung, bis zur Aufgabe des einen, das momentane Lösen, die neuerliche Anspannung.

Später dann stand Jutta auf, ohne meine Hand loszulassen, zog mich hoch, half mir, meinen entspannten, schweren Körper aufzurichten. Ohne ein weiteres Wort gingen wir ins Treppenhaus, schlörten mit der je freien Hand unsere Decken hinter uns her, erstiegen die weitenteils geländerlosen Treppen bis hoch in die oberste Etage, betraten ein Zimmer, in dem niemand seine Sachen gelagert hatte, einen Raum, der noch nicht reserviert war für eventuelle Rückzüge. Ich verkeilte die schlüssellose Tür mit einem herumliegenden Stuhl. Jutta breitete unterdessen die Decken aus. Wir entkleideten uns und knieten gegenüber nieder, neigten kurz unsere Oberkörper zum Gruß und begannen, unsere Kräfte zu messen. Unsere Körper fühlten sich gleich stark an. Wir rangen miteinander, fanden, umschlangen, pressten und überwältigten uns in loser Folge, bis unsere Körper das Signal zur Lösung gaben, lagen dann eine Weile nebeneinander und erkundeten tastend den Körper des anderen, dösten, bis die Kraft zurückkehrte und unsere Körper wieder einen gemeinsamen Raum aus Wärme und Feuchtigkeit bildeten.

Von dem Einschlagen der Haustür hörten wir nichts, bemerkten nichts von den Blitzlichtern der Fotografen im Flur, vernahmen nicht, wie dem, der das Küchenfenster mit einer Holzplatte verbarrikadieren wollte, von einem schon in der Kücke stehenden Uniformierten mitgeteilt wurde, dass dies nun nicht mehr nötig sei. Wir hörten nicht, wie kurz zuvor jemand, der gerade eine Tüte weiterreichte, sagte: „ Wenn jetzt die Bullen kämen““, wurden erst wieder zurückgeholt in das Geschehen, als die Tür zu unserer Kammer krachend aufflog und unvermittelt zwei grüne Plastikmännchen im Zimmer standen, unbewegt zunächst, bis das eines befahl, „Würden Sie sich bitte anziehen!“, beide den Raum verließen und die Tür zuzogen - soweit dies noch möglich war.

Wir folgten gehorsam, folgten auch der Aufforderung, die Treppe herunter zu gehen, die beiden dicht hinter uns. Kaum registrierten wir, wie ein Stockwerk tiefer zwei grüne Jungs Igor, den sie an Händen und Füßen trugen fragten: „Herr Doktor, möchten Sie nicht doch lieber selber gehen?“ Wir fühlten nichts, als wir in der Eingangshalle an einer Menschenansammlung vorbei kamen. Wir machten, was man uns sagte, registrierten kurz die Menge Menschen, die auf unser Wohlergehen achtete, bestiegen eine Wanne, betraten ein Gebäude, gingen eine Treppe hinunter. Erst als wir in einem Raum eine Pritsche sahen, kehrte Leben in uns zurück. Wir rissen uns unsere Kleider vom Leib.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo derda!

Ja, es ist eine spannende Geschichte: Zuerst lässt du den Leser raten, in welcher Situation dein Plot angesiedelt ist, als sich andeutet, dass du von einer Hausbesetzung erzählst, führst du das romantische Element ein. Ich kann nachvollziehen, dass in einer Situation extremer Nervenanspannung, in der alle Sinne geschärft sind, auch die Antennen für erotische Signale ausgefahren sind, auch wenn das zunächst widersprüchlich erscheinen mag. Dass aus dem körperlichen Kräftemessen im sportlichen Kampf das Verlangen nach einer anderen Art der körperlichen Begegnung wächst, ist ein erfreulich ungewohntes und selten gelesenes Moment deiner Geschichte. Bis jetzt finde ich also lobende Worte.

Etwas Probleme habe ich mit dem Sprachstil, den du benutzt. Versteh mich nicht falsch: Du schreibst sehr gewählt, kunstvoll, wohlbedacht - ich selbst hätte für diese doch raue, fast brutale, auf jeden Fall actionreiche Szene einer gewaltsamen Räumung eine schlichtere, "härtere" Sprache gewählt, aber das ist selbstverständlich Geschmackssache. Zumindest würde ich die Stilisiertheit ein wenig abspecken. Vorschläge folgen.

Es folgt noch eine Liste von Details, von denen du die meisten wahrscheinlich überlesen hast; ich kenne das, zu große Vertrautheit mit dem eigenen Text trübt den Blick: ;)

dass irgend etwas unvorhergesehenes geschehen würde
etwas Unvorhergesehenes

zumindest nicht, was sie Linie anging
... was die Linie...


Langsam begannen sich die Beziehungen von Materialien und Gedanken aufzulösen. Die Dinge schienen in sich zurückzukehren, reine Form zu werden.
Das finde ich in diesem Zusammenhang sehr philosophisch.

In den Augenwinkeln gewahrte ich Jutta.
Heißt es nicht üblicherweise "aus den Augenwinkeln"?

Den Kopf drehend sah ich in ihr Gesicht, sah in ihre Augen, die schon eine Weile auf mir zu ruhen schienen.

Was hältst du von "Ich drehte den Kopf und sah in ihr Gesicht"...? Das Partizip Präsens hat in meinen Augen so etwas Sperriges.

Wir erzählten uns von Schönen, aber abgeschlossenen Erlebnissen

... von schönen...
Wir kamen auf Sport zu sprechen, Judo, den wir beide nicht mehr ausübten aus unterschiedlichen Gründen,
Bitte verbessere mich, wenn ich mich irre - aber heißt es nicht "das Judo"?

...insbesondere den Bodenkamp,
"insbesondere" ist ein Politikerredenfüllwort - "besonders" oder "vor allem" tut es auch. ;-)

Später dann stand Jutta auf ohne meine Hand loszulassen
Wie wäre es mit einem Komma vor "ohne"? Ich finde den erweiterten Infinitiv mit Komma-Abtrennung übersichtlicher

schlörten
*staun* Das Wort hab ich noch nie gehört!

in dem niemandes Sachen lagerten
Ich schlage vor: "In dem niemand seine Sachen gelagert hatte".

lagen dann eine weile nebeneinander, tastend den Körper des anderen erkundend, dösten, bis die kraft zurückkehrte und unsere Körper wieder einen gemeinsamen Raum aus Wärme und Feuchtigkeit bildeten.
... eine Weile" und "bis die Kraft...". Noch ein Vorschlag: "... nebeneinander und erkundeten den Körper des anderen, dösten, bis die Kraft..."

vernehmen nicht, wie dem der die Holzplatte fürs Küchenfenster in die dafür vorgesehenen Halterungen einhängen wollte, von hinten von einem Uniformierten mitgeteilt wurde, dass dies nun nicht mehr nötig sei.
Das ist ein arg verknäueltes Satzgetüm. ;-)

...beide den Raum verließen, die Tür zuziehend, soweit dies noch möglich war.
"Dann verließen beide den Raum und zogen die Tür zu, soweit..."

wie ein Stockwerk tiefer zwei grüne Jungs Igor, ihn an Händen und Füßen tragend fragten:
"... wie ein Stockwerk tiefer zwei grüne Jungs Igor, den sie an Händen und Füßen trugen, fragten:"

Wir fühlten nichts, las wir in der Eingangshalle an einer Menschenansammlung vorbei kamen
als statt las.

Jetzt hältst du mich bestimmt für eine XXL-Besserwisserin - und weißt du was? Eigentlich hättest du damit recht. :D

Liebe Grüße, Chica

 

Hi Chica,
Besten Dank für deine Kritik. Damit kann ich was anfangen. Die meisten Punkte habe ich übernommen. Mit dem "Prinzip Präsenz" wollte ich stilistisch dem Rechnung tragen, dass in so einer Situation der Entspannung nach grosser Anstrengung sich Vergangenheit und Zukunft zurückziehen, nur Gegenwart bleibt, sich die Augenblicke unreflektiert aneinanderreihen. Aber du hast recht: das wird an manchen Stellen zu penetrant. Was den Sprachstil angeht: auch Action hat da Pause, bzw die Rückkehr zur Action wird im Trance verpasst.
Also noch mal: Besten Dank! und bis demnächst

 

Hi Derda,

so ganz kann ich die Meinung von Chica leider nicht teilen.

Die beiden Erwarten mit Spannung ein Ereignis, auf das sich alle sehr gut vorbereiten und jeden Moment passieren soll. Ich denke es ist widersprüchlich, wenn die beiden sich in dieser Situation zurückziehen, um Sex miteinander zu haben.
Glaubwürdiger wäre es meiner Meinung nach gewesen, wenn dies erst nach der Räumung in der Zelle passieren würde. Natürlich müsstest Du dann vorher darauf hinweisen, dass sich die Beiden zueinander hingezogen fühlen.

Den ersten Absatz solltest Du kürzen, weil sich das mit der Vorbereitung und dem mehrmaligen Durchsprechen wiederholt.

Du verwendest oft sehr lange Sätze. Hier würde die Story vieleicht etwas flüssiger werden, wenn Du mehrere Kürze Sätze daraus machen würdest.

Der Ansatz zu der Story ist sicher gut. Nur lässt sich mMn mehr daraus machen.

Gruß
Jörg

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Jörg,
Was ist an der Entwicklung Anspannung - Entspannung - Trance unglaubwürdig? Im übrigen muss ich, was die Unglaubwürdigkeit angeht, schmunzeln. Auch die Länge der Sätze schein mir passabel. Es ist keine journalistische Arbeit.
Gruß
derda

 

Hi Derda,

Deine Darsteller bereiten sich äußerst intensiv auf die Räumung des Hauses vor und fiebern ihr regelrecht entgegen. Ich finde es unwarscheinlich, dass die beiden dann kurz bevor es losgeht, etwas anderes machen. Aber das ist meine persönliche Meinung. Andere sehen es vieleicht völlig anders.


Wir rangen miteinander, fanden, umschlangen, pressten und überwältigten uns in loser Folge, bis unsere Körper das Signal zur Lösung gaben, lagen dann eine Weile nebeneinander und erkundeten tastend den Körper des anderen, dösten, bis die Kraft zurückkehrte und unsere Körper wieder einen gemeinsamen Raum aus Wärme und Feuchtigkeit bildeten.

Dieses Satz ist nach dem ersten Lesen nicht zu verstehen. Wenn Du hier drei Sätze daraus machst, fällt es dem Leser einfacher dem Text zu folgen. Es macht die Geschichte flüssiger und damit leichter zu Lesen.
Natürlich ist eine Kurzgeschichte keine journalistische Arbeit. Wir (zumindest ich und viele andere hier)wollen aber, dass den Lesern unsere Geschichten gefallen und sie Freude beim lesen haben.

Gruß
Jörg

 

Hi Jörg,
Danke für deine nochmalige Antwort.
Was die Wahrscheinlichkeit angeht, so stellt das geschilderte wahrscheinlich eine Übliche Übersprungshandlung dar.
Die Diskussionen über die richtige Länge von Sätzen sind mir kann ich allerdings so nicht nachvollziehen. ich habe mir den von dir angeführten Satz noch einmal genauer angesehen. Es ist ein linearer Satz, nichts geschachteltes, der bei durchschnittlicher Aufmerksamkeitsfähigkeit wohl keinerlei probleme bereitet. Wenn ich ihn, wie von dir vorgeschlagen, in drei Sätze zerlege entsteht nicht nur der Eindruck von drei stärker als beabsichtigt getrennten Elementen, auch muss ich dann immer wieder das Subjekt wiederholen, was m.E. ein Füllsel, unnötiger Ballast wäre. Also noch mal Dank für deine Mühe, aber in diesem Punkt bin ich "uneinsichtig". An anderen Stellen werde ich die Geschichte in den nächsten Tagen allerdings noch einmal überarbeiten.
Gruss
derda

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom