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Kalte Knarre. Heiße Hölle.

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25.03.2014
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Kalte Knarre. Heiße Hölle.

Kalte Knarre. Heiße Hölle.

Carmine trug seine Knarre gerne am Arsch. Sich nach hinten zu greifen, während man das Eisen zückte, sah...schöner aus. Ja, man konnte sagen, dass es mehr Stil hatte. Aber erst an so richtig heißen Tagen entfaltete diese Art der Aufbewahrung ihre Vorzüge: Legte man die Pistole eine Nacht zu vor in die Gefriertruhe, sparte man sich den ein oder anderen Erfrischungsdrink. Der Arsch, so was wie das Klimazentrum des Körpers, sorgte so für langandauernde Coolness. Im Büro, so nannten sie Johnny’s Pastaküche in der Zweiundzwanzigsten, konnte einem die Hitze kräftige Ohrfeigen verpassen. Und das kalte Eisen war in diesen Momenten die zarte, heilende Hand der heiligen Jungfrau.
Carmines Handy vibrierte. Der Boss.
„Fahr zu Mario“, sagte er und klang dabei kühl und berechnend wie immer. „Fahr zu Mario und klär’ mit ihm diese eine Sache. Mach’ keine große Show. Ist mittlerweile zu oft passiert. Hab keine Lust mehr auf diesen bockigen Scheißhaufen.“
„Alles klar, wird erledigt.“
„Eins noch“, sagte der Boss. „Nimm Tony und Abelardos Sohn mit. Die werden beim Buddeln helfen.“
Siebzehn Minuten später war Carmine bei Mario. Er betrat seinen Laden, ein fein säuberlich geführtes Weingeschäft, den schon Marios Vater und dessen Vater vor ihm geführt hatten. Seine vielen Stammkunden kamen aus allen Teilen der Stadt. Marios Wissen und Charme beeindruckte sie und raubte ihnen gleichzeitig das Geld. Das ließ ihm im Laufe der Jahre offenbar ein paar kräftige Eier wachsen. In den letzten drei Jahren war Carmine achtmal hier gewesen. Achtmal war es laut geworden, aber am Ende des Tages hatte sich Mario eines Besseren entsinnt und seine Schulden beglichen. Ein neuntes Mal duldete der Boss nie.
Mario war inmitten einer seiner Showeinlagen. Er fuchtelte, spielte mit seiner Stimme und seiner Mimik und imitierte einen Akzent, den er gar nicht hatte. Seine Kunden standen gebannt in einem Halbkreis um ihn herum. Sie würden in jede Falle treten, die er ihnen auslegte.
Er unterbrach das Ganze sofort, als er Carmine bemerkte.
„Mein Bruder! Eine Freude bist du!“, rief Mario lachend. Er gab Carmine eine herzliche Umarmung, küsste ihn auf beide Wangen und stellte ihn dann seinen Kunden vor.
„Ich hab Zeit, Mario“, sagte Carmine und schüttelte ihn heiter ab. „Ich kann warten. Kümmer dich erst ums Geschäft, dein Bruder werd’ ich gleich immer noch sein.“
Er musste eine Vorahnung gehabt haben und jetzt wog er sich im Beisein seiner Kunden in Sicherheit. Ein schlauer Vogel.
Mario grinste immer noch und ließ sich nichts anmerken. „Aber natürlich“, sagte er laut, so, dass ihn die Kunden hören konnten. Er boxte Carmine verspielt auf die Schulter. „Als reicher Bruder nütze ich dir mehr, mh? Haha, schaut euch den Mistkerl an. All die Jahre und er ist immer noch hinter meinem Moneten her.“
Mario lachte noch zweimal laut auf und kümmerte sich dann wieder um die Kunden. Carmine sah sich währenddessen im Laden um. Hin und wieder folgte ihm ein verstohlener Blick aus Marios Augenwinkeln. Auch die Show, die Mario ablieferte, war nicht mehr die Selbe. In Gedanken saßen Mario und Carmine bereits an einem Tisch.
Aber Hand aufs Herz. Man musste ehrlich sein. Eigentlich war er ja schon ein feiner Kerl. Ein Heuchler, aber ein fleißiger und ehrgeiziger Heuchler. Zwei tüchtige Söhne
hatte er. Einer studierte und der andere war auf dem besten Wege dahin. Unwahrscheinlich, dass einer von ihnen Marios Laden je schmeißen würde. Selbst nach seinem Abgang nicht. Und für Rache waren sich die Intellektuellen auch zu Schade. Carmine könnte vielleicht selbst den Laden übernehmen. Er arbeitete jetzt schon seit zwanzig Jahren für den Boss. Die beinahe Selbstständigkeit täte gut. Dort hätte er seine Ruhe. Und würde monatlich was an den Boss abdrücken. Eine faire Summe. Ohne Murren. Stets pünktlich.
Die Kunden waren mittlerweile aus dem Geschäft und nachdem hinter ihnen die Tür zufiel, versteinerte sich auch Marios Miene. „Ich hab euch hundert Mal gesagt, ihr sollt nicht während meiner Öffnungszeiten kommen. Wie soll man hier Geld verdienen, wenn ihr Gangster ganze Zeit hier rumlungert? Sag das verdammt noch mal deinem Boss!“
„Du kannst es ihm gleich selber sagen.“, sagte Carmine.
Marios Augen verengten sich zu zwei Schlitzen.
„Was willst du damit sagen?“
„Du wirst mit ihm Essen. Er will mit dir reden, über dies und jenes. Und über das Geschäft. Er hat einige Pläne.“
„Pläne, sagst du? Was für Pläne?“
„Ich hab keine Ahnung, Mario. Ich glaub’, er will noch einen Laden in Portland auf machen. Vielleicht brauch er deinen Rat, oder will, dass du ihn übernimmst.“
Mario kniff die Augen noch enger zusammen.
„Wann?“, fragte er.
„Jetzt.“, antwortete Carmine und setzte sein vertrauenswürdigstes Lächeln auf. „Jetzt?! Carmine, bei aller Liebe. Das kann schlecht sein Ernst sein. Ich hab noch vier Stunden geöffnet. Bei Acht Kunden macht das..“, er zählte an den Fingern ab. „Da könnten noch vier, fünfhundert Mäuse rausspringen. Im besten Fall sechshundert.“
„Also klang mir nicht nach nem Scherz das Ganze“, sagte Carmine. „Aber ich kann ihm das gern so ausrichten, wenn du magst.“
Carmine deutete gerade an zu Gehen, da sagte Mario: “Ist ja gut. Ich packe hinten ein paar Sachen zusammen und komme dann raus, du kannst im Auto auf mich warten.“
Nach einigen Minuten erschien Mario auf dem Beifahrersitz. „Okay. Fahren wir.“, sagte er.
„Sofort. Wir müssen noch Tony und Abelardo Junior abholen, die wollen wohl auch noch zum Boss.“
An der Washington Street angekommen, stiegen beide dann ein. Sie setzten sich. Und sagten kein Wort. Sie schwiegen, begrüßten niemanden und blickten von ihren Hintersitzen aus in alle Himmelsrichtungen. Grünschnäbel und Anfänger waren das. In der alten Schule verhielten sich Mörder noch wie anständige Henker und gaben ihren Schafen nicht die Gelegenheit, misstrauisch zu werden. Diesen beiden Trotteln war ihr Beruf praktisch auf die Stirn geschrieben. Wäre Mario etwas klüger gewesen, hätte er es gepeilt. Seine zwei Augen gehörten aber nur der Kohle, die er gerochen hatte. Und Geld war, nach der eigenen Ehefrau, der größte Feind der Instinkte. Und die Ehefrau war ein mindestens genauso großer Feind für das eigene Geld. Eigentlich konnte sich in dieser Dreier Konstellation niemand wirklich leiden. Carmine beschloss nach kurzer Zeit, die unangenehme Stille zu unterbrechen. „Abelardo“, sagte er. „Wie gehts deinem alten Herrn? Hab gehört, ihr wollt bald in der Neunzehnten ’n Laden aufmachen.“
„Läuft.“, sagte Abelardo Junior knapp.
„Und deiner Schwester? Was macht die Universität? Wollte doch mal Lehrerin werden. Den kleinen Kids was beibringen, mh?“
„Läuft.“, sagte Abelardo wieder.
Anscheinend war Abelardo nicht nur ein Anfänger, sondern auch ein verdammter Arschficker. Sein Vater war ein guter. Manchmal fiel der Apfel kilometerweit vom Stamm.
Gefühlte Stunden des Schweigens vergingen. Dann sprach plötzlich Mario im ernsten Ton. „Jungs“, sagte er und seufze. „Machen wir uns doch nichts vor. Ich weiß, warum ihr alle dabei seid. Ihr seid durchschaubar wie kleine Kinder.“
Carmine stoppte schlagartig der Herzschlag. Mit der einen Hand umklammerte er das Lenkrad fester. Die andere schob er langsam zum eiskalten Pistolengriff. Gleich musste es schnell gehen. In der Umgebung war viel Verkehr. Eine Streife, vielleicht zwanzig Meter entfernt. Passanten zu beiden Seiten. Mario wühlte bereits in seiner Tasche und gerade, als Carmine seine Knarre zücken wollte, hatte Mario zwei Flaschen Wein in der Hand.
„Ihr Säufer!“, sagte er und lachte laut. „Schau dich mal an, Carmine. Kaum riechst du den Traubensaft, atmest du wie ein Esel und fängst an zu schwitzen. Hier, die ist für dich. Aus meiner Heimat. Und der hier, Jungs“, er drehte sich nach hinten um, „Die ist für euch. Aber stellt damit keinen Unsinn an. Ich will den Nektar nicht in Plastikbechern oder mit Wodka verdünnt sehen, ist das klar? Carmine, nun schau nicht so. Die jungen Leute haben ihre Werte verloren. Sie wissen nicht einmal mehr, wie man trinkt. Wisst ihr noch, wie man fickt, Jungs? Bei uns sagt man, wie man trinkt, so fickt man auch. Wenn ich mir eure Generation so ansehe, könnte man meinen, ihr fickt alle beschissen. He, Carmine, was sagst du? Bringen’s diese Burschen? Ich sag nein!“
Carmine war fast das Herz stehen geblieben. Nach all den Jahren in diesem Job hätte er beinahe die Nerven verloren. Mitten in der Stadt, bei all den Zeugen, hätte sich der verteilte Schädel von Mario schlecht gemacht. Und für Verfolgungsjagden und Knast war Carmine zu alt.
Sie fuhren mittlerweile durch eines der schlechteren Viertel. Die Schwarzen, die sich in den Hauseingängen tummelten, blickten dem unbekannten Auto misstrauisch nach. Schließlich kamen sie an einem abgewrackten Haus zum stehen.
„Laufen die Geschäfte bei unserem großen Boss nicht?“, sagte Mario und lachte wieder laut auf.
„Is’ nur vorübergehend“, antwortete plötzlich Abelardo, zu Carmines Überraschung. Tony ging als Erster ins Haus, dann folgten Abelardo, Mario und als letzter kam dann Carmine. Er schloss die Tür hinter sich so leise wie möglich und so oft wie nötig zu. Die anderen gingen derweil ins Hausinnere vor.
Hatten die Burschen eigentlich Knarren dabei? Wie oft hatten die so ein Ding eigentlich durchgezogen? Der Henker gewährte mindestens noch ein Drink und ein Salute. So sagte es das ungeschriebene Gesetz. Man erwies ihnen die letzte Ehre. Mario war weder Vergewaltiger, noch Schwuchtel gewesen. Wobei, einmal hatte er...Gerade, als Carmine diesen Gedanken nachhing, ging etwas zu Bruch. Ein lautes Klirren hallte durch das alte, muffige Haus. Carmine eilte in das Zimmer, aus dem er den Laut vernommen hatte. Die verdammten Jungs hatten wahrscheinlich alles erdenkliche falsch gemacht. Doch als Carmine ankam, saß Tony friedlich mit Mario an einem der alten, morschen Tische. Sie blickten schweigend zu Carmine auf. Dann grinsten sie sich an und nickten in die Ecke rechts von Carmine, wo Abelardo stand, der ebenfalls grinste. Carmine blickte hinunter. Seine Füße standen in einer Pfütze aus Wein. Und die dazugehörige, zerbrochene Flasche, hatte
Abelardo in seinen Händen. In nur einer Minute hatten sich nicht nur die Regeln verändert. In nur einer Minute hatten sie begonnen, ein gänzlich anderes Spiel zu spielen. Der Timer hatte bei dem Klirren begonnen und war für Carmine fast abgelaufen.
Alles ging jetzt sehr schnell. Abelardo brüllte laut und war nur noch wenige Meter von Carmine entfernt. Carmine hatte nur eine Chance. Eine klitzekleine. Der Bruchteil einer Sekunde würde alles entscheiden. Carmines Herzschlag pochte. Sein Atem raste, während er die Hand zu seinem Arsch gleiten ließ.
Sein eisernes Baby, sonst so kühl, war plötzlich heiß. Heiß wie die Hölle. Und Abelardo, Abelardo war der Teufel.

 

Ich wollte gerade in die Tasten hauen und einige Gedanken zu Deinem Text schreiben, aber dann habe ich gesehen, wie systematisch Du Deine Kommentatoren ignorierst. Deshalb nur der Hinweis, dass hier ein Austausch erwünscht ist.

 

Danke für den Hinweis. Dann auch einer von mir:
Nicht zu protestieren ist kein Anzeichen von Ignoranz. Manche sprechen sogar von stillschweigender zur Kenntnisnahme, inklusive dem möglichen Vorhaben einer Veränderung des kritisierten Gegenstandes.

 

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