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Kali
Gerade als Erik den letzten Kopf im Sand platzierte, kroch ein heller Vollmond hinter einer schwarzen Wolke hervor und tauchte den Strand in ein graues Licht. Es war für diese Jahreszeit ungewöhnlich windstill und warm, perfekt für einen romantischen nächtlichen Strandspaziergang, doch Erik konnte keine neugierigen Blicke gebrauchen, während er die Gebeine sortierte und perfekt anordnete. Seit 3 Monaten bereitete er dieses Projekt nun schon vor und alles hing von dieser einen perfekten Nacht ab. Erik hatte sich seine Gesichter sorgfältig ausgesucht und darauf geachtet, dass Arme und Beine die optimale Länge haben, nicht zu lang und auch nicht zu kurz. Jetzt stand er vor seinem fast vollendeten Werk, lächelte stolz und leitete mit einem schrillen Schrei Phase 2 ein: er nahm etwas Meerwasser, rührte es in der hölzernen Schale mit dem vorbereiteten Blut zu einem roten klebrigen Brei und tunkte seinen kleinen Finger in die fertige Mischung. Nun tippte er jedem Kopf auf die Stirn und hinterließ einen roten Fleck exakt in der Mitte über der Nase. Den Ausdruck in den Gesichtern hatte Erik mit einem Messer förmlich zurechtgeschnitzt und in die Augen anstatt Pupillen kleine Löcher geschnitten, in die er nun wie in kleine Schalen seine zuvor gesammelten Tränen goss. Jeweils fünf Arme und Beine waren wie Sonnenstrahlen in einer Kinderzeichnung neben jedem Kopf angeordnet. Jedes der Gliedmaßen hatte Erik sorgfältig Zuhause getrocknet, alle Würmer und Käfer entfernt und danach mit verschiedenen Methoden experimentiert, wie er sie am besten verbiegen konnte. Dabei waren etliche gebrochen, diese hatte Erik dann einfach seinem Hund überlassen, welcher Gefallen daran fand an ihnen rumzuknabbern oder sie im Garten zu vergraben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles seinen Vorstellungen entsprechend angeordnet war, kletterte Erik auf seine Leiter und verbrachte die nächsten Stunden damit aus allen möglichen Winkeln und mit verschiedenen Einstellungen und Filtern die Fotos zu machen. Als er das letzte mal den Auslöser drückte, stand die Sonne ein paar Zentimeter über dem Wasser. Jetzt musste Erik nur noch alle Stöcke und die Holzklötze mit den geschnitzen Gesichtern einsammeln und die Schale mit der roten Lebensmittelfarbe auskippen und auspülen. Zuhause würde er sich mit Madeleine beraten, welche der Fotos er in der Kunstgalerie ausstellen wird. Seine neueste Ausstellung lief unter dem Motto “indische Kultur und Religion”. Die Besucher waren immer fasziniert von der Kombination aus lebensechter Schnitzerei und kreativer Anordnung, wodurch sehr ausdrucksstarke Bilder entstanden.