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Kain und Abel
Kain und Abel
Krieg
Eine Kriegserklärung gab es nicht. Nur wir allein waren dort. Am Anfang schwiegen die Waffen noch, obwohl es schon begonnen hatte. Spione besaßen wir nicht. Wir waren blind. Obschon wir uns nicht bemerkten, führten wir den Krieg:
Im süßen Wasser erforschten wir beide den Leib der Mutter. Und immer wieder spürten wir ein vertrautes Gefühl. Kannten wir Gefühle ? Wir fühlten die Anwesenheit des Feindes. Langsam tasteten wir durch das Muttermeer. Das Gefühl näherte sich der Gewißheit, nicht allein zu sein. Wer war er ? Was wollte er ? Warum bin ich nicht allein ? Will er meinen Platz einnehmen ? War er vor mir da ? Dies waren meine Fragen. Ob er sie stellte, wußte ich nicht. Weiter tasteten wir blind umher. Machte er eine Bewegung, tat ich sie nach. Machte ich eine Bewegung, so machte er sie auch. So geschah es immerfort. Die Feinde fühlten einander und erkundeten die Lage, so die blinden Augen sich noch nicht öffneten. Meine Wut wuchs mit jeder Stunde im Leib. Er war ein Eindringling. Die Liebe meiner Mutter hielt nicht für mich, er nahm sie sich mit Gewalt. So schlug ich eines Tages nach ihm. Doch meine Faust traf eine Wand. Hatte meine Mutter den Angriff geahnt ? War auch sie ein Feind ? Schnell zog ich den Arm zurück, legte ihn an meinen Körper und streckte mich dann drohend aus. Mein Leib wuchs an und ich blähte meine Wut hinaus. So warf ich mich gegen die Wand, aber sie war nicht zu zerstören. Er hatte einen Plan. Mutter beschützte ihn. Ich war allein im Kampf gegen den Eindringling. Ich versteckte mich in die hintersten Winkel meiner Festung und schlief. Ich wartete ab. Er tat es mir gleich, denn ich hörte ihn nicht.
Der Feind
Eines Tages kam wieder die Nahrung durch das Lebensband geflossen. Gierig nahm ich sie auf und wollte immer mehr. Ich fürchtete, dass sie ihm mehr geben würde, standen sie doch Seite an Seite. So zog ich an der Schnur und schrie einen stummen Schrei aus. In diesem Augenblick schlug ich die Augen auf. Ich war geblendet. Rotes Licht stach in meine jungen Augen, brannte in meinem Kopf, fuhr durch mein Hirn hinaus ins Meer.
Ich glaubte bis zu diesem Augenblick, mich auf einer Insel zu befinden. Nun aber sah ich, dass es eine Blase war, in der ich lebte. Ich sah meinen Feind:
Ein roter Klumpen Fleisch schwamm in einer ähnlichen Blase, nicht weit von meiner eigenen. Seine Augen waren geschlossen. Er war gekrümmt, klein und schwach.
„Das ist mein Feind ?“ fragte ich. Mein Spott drang als ein lautes Lachen heraus. In diesem Moment öffnete der Fleischklumpen seine hässlichen Augen. Hätte ich Fingernägel, ich hätte ihm die schwarzen Augen ausgekratzt und sie verspeist. Mein Hass erfuhr neue Nahrung als ich sah, dass auch er durch ein Band mit meiner Mutter verbunden war. Wie konnte sie dies nur zulassen ?
Sofort trat ich gegen die innere Wand meiner Blase. Wieder und wieder schlug und trat ich dagegen, um das Wesen zu erreichen, das den Krieg begonnen hatte. In seinem Krötengesicht erkannte ich ein müdes Lächeln, denn er verspottete mich. So trat ich noch einmal zu. Ich griff die Innenwand und wollte sie zerfetzen. Doch ich war zu schwach. Ich schlief ein.
Ein dumpfes Klopfen schlich sich in mein Gehör und weckte mich: Die Bestie schlief noch. Dennoch kam das seltsame Geräusch von ihm. War es sein Herz ? So gern hätte ich sein kleines Herz in meinen Händen, um es zu zerdrücken. Das Monster aber war immer noch zu weit entfernt. Und wieder schrie ich auf, damit er aufhören würde, mich zu verspotten. „Warum verschwindest Du nicht ? Geh‘ doch fort !“ rief ich laut.
Er aber schwieg. Er sah mich an. Seine verkrüppelten Ärmchen streckten sich nach mir aus. Er wollte mich gewiß greifen und erwürgen. Ich sah hinauf und rief laut den Namen meiner Mutter, dass sie mich erretten möge. Nichts geschah. Als ich ihn wieder ansah, hatte er seine Hände auf die jämmerliche Brust gelegt und die Augen geschlossen.
Kurz darauf kam die Nahrung durch das Band. Schnell öffnete ich meinen Schlund und trank alles, was ich bekam. Immer wieder sah ich ihn an. Er trank. Ich eilte mich, so dass ich schneller war als er. Dann nahm ich mein Band und zog daran. Ich schwang nach hinten und stieß mit den Füßen an die Wand, um sie zu durchbrechen. Er sah mich an. Es gelang nicht. Ich wartete ab. So vergingen die Monate. Er tat nichts.
Immer wieder schlich ich mich an, um ihn zu beobachten, wenn er schlief. Wenn wir Nahrung bekamen, dann versuchte ich, sie ihm zu nehmen. Aber Mutter war stets darauf bedacht, uns gleich zu behandeln. So richtete sich mein Hass auch gegen sie.
„Du willst dieses Tier zur Welt bringen ?“ Dann sollst Du mich sterben sehen !“ rief ich.
Frieden
Als ich meinen Plan in die Tat umsetzen wollte, kam der Sturm:
Ein Sturzbach entfesselte sich vor meinen Augen. Die Wand zerfetzte sich von selbst und spülte mich davon. Blut und Schleim bildeten einen braunen Sud, in dem ich nun schwamm.
„Nein ! Ich will nicht ! Ich will ertrinken !“ rief ich krächzend. Niemand hörte zu.
Ich wollte mich festhalten, aber da war nichts. Ich hob meinen Kopf zurück, um zu sehen, was mit ihm geschehen sollte. Doch die Fluten trieben in meine Augen. So nahm ich das Band und hielt mich daran fest, während ich meine Füße an das Tor drückte, das ich nun sah. Dahinter war ein helles Licht. War dies die Erlösung ? War es der Sieg ? Konnte ich so den Krieg gewinnen ?
Ich löste meinen Griff und ließ mich treiben, dem Licht entgegen. Dann hörte ich einen Schrei in der Kälte. Das Licht verschwand. Hinter mir spülte das Blut den Feind heraus. In seinen Händen hielt er sein Band. Er hatte es sich um den Hals gewickelt. Seine Augen waren geschlossen. Er atmete nicht.
Doch ich hörte eine leise Stimme. Es war ein Echo. Langsam kroch es heraus aus dem nassen, toten Leib der Mutter. Er mußte es wohl gerufen haben als die Flut kam:
„Gehe allein hinaus. Frieden."