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Kaffee und Schokocroissant

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11.11.2016
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Kaffee und Schokocroissant

Ein leichter Wind kühlte ihr an diesem Winternachmittag das Gesicht und wirbelte ihr eine aus dem Pferdeschwanz gelöste Strähne in die Augen. Weil sie keine Hand frei hatte - in der linken hielt sie eine dicke Decke, die sie gerade im Kaufhaus besorgt hatte und in der rechten einen noch viel zu heißen Kaffee im To-go-Becher - pustete sie sich das haar gestresst zur Seite, während sie durch die überfüllte Einkaufsstraße hastete. Hoffentlich würde sie die S-Bahn zum Bahnhof noch bekommen, den Zug wollte sie nun wirklich nicht verpassen. Ein schneller Blick auf die Uhr - noch drei Minuten - und ihre Schritte beschleunigten sich ein wenig. Links am Straßenrand sah sie einen alten Mann in Pullover und kurzer Hose sitzen. Er hatte einen grauen Bart und ein eingefallenes Gesicht, seine Augen blickten trüb auf den Steinboden vor ihm. Auch aus einigen Metern Entfernung konnte sie erkennen, wie sehr der Mann zitterte. Die übrigen Leute in der Einkaufsstraße eilten an ihm vorbei, kaum einer bemerkte ihn. Und diejenigen, die die traurige Gestalt dort hocken und frieren sahen, blickten schnell in eine andere Richtung und gingen so schnell und unauffällig wie möglich weiter. Ein junger Mann im Anzug stolperte über den weißen Plastikbecher, den der Alte vor sich gestellt hatte. Zornig sah er sich um, trat übertrieben fest auf den Becher, woraufhin dieser knirschte und platt am Boden liegen blieb. Dann funkelte er den alten Mann an und machte eine übertrieben aufgebrachte Handgeste. Wutschnaubend drehte er sich um und ging in steifem Gang weiter. Die junge Frau, die alles mit angesehen und vor Entsetzen stehen geblieben war, sah sich um: Keiner hier würdigte den alten Mann auch nur eines verächtlichen Blickes. Mit Gedanken an die in zwei Minuten abfahrende S-Bahn zögerte sie kurz, doch dann ging sie quer durch die Menschenmenge hindurch zu dem Mann und kniete sich vor ihn. "Hat er Sie aus Versehen getreten?", fragte sie besorgt. Der Mann sah sie aus großen, ungläubigen Augen an, dann schüttelte er langsam den Kopf. Er öffnete den Mund, doch brauchte mehrere Sekunden, um einen Laut herauszubekommen. "Geld?", krächzte er schließlich und zeigte auf die junge Frau. "Nein", antwortete sie mit Bedauern, denn sie hatte ihre letzten Euro für den Kaffee und ein Schokocroissant ausgegeben, "aber ich habe Essen. Haben Sie Hunger?" Sie legte Kaffeebecher und Decke neben sich ab, wühlte in ihrer Tasche und zog schließlich eine Bäckertüte hervor. Sie hatte sowieso keinen wirklichen Hunger. "Essen? Ja", murmelte der Mann heiser. Sie legte ihm die Tüte hin und stellte noch schnell den Becher dazu. Zur S-Bahn müsste sie jetzt rennen, da würde heißer Kaffee nur stören. "Entschuldigung, ich muss los. Lassen Sie es sich schmecken!", verabschiedete sie sich flüchtig, während sie schon ihre Tasche gegriffen hatte und aufstand. Mit einem hastigen Lächeln zu dem Mann drehte sie sich um und rannte los. Noch zwanzig Meter bis zum S-Bahn-Eingang, die Treppen runter, durch die Halle mit den Fahrkarten- und Kaugummiautomaten, schnell die Rolltreppe zum richtigen Gleis und außer Atem ankommen, hoffen, dass die Bahn eine Minute Verspätung hat. Ihre Brust hob und senkte sich, als sie unten ankam und auf die Anzeigetafel sah - doch die S-Bahn war bereits abgefahren. Erschöpft von dem Sprint ließ sie sich auf die Metallbank sinken und wartete auf die nächste. Als sie zehn Minuten später am Bahnhof ankam, setzte sie sich an den Bahnsteig und bemerkte erst jetzt, dass sie die neu gekaufte Decke nicht mehr bei sich trug. Sie wusste nicht mehr, ob sie sie fallen gelassen hatte oder wo sie geblieben war. Aber das war ihr auch egal, denn die paar Euro konnte sie auch nächste Woche noch mal ausgeben. Vielleicht war die Decke ja dann immer noch im Sale.


Die Luft an diesem Winternachmittag war ja schon an sich kalt, aber die leichte Brise, die schon stundenlang durch die belebte Einkaufsstraße zog, raubte ihm den letzten Nerv. Seinen dünnen Pullover, der zu dieser Jahreszeit kaum noch Schutz vor dem Wetter bot, hatte er sich über die Handgelenke gezogen, um seine steifen Finger wenigstens einigermaßen warm zu halten. Es war dieses Jahr noch kein Schnee gefallen, jedoch stiegen die Temperaturen schon seit Tagen nicht über drei Grad, und der alte Mann hatte außer diesem Pullover, einer knielangen, abgewetzten Hose und grauer Gartenschuhe, deren Sohle an vereinzelten Stellen dünner waren als ein Blatt Papier, nichts zum Anziehen. Sein gesamter Körper war durchgefroren, die Kälte legte sich auf ihn wie eine zweite Haut. Nachts war es besonders schlimm, da kroch sie ihm durch das Fleisch, stoppte die Durchblutung und fraß sich in seine Knochen wie ein gieriger Parasit. Seit Tagen plagte ihn zusätzlich auch noch der Hunger, der in einer kleinen Ecke seines Magens als unangenehmes, aber erträgliches Ziehen angefangen hatte. Inzwischen zog und stach es in allen Gegenden seines Bauches, und niemand schenkte ihm auch nur fünfzig Cent, sodass er sich ein trockenes Brötchen hätte kaufen können. Jetzt saß er hier, genoss eine kurze Unterbrechung der Krämpfe und spürte den Wind um sich kaum noch. Gedankenverloren starrte er auf den kalten Steinboden vor sich. An was er dachte, wusste er selber nicht. Vielleicht an ein wärmendes Feuer. Oder ein Glas Wasser. Ein schwarzer Schuh und das Knirschen von Plastik direkt vor ihm riss ihn aus seinen Gedanken. Er hob langsam den Kopf, als er aufgebrachte Flüche in seine Richtung wahrnahm und sah gerade noch, wie sich ein junger Mann im Anzug wutentbrannt umdrehte und davonging. Der weiße Plastikbecher vor ihm war jetzt kaputt, aber genau genommen war das egal, denn es war ja sowieso kein Geld darin. Kaum hatte er wieder begonnen, an etwas anderes zu denken - an seine Vergangenheit vielleicht, in der es ihm noch gut ging und in die er sich so gerne zurückträumte - tauchte das sorgvolle Gesicht einer jungen Frau vor ihm auf. Sie hatte blondes, glattes Haar, unordentlich zu einem Pferdeschwanz gebunden, und eine schmale Figur. Ob sie genug zu essen hat?, fragte sich der alte Mann in Gedanken. Doch ihre edel aussehende Kleidung ließ darauf schließen. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ihn etwas gefragt hatte. Vermutlich, ob es ihm gut ging. Also schüttelte er den Kopf, wie er es immer tat bei dieser Frage, und dann gingen die Leute immer ohne ein weiteres Wort, weil sie dachten, er sein debil oder geistig krank oder habgierig. Doch die junge Frau blieb weiter hocken und blickte ihn mit einem undeutbaren Ausdruck in ihren himmelblauen Augen an. Die Augen erinnerten ihn an seine Frau, Samira, die vor drei Jahren an einem Autounfall gestorben war, kurz bevor er alles verloren hatte. Das liebevolle Aussehen der Fremden machte ihm Mut, und so überwand er sich zu einer leisen Frage nach etwas Geld. "Nein", hörte er die Frau sagen und dann noch etwas, das er nicht verstand, aber irgendetwas mit essen hatte sie gesagt. Die Krämpfe fingen wie auf Knopfdruck wieder an. "Essen? Ja", antwortete er und schämte sich für seine Gier und Unfreundlichkeit. Doch sie schien es nicht zu bemerken, legte ihm ohne vorwurfsvollen Blick eine Tüte von seinem früheren Lieblingsbäcker hin und stellte zu seinem Erstaunen noch einen Becher dazu. War er gefüllt? War das Getränk noch warm? Am liebsten hätte er sofort alles verschlungen, doch er nickte nur dankbar und versuchte sich an einem Lächeln - es fühlte sich falsch und unwirklich in seinem von Zurückweisung geprägten Gesicht an, wahrscheinlich misslang es ganz fürchterlich. Auf einmal verschwand die von der jungen Frau ausgegangene Ruhe, sie griff ihre Tasche und stand eilig auf. "Entschuldigung, ich muss los. Lassen Sie es sich schmecken!", sagte sie im Gehen. Der Mann bedankte sich mit brüchiger Stimme, doch sie hörte es wahrscheinlich nicht mehr, zu weit weg war das regelmäßige Klacken ihrer Schuhe, während sie in Richtung S-Bahnhof davonrannte. Er nahm das Gebäck aus der Tüte, ein helles Croissant, und biss beherzt hinein. Der Geschmack von knusprig gebackenem äußerem und luftig-leichtem inneren Teig, gemischt mit flüssiger, noch warmer Schokolade explodierte in seinem Mund, er kaute mit Genuss, schluckte und biss erneut ab. Seit Wochen hatte er nichts mehr gegessen, das annähernd so gut geschmeckt hatte. Als er die Hälfte des Croissants aufgegessen hatte, hob er den Becher, und als er realisierte, dass er bis zum Rand gefüllt war, setzte er ihn an die Lippen und ließ den noch heißen Kaffee das trockene Gefühl, das ihn seit Tagen in Mund und Kehle geplagt hatte, herunterspülen. Nach zwei großen Schlucken hielt er kurz inne und sah sich um. Vor ihm, dort, wo vor ein paar Minuten noch die junge Frau gehockt hatte, lag nun eine dicke Wolldecke, sie sah aus wie neu gekauft. Und ja, er konnte sich erinnern, dass die Frau sie bei sich gehabt hatte. Ob sie sie absichtlich hier gelassen hatte? Sie hatte so viel für ihn getan, das konnte sie doch nicht ernst meinen. Oder doch? Er nahm die Decke und hüllte sich in sie ein. Ein wohliges Gefühl der so lange vermissten Wärme durchströmte ihn und er fasste einen Entschluss: Eines Tages würde er die Frau wiedersehen und sichergehen, dass sie weiß, wie dankbar er ist. Sie wusste es vielleicht nicht, aber als er sich gegen die steinerne Wand hinter sich lehnte und in der einsetzenden Dämmerung die Augen schloss, wurde ihm bewusst, das diese Frau eine wahre Heldin war. Denn er schlief zum ersten Mal seit Tagen ohne Magenkrämpfe ein, er schlief zum ersten Mal seit Tagen ohne ein Kratzen von Austrocknung in der Kehle ein, er schlief zum ersten Mal seit Tagen ohne das Gefühl des Erfrierens ein.

Weil er einer wahren Heldin begegnet war, schlief er zum ersten Mal seit langem wieder ohne die Angst ein, nicht mehr aufzuwachen.

 

Hallo Snezana und jedenfalls von meiner Seite ein herzliches Willkommen bei den Wortkriegern.

Ich habe mir dein Profil mal angesehen - dort steht, dass du gerne ehrliche und unvoreingenommene Kritik haben willst. Ok, du hast es so gewollt .... ;)

Nein, ich will mal nicht gleich mit dem Vorschlaghammer mit der Wand ins Haus fallen, aber so ganz rein positiv wird meine Kritik nicht ausfallen.

Positiv ist mir aufgefallen, dass deine Geschichte im Grunde genommen ja eine sehr humane, menschliche und mitfühlende Seele hat. Deine Protagonistin hilft dem Armen und Bedürftigen in bester St.Martin-Manier und der arme, mittel- und obdachlose Randgruppen-Angehörige erfährt ein tröstliches Gefühl der Hilfsbereitschaft und Mildtätigkeit. Wir brauchen gar nicht zu diskutieren, die Handlung deiner Geschichte ist "gut" im wahrsten Sinne des Wortes, und das ehrt dich als Schriftstellerin und Angehörige der Spezies homo sapiens, der sich ja nicht unbedingt durch Nächstenliebe auszeichnet.

Kommen wir zu den Punkten, die mir negativ aufgefallen sind. Pathos, Pathos an der Wand, wer hat die kitschigste Zuckerkruste im ganzen Land?
Es ist kein Widerspruch wenn ich dir einerseits eine mitfühlende Seele attestiere, aber andererseits an einem derart überzogenen Tränendrüsen-Overkill beinahe erstickt wäre. Nach dem Lesegenuss deiner Geschichte musste ich mir erst mal das Lied "Deadfall" von Benediction anhören, um den zuckersüßen Geschmack aus meinem Kopf zu kriegen!;)

Alter Schwede - Kälte, der Winter, der herzlose Anzug-Yuppie, der arme Witwer, wochenlanges Hungern, nichts als kurze (!) Hosen, löchrige Schuhe, und als Gegenpol die blode, sensible und warmherzige Mutter Theresa mit Pferdeschwanz und Schokocroissants! Du lässt wirklich nichts aus. Hättest du noch beschrieben, wie ein Hund sein Beinchen an dem Obdachlosen hebt, wärs ne 1-A-Satire geworden!;)

Ohne Witz - da trägst du ein bisschen zu dick auf. Weniger ist mehr und ich glaube, ein etwas dezenteres Setting und vor allem eine wesentlich dezentere Charakterbeschreibung würde deiner Geschichte eher zum Vorteil gereichen. Wenn die Handlung nicht gerade in Omsk oder Bangladesch spielt, muss (noch!) niemand in unserer Heimat verhungern, erfireren oder im Winter nur in kurzen Hosen rumlaufen. Nicht, so lange es Einrichtungen wie die Caritas, die Tafel, das DRK oder die AWO gibt, oder die Bahnhofsmission, oder die Heilsarmee, oder oder oder ...

Auch in sprachlicher Hinsicht hast du noch den ein oder anderen Holperer drin.
Er beisst "beherzt" in sein Brötchen? Das klingt, als wäre dies ein Akt des Mutes und würde ihn Überwindung kosten. Ich denke, du meinst wohl eher "herzhaft". Seine Frau ist "an" einem Autounfall gestorben? Ich hoffe, das ist nichts ansteckendes;). Sie ist wahrscheinlich "bei" einem Unfall gstorben.

So, liebe Snezana, das war es erstmal von meiner Seite. Ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen etwas anfangen und sie ziehen dich hoffentlich nicht runter. Aber du hast ja eine klare Ansage gemacht, was deine Kritikerwartungen angeht.

In diesem Sinne Grüße vom EISENMANN, der noch immer rosarote Zuckerwatte von seinen Geschützläufen kratzen muss nach dieser Story:D

 

Grüß dich, Snezana!

Deine Geschichte scheint ein Apell an die Loyalität und Menschlichkeit zu sein, soweit so gut, mit diesen Themen lassen sich wunderbare Geschichten und großartige Handlungen schreiben.

Deine Geschichte ist, sagen wir es mal so, ganz nett und liebevoll, aber es fehlt das entscheidende Etwas, was sie von anderen unterscheidet. Es ist, wenn ich sehr hart bin, sehr 0815. Junge Frau beobachtet Verlierer der Gesellschaft, ist schockiert von der bösen, bösen Unmenschlichkeit der Anderen und entscheidet sich in einem aufopfernden und selbstlosen Akt gar, für den Bettler auf etwas zu verzichten und ihn ein Geschenk zu machen, was ihn Tränen in seinen alten Augen bringt. Ich las die Geschichte und zuckte mit den Achseln. Hat gut geschmeckt, aber wo ist dieses aufregende Gewürz, was mich erstaunt aufblicken lässt und mich dazu bringt, weiterzuessen?

Zusammengefasst: Die Geschichte hat was, aber nicht das, was sie von anderen Kurzgeschichten abhebt. Vielmehr ein viel zu schwarzweißes Bild von den ach so armen Bettlern und herzensguten jungen Damen. Grautöne sind mehr als nur erwünscht! ;)


LG Niklas

 

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