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Kadingirra
Kadingirra
oder
Bab-ilim ist überall
Wenn es möglich gewesen wäre, den Turm von Babel zu erbauen,
ohne ihn zu erklettern, es wäre erlaubt worden. Kafka
Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen,
und dies ist der Anfang ihres Tuns;
nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem,
was sie sich vorgenommen haben zu tun. Gen 11,6
Babbel
In den verschiedenen Etagen
Redeten die Leut verschiedne Sprachen:
Die ganz oben
Sprachen gehoben,
Die in der Mitt’
Sprachen Durchschnitt
und die gerad noch satt
Redeten einfach platt.
Die aber in den Gossen lagen
Schwiegen & träumten von bessern Tagen.
Wie kann es nur immer wieder angehn, dass hohe Bauwerke grundlos einstürzen? fragte Akkadi und wunderte sich, dass die Pappeln der Allee abgeholzt wurden.
Sie könnten einem aufs Haupt schlagen, meinte fürsorglich die Stadt.
Die überlebenden Pappeln nickten und stimmten zu. Vor so viel Einverständnis fürchtete sich Akkadi.
Es könnt‘ mir ja was aufs Haupt schlagen!, rationalisierte er seine Angst, die Straßen der Stadt zu betreten. Akkadi zeigte sich als loyaler Bürger, da er nach Wibke und vor Kyrill nicht verlangte, dass die Ziegel von auch nur einem Dach zu entfernen seien.
Die Trauerweiden weinten gar fürchterlich, als die armen Vettern gehäckselt wurden.
Hier soll die Stadt der Städte gelegen sein? Ort des Frohsinns und der Genüsse? Schlaraffenland des kleinen Mannes, StandOrt des KOnsumtempels und der Verbraucherzentrale, einträchtig nebeneinander? Die Stadt, die keine Armut kannte, da die jungen Töchter der Stadt sich prostituierten und ihren Lohn in die Sozialkassen einzahlten. Die Taschen des Grashandels füllten sich und somit die Staatskassen. Heute - nur wenig Generationen nach dem Turmbau - finden sich auf grauschwarzer Fläche von nahezu 7700 Hektar wüsten Landes Reste von Gebäudelichkeiten, rost-braunes Eisen, Stahl und Beton, Ziegel- und Backsteine, die sich immer noch so zeigen, wie sie in den alten Mythen vom Turmbau beschrieben sind: als Bauschutt. Ausgeweidete Karosserien, vereinsamte Autositze, auslaufende Batterien wie bergeweise Autoreifen, ab und an Ursache stinkender, UNDURCHSICHTIGER Brände im Zusammenwirken mit mancherlei Plastik. Hügel aus Müll, soweit das Auge reicht. Gartenabfall, Grünzeug, morsches Holz. Ein einsamer Schredder stottert seinen Technosound an der nordöstlichen Halde, einst die größte und schönste aller Halden.
Dem kulturellen UNRAT korrespondiert als letzter natürlicher Bewuchs UNKRAUT und hartleibiges Gestrüpp, gelegentlich unterbrochen von Krüppelkiefern und selbstgenügsamen Bonsai-Birken. Um verwesende Vegetabilien und sonstigen organischen Abfall, manches noch in halbgeöffneten Konservendosen, streiten sich zwergwüchsige Menschen, welche die Pfahlbauten inmitten der Müllwüste bewohnen, Siedlungen, die seit den letzten Jahren des vergangenen Jahrzehnts hochgezogen wurden, Jahre, in denen der Müll UNMERKLICH Religion wurde und DeLillo ihr Prophet. Im Westen rackert eine gemeinnützige Müllverbrennungsanlage (gMVA), neben den karitativen Einrichtungen des Kirchkartelles einziger verbliebener Arbeitgeber und letztes Überbleibsel produzierenden Gewerbes. Man hält noch was auf Dienstgemeinschaft, Solidari-tä-te-re-tä-tät, Nächstenliebe! Die Kirchen lassen Zwerge für wenige Cents Abfall sortieren, verkaufen Textilien und Dinge aus Papier, Pappe, Plastik - die leidlich wie Text-täck-täckstiljen aussehen - an Pfahlbauern und andere verarmte Bevölkerungsgruppen der näheren (Nächstenliebe) und ferneren Umgebung (Solidaritä-terätätä). Auch streiten sich die Pfahlbauern mit Möwen, Rabenvögeln, verwilderten Katzen und Hunden und anderem UNGEZIEFER. Dabei sind die flinkeren Tiere im Vorteil gegenüber dem behä-hä-hä-bigen Menschen. Der dreht langsamerem Getier aber schon einmal den Hals um, dass es den Speiseplan bereichere - oder knackt das eine oder andere Insekt, um es vor Ort zu verspeisen.
So herrscht über dem Gebiet ein widerlicher Gestank aus Verwesung, Rauch und Karneval. Ein Konzert aus Gekreisch’ und Gekrächz‘, Knurren, Murren und Gezeter wird in der Nähe von Maschinen übertönt von Rauschen, Rattern, Knattern, Klappern und Brummen, Hupen, Sausen & Brausen. Container ergießen ihren Inhalt von den Rampen der Halden hinab, Bulldozer und andere Kettenfahrzeuge verteilen den Müll, planieren den Boden, dass eine Terrassenlandschaft entsteht. Bagger laden Müll in Loren, die zu immer neuen Zügen zusammengestellt werden und rollen über uralte Trassen vorbei am gewaltigsten aller Pfahlbauten - der Zikkurat - inmitten des wüsten Landes zu den Sortierhallen in der Nachbarschaft der gemeinnützigen MVA, wo die Loren geleert werden.
Einem - bisher UNBEWIESENEN - Gerücht zufolge essen die Pfahlbauern ihre Toten, was bei Aasfressern nicht weiter verwundern darf.
Gelegentlich wird ein UNACHTSAMER Zwerg von den Schaufeln der Maschinen erfasst und mit dem Müll in eine Lore geschüttet. Es ist nicht bekannt, dass ein Zwerg jemals herausgefunden hätt‘ aus seinem Schicksal. Menschenopfer für den Gott des Mülls.
Babylon ist überall, meint ein Gärtner, der am Rande der Müllhalden seinen Schrebergarten pflegt.
Will denn dieser November nie aufhören?, frug der uralte Lenz UNGEDULDIG, oder sollte schon April sein?
Draußen klatschten Schnee- und Graupelschauer, dass der Schlamm gegen die Scheibe spritzte, blitzten und dröhnten Gewitter im Wechsel mit Regen, Sonne und Nebel. Solch langen November hatte er noch nicht erlebt! Spärlich fiel Licht ins Loch durch das einzige, vergitterte Fenster, das den Blick frei gab auf eine schmale, UNGEPFLEGTE, zernarbte dürre Fläche von Gräsern vorm Haus, die durch schmale Abschlusssteine vom platt ausgelegten Bürgersteig getrennt wurde. Dahinter war die verkehrsberuhigte Nord-Süd-Verbindung - nicht nur zu ahnen, wenn der Schatten eines Fahrzeugs durchs Bild raste. Abends besuchten ihn Schatten vorbeiziehender Karawanen, durchschweiften den Raum von links nach rechts und nachts umgekehrt. Selten, dass ein Schatten etwas länger verweilte, oft gesellte sich dann ein weiterer oder noch ein anderer hinzu und UNERTRÄGLICHES Geplapper fremder Stimmen füllte den Raum. Darinnen hauste Lenz ein Lebenlang - immer schon, schon immer - in einer kleinen dunklen, von Amts wegen finanzierten Kellerwohnung von vielleicht vier mal vier Metern im Quadrat, nordöstlich der Emscher gelegen in SEINER STADT, der Stadt mit dem schrägen O - oder sollte es eine schräge Null sein? - da wo die N-S-Verbindung die Stadt in ein westliches und ein östliches Drittel zerschnitt, um in einer Pestbeule von Südstadt als letztem Drittel zu enden. Auf dem Boden des Kellers, zur Straßenseite hin, immer im Dunkeln, lag eine alte Matratze, ständig von grauem Bettzeug bezogen. (Darum nannte er die Höhle liebevoll Meine Matratzengruft, denn Lenz kannte neben Jupp und Jan seinen lieben Onkel Henry.) Gegenüber der Matratze schmollte eine Holztruhe aus dem 30jährigen Krieg, die seine muffigen Kleider beherbergte. In der Mitte des Raumes baumelte von der rauen und rissigen Decke eine offene, schwach glimmende Glühbirne hilflos in ihrer Fassung an den Drähten hin und her - UNGESCHÜTZT - knarrte auf dem verschlissenen Teppich ein 80 x 40 kleiner Tisch auf vier UNSICHEREN dürren Beinchen im Chor mit zwei wackelichten hölzernen Klappstühlen, von denen der eine der Tür zugekehrt, der andere an der leeren Wand stand. Auf diesem Stuhl saß Lenz ab und an in gekrümmter Haltung, stützte den Arm auf den Tisch, das Kinn mit dem schweren kahlen Kopf darüber in die Hand gelegt, die so groß war wie eine Baggerschaufel. In dieser Stellung sinnierte Lenz über Gott und die Welt, starrte auf die Tür, frug, ob denn wohl heut' jemand käm. Pack wie Lenz hat nix. -
Ist nix. -
Wird auch nix! -
Will auch gar nix.
Akkadi hatte gelesen , dass das Babel-Syndrom durch eine Studie der Investmentbank Dresdner Kleinwort Benson in Xiang Gang empirisch belegt sei.
Man glaubte, eine eindeutige Korrelation zwischen Gigantomanie (Architekturrekorden) und nationalem UNHEIL (Wirtschaftsabschwüngen) entdeckt zu haben. Da musste Akkadi an O. denken, das er liebevoll Bab-ilim in seiner Sprache nannte oder kürzer Babil, was ans Geplapperte um ihn herum erinnerte.
Der Gärtner im Schrebergarten steht eher auf Troja.
Und wenn gerad‘ jetzt jemand käm‘?, sorgte sich der Alte.
Es riecht streng im Keller. Die Gebrüder Schimmel & Pilz beherrschen die Luft, die Lenz eigentlich zum Atmen bräuchte. Da hilft kein Lüften. So ist die schwere Zunge immer von einem bittern Geschmack belegt, der mit Fusel bekämpft wird. Ab und an erhält das seltsame Terrarium Besuch durch die gemeine Küchenschabe und ihren La cucaracha singenden, von der Revolution träumenden Freund, Herrn Kakerlak, oder es kommt unter ihren Panzern eine Rasselbande von Kellerasseln gemütlich daher, als könnt' den beitragszahlenden Mitgliedern dieses Vereins kein UNGLÜCK widerfahren und sonn- und feiertags auch der Silberfisch mit seiner Familie, immer fein herausgeputzt zu diesen Ausflügen im Disco-Look. Kein Wunder, dass auch Herr Pes angelegentlich Gast des Hausherrn ist und an seinen Lippen hängt. Dann herrscht schmerzhafte Stimmung in der Gruft, dass einem die Ohren abfallen und das Maul verschlossen bleibt!
Weiß nix. –
Wüsst' nix zu erzählen. –
Ich weiß nich‘ viel. –
Wüsst‘ nich‘ viel zu erzähln. –
Ich will auch gar nix wissen, nix erzählen.
Also ist ohrenbetäubende Stille.
Die ursprüngliche Geschichte ist bekannt: da taten Menschen sich zusammen, um einen Turm zu bauen, der bis an den Himmel reiche. Der Bau wurde verhindert, weil die Leute, die bis dahin einer Zunge waren, verwirrt wurden, dass sie einander nicht mehr verstanden. Darum gingen die Bauleute auseinander, zerstreuten sich in alle Welt. UNGEZÄHLTE Mythen versuchen, die Geschichte des Turmbaus zu erklären. 1563 beschrieb Pieter Brueghel auf seine Weise den Turmbau als ein abgestuftes, an eine runde Pyramide erinnerndes turmartiges Gebilde bzw. als einen mehrstufigen Tempelturm, dessen oberste Etage nicht vollendet ist und somit Ruine bleibt. Wir wissen nicht, wie gläubig Brueghel war, ob er eher dem Alten Testament folgte oder von der Zerstörung des Monumentes durch Sanherib wusste. Wir wissen, dass er den Turm in flandrische Landschaft setzte. Vielleicht, dass nach seiner Theorie die Erbauer ob ihres Vorhabens resignierten und einsahen, dass der Himmel nicht zu erreichen war: Je höher sie kamen, desto weiter entfernte sich ihr Ziel. Sicher ist nur, dass ein vollendeter Turm Brueghels Rahmen gesprengt hätte.
Die älteste und bekannteste Erklärung vom Turmbau liefern die Alten, die das UNBEGREIFLICHE mit Gott erklären:
die aberwitzige Idee, gottgleich sein zu wollen, die Vermessenheit, die rückwärtsgewandte Utopie des Paradieses oder -jenes/Paradies‘ oder -das auf Erden zu verwirklichen, den Himmel auf Erden zu errichten, um in geschichtslose Zeiten abzugleiten, musste gestraft werden. Also verwirrte Gott die Sprachen der Erbauer und zerstreute sie in alle Länder, dass der Bau UNVOLLENDET bliebe. Und 1. Mos. 11,9 erklärt den Namen der Landschaft: Daher heißt ihr Name Babel, dass der Herr daselbst verwirrt hatte aller Länder Sprache und sie zerstreut von dort in alle Länder.
Akkadi fand, dass nicht nur in O. viel des Babbelns sei.
Die einfachste Erklärung des Scheiterns liefert die Mathematik: Je höher der Turm, desto tiefer der Abgrund. Mit jedem Stockwerk wächst der Abgrund, mit jedem gewonnen Meter an Höhe wird das Werk abgründiger. Je näher man dem Himmel als Ziel kommt, desto abgründiger, entfernter und UNWIRKLICHER die Welt. Desto größer die Absturzgefahr.
So einfach kann Logik sein!
Eine komplexere Lösung des Scheiterns bietet die Soziologie: Die Differenz zwischen oben und unten wächst und man spricht nicht mehr die gleiche Sprache. Die da oben sehen nicht mehr die da unten und die da unten erfahren von denen da oben nur mehr durch geschönte Botschaften und gebellte Befehle. So scheidet sich die Menschheit in Bauherren und Bauleute.
Was aber wäre, wenn die Geschichte sich wie folgt abgespielt hätte: da tun Menschen sich zusammen, um einen Turm zu bauen, der bis an den Himmel reiche, und der Bau wird verhindert, weil das Ziel abhanden kommt. Denn da ist kein Himmel. Das verwirrt die Bauleute, dass sie auseinander gehen und nimmermehr ein gemeinsames Werk bauen.
Der Gärtner zieht seine Pflänzchen im trojanischen Garten.
An den feuchten Wänden hängen Fotografien und Karten, nur mit Ansichten SEINER STADT aus längst vergangenen Tagen. Damals war sie noch ein schwarzes Loch, das Leute und Rohstoffe aus aller Herren Länder magisch anzog und verschlang. SEINE STADT war immer schon eng und grau, die Leute hausten in aengsten Schubladen über- und aufeinander, der Bergbauer und der Industriebaron machten sich breit:
Wat kost‘ die Welt!? Das UNGEHEUER verschlang UNMENGEN Materials und fraß die Leute. Von der Maschinerie als UNVERDAULICHE Krüppel wieder ausgespien, dämmerten sie dem Ende entgegen. Da war Lenz noch jung, als er ausgekotzt wurde. Und wenn wer noch jung ist, wünscht er, ein anderer zu sein, als er ist und einstmals einer war: immer aber will das Kind älter sein als es selbst und der Alte wieder ein Kind, zumindest doch jünger als er ist. Doch Lenz wollte als junger Mann schon weiter zurück: früh gealtert sehnte er sich in graue Vorzeit, da ein Mann noch ein Held sein durfte, wählte das UNRUHIGE Leben eines Jägers und Sammlers in den sumpfigen Wüsten, Auen, urwäldlichen Mischwäldern, der sandigen Heide und dem Moor zwischen Ruhr und Lippe. Jagte und sammelte Ansichten SEINER STADT. Mit dem Alter wurde er ruhiger, erschlug niemand mehr um den Preis einer Postkarte, verwaltete die Sammlung der An-, Ab- und Aufsichten, heftete die schönsten Motive an die Wand und vergaß den Rest, der unter seiner Kleidung in der Truhe modert und verkommt.
Er hat nicht viel.
Er hat genug.
Also, dachte Akkadi - der übrigens aus dem Süden stammt und deshalb einige Zeit von den Eingeborenen von O. irrtümlich Idakka genannt wurde oder verächtlicher Kanacke, was an Kakerlak erinnern sollte, bis andere Nomaden der Globalisierung O. heimsuchten und mit Schimpf geadelt wurden.
Also, meinte er, erklärt die vorgenannte einfache Erfahrung, dass die Leute von O. zunächst einen negativen Turm bauten und in die Erde sich eingruben.
Sein alter Freund Franz K. formulierte bereits 1922 Wir graben den Schacht von Babel.
Warm und dunkel war‘s unter der Erde, doch die Hölle fand man nicht und für den Himmel gab‘s eh die falsche Richtung. Als das Vorhaben abgebrochen wurde - man tat zunächst, als hätte man erkannt, die falsche Richtung eingeschlagen zu haben, tatsächlich aber arbeiteten Leute an anderen StandOrten kostengünstiger als die Leute von O. - wurden die Bauleute zwar nicht in alle Winde zerstreut, doch versetzt. Der Abraum wurde während dieser Zeit auf Halde gelegt. So kam man dem Himmel doch ein bisschen näher.
(Einer schönen Legende zufolge onanierte auf der größten Halde Ajatollah Wojtyla und brachte das wüste Land zum Blühen. So ist auch die Schönheit der Halde am Rande von O. erklärt.)
Also begannen die Menschen von O., in und auf der Fläche der GigantOmanie zu verfallen: der höchste GasOmeter, der höchste HOchOfen - der darum auch Höchstofen hätte genannt werden können - der größte BahnhOf (denn zu seiner Zeit war O. der Verkehrsknotenpunkt weit und breit) und ließ es wieder auf äußeren Druck der Konkurrenten hin. Erst starben die Zechen, dann die Hütten. Die Stadt verarmte, drohte zu sterben, dass sie nicht mehr wusste, was oben und unten ist. Da war des Jammerns kein Ende.
Den Horizont bilden ihm Gebäude der anderen Straßenseite, die Lenz selbst das zögerlichste Licht des Sonnenaufganges verweigern, so dass selbst am helllichten Tag sein Loch im Halbdunkeln liegt. In der lang andauernden Dämmerung ist er grau geworden, brauchte dazu nichts zu tun als zu warten. Wer Pseudokrupp überlebt ist gefeit gegen den Moloch Industrie und allem Elend dieser Welt gewachsen, der übersteht auch Thyssen. Wenns Wetter es zulässt, wie heute, beobachtet er durchs Fenster die Straße. Der Blickwinkel erlaubt ihm, die Fahrzeuge zu beobachten und das Fußvolk jenseits der Straße. Wer jedoch diesseits der Straße, nahe seines Fensters geht, ist nur Bein und Fuß und Bewegung, mehr oder weniger schnell, hastig oder langsam, bummelnd oder rennend, ab und an stockend oder gar stehen bleibend. Vor weiß der Deibel wieviel Jahren, liefen geschnürte Stiefel zur volkstümelnden Blasmusik im Gleichschritt nach Rechts, dass die Erde bebte. Nun laufen in allen möglichen modisch-chiquen Fußkleidern Füße wieder nach rechts, tänzelnd, schlurfend, eilend, dass es eine Schande ist. Denn das menschenfressende UNGEHEUER hat sich gewandelt in ein lichtes Konsumentenparadies mit der Zikkurat als Mittelpunkt des Lebens.
Auf wüster Fläche steht der Garten- und Landschaftsbauer stumm. Die Luft hat sich geändert. Es liegt was in der Luft.
Akkadi wirft ein: Aber wie wäre es, wenn die Geschicht‘ anders herum verlief? Wenn das Bauwerk errichtet würd‘, um‘ne einzige Sprache zu schaffen?
Lenz starrt auf die Tür und fragt sich, ob denn wohl heut' jemand käm‘. Auf was aber wartet Lenz?
Tagaus, tagein: die Dickmamsel, verrichtet ihre Riten. Wie angenehm ist‘s doch, in den Arm genommen zu werden und die Nähe eines anderen Menschen zu spüren. Und heute gesellt Nachbar und Freund Akkadi sich dazu, -
Wie isset, altes Haus? - schaut, wie sie den Alten zu Tode pflegt, hört, was Dickmamsel berichtet. Auf’m Zechenplatz werde eine Siedlung gebaut, ja sei fast schon fertig. Ob das nicht was wär, um endlich aus dem Loch rauszukommen. Die Wohnungen seien, so weit sie wisse, amtlich gefördert ... Akkadi weiß um die Pfahlbausiedlung, denkt sich sein‘ Teil. Der Alte würd wohl nicht darin ertrinken, und meint,
verrecken ist gut überall!
Der Gärtner streut Asche aufs Beet.