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(K)eine Entscheidung
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Noch nie in ihrem Leben hat sie sich so erschöpft gefühlt. So leer und ausgebrannt. Was war eigentlich geschehen?
Sie wusste es nicht. Sie konnte sich nicht mal mehr daran erinnern, wann es anfing, dass sie sich so mies fühlte. Irgend etwas lief schief in ihrem Leben. In ihrem bisher so erfolgreichen Leben.
Sie hatte alles. Alles was man sich nur wünschen konnte: Einen tollen Job, natürlich ein dementsprechendes Gehalt, gute Freunde, viele Bekannte, ein schickes Auto, ein teures Appartement... Einen Mann? Nein, den wollte sie bewusst nicht. Zumindest jetzt noch nicht. Ihre Scheidung lag zwar schon einige Tage zurück, aber sie genoss ihr Single-Leben und ihre Unabhängigkeit viel zu sehr, als dass sie sich auf eine feste Beziehung einlassen wollte.
Aber was war es dann, was in ihrem Leben nicht in Ordnung war? Sie konnte es nicht erklären. Es war ein Gefühl der Leere und Unzufriedenheit.
Immer mehr vernachlässigte sie ihren Job, für den sie in den letzten Monaten so viele Opfer gebracht hatte. An manchen Tagen schaffte sie es früh nicht, aufzustehen. Diese bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern. War sie krank? Mehrmals rief sie bei ihrem Chef an, um sich zu entschuldigen.
Und immer wieder hatte sie diese Gedanken: „Ich schaff’s nicht mehr, ich will nicht mehr, ich kann nicht mehr....“ Natürlich war ihr auch klar, dass sie sich damit nur noch mehr herunterzog. Aber momentan schaffte sie es aus dieser Spirale einfach nicht heraus. Sie fühlte sich wie der sprichwörtliche Hamster im Hamsterrad.
Mit jemanden reden? Klar, sie hatte Freunde, gute Freunde. Aber was sollte sie denen sagen? „Mir wächst meine Arbeit über den Kopf“ oder „ich hab keine Lust mehr zum arbeiten“ oder „ich sehe keinen Sinn mehr in meiner Arbeit“. Was sollte sie antworten, wenn jemand fragt „Warum?“ Sie wusste es doch selbst nicht, warum! Sie entschied sich, das Problem alleine zu bekämpfen. Und dann kam ihr die Idee mit dem Urlaub.
Der Urlaub sollte die Rettung sein. Es war zwar nur eine Woche. Aber in einer Woche kann man sich genügend Gedanken über die Zukunft machen. Um endlich klar zu sehen, was sie eigentlich wollte, was ihr eigentlich wichtig war in ihrem Leben.
In den letzten Jahren zog es sie immer wieder nach Ägypten. Dort gab es etwas, was magisch auf sie wirkte. In diesem Land gab es keinen Stress und keinen Druck! Nur Ruhe und Langsamkeit. Und genau das brauchte sie jetzt. War es vielleicht das, was ihr hier fehlte?
Mit vielen Fragen im Gepäck kam sie in ihrem Hotel an. Am ersten Tag war sie noch viel zu angespannt, um sich über ihre Probleme Gedanken machen zu können. Aber sie dachte, das hätte ja noch Zeit...
Dass sie diese Zeit nicht hatte, wusste sie in dem Augenblick noch nicht...
Am zweiten Tag sah sie ihn. Nein, es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Vielmehr ein Gefühl der Vertrautheit.
Sie verstanden sich auf Anhieb. Natürlich verabredeten sie sich für den Abend und für den nächsten Tag und für den ganzen Urlaub. Ihr wurde klar, dass sie in ihm einen Seelenverwandten gefunden hatte. Er war genauso wie sie auf der Suche nach irgend etwas. Für beide stand fest, es konnte kein Zufall gewesen sein, dass sie sich getroffen hatten.
Die Woche verging und sie verschwendete keinen einzigen Gedanken an ihre Probleme zuhause.
Die holten sie erst wieder ein, als sie alleine am Flughafen stand. Nur, jetzt hatte sie noch ein Problem mehr! Wie sollte es nun weitergehen??
Oder war das etwa die Lösung, dass sie einfach hier blieb? Wenn es kein Zufall war, dass sie ihn traf???
Sie flog trotzdem zurück. Am nächsten Tag saß sie wieder in ihrem Büro, von Urlaubserholung war nichts zu spüren. Immer wieder die quälende Frage: „Was soll ich tun?“
Eine Woche schleppte sie sich durch, dann kam ein Anruf, der noch mehr durcheinander brachte: „Ich komme morgen nach Deutschland, hol mich bitte am Flughafen ab!“
Den nächsten Tag durchlebte sie wie in Trance. Es war nicht nur Freude, die sie spürte, auch Angst, Unsicherheit, Verzweiflung. Wie wird das Wiedersehen sein. Weg aus seinem Land, hier in Deutschland...?
Doch die Sorgen waren unbegründet. Sie verbrachten eine genauso schöne Zeit miteinander wie in Ägypten.
Natürlich konnte er nicht ewig bleiben. Und natürlich kam irgendwann die Frage: „Kommst Du mit, für immer?“
Das war doch die Lösung! Die Koffer packen, den Job kündigen und ab in den Flieger. War doch ganz einfach? Oder?
Aber... Was sollte sie da unten tun, was arbeiten, wie leben? „Das wird schon“, war die Antwort. Klar, mit seiner Einstellung und seiner Mentalität war das ganz einfach....
Aber nicht für sie. Sie, die immer alles hundertprozentig geklärt haben musste und die Sicherheit braucht. Nein, so einfach geht das nicht.
Die ersten Streitigkeiten kamen auf. Er warf ihr vor, dass sie ihn nicht liebte. Sonst würde sie nicht überlegen. Sie sagte ihm, dass er es sich zu leicht machte.
Nach einigen Tagen ging sein Flieger. Sie blieb alleine zurück.
Sie konnte keine Entscheidung treffen. Nicht in dieser kurzen Zeit. Wieviel Zeit brauchte sie dazu? Wollte sie überhaupt eine Entscheidung treffen...???